George Sand

Gesammelte Werke


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nüch­ter­nen Li­ni­en ei­nes Gar­tens, macht mich müde. Wa­rum soll­ten mei­ne Füße sich be­mü­hen, et­was zu er­rei­chen, das den Au­gen und Ge­dan­ken sich so­gleich ganz und vol­laus über­lie­fert? In­des die freie Stra­ße, wel­che vor mir flieht und sich zur Hälf­te im Ge­büsch ver­steckt, mich lockt, mich ein­lädt, ih­ren Krüm­mun­gen zu fol­gen und ihre Ver­bor­gen­hei­ten zu ent­de­cken.

      Und dann ist so ein Weg die Bahn der Mensch­heit, ist die Stra­ße der Welt. Er eig­net kei­nem Herrn, der ihn ver­schlie­ßen und. ihn öff­nen kann. Nicht bloß der Mäch­ti­ge und der Rei­che hat das Recht, sei­ne blu­mi­gen Rän­der zu be­tre­ten und sei­ne mil­den Düf­te ein­zuat­men. Jed­we­der Vo­gel kann sein Nest an sei­ne Zwei­ge hän­gen, jed­we­der Wan­de­rer kann sein Haupt auf sei­ne Stei­ne le­gen. Kein Pfahl­werk, kei­ne Mau­er schließt vor ihm den Ho­ri­zont. Der Him­mel hört nicht vor ihm auf; so weit der Blick reicht, ist der Weg ein Land der Frei­heit. Rechts, links die Fel­der, die Ge­höl­ze ha­ben Ei­gen­tü­mer, der Weg ge­hört dem, der sonst nichts be­sitzt. Und wie liebt ihn die­ser! Der fühl­lo­ses­te Bett­ler hat für ihn eine un­über­wind­li­che Lie­be. Baue man doch Ho­spi­tä­ler präch­tig wie Pa­läs­te, es wer­den im­mer Ker­ker für ihn sein; sei­ne Poe­sie, sein Traum, sei­ne Lei­den­schaft ist stets der freie Weg, die of­fe­ne Stra­ße!

      O mei­ne Mut­ter! mei­ne Mut­ter! du wuss­test es wohl, hast mir es wohl ge­sagt. Wa­rum kann ich nicht dei­ne Asche wie­der be­le­ben, die so fern von mir un­ter dem Schil­fe der La­gu­nen schläft! Wa­rum kannst du mich nicht wie­der auf dei­ne rüs­ti­gen Schul­tern neh­men, und mich da­hin­un­ter­tra­gen, da­hin­un­ter, wo­hin die Schwal­be fliegt, zu den blau­en Ber­gen hin, wo­hin Erin­ne­rung und die Trau­er um ver­lo­re­nes Glück dem leicht­fü­ßi­gen Künst­ler nicht fol­gen kön­nen, weil er schnel­ler reist als sie und je­der Tag einen neu­en Him­mel, eine neue Welt zwi­schen sich und die Fein­de sei­ner Frei­heit stellt! Arme Mut­ter! Wa­rum kannst du nicht noch mich lie­ben und mich zwin­gen, mich ab­wech­selnd mit Küs­sen und mit Schlä­gen über­häu­fen, wie der Wind, der das jun­ge Korn auf dem Fel­de bald herzt, bald nie­der­wirft, um es wie­der auf­zu­rich­ten und wie­der zu beu­gen, je nach­dem es ihm ge­fällt! Du hat­test eine stär­ke­re See­le als ich, und du hät­test mich mit Gu­tem oder Bö­sem aus den Ket­ten ge­ris­sen, in die ich mich bei je­dem Schrit­te fan­gen las­se.

      Der Sän­ger ging nicht mit der gan­zen Stim­me her­aus und sei­ne At­mung schi­en durch das Stei­gen un­ter­bro­chen. Er warf ge­le­gent­lich ein Stück Me­lo­die hin, als woll­te er sich die Zeit un­ter­we­ges ver­trei­ben, und hör­te wie­der auf, um mit ei­ner an­de­ren Per­son zu re­den; dann fuhr er in sei­ner Me­lo­die fort, sang mehr­mals die­sel­ben Tak­te, als ob er sie ein­üben woll­te, und schwatz­te wie­der da­zwi­schen, wäh­rend er der Stel­le im­mer nä­her kam, wo Con­sue­lo fest­ge­bannt und zit­ternd, ei­ner Ohn­macht nahe saß.

      Sie konn­te das Ge­spräch des Rei­sen­den mit sei­nem Beglei­ter nicht ver­ste­hen, er war noch zu ent­fernt. Sie konn­te ihn nicht se­hen, ein vor­sprin­gen­der Fels ver­barg dem Auge den Teil der Schlucht, in wel­chem er sich be­fand. Aber konn­te sie einen Au­gen­blick die­se Stim­me ver­ken­nen, die­sen Ton, den sie so gut kann­te, und die Stel­len aus die­sem Stück, wel­ches sie selbst so oft ih­rem un­dank­ba­ren Schü­ler vor­ge­sun­gen und ein­ge­übt hat­te?

      Als die bei­den un­sicht­ba­ren Rei­sen­den end­lich nahe ka­men, hör­te sie den einen, des­sen Stim­me sie nicht kann­te, in schlech­tem Ita­lie­nisch und mit böh­mi­schem Ak­zent zu dem an­de­ren sa­gen:

      – He, he, Si­gnor, nicht da hin­auf! die Pfer­de könn­ten nicht nach, und Sie wür­den mich aus dem Auge ver­lie­ren. Fol­gen Sie mir hier im­mer den Bach ent­lang. Hier! der Weg ist vor uns, der da hin­auf ist ein blo­ßer Fuß­steig.

      Die Stim­me, wel­che Con­sue­lo so gut kann­te, schi­en sich zu ent­fer­nen und bergab zu ge­hen; sie hör­te noch fra­gen, was für ein schö­nes Schloss dort jen­seits des Ba­ches sei.

      – Rie­sen­burg! was sa­gen will cas­tel­lo dei gi­gan­ti, ant­wor­te­te der Füh­rer; denn es war ein Füh­rer von Pro­fes­si­on, und bald sah ihn Con­sue­lo, am Fuße des Hü­gels ge­hen, zwei mit Schweiß be­deck­te Pfer­de füh­rend.

      Die schlech­te Be­schaf­fen­heit des We­ges, der von dem Gieß­bach kürz­lich ver­heert wor­den war, hat­te die Her­ren ab­zu­stei­gen ge­zwun­gen. Der Rei­sen­de folg­te dem Füh­rer in ei­ner klei­nen Ent­fer­nung und Con­sue­lo konn­te ihn deut­lich se­hen, in­dem sie sich über den Fel­sen beug­te, wel­cher sie ver­barg. Er wen­de­te ihr den Rücken zu und war in ei­nem Rei­se­an­zu­ge, der sei­ne Ge­stalt und selbst sei­nen Gang ent­stell­te. Wenn sie nicht sei­ne Stim­me ge­hört hät­te, wür­de sie ihn nicht er­kannt ha­ben.

      Er blieb aber ste­hen, um das Schloss zu be­trach­ten, nahm sei­nen großen Hut ab und trock­ne­te sich das Ge­sicht mit sei­nem Ta­schen­tu­che. Ob­gleich sie ihn nur von oben her­ab und im Flu­ge sah, er­kann­te sie doch sein üp­pi­ges, gol­de­nes Lo­cken­haar und die Be­we­gung, wel­che er zu ma­chen pfleg­te, um die Last des­sel­ben mit der Hand von Stirn und Na­cken zu ent­fer­nen, wenn ihm heiß war.

      – Die­ses Schloss sieht sehr an­stän­dig aus, sag­te er, und wenn ich nur Zeit hät­t’, so woll­te ich gern hin­auf­ge­hen und die Rie­sen, die dar­in hau­sen, um ein Früh­stück an­spre­chen.

      – O, las­sen Sie es gut sein! sag­te der Füh­rer und schüt­tel­te den Kopf. Die Ru­dol­stadt neh­men bloß Bett­ler bei sich auf, oder die Ver­wand­ten.

      – Nicht gast­li­cher? Hol’ sie der Teu­fel!

      – Ja, hö­ren Sie! es ist da was, das sie ver­heim­li­chen müs­sen.

      – Ein Schatz oder ein Ver­bre­chen?

      – Ne! ihr Sohn, der ver­rückt ist.

      – Hol’ ihn der Teu­fel eben­falls, wenn dem so ist. Er wird ih­nen einen Ge­fal­len tun.

      Der Füh­rer fing an zu la­chen; An­zo­le­to fing wie­der an zu träl­lern.

      – He! sag­te der Füh­rer und blieb ste­hen. Nun sind wir über den schlech­ten Weg. Wenn Sie wie­der auf­sit­zen wol­len, so kön­nen wir einen Ga­lopp ma­chen bis Tu­sta (Tauß). Es ist präch­ti­ge Stra­ße bis da­hin, der rei­ne Sand. Dann fin­den Sie die Chaus­see nach Prag und gute Post­pfer­de.

      – Und dann wer­de ich sa­gen kön­nen, ant­wor­te­te An­zo­le­to, sich den Steig­bü­gel zu­recht ma­chend, hol’ dich end­lich auch der Teu­fel. Denn dei­ne Schind­mäh­ren, dei­ne Ge­birgs­stie­ge und du, ihr fangt mir an ver­flucht lang­wei­lig zu wer­den.

      Bei die­sen Wor­ten schwang er sich flink auf sei­nen Gaul, gab ihm bei­de Spo­ren und flog, ohne sich nach sei­nem Füh­rer um­zu­se­hen, der ihm nur mit großer Mühe nach­kom­men konn­te, wie ein Pfeil da­von, nord­wärts, den Staub auf­wir­belnd auf dem­sel­ben Wege, wel­chen Con­sue­lo so lan­ge be­trach­tet,