George Sand

Gesammelte Werke


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ein an­de­res Ge­s­penst als mei­ne Ge­stalt dar­in ge­se­hen und an­de­re Seuf­zer ge­hört zu ha­ben, als die­je­ni­gen, wel­che sich mei­ner Brust ent­wan­den.

      Con­sue­lo hat­te von Al­bert, seit ih­rer ers­ten Be­geg­nung in der Ein­sie­de­lei, nie wie­der un­sin­ni­ge Re­den ge­hört. Sie hat­te es nicht ge­wagt, ihn an die selt­sa­men Wor­te zu er­in­nern, die er in je­ner Nacht an sie ge­rich­tet, noch an die Ge­sich­te, von de­nen sie ihn da­mals um­la­gert ge­fun­den hat­te. Sie sah nun mit Er­stau­nen, dass er nichts mehr da­von wuss­te; sie ge­trau­te sich auch nicht, sie ihm zu­rück­zu­ru­fen, und be­gnüg­te sich, ihn zu fra­gen, ob ihn die Stil­le ei­ner sol­chen Ein­sam­keit denn wirk­lich von den Ge­müts­be­we­gun­gen be­freit hät­te, de­ren er er­wähn­te.

      – Ich kann es Ih­nen nicht mit Be­stimmt­heit sa­gen, ant­wor­te­te er, und wenn Sie es nicht aus­drück­lich for­dern, so will ich auch mein Erin­ne­rungs­ver­mö­gen nicht zu die­ser An­stren­gung zwin­gen. Ich glau­be wohl, dass ich vor­her von ei­nem wirk­li­chen Wahn­sinn be­fal­len war. Mei­ne ge­walt­sa­men Be­mü­hun­gen, die­sen zu ver­ber­gen, stei­ger­ten ihn und brach­ten ihn nur noch mehr an den Tag. Als ich end­lich, Dank sei es ei­nem Men­schen, der aus Über­lie­fe­rung das Ge­heim­nis die­ser un­ter­ir­di­schen An­la­ge kann­te, ein Mit­tel ge­fun­den hat­te, mich der ängst­li­chen Be­f­lis­sen­heit mei­ner An­ge­hö­ri­gen zu ent­zie­hen und die An­fäl­le mei­ner Verzweif­lung zu ver­ste­cken, än­der­te sich mein Zu­stand. Ich er­lang­te wie­der eine Art Herr­schaft über mich selbst, und si­cher, mich vor läs­ti­gen Zeu­gen ver­ber­gen zu kön­nen, wenn mich mein Übel zu hef­tig be­fie­le, brach­te ich es da­hin, vor den Mei­ni­gen die Rol­le ei­nes stil­len und in al­les er­ge­be­nen Man­nes zu spie­len.

      Con­sue­lo sah, dass Al­bert sich über Man­ches selbst täusch­te; aber sie fühl­te wohl, dass der Au­gen­blick nicht güns­tig war, um ihn über sich auf­zu­klä­ren, und voll Freu­de, dass sie ihn über sei­nen vo­ri­gen Zu­stand so kalt­blü­tig und selbst­be­wusst ur­tei­len hör­te, fing sie an die Zel­le auf­merk­sa­mer zu be­trach­ten, als es ihr das ers­te­mal mög­lich ge­we­sen war. Sie be­merk­te, dass die Ord­nung und Sau­ber­keit, wel­che ihr da­mals auf­ge­fal­len war, nicht mehr dort herrsch­te; im Ge­gen­teil, die Feuch­tig­keit der Wän­de, die Käl­te der Luft und der Schim­mel auf den Bü­chern be­wie­sen eine voll­kom­me­ne Ver­nach­läs­si­gung.

      – Sie wis­sen, dass ich Ih­nen Wort ge­hal­ten habe, sag­te Al­bert, der mit vie­ler Mühe ein Feu­er im Ka­mi­ne an­ma­ch­te. Ich habe kei­nen Fuß hier­her ge­setzt, seit Sie mich die­sem Orte ent­ris­sen ha­ben durch die un­be­schränk­te Macht, wel­che Ih­nen über mich ge­ge­ben ist.

      Con­sue­lo hat­te eine Fra­ge auf den Lip­pen, die sie aber schnell wie­der un­ter­drück­te. Sie war im Be­grif­fe zu fra­gen, ob denn Freund Zden­ko, der treue Die­ner, der ängst­lich be­sorg­te Hü­ter die Ein­sie­de­lei so ganz ver­ges­sen und ver­säumt habe. Aber sie er­in­ner­te sich, dass es Al­bert je­des Mal in eine tie­fe Trau­rig­keit ver­setzt hat­te, so oft sie sich er­dreis­te, ihn zu fra­gen, was aus Je­nem ge­wor­den wäre, und warum er sich seit je­ner schreck­li­chen Be­geg­nung in dem un­ter­ir­di­schen Baue nicht mehr vor ihr se­hen lie­ße. Al­bert war ih­ren Fra­gen im­mer aus­ge­wi­chen, in­dem er tat, als hät­te er sie nicht ge­hört, oder in­dem er sie bat, sich zu be­ru­hi­gen und von dem Un­schul­di­gen nichts wei­ter zu fürch­ten.

      Sie hat­te sich da­her an­fangs ein­ge­bil­det, dass Zden­ko den Be­fehl er­hal­ten hät­te und ge­treu be­folg­te, sich nicht wie­der vor ihr bli­cken zu las­sen. Aber als sie ihre ein­sa­men Spa­zier­gän­ge wie­der be­gin­nen woll­te, hat­te Al­bert, um ihr jede Furcht zu be­neh­men, mit ei­ner To­ten­bläs­se auf der Stirn ihr zu­ge­schwo­ren, dass ihr Zden­ko nicht be­geg­nen wür­de, denn er wäre auf lan­ge ver­reist. Wirk­lich hat­te ihn nie­mand seit je­ner Zeit wie­der­ge­se­hen und man glaub­te, er sei in ir­gend ei­nem Win­kel ge­stor­ben, oder aus dem Lan­de ge­gan­gen.

      Con­sue­lo hat­te we­der an die­sen Tod noch an die­se Rei­se ge­glaubt. Sie kann­te Zden­ko’s lei­den­schaft­li­che An­häng­lich­keit an Al­bert zu gut, um es für mög­lich zu hal­ten, dass er sich von ihm so ganz hät­te los­rei­ßen kön­nen. Und sei­nen Tod – an die­sen konn­te sie nicht ohne einen in­nern Schau­der, wel­chen sie sich selbst nicht zu ge­ste­hen wag­te, den­ken, wenn sie sich des furcht­ba­ren Schwu­res er­in­ner­te, den Al­bert in sei­ner wil­den Auf­re­gung aus­ge­sto­ßen hat­te, das Le­ben die­ses Un­glück­li­chen, wenn es nö­tig wäre, der Ruhe sei­ner Ge­lieb­ten zum Op­fer zu brin­gen. Aber sie ver­scheuch­te im­mer die­sen gräss­li­chen Ver­dacht, in­dem sie sich die Sanft­mut und die Men­sch­lich­keit vor­hielt, von de­nen Al­ber­t’s gan­zes Le­ben Zeug­nis gab. Er hat­te über­dies seit meh­re­ren Mo­na­ten ei­ner so voll­kom­me­nen See­len­ru­he ge­nos­sen, und kei­ne dro­hen­de Hand­lung von Sei­ten Zden­ko’s hat­te die Wut wie­der an­ge­facht, wel­che der jun­ge Graf in je­nem Au­gen­blick of­fen­bart hat­te.

      Al­bert hat­te ihn in der Tat ver­ges­sen, die­sen un­se­li­gen Au­gen­blick, den Con­sue­lo sich eben­falls zu ver­ges­sen be­müh­te. Er hat­te von den Vor­gän­gen in sei­ner un­ter­ir­di­schen Be­hau­sung nur die­je­ni­gen im Ge­dächt­nis­se be­hal­ten, bei wel­chen er sei­ner Ver­nunft mäch­tig ge­we­sen war. Con­sue­lo hat­te sich da­her bei der Ver­mu­tung be­ru­higt, dass er wohl Zden­ko un­ter­sagt ha­ben wür­de, sich dem Schlos­se zu nä­hern, und dass der arme Mensch aus Schmerz oder Ver­druss sich zu ei­ner frei­wil­li­gen Ge­fan­gen­schaft in der Ein­sie­de­lei ver­ur­teilt hät­te. Er käme viel­leicht, dach­te sie, nur nachts her­aus, um Luft zu schöp­fen, oder mit Al­bert auf dem Schre­cken­stein zu­sam­men­zu­tref­fen, der ohne Zwei­fel we­nigs­tens für sei­ne Er­näh­rung sor­gen wür­de, wie es für ihn Zden­ko so lan­ge ge­tan hat­te.

      Als Con­sue­lo nun den Zu­stand der Zel­le sah, mein­te sie, Zden­ko groll­te mit sei­nem Herrn und ver­nach­läs­sig­te des­sen ver­las­se­nen Zuf­luchts­ort; und da ihr Al­bert noch ver­si­chert hat­te, ehe sie die Grot­te be­tra­ten, sie wür­de kei­ne Ur­sa­che zur Furcht dar­in fin­den, so nahm sie den Au­gen­blick wahr, wo Al­bert da­mit be­schäf­tigt war, die ein­ge­ros­te­te Tür des Rau­mes, den er sei­ne Kir­che nann­te, mit Mühe auf­zu­schlie­ßen, und ver­such­te ih­rer­seits, die Tür zu öff­nen, wel­che in Zden­ko’s Zel­le führ­te, wo sie nicht zwei­fel­te, deut­li­che Zei­chen sei­nes Auf­ent­halts zu fin­den. Die Tür ging auf, so­bald sie nur den Schlüs­sel um­ge­dreht hat­te, aber in der Dun­kel­heit, wel­che die­sen Raum er­füll­te, konn­te sie nichts un­ter­schei­den.

      Sie war­te­te, bis Al­bert in sein mys­ti­sches Bet­haus ge­gan­gen war, das er ihr zei­gen woll­te und zu ih­rem Empfan­ge in Stand setz­te, nahm dann ein Licht und ging be­hut­sam wie­der in Zden­ko’s Ge­mach, nicht ohne ein we­nig bei dem Ge­dan­ken zu zit­tern, dass er selbst dar­in sein könn­te. Aber sie fand auch kei­ne Spur von sei­nem Da­sein. Das Bett von Laub und Kalbs­häu­ten war hin­weg­ge­nom­men. Der rohe Sitz, das Werk­zeug, die Filz­soh­len, al­les war ver­schwun­den, und man hät­te den­ken sol­len, wenn man die Feuch­tig­keit sah, die im Ker­zen­lich­te von den Wän­den blitz­te, dass die­ses Ge­wöl­be nie ei­nes Schla­fen­den Ob­dach ge­we­sen wäre.

      Ein Ge­fühl von Weh­mut und Grau­sen be­mäch­tig­te sich ih­rer bei die­ser Ent­de­ckung. Ein schau­ri­ges