George Sand

Gesammelte Werke


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be­weg­lich. Sie hör­te und fühl­te noch nichts, aber ihre Ab­span­nung war eine Art Schlaf und ihre Lip­pen färb­ten sich wie­der ein we­nig.

      Der Arzt lang­te an, und da er den Fall be­denk­lich fand, er­klär­te er, man habe ihn sehr spät ge­ru­fen und er ste­he für nichts. Man hät­te schon am vo­ri­gen Abend zur Ader las­sen sol­len, jetzt sei der Au­gen­blick nicht güns­tig. Der Ader­lass wür­de die Kri­se zu­rück­füh­ren. Es wäre schlimm, schlimm!

      – Er wird sie al­ler­dings zu­rück­füh­ren, sag­te Al­bert, aber man muss den­noch Blut las­sen.

      Der deut­sche Arzt, ein schwer­fäl­li­ger Mann, sehr von sich ein­ge­nom­men, und ge­wohnt, in je­ner Ge­gend, wo er ohne Ne­ben­buh­ler prak­ti­zier­te, wie ein Ora­kel ge­hört zu wer­den, schlug sei­ne di­cken Au­gen­li­der em­por und blin­zel­te den Men­schen an, der sich er­kühn­te, so den Kno­ten zu durch­schnei­den.

      – Ich sage, man muss zur Ader las­sen, wie­der­hol­te Al­bert mit Nach­druck. Mit oder ohne Ader­lass wird die Kri­se zu­rück­keh­ren.

      – Mit Ver­laub! sag­te der Doc­tor Wet­ze­li­us, die­ses ist kei­nes­we­ges so leicht, als Sie zu ver­mei­nen schei­nen.

      Hier­bei lä­chel­te er et­was ver­ächt­lich und iro­nisch.

      – Wenn die Kri­sis nicht wie­der­kehrt, ent­geg­ne­te Al­bert, so ist al­les ver­lo­ren, das müs­sen Sie wis­sen. Die­se Schlaf­sucht wür­de ge­ra­des­we­ges zur Läh­mung der Ner­ven­tä­tig­keit, zum Schlag­fluss, zum Tode füh­ren. Es ist Ihre Pf­licht, sich der Krank­heit zu be­mäch­ti­gen, ihre Ge­walt wie­der zu we­cken, um sie zu be­kämp­fen, mit ei­nem Wort, zu ar­bei­ten. Wo nicht, wozu sind Sie da? Ge­bet und Be­stat­tung ist nicht Ihres Am­tes. Schla­gen Sie die Ader oder ich tue es selbst.

      Der Doc­tor wuss­te wohl, dass Al­bert recht hat­te, und er hat­te sich selbst so­gleich vor­ge­nom­men, zur Ader zu las­sen, aber es ließ ei­nem Man­ne von sei­ner Be­deu­tung nicht gut, so ge­schwind sei­nen Auss­pruch zu tun und zu han­deln. Da hät­te man den­ken kön­nen, dass es ein ein­fa­cher, leicht zu ent­schei­den­der Fall ge­we­sen wäre, und un­ser Arzt hat­te die Ge­wohn­heit, den Be­denk­li­chen zu spie­len und die Ver­le­gen­heit auf­fal­lend zu ma­chen, um dann wie durch eine plötz­li­che Ein­ge­bung sei­nes Ge­nies zu sie­gen, da­mit es wie schon tau­send Male bei sei­nen Ku­ren hie­ße: »Es stand so schlimm, dass Doc­tor Wet­ze­li­us sel­ber nicht wuss­te, was er tun soll­te. Kein an­de­rer hät­te so den Na­gel auf den Kopf ge­trof­fen. Das ist ein Mann! Er weiß im­mer noch Rat. In Wien selbst ist nicht der Zwei­te.«

      Als er durch Al­ber­t’s Un­ge­duld sei­nen Gang ge­kreuzt und sich ohne Um­stän­de das Mes­ser in die Hand ge­ge­ben sah, hob er an:

      – Wenn Sie Arzt sind und hier zu sa­gen ha­ben, so sehe ich nicht ein, wozu man mich hat ru­fen las­sen, und ich gehe nach Hau­se.

      – Wenn Sie sich nicht ent­schlie­ßen wol­len, so lan­ge es noch Zeit, so ge­hen Sie im­mer­hin! sag­te Al­bert.

      Der Doc­tor Wet­ze­li­us fand sich schwer be­lei­digt, dass man ihn ei­nem un­be­kann­ten Kol­le­gen bei­ge­sellt hat­te, der ihm mit so we­nig Ach­tung be­geg­ne­te, stand auf und be­gab sich in Ama­li­ens Zim­mer, um sich mit den Ner­ven die­ser jun­gen Per­son zu be­schäf­ti­gen, die ihn so­gleich ver­langt hat­te, und sich dem Stifts­fräu­lein zu emp­feh­len; aber Wences­la­wa hielt ihn zu­rück.

      – Lie­ber Doc­tor! sag­te sie, Sie dür­fen uns in ei­ner sol­chen Lage nicht im Sti­che las­sen. Se­hen Sie nur, wel­che Verant­wor­tung auf uns liegt. Mein Nef­fe hat Sie be­lei­digt, aber warum wol­len Sie die Hit­ze ei­nes Man­nes, der sich so we­nig be­herr­schen kann, ernst­lich neh­men! …

      – Wie, war das Graf Al­ber­t’s frag­te der Doc­tor ver­blüfft. Ich hät­te ihn mei­ner Tage nicht wie­der er­kannt. Ist der ver­än­dert! …

      – Na­tür­lich! es sind fast zehn Jah­re, dass Sie ihn nicht ge­se­hen ha­ben, es hat sich seit­dem viel mit ihm ge­än­dert.

      – Ich glaub­te, er wäre gänz­lich her­ge­stellt, sag­te der Doc­tor spitz, weil man mich seit sei­ner Rück­kehr kein ein­zi­ges Mal hat ru­fen las­sen.

      – Ach, bes­ter Doc­tor! Sie wis­sen, dass Al­bert sich den Vor­schrif­ten der Kunst nie hat fü­gen wol­len.

      – Und nun ist er sel­ber Arzt, wie ich sehe?

      – Er ver­steht von al­lem et­was, aber er be­han­delt al­les mit sei­ner un­ge­stü­men Art. Der schreck­li­che Zu­stand, worin er die­ses jun­ge Mäd­chen sah, hat ihn sehr auf­ge­regt, sonst wür­den Sie ihn ge­wiss höf­li­cher, ver­nünf­ti­ger und er­kennt­li­cher für die Be­mü­hun­gen, die Sie ihm in sei­ner Kind­heit wid­me­ten, ge­fun­den ha­ben.

      – Ich be­sor­ge, dass er sie jetzt nö­ti­ger hat als je­mals, ent­geg­ne­te der Doc­tor, der, un­ge­ach­tet sei­nes Re­spekts vor der Fa­mi­lie und dem Schlos­se, doch lie­ber dem Stifts­fräu­lein durch die­se har­te Äu­ße­rung wehe tun, als sei­ne ver­ächt­li­che Hal­tung auf­ge­ben und der klei­nen Ra­che, Al­bert als einen Tol­len zu be­han­deln, ent­sa­gen woll­te.

      Das Stifts­fräu­lein emp­fand die­se Grau­sam­keit umso schmerz­li­cher, als sie zu­gleich be­dach­te, dass der Är­ger den Dok­tor ver­lei­ten konn­te, den Zu­stand ih­res Nef­fen, den sie so sorg­fäl­tig zu ver­heim­li­chen such­te, über­all be­kannt zu ma­chen. Um ihn zu ent­waff­nen, ver­schluck­te sie ihre Emp­find­lich­keit und frag­te ihn be­schei­dent­lich, was er von dem Ader­las­se däch­te, den Al­bert an­ge­ra­ten hat­te.

      – Ich den­ke, dass es in dem Au­gen­blick eine Dumm­heit ist, sag­te der Doc­tor, wel­cher sich die Ini­tia­ti­ve und sei­nem ver­ehr­ten Mun­de den ent­schei­den­den Auss­pruch durch­aus vor­be­hal­ten woll­te. Ich wer­de ein Stünd­chen war­ten, oder zwei, ich wer­de die Kran­ke nicht aus den Au­gen las­sen, und wenn der Au­gen­blick ge­kom­men sein wird, wäre es auch eher als ich jetzt ver­mu­ten kann, so wer­de ich han­deln; aber in der ge­gen­wär­ti­gen Kri­sis er­laubt mir die Be­schaf­fen­heit des Pul­ses noch nicht, et­was Be­stimm­tes zu tun.

      – Sie blei­ben also? Ge­seg­net sol­len Sie sein, präch­ti­ger Doc­tor!

      – Bei so be­wand­ten Sa­chen, da mein Wi­der­sa­cher der jun­ge Graf ist, sag­te der Doc­tor mit ei­nem vor­nehm be­mit­lei­den­den Lä­cheln, so wund­re ich mich wei­ter über nichts und las­se ihn re­den.

      Er woll­te eben wie­der in Con­sue­lo’s Zim­mer ge­hen, des­sen Türe der Ka­plan, da­mit Al­bert das Ge­spräch nicht höre, zu­ge­macht hat­te, als der Ka­plan ganz bleich und ver­stört von der Kran­ken her­aus­kam, und zu dem Doc­tor eil­te.

      – Um Got­tes wil­len, Doc­tor! rief er, kom­men Sie, ge­brau­chen Sie Ihr An­se­hen! das mei­ni­ge gilt bei dem Gra­fen Al­bert nichts mehr, und ich glau­be, wenn Gott selbst vom Him­mel käme, wür­de er nicht da­nach fra­gen. Er hat sich dar­auf ge­setzt, der Ster­ben­den zur Ader zu las­sen, Ihrem Ver­bot zum Trot­ze, und er wird es wahr­haf­tig tun, wo­fern es uns nicht so oder so ge­lingt, ihn ab­zu­hal­ten. Weiß der Him­mel, ob er je eine Lan­zet­te in der Hand ge­habt hat. Er wird sie ver­stüm­meln, wenn er sie nicht gar auf der Stel­le durch eine un­zei­ti­ge Blut­ent­zie­hung tö­tet.

      – Nun seh’ Eins! sag­te der Doc­tor in läp­pi­schem Tone,