ein anderes Gespenst als meine Gestalt darin gesehen und andere Seufzer gehört zu haben, als diejenigen, welche sich meiner Brust entwanden.
Consuelo hatte von Albert, seit ihrer ersten Begegnung in der Einsiedelei, nie wieder unsinnige Reden gehört. Sie hatte es nicht gewagt, ihn an die seltsamen Worte zu erinnern, die er in jener Nacht an sie gerichtet, noch an die Gesichte, von denen sie ihn damals umlagert gefunden hatte. Sie sah nun mit Erstaunen, dass er nichts mehr davon wusste; sie getraute sich auch nicht, sie ihm zurückzurufen, und begnügte sich, ihn zu fragen, ob ihn die Stille einer solchen Einsamkeit denn wirklich von den Gemütsbewegungen befreit hätte, deren er erwähnte.
– Ich kann es Ihnen nicht mit Bestimmtheit sagen, antwortete er, und wenn Sie es nicht ausdrücklich fordern, so will ich auch mein Erinnerungsvermögen nicht zu dieser Anstrengung zwingen. Ich glaube wohl, dass ich vorher von einem wirklichen Wahnsinn befallen war. Meine gewaltsamen Bemühungen, diesen zu verbergen, steigerten ihn und brachten ihn nur noch mehr an den Tag. Als ich endlich, Dank sei es einem Menschen, der aus Überlieferung das Geheimnis dieser unterirdischen Anlage kannte, ein Mittel gefunden hatte, mich der ängstlichen Beflissenheit meiner Angehörigen zu entziehen und die Anfälle meiner Verzweiflung zu verstecken, änderte sich mein Zustand. Ich erlangte wieder eine Art Herrschaft über mich selbst, und sicher, mich vor lästigen Zeugen verbergen zu können, wenn mich mein Übel zu heftig befiele, brachte ich es dahin, vor den Meinigen die Rolle eines stillen und in alles ergebenen Mannes zu spielen.
Consuelo sah, dass Albert sich über Manches selbst täuschte; aber sie fühlte wohl, dass der Augenblick nicht günstig war, um ihn über sich aufzuklären, und voll Freude, dass sie ihn über seinen vorigen Zustand so kaltblütig und selbstbewusst urteilen hörte, fing sie an die Zelle aufmerksamer zu betrachten, als es ihr das erstemal möglich gewesen war. Sie bemerkte, dass die Ordnung und Sauberkeit, welche ihr damals aufgefallen war, nicht mehr dort herrschte; im Gegenteil, die Feuchtigkeit der Wände, die Kälte der Luft und der Schimmel auf den Büchern bewiesen eine vollkommene Vernachlässigung.
– Sie wissen, dass ich Ihnen Wort gehalten habe, sagte Albert, der mit vieler Mühe ein Feuer im Kamine anmachte. Ich habe keinen Fuß hierher gesetzt, seit Sie mich diesem Orte entrissen haben durch die unbeschränkte Macht, welche Ihnen über mich gegeben ist.
Consuelo hatte eine Frage auf den Lippen, die sie aber schnell wieder unterdrückte. Sie war im Begriffe zu fragen, ob denn Freund Zdenko, der treue Diener, der ängstlich besorgte Hüter die Einsiedelei so ganz vergessen und versäumt habe. Aber sie erinnerte sich, dass es Albert jedes Mal in eine tiefe Traurigkeit versetzt hatte, so oft sie sich erdreiste, ihn zu fragen, was aus Jenem geworden wäre, und warum er sich seit jener schrecklichen Begegnung in dem unterirdischen Baue nicht mehr vor ihr sehen ließe. Albert war ihren Fragen immer ausgewichen, indem er tat, als hätte er sie nicht gehört, oder indem er sie bat, sich zu beruhigen und von dem Unschuldigen nichts weiter zu fürchten.
Sie hatte sich daher anfangs eingebildet, dass Zdenko den Befehl erhalten hätte und getreu befolgte, sich nicht wieder vor ihr blicken zu lassen. Aber als sie ihre einsamen Spaziergänge wieder beginnen wollte, hatte Albert, um ihr jede Furcht zu benehmen, mit einer Totenblässe auf der Stirn ihr zugeschworen, dass ihr Zdenko nicht begegnen würde, denn er wäre auf lange verreist. Wirklich hatte ihn niemand seit jener Zeit wiedergesehen und man glaubte, er sei in irgend einem Winkel gestorben, oder aus dem Lande gegangen.
Consuelo hatte weder an diesen Tod noch an diese Reise geglaubt. Sie kannte Zdenko’s leidenschaftliche Anhänglichkeit an Albert zu gut, um es für möglich zu halten, dass er sich von ihm so ganz hätte losreißen können. Und seinen Tod – an diesen konnte sie nicht ohne einen innern Schauder, welchen sie sich selbst nicht zu gestehen wagte, denken, wenn sie sich des furchtbaren Schwures erinnerte, den Albert in seiner wilden Aufregung ausgestoßen hatte, das Leben dieses Unglücklichen, wenn es nötig wäre, der Ruhe seiner Geliebten zum Opfer zu bringen. Aber sie verscheuchte immer diesen grässlichen Verdacht, indem sie sich die Sanftmut und die Menschlichkeit vorhielt, von denen Albert’s ganzes Leben Zeugnis gab. Er hatte überdies seit mehreren Monaten einer so vollkommenen Seelenruhe genossen, und keine drohende Handlung von Seiten Zdenko’s hatte die Wut wieder angefacht, welche der junge Graf in jenem Augenblick offenbart hatte.
Albert hatte ihn in der Tat vergessen, diesen unseligen Augenblick, den Consuelo sich ebenfalls zu vergessen bemühte. Er hatte von den Vorgängen in seiner unterirdischen Behausung nur diejenigen im Gedächtnisse behalten, bei welchen er seiner Vernunft mächtig gewesen war. Consuelo hatte sich daher bei der Vermutung beruhigt, dass er wohl Zdenko untersagt haben würde, sich dem Schlosse zu nähern, und dass der arme Mensch aus Schmerz oder Verdruss sich zu einer freiwilligen Gefangenschaft in der Einsiedelei verurteilt hätte. Er käme vielleicht, dachte sie, nur nachts heraus, um Luft zu schöpfen, oder mit Albert auf dem Schreckenstein zusammenzutreffen, der ohne Zweifel wenigstens für seine Ernährung sorgen würde, wie es für ihn Zdenko so lange getan hatte.
Als Consuelo nun den Zustand der Zelle sah, meinte sie, Zdenko grollte mit seinem Herrn und vernachlässigte dessen verlassenen Zufluchtsort; und da ihr Albert noch versichert hatte, ehe sie die Grotte betraten, sie würde keine Ursache zur Furcht darin finden, so nahm sie den Augenblick wahr, wo Albert damit beschäftigt war, die eingerostete Tür des Raumes, den er seine Kirche nannte, mit Mühe aufzuschließen, und versuchte ihrerseits, die Tür zu öffnen, welche in Zdenko’s Zelle führte, wo sie nicht zweifelte, deutliche Zeichen seines Aufenthalts zu finden. Die Tür ging auf, sobald sie nur den Schlüssel umgedreht hatte, aber in der Dunkelheit, welche diesen Raum erfüllte, konnte sie nichts unterscheiden.
Sie wartete, bis Albert in sein mystisches Bethaus gegangen war, das er ihr zeigen wollte und zu ihrem Empfange in Stand setzte, nahm dann ein Licht und ging behutsam wieder in Zdenko’s Gemach, nicht ohne ein wenig bei dem Gedanken zu zittern, dass er selbst darin sein könnte. Aber sie fand auch keine Spur von seinem Dasein. Das Bett von Laub und Kalbshäuten war hinweggenommen. Der rohe Sitz, das Werkzeug, die Filzsohlen, alles war verschwunden, und man hätte denken sollen, wenn man die Feuchtigkeit sah, die im Kerzenlichte von den Wänden blitzte, dass dieses Gewölbe nie eines Schlafenden Obdach gewesen wäre.
Ein Gefühl von Wehmut und Grausen bemächtigte sich ihrer bei dieser Entdeckung. Ein schauriges