so ganz aus, dass kein Raum darin blieb für die Wahngebilde, um welche er sich in Folge seiner Vereinsamung und Untätigkeit so lange Zeit im Kreise hatte drehen müssen. Er wurde von ihnen wie durch Zauberei befreit, denn er vergaß sie völlig, und das Bild derjenigen, die er liebte, hielt seine Leiden fern und schien sich wie ein Schild vom Himmel zwischen diese und ihn gestellt zu haben.
Die Gemütsruhe, welche zur Wiederherstellung der jungen Kranken so nötig war, wurde daher nur sehr wenig und selten durch die innere Aufregung ihres Arztes gestört. Wie der Heros in der Fabel war Consuelo in den Tartarus hinabgestiegen, um ihren Freund zu befreien und sie selbst hatte Graus und Zerstörung mit heraufgebracht. Nun trachtete er seinerseits sie von den schwarzen Gästen, die ihr gefolgt waren, zu erlösen und es gelang ihm dies mit Hilfe zarter Pflege und liebreicher Schonung.
Sie fingen miteinander ein neues Leben an, sich gegenseitig tragend, ohne einen Blick rückwärts zu wagen, denn sie fühlten sich nicht stark genug, sich in Gedanken in die Abgründe zurück zu versetzen, durch welche sie sich herauf gearbeitet hatten. Die Zukunft war ein neuer Abgrund nicht minder unerforschlich und furchtbar, in den sie ebensowenig hinauszuspähen wagten. Aber die Gegenwart, wie eine Gnadenfrist, die ihnen der Himmel verstattete, ließ sich mit Behagen schlürfen.
7.
Es fehlte viel, dass die übrigen Bewohner des Schlosses eben so ruhig gewesen wären. Amalie war wütend und ließ sich nicht mehr herab, die Kranke ein einzigesmal zu besuchen. Sie vermied es sorgfältig, an Albert ein Wort zu richten, ihn irgend einmal anzublicken, oder auch nur seinen Gruß morgens und abends zu erwidern. Das abscheulichste dabei war, dass Albert auf ihren Ärger nicht im Mindesten zu achten schien.
Das Stiftsfräulein sah, dass nun die Leidenschaft ihres Neffen für die »Landstreicherin« augenscheinlich und so zu sagen erklärt war, und hatte keinen ruhigen Augenblick mehr. Sie zermarterte sich um Mittel, der Gefahr und dem Skandal ein Ende zu machen, und hatte zu diesem Behufe lange Konferenzen mit dem Kaplan.
Aber dieser wünschte gar nicht die Verwicklung sich so bald lösen zu sehen. Er war lange in der Familie unnütz und, unbemerkt gewesen. Seine Rolle nahm jetzt wieder eine Art von Wichtigkeit an, er konnte sich dem Vergnügen, zu spionieren, zu entdecken, zu warnen, vorauszusagen, mit einem Worte in den häuslichen Sorgen nach Herzenslust zu wühlen, überlassen, während er sich ein Ansehen gab, als rührte er an nichts und sich vor dem Unwillen des jungen Grafen hinter den Röcken der alten Tante verkroch.
Beide miteinander fanden sie unaufhörlich neue Ursachen zur Besorgnis, zur Vorsicht und nie ein Rettungsmittel. Jeden Tag machte sich die gute Wenceslawa an ihren Neffen mit einer entscheidenden Erklärung auf der Zungenspitze und jeden Tag machte ein spöttisches Lächeln oder ein eisiger Blick das Wort in ihrem Munde sterben und den Plan zerscheitern.
Es verging kein Augenblick, wo sie nicht auf eine Gelegenheit spähete, sich zu Consuelo zu stehlen, um bei ihr auf geschickte Art und mit Festigkeit einen Verweis anzubringen, und jedes Mal war Albert, wie durch einen Kobold gewarnt, augenblicklich auf der Schwelle, um mit einem Runzeln seiner Brauen, wie der olympische Jupiter den Zorn und die Kühnheit der seinem lieben Ilion feindlich gesinnten Götter zu beschwören.
Indessen hatte das Stiftsfräulein es doch ein paar male so weit gebracht, das Gespräch mit der Kranken einzufädeln, und da die Augenblicke, wo sie mit ihr allein sein konnte, sich so selten fanden, hatte sie ihre Zeit genützt und ziemlich einfältige Andeutungen fallen lassen, welche sie für sehr bedeutsam hielt.
Consuelo war aber so weit entfernt von dem Ehrgeiz den das Fräulein bei ihr voraussetzte, dass sie nichts davon verstanden hatte. Ihr Erstaunen, ihre unschuldige, offene Miene entwaffneten im Augenblick die gutherzige Wenceslawa, die nie in ihrem Leben einem zutraulichen Tone oder einem herzlichen Schmeichelblick hatte widerstehen können.
Aus der Fassung gebracht eilte sie dann und bekannte dem Kaplan ihre Niederlage; der übrige Teil des Tages ging damit hin, Entschließungen für den folgenden zu fassen.
Inzwischen erriet Albert dieses Getreibe recht gut und sah, dass Consuelo sich zu wundern und zu beunruhigen anfing; er hielt es daher für nötig, der Sache ein Ende zu machen. Eines Tages lauerte er der Tante im Gange auf, und als sie seine Wachsamkeit zu täuschen und Consuelo allein zu überraschen dachte, stand er in dem Augenblick wo sie die Hand an die Klinke legte, um in das Zimmer der Kranken zu gehen, plötzlich neben ihr.
– Meine gute Tante! sagte er, ihre Hand ergreifend und an seine Lippen drückend; ich habe Ihnen etwas ganz sacht zu sagen, was für Sie von Wichtigkeit ist. Das Leben und die Gesundheit der Person, welche hier nebenan ruht, sind mir kostbarer als mein eigenes Leben und mein eigenes Glück.
Ich weiß sehr wohl, dass Ihr Beichtvater es Ihnen zu einer Gewissenssache macht, meiner Hingebung für sie entgegenzuarbeiten und die Frucht meiner Bemühungen zu zerstören. Sonst hätte Sie Ihr edles Herz nie auf den Gedanken kommen lassen, durch harte Worte und ungerechte Vorwürfe die Wiederherstellung einer Kranken, die sich kaum außer Gefahr befindet, zu vereiteln.
Da aber der Fanatismus oder die Engherzigkeit eines Priesters wohl das Wunder bewirken kann, die herzlichste Liebe und das reinste Mitgefühl in blinde Grausamkeit zu verwandeln, so werde ich mich aus aller Macht der Sünde widersetzen, zu deren Werkzeug meine arme Tante sich hergibt.
Ich werde meine Kranke Nacht und Tag hüten, ich werde sie keinen Augenblick mehr verlassen, und wenn es ungeachtet meines Eifers gelänge, sie mir zu entreißen, so schwöre ich, bei allem was nach menschlichem Glauben furchtbar ist, dass ich aus dem Hause meiner Väter gehen und nie dahin zurückkehren werde.
Ich denke, dass der Herr Kaplan, nachdem Sie ihm meinen festen Entschluss bekannt gemacht haben, ablassen wird, Sie zu quälen und die großmütigen Neigungen Ihres mütterlichen Herzens zu unterdrücken.
Wenceslawa konnte in ihrer ersten Bestürzung nur mit einem Tränenstrome antworten. Albert hatte sie bis an das äußerste Ende des Ganges geführt, damit diese Erklärung nicht von Consuelo gehört werden könnte. Sie beschwerte sich nun lebhaft über den widersetzlichen und drohenden Ton, den ihr Neffe gegen sie annähme und wollte die Gelegenheit ergreifen, ihm dass Törichte seiner Neigung zu einer Person von so niederer Herkunft als Nina zu Gemüt zu führen.
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