George Sand

Gesammelte Werke


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Zei­chen. Aber mit je­ner Schläf­rig­keit, wel­che lei­der in die­sem gan­zen Hau­se nur zu herr­schend war, ver­schob er sei­nen Auss­pruch über den Zu­stand der Kran­ken bis auf wei­te­re Un­ter­su­chung. »Es wird sich zei­gen; man muss es ab­war­ten; es lässt sich noch nichts sa­gen;« das wa­ren so die Lieb­lings­ant­wor­ten des be­scho­re­nen Äs­ku­lap.

      – Wenn es so fort­geht, sag­te er, wäh­rend er Con­sue­lo’s Zim­mer ver­ließ, so wird man dar­an den­ken müs­sen, einen Arzt zu ru­fen; denn ich will es nicht auf mich neh­men, einen so ab­son­der­li­chen Fall von Ge­müts­krank­heit zu be­han­deln. Ich will für die De­moi­sel­le be­ten und es könn­te an dem sein, dass wir, in Be­tracht der See­len­ver­fas­sung, worin die­sel­bi­ge sich in die­ser letz­te­ren Zeit be­fun­den hat, von Gott al­lein wirk­sa­me­re Hil­fe zu ge­wär­ti­gen hät­ten, denn von der Heil­kunst.

      Man ließ eine Magd bei Con­sue­lo und schick­te sich zum Früh­stück an. Das Stifts­fräu­lein kne­te­te den vor­treff­lichs­ten Ku­chen, der je aus ih­ren kun­di­gen Hän­den her­vor­ge­gan­gen war. Sie schmei­chel­te sich, dass Al­bert nach lan­gem Fas­ten sei­ne Lieb­lings­spei­se mit Freu­den ge­nie­ßen wür­de. Die schö­ne Ama­lie mach­te eine rei­zen­de Toi­let­te, denn sie sag­te sich, es möch­te doch viel­leicht ih­rem Vet­ter ein Bi­schen leid tun, sie ge­kränkt und er­zürnt zu ha­ben, wenn er sie beim Wie­der­se­hen so ver­füh­re­risch fän­de. Je­des dach­te dar­auf, dem jun­gen Gra­fen eine an­ge­neh­me Über­ra­schung zu be­rei­ten, und das ein­zi­ge We­sen, mit dem man sich hät­te be­schäf­ti­gen müs­sen, ver­gaß man, die arme Con­sue­lo, der man sei­ne Rück­kehr ver­dank­te und die zu fin­den Al­bert vol­ler Un­ge­duld sein muss­te.

      Al­bert er­wach­te bald, und statt un­nüt­zer An­stren­gun­gen, um sich die Er­eig­nis­se der Nacht zu­rück­zu­ru­fen, wie er sie nach den An­wand­lun­gen von Irr­sinn, die ihn in sei­ne un­ter­ir­di­sche Woh­nung trie­ben, sonst im­mer ma­chen muss­te, fand er die­ses­mal die Erin­ne­rung sei­ner Lie­be und des Glückes, das ihm Con­sue­lo ge­schenkt hat­te, au­gen­blick­lich wie­der. Er stand schnell auf, klei­de­te sich an, par­fü­mier­te sich und eil­te, sich in die Arme sei­nes Va­ters und sei­ner Tan­te zu wer­fen.

      Die Freu­de die­ser gu­ten Leu­te stieg auf den höchs­ten Gip­fel, als sie sa­hen, dass Al­bert bei vol­ler Ver­nunft war, dass er von sei­ner lan­gen Ab­we­sen­heit wuss­te und sie an­ge­le­gent­lich und zärt­lich um Ver­zei­hung bat, in­dem er ver­sprach, ih­nen nicht wie­der die­sen Kum­mer und die­se Un­ru­he zu be­rei­ten.

      Er sah, wie sei­ne Rück­kehr zum wirk­li­chen Be­wusst­sein sie ent­zück­te. Aber er merk­te auch, wie hart­nä­ckig man sich be­fliß, ihn zu scho­nen, ihm sei­nen Zu­stand zu ver­ber­gen, und er fühl­te sich ein we­nig ge­de­mü­tigt, dass man ihn wie ein Kind be­han­del­te, da er sich wie­der Mann ge­wor­den fühl­te. Er un­ter­warf sich die­ser, für das Un­recht, wel­ches er ge­tan, zu leich­ten Stra­fe, in­dem er sich sag­te, dass es eine heil­sa­me Erin­ne­rung wäre und dass es ihm Con­sue­lo Dank wis­sen wür­de, wenn er sie ver­stün­de und an­näh­me.

      Als er sich un­ter den Zärt­lich­kei­ten, Freu­den­trä­nen und Lie­bes­be­wei­sen der Sei­ni­gen zu Ti­sche setz­te, such­te er mit ängst­li­chem Bli­cke sie, die ihm zu sei­nem Le­ben und zu sei­ner Ruhe un­ent­behr­lich ge­wor­den war. Er sah ih­ren Platz leer und ge­trau­te sich nicht, zu fra­gen, wes­halb die Por­po­ri­na nicht her­un­ter­käme.

      Das Stifts­fräu­lein je­doch, das ihn je­des Mal, wenn sich die Tür öff­ne­te, den Kopf wen­den und un­ru­hig wer­den sah, glaub­te jede Be­sorg­nis von ihm fern hal­ten zu müs­sen und sag­te ihm, ihr jun­ger Gast habe schlecht ge­schla­fen, ru­he­te noch und woll­te einen Teil des Ta­ges im Bet­te blei­ben.

      Al­bert konn­te sich wohl vor­stel­len, wie ab­ge­mat­tet sei­ne Ret­te­rin sein müss­te, den­noch mal­te sich bei die­ser Nach­richt der Schre­cken auf sei­nem Ge­sich­te.

      – Tan­te, sag­te er, da er sei­ne Un­ru­he nicht län­ger be­meis­tern konn­te, ich den­ke doch, wenn die Ad­op­tiv­toch­ter Por­po­ra’s ernst­lich krank wäre, so wür­den wir nicht alle hier ru­hig um einen Tisch sit­zen und es­sen und schwat­zen.

      – Be­ru­hi­ge dich doch, Al­bert! sag­te Ama­lie, rot vor Ver­druss, die Nina ist da­bei, von dir zu träu­men und dei­ne Wie­der­kunft zu pro­phe­zei­en, die sie schla­fend ab­war­tet, wäh­rend wir sie hier voll Freu­de fei­ern.

      Al­bert erb­lass­te und schleu­der­te sei­ner Cou­si­ne einen zer­schmet­tern­den Blick zu:

      – Wenn je­mand hier mich schla­fend er­war­tet hat, so ist es ge­wiss nicht die Per­son, die Sie nen­nen, sie, die den Dank da­für ver­dient. Aber Ihre fri­schen Ba­cken, schö­ne Cou­si­ne, be­zeu­gen, dass Sie in mei­ner Ab­we­sen­heit kei­ne Stun­de Ihres Schla­fes ge­op­fert und jetzt nicht nö­tig ha­ben, sich auch end­lich einen Au­gen­blick der Ruhe zu gön­nen. Ich dan­ke Ih­nen herz­lich da­für, denn es wür­de mir sehr pein­lich sein, Sie um Ver­zei­hung zu bit­ten, wie ich alle üb­ri­gen Glie­der und Freun­de mei­ner Fa­mi­lie mit Schmerz und Reue um Ver­zei­hung bit­te.

      – Gro­ßen Dank für die Aus­nah­me, ver­setz­te Ama­lie, feu­er­rot vor Zorn, ich wer­de mich be­mü­hen, sie stets zu ver­die­nen, in­dem ich mei­ne Nacht­wa­chen und mei­ne Sor­gen für einen auf­spa­re, der sie mir Dank weiß und nicht da­mit sein Spiel treibt.

      Die­ser Wort­wech­sel, der zwi­schen Al­bert und sei­ner Braut nichts Neu­es war, an den aber bei­de Tei­le die­ses­mal eine un­ge­wöhn­li­che Leb­haf­tig­keit setz­ten, mach­te, un­ge­ach­tet al­ler Mühe, die man sich gab, Al­bert nicht wei­ter dar­an den­ken zu las­sen, dass Zwang und Ver­stim­mung den gan­zen Mor­gen herrsch­ten.

      Das Stifts­fräu­lein ging mehr­mals, um nach der Kran­ken zu se­hen, und fand sie je­des Mal glü­hen­der und krän­ker. Ama­lie, die Al­ber­t’s Un­ru­he wie eine per­sön­li­che Be­lei­di­gung auf­nahm, ging in ihr Zim­mer, um zu wei­nen. Der Ka­plan sprach sich ge­gen das Stifts­fräu­lein da­hin aus, dass, wenn das Fie­ber nicht bis ge­gen Abend wi­che, nach dem Arz­te ge­schickt wer­den müss­te.

      Graf Chris­ti­an hielt sei­nen Sohn bei sich zu­rück, um ihn zu zer­streu­en, da er sein ge­dan­ken­vol­les We­sen nicht be­griff und noch für krank­haft hielt. Wäh­rend er ihn aber durch lie­be­vol­le Wor­te an sei­ne Sei­te fes­sel­te, fand der gute Greis nicht den ge­rings­ten Ge­gen­stand der Un­ter­hal­tung, nichts, um die­sen Geist zu be­schäf­ti­gen, den er nie hat­te tiefer er­for­schen mö­gen, aus Furcht, von ei­nem dem sei­ni­gen über­le­ge­nen Ver­stan­de in Sa­chen der Re­li­gi­on über­wäl­tigt und be­sto­chen zu wer­den.

      Zwar sah Graf Chris­ti­an für einen Irr­wahn je­nes hel­le Licht an, wel­ches un­ter Al­ber­t’s Aben­teu­er­lich­kei­ten stets her­vor­brach und des­sen Glanz die schwa­chen Au­gen ei­nes stren­gen Ka­tho­li­ken frei­lich nicht er­tra­gen konn­ten, aber er ver­här­te­te sich den­noch ge­gen den Zug sei­nes Her­zens, das ihn an­trieb, ernst­li­cher mit Fra­gen in Al­bert zu drin­gen. Je­des Mal, wenn er den Ver­such un­ter­nom­men hat­te, ihn von sei­nen Ket­ze­rei­en zu­rück­zu­füh­ren, war er durch sei­nes Soh­nes kla­re und be­stimm­te Grün­de zum Schwei­gen ge­bracht wor­den. Er war von Na­tur nicht be­redt. Er be­saß nicht jene klin­gen­de Wort­fül­le, wo­mit sich ein Dis­put un­ter­hal­ten