bat Fee.
»Sie hat ohne jeden ersichtlichen Grund zwei Kilo abgenommen, und kräftig war sie ohnehin nie. Dann ihr Blick! Das ganze Gesichtchen besteht nur aus großen blicklosen Augen, so kommt es mir jedenfalls vor. Außerdem ist sie neuerdings so verschlossen. Frau Attenberg weiß dafür auch keine Erklärung.«
Fee dachte auch nach. »Könnte es nicht, daß Denise von einem Mann belästigt worden ist?«
»Aber das würde sie doch sagen.«
»Sie könnte einen solchen Schock bekommen haben, daß sie es eben nicht sagen kann, aber das ist freilich nur eine Vermutung. Natürlich kann auch etwas anderes dahinterstecken. Manche Mädchen verändern sich, wenn die Pubertät beginnt.«
Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es sicher nicht. Sie ist aufgeklärt. Wir haben uns über die Funktionen während der Entwicklung unterhalten. Sie hat da ganz natürlich und offen reagiert. Es liegt schon länger zurück. Es muß etwas anderes sein, und ich muß dahinterkommen. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn ich eine versteckte Krankheit nicht erkannt hätte.«
»Die Ehe der Attenbergs ist doch intakt?« fragte Fee. Daniel sah sie erstaunt an. »Ich habe nichts Nachteiliges gehört, und Frau Attenberg macht nicht den Eindruck, als wäre sie unglücklich. Ihre einzige Sorge ist das Kind. So, Feelein, jetzt muß dein Mann wieder in die Praxis. Paß du schön auf dich auf, und laß dich von Danny nicht tyrannisieren.«
»Er ist ja so lieb, seit ihm ganz klar ist, daß er nun bald ein Geschwisterchen bekommt«, sagte Fee. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß solch kleines Kind das schon begreifen kann.«
»Du hast es ihm ja auch sehr lieb klargemacht«, sagte Daniel zärtlich. Fee bekam einen langen Kuß, dann schaute er schnell noch mal zu Danny ins Zimmer, der während des Spielens auf seinem weichen Fell eingeschlafen war, was ihm neuerdings anscheinend sehr gut gefiel.
»Er ist in letzter Zeit ziemlich gewachsen«, stellte Daniel fest. »Das sieht man erst richtig, wenn er so liegt.«
Er war stolz auf seinen bildhübschen kleinen Sohn. Sie waren glückliche Eltern und hatten ein gesundes, glückliches Kind, das in einer Atmosphäre völliger Harmonie heranwachsen konnte.
Ob die kleine Denise vielleicht doch darunter litt, ein Einzelkind zu sein? Immer wieder mußte Dr. Daniel Norden über das Kind nachdenken, doch in der Praxis beschäftigte ihn dann ein anderer Fall.
Loni Enderle, die sich als Arzthelferin ganz perfekt eingearbeitet hatte, deutete auf eine Karteikarte, die sie schon bereitgelegt hatte. Dr. Norden las den Namen und runzelte die Stirn.
»Sie ist ganz mies beieinander«, sagte Loni.
»Sollte doch schon vor Monaten zum Nachschauen kommen«, sagte Daniel. »Na, dann herein mit ihr.«
Hanni Schwartz war ein junge Frau, erst Anfang zwanzig, aber zehn Jahre hätte man ihr jetzt bestimmt mehr gegeben. Ihre Gesichtsfarbe war fahl und der Mund schmerzhaft verzogen. Sie schleppte das rechte Bein nach.
Wegen dieses Beines war sie vor ein paar Monaten bei Dr. Norden in Behandlung gewesen. Sie war bei Glatteis gestürzt und hatte sich vor allem das Knie entsetzlich verletzt.
Dieses Knie sah jetzt aus wie ein blauer Klumpen. Dr. Norden war entsetzt.
»Mein Gott, warum kommen Sie erst jetzt, Frau Schwartz?« fragte er.
Sie begann zu schluchzen. »Ich konnte vorher nicht kommen, Herr Doktor. Meine Mutter war krank geworden und ich mußte ins Allgäu zu ihr, um sie zu pflegen.«
»Und da war kein Arzt, der auch mal nach Ihrem Bein schauen konnte?« fragte Dr. Norden.
»Da hätt’ ich dann doch einen Krankenschein gebraucht, und ich wollte nicht, daß Sie denken, daß ich von Ihnen nichts mehr wissen wollte.«
»Du liebe Güte«, seufzte er, »lieber schleppt sie sich mit diesen Schmerzen herum.« Vorsichtig befühlte er das Knie. Sie stöhnte und gab Schmerzenslaute von sich, was ihm durchaus verständlich war.
»Ja, liebe Frau Schwartz, da werden wir Sie wohl ins Krankenhaus bringen müssen«, sagte er.
»Nein, o nein«, rief sie abwehrend. »Können Sie das nicht machen?«
»Nein, es muß geröntgt werden. Mit Salben und Einbinden kann ich Ihnen da jetzt nicht mehr helfen.«
»Aber mein Mann ist schon sauer, weil ich so lange fort war, und die Kleine kann ich doch ins Krankenhaus nicht mitnehmen.«
»Dann wird sich Ihre Schwiegermutter mal um das Kind kümmern«, sagte Dr. Norden. »Sie tut das doch sicher gern.«
»Das schon, aber mit dem Hin und Her tut man dem Kind doch auch keinen Gefallen.«
»Wenn Sie vor lauter Schmerzen nicht mehr gehen und sitzen können, tun Sie Ihrer kleinen Karin erst recht keinen Gefallen«, sagte Dr. Norden. »Ihr Mann wird das einsehen.«
»Ja, das tut er schon, aber er hat nicht eingesehen, daß sich meine Mutter geweigert hat, in ein Krankenhaus zu gehen. Und dann mußte es doch sein. Sie ist ein Pflegefall, und ich habe es nicht mehr geschafft. Ich konnte sie allein doch nicht heben, und jetzt ist sie auch noch böse mit mir.«
»Hat sie denn nicht gesehen, wie schlimm Ihr Knie ist?«
»Das schon, aber wenn man sich selbst nicht rühren kann, kommt einem alles andere nicht so schlimm vor.«
Und wenn ein blühender junger Mensch durch Nachlässigkeit möglicherweise ein Bein verlieren könnte, ist das nicht schlimm, ging es Dr. Norden durch den Sinn, aber das Schlimmste wollte er doch von sich weisen.
»Ich muß ernsthaft darauf bestehen, daß Sie sofort in die Klinik gebracht werden, Frau Schwartz«, sagte er energisch. »Ich werde mit Ihrem Mann sprechen. Ist er jetzt im Geschäft?«
Hanni Schwartz sah ihn ängstlich an. »Bitte, Herr Doktor, hat es denn nicht noch bis morgen Zeit? Ich sage es ihm selbst.«
»Nicht eine Stunde wird jetzt noch gewartet«, erklärte Dr. Norden streng. »Ich kann es nicht verantworten. Es hätte längst etwas getan werden müssen. Ich rufe meinen Kollegen an und bringe Sie gleich zur Behnisch-Klinik, Karin ist doch jetzt bei Ihrer Schwiegermutter?«
Hanni Schwartz nickte unter Tränen. »Ist es denn wirklich so schlimm, Herr Doktor?« fragte sie wieder.
»Ja, leider, und ich sage das nicht gern, Frau Schwartz. Ich sage es nur, damit Sie nicht mehr zögern. Ich kenne Ihre Schwiegermutter, sie wird Verständnis haben.« Mehr Verständnis als die eigene Mutter, dachte er, denn selbst eine kranke Frau hätte sehen müssen, wie mühsam sich Hannelore Schwartz vorwärts schleppte.
Jetzt nahm er Loni die unangenehme Aufgabe, die wartenden Patienten zu vertrösten, selbst ab.
»Ich muß eine Patientin in die Klinik bringen«, sagte er ins Wartezimmer hinein. »Ich bitte um Ihr Verständnis.«
Man hatte es. »Immer höflich, immer freundlich«, sagte eine Stimme. »Für unseren Doktor sind wir keine Nummern.«
»Ja, der Dr. Norden, den muß man gern haben«, sagte Frau Schneller, die in ihrem Rentnerinnendasein viel Zeit hatte und gern hier saß, um Unterhaltung zu haben. »Früher hatte ich einen Arzt, der war so was von unfreundlich! Wenn was Außergewöhnliches dazwischenkam, fing man gleich zu zittern an. Hab’ ich doch aus Versehen mal zweimal geklingelt, da hat mich seine Hilfe gleich angefaucht, als wär das ein Verbrechen. Aber Dr. Norden hat auch immer so nette Damen im Büro. Molly war ja einmalig, aber die Loni Enderle wird die zweite Molly. Jeder braucht halt ein bißchen Zeit, um sich einzugewöhnen.«
Sie sagte es entschuldigend, denn anfangs hatte sie der Molly nachgetrauert, die jetzt manchmal noch aushilfsweise einsprang, sonst aber für ihre Familie sorgte.
Jedenfalls bekam Dr. Norden von niemand einen Vorwurf zu hören, als er bald zurückkam. Die Behnisch-Klinik lag nicht weit entfernt. Dr. Dieter Behnisch war sein Freund seit vielen Jahren, sie hatten zusammen studiert. Wenn