George Sand

Gesammelte Werke


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Ab­we­sen­heit als eine bloß vor­über­ge­hen­de an, ohne sie die wah­re Ur­sa­che der­sel­ben mer­ken zu las­sen. Sie fing an aus dem Zim­mer zu ge­hen, und als sie das ers­te Mal den Gar­ten be­such­te, stütz­te der alte Chris­ti­an mit sei­nem schwa­chen, zit­tern­den Arme den wan­ken­den Tritt der Ge­ne­sen­den.

      9.

      Es war ein schö­ner Tag für Al­bert, als er sei­ne Ge­lieb­te am Arme sei­nes al­ten Va­ters in das Le­ben zu­rück­keh­ren sah, und als sie in Ge­gen­wart sei­ner Fa­mi­lie die Hand ihm rei­chend, mit ei­nem un­aus­sprech­li­chen Lä­cheln sag­te:

      – Der ist’s, der mich ge­ret­tet, und mich ge­war­tet hat, als ob ich sei­ne Schwes­ter wäre.

      Aber die­ser Tag, der Gip­fel­punkt sei­nes Glückes, ver­än­der­te mit ei­nem Male und weit mehr als er es sich zum Voraus hat­te ge­ste­hen mö­gen, sei­ne Be­zie­hun­gen zu Con­sue­lo. Den Be­schäf­ti­gun­gen der Fa­mi­lie sich wie­der an­schlie­ßend und den Ge­wohn­hei­ten des Hau­ses zu­rück­ge­ge­ben konn­te sie nur sel­ten noch mit ihm al­lein sein.

      Der alte Graf, der ihr weit leb­haf­ter zu­ge­tan schi­en als vor ih­rer Krank­heit, wid­me­te ihr eine Men­ge von Auf­merk­sam­kei­ten mit ei­ner Art vä­ter­li­cher Zu­vor­kom­men­heit, wel­che sie tief rühr­te. Das Stifts­fräu­lein sag­te kein Wort mehr, un­ter­ließ aber nicht, alle ihre Schrit­te zu be­wa­chen und bei al­len ih­ren Un­ter­hal­tun­gen mit Al­bert die drit­te Per­son ab­zu­ge­ben.

      Und end­lich, da Al­bert kei­ne Spur von Geis­tes­ab­we­sen­heit mehr ver­riet, gönn­te man sich die Freu­de, die lan­ge ver­nach­läs­sig­ten Ver­wand­ten und Nach­barn zu emp­fan­gen und so­gar ein­zu­la­den. Man setz­te ge­wis­ser­ma­ßen einen un­schul­di­gen und zärt­li­chen Stolz dar­ein, al­ler Welt zu zei­gen, wie ge­sel­lig und lie­bens­wür­dig der jun­ge Graf von Ru­dol­stadt ge­wor­den, und da Con­sue­lo durch Blick und Bei­spiel ihn auf­mun­ter­te, den Wün­schen sei­ner An­ge­hö­ri­gen nach­zu­kom­men, so muss­te er sich wohl in die Rol­le des Welt­man­nes und des gast­freund­li­chen Wir­tes fü­gen.

      Die­se schnel­le Um­wan­de­lung fiel ihm au­ßer­or­dent­lich schwer. Er un­ter­warf sich ihr aus Ge­hor­sam für sei­ne Ge­lieb­te. Aber er hät­te auch ge­wünscht, durch län­ge­re Zwie­ge­sprä­che und freie­re Her­zenser­güs­se sich da­für be­lohnt zu se­hen. Ge­dul­dig hielt er den Zwang und die Fad­heit lan­ger Tage aus, um am Aben­de von ihr ein Wort des Bei­falls und des Dan­kes zu ern­ten.

      Wenn aber Wences­la­wa sich wie ein läs­ti­ger Ko­bold zwi­schen sie dräng­te und ihm die­se un­schul­di­ge Freu­de ent­riss, so fühl­te er, dass sei­ne See­le bit­ter wur­de und dass ihn sei­ne Kraft ver­ließ. Er hat­te böse Näch­te und oft trat er an die Cis­ter­ne, die seit dem Tage, wo er Con­sue­lo her­aus­ge­tra­gen hat­te, im­mer voll und klar ge­blie­ben war. Fins­ter und ge­dan­ken­voll ver­wünsch­te er fast sein Ge­lüb­de, nicht wie­der in die Ein­sie­de­lei zu­rück­zu­keh­ren. Es war ihm schreck­lich, sich un­glück­lich zu füh­len, ohne fer­ner das Ge­heim­nis sei­nes Lei­dens im Scho­ße der Erde be­gra­ben zu dür­fen.

      Die Ent­stel­lung sei­ner Züge nach sol­chen schlaflo­sen Näch­ten, die vor­über­ge­hen­de, doch im­mer häu­fi­ge­re Wie­der­kehr sei­nes düs­te­ren und zer­streu­ten We­sens muss­te sei­nen Ver­wand­ten und sei­ner Freun­din auf­fal­len. Aber die­se hat­te das Mit­tel ge­fun­den, die schwar­zen Wol­ken zu ver­scheu­chen und ihre Herr­schaft wie­der zu er­grei­fen, so oft sie die­sel­be zu ver­lie­ren in Ge­fahr war. Sie sang, und au­gen­blick­lich hin­ge­ris­sen oder über­wäl­tigt fand der jun­ge Graf in Trä­nen Er­leich­te­rung oder schwang sich zu fri­schem Mute auf. Die Wir­kung die­ses Mit­tels war un­fehl­bar und wenn er ihr ver­stoh­len ein Paar Wor­te sa­gen konn­te, so rief er aus:

      – Con­sue­lo, du kennst den Weg zu mei­ner See­le. Du be­sit­zest die Macht, wel­che dem großen Hau­fen ver­sagt ist und be­sit­zest sie mehr als ir­gend ein Mensch auf Er­den. Du re­dest die Spra­che des Him­mels, du gibst den se­ligs­ten Ge­füh­len Aus­druck und du ver­stehst es, die mäch­tigs­ten Re­gun­gen dei­ner be­geis­ter­ten See­le uns an­de­ren mit­zu­tei­len. Sin­ge, sin­ge nur im­mer, wenn du mich er­lie­gen siehst.

      Die Wor­te, wel­che du in dei­nen Ge­sän­gen aus­sprichst, ha­ben für mich we­nig Sinn, sie sind nur eine Hie­ro­gly­phe, ein kur­z­es Text­wort, über wel­ches sich die Ge­dan­ken der Mu­sik ver­brei­ten. Ich höre sie kaum; was ich ver­neh­me, was mir in die See­le dringt, ist dei­ne Stim­me, dein Ge­sang, dein Geist.

      Die Mu­sik sagt al­les aus, was die See­le Tiefs­tes und Höchs­tes träumt und ahnt. In ihr ent­hüllt sich eine Ord­nung von Ge­dan­ken und Ge­füh­len hö­he­rer Art, als sie die mensch­li­che Rede aus­zu­drücken ver­mag. Sie ist die Of­fen­ba­rung des Unend­li­chen und wenn du singst, ge­hö­re ich der Mensch­heit nur noch mit dem an was die Mensch­heit Gött­li­ches und Ewi­ges aus des Schöp­fers ei­ge­nem We­sen schöpf­te.

      Trost und Er­mu­ti­gung, die mir im ge­mei­nen Lau­fe des Le­bens dein Mund ver­sagt, die dei­nem Bu­sen die Ty­ran­nei der ge­sel­li­gen Ver­hält­nis­se mir aus­zu­strö­men wehrt, spen­det hun­dert­fach mir dein Ge­sang. Dann er­gießest du dich in mich mit dei­nem gan­zen We­sen und mei­ne See­le hat dich ganz in Lust und Schmerz, in Hoff­nung und in Angst, in schwel­gen­dem Ent­zücken und in sehn­li­chem Ver­gehn.

      Bis­wei­len sag­te Al­bert dies in Ge­gen­wart der Sei­ni­gen auf Spa­nisch. Al­lein das of­fen­ba­re Miss­ver­gnü­gen, wel­ches die­se ei­ge­ne Art von Bei­sei­te­zie­hen dem Stifts­fräu­lein ver­ur­sach­te und das Ge­fühl für Schick­lich­keit, hiel­ten das jun­ge Mäd­chen ab, dar­auf zu ant­wor­ten. Ei­nes Ta­ges end­lich traf sie ihn im Gar­ten al­lein, und da er wie­der von dem Glücke an­fing, wel­ches sie durch ih­ren Ge­sang ihm schenk­te, sag­te sie:

      – Wenn die Mu­sik eine voll­komm­ne­re und über­zeu­gen­de­re Spra­che ist als die Rede, warum spre­chen Sie sie nie mit mir, da Sie sie doch viel­leicht noch bes­ser als ich ver­ste­hen.

      – Was wol­len Sie da­mit sa­gen, Con­sue­lo? frag­te der jun­ge Graf er­staunt. Ich bin nur Mu­si­ker, in­dem ich Sie höre.

      – Su­chen Sie mich nicht zu hin­ter­ge­hen! ant­wor­te­te sie. Ich habe nur ein ein­zi­ges Mal in mei­nem Le­ben aus ei­ner Vio­li­ne einen wahr­haft mensch­li­chen Ge­sang zie­hen hö­ren, und zwar von Ih­nen, Al­bert, in der Grot­te un­ter dem Schre­cken­stein. Ich habe Sie da­mals ge­hört, ehe Sie mich ge­se­hen hat­ten. Ich habe Ihr Ge­heim­nis be­lauscht, Sie müs­sen es mir ver­ge­ben und müs­sen mir die­se be­wun­derns­wür­di­ge Me­lo­die, von der ich ei­ni­ges be­hal­ten habe, und wel­che mir neue Schön­hei­ten in der Mu­sik auf­schloss, wie­der ein­mal vor­spie­len.

      Con­sue­lo gab mit hal­ber Stim­me die Stel­len der Me­lo­die an, de­ren sie sich dun­kel er­in­ner­te und die Al­bert so­gleich er­kann­te.

      – Es ist ein Volks­ge­sang, sag­te er, auf hus­si­ti­sche Wor­te. Der Text ist von mei­nem Ahn­herrn Hin­ko Po­dieb­rad, dem Soh­ne des Kö­nigs Ge­org, der ei­ner der Dich­ter un­se­res Lan­des war. Wir ha­ben eine Mas­se wun­der­herr­li­cher Ge­dich­te von Ge­org Streye, Si­mon Lom­nicky und an­de­ren, wel­che die kai­ser­li­che Po­li­zei auf den In­dex ge­setzt hat. Die­se geist­li­chen Na­tio­nal­ge­sän­ge,