George Sand

Gesammelte Werke


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schrei­en, ihn zu­rück­ru­fen.

      Aber ihre Stim­me erstarb auf ih­ren Lip­pen; es schi­en ihr, dass die Hand des To­des ihr die Keh­le zu­zog und ihr in der Brust wühl­te. Vor ih­ren Au­gen wur­de es Nacht; ein dump­fes Grol­len wie das des Don­ners braus­te in ih­ren Ohren, und kraft­los an dem Stei­ne nie­der­sin­kend, fand sie sich in Al­ber­t’s Ar­men, wel­cher her­an­ge­kom­men war, ohne dass sie ihn be­merkt hat­te, und die halb Ohn­mäch­ti­ge an einen dunk­lern und ver­steck­tern Ort trug.

      11.

      Die Furcht, durch ihre Auf­re­gung ein Ge­heim­nis zu ver­ra­ten, wel­ches sie bis da­hin so tief im Grun­de ih­res Her­zens ver­bor­gen ge­hal­ten, gab Con­sue­lo die Kraft, sich zu be­herr­schen und Al­bert in dem Glau­ben zu las­sen, dass der Zu­stand, in wel­chem er sie über­rascht hat­te, durch nichts Au­ßer­or­dent­li­ches ver­an­lasst war. In dem Au­gen­bli­cke, wo der jun­ge Graf sie bleich und fast be­sin­nungs­los in sei­nen Arm ge­nom­men hat­te, war An­zo­le­to mit sei­nem Füh­rer schon fern hin­ter den Fich­ten ver­schwun­den und Al­bert konn­te sich selbst an­kla­gen, dass er sie in Ge­fahr ge­bracht hät­te, in den Ab­grund zu stür­zen.

      Der Ge­dan­ke an die­se Ge­fahr, in die er sie durch den Schreck, den ihr sei­ne un­er­war­te­te An­nä­he­rung er­reg­te, ver­setzt zu ha­ben mein­te, hat­te ihn selbst so be­stürzt ge­macht, dass er die Ver­wor­ren­heit ih­rer Ant­wor­ten in dem ers­ten Au­gen­bli­cke nicht be­merk­te. Con­sue­lo, die vor ihm bis­wei­len noch eine Art aber­gläu­bi­scher Furcht hat­te, war An­fangs be­sorgt, dass er ver­mö­ge sei­nes Ah­nungs­ver­mö­gens einen Teil ih­res Ge­heim­nis­ses durch­schau­en möch­te. Aber Al­bert schi­en, seit­dem die Lie­be sein Le­ben dem der an­de­ren Men­schen gleich ge­macht, die ge­wis­ser­ma­ßen über­na­tür­li­chen Fä­hig­kei­ten ein­ge­büßt zu ha­ben, wel­che er zu­vor be­saß.

      Sie war bald im­stan­de, ihre Auf­re­gung zu be­herr­schen, und der Vor­schlag, den er ihr mach­te, sie in sei­ne Ein­sie­de­lei zu füh­ren, ver­ur­sach­te ihr in die­sem Au­gen­bli­cke nicht das Miss­be­ha­gen, wel­ches sie ein Paar Stun­den frü­her da­bei emp­fun­den hät­te. Es däuch­te ihr, als ob der er­ha­be­ne Geist und die düs­te­re Woh­nung die­ses ih­rem Loo­se mit so großem Erns­te hin­ge­ge­be­nen Men­schen sich vor ihr wie ein Zuf­luchts­ort öff­ne­ten, wo sie die nö­ti­ge Ruhe und Kraft fin­den wür­de, die Erin­ne­run­gen ih­rer Lie­be zu be­wäl­ti­gen.

      – Die Vor­se­hung, dach­te sie, sen­det mir die­sen Freund in der Stun­de der Ver­su­chung, und die fins­te­re Ka­pel­le, zu wel­cher er mich füh­ren will, liegt vor mir, wie ein Sinn­bild des Gra­bes, das mich lie­ber ver­schlin­gen soll, als dass ich der Spur des bö­sen Geis­tes nach­ja­ge, den ich eben vor­über­flie­hen sah. Ja, mein Gott, ja! ehe ich sei­nem Fuße fol­ge, lass lie­ber die Erde un­ter dem mei­ni­gen sich auf­tun und mich nie in die Welt der Le­ben­di­gen zu­rück­keh­ren.

      – Theu­re Con­sue­lo! hob Al­bert an, ich sag­te Ih­nen, dass mei­ne Tan­te heu­te Mor­gen bei dem Abrech­nen mit ih­ren Wirt­schafts­leu­ten vollauf zu tun hat, und nicht an uns den­ken kann, da­her wir end­lich die Frei­heit ha­ben, un­se­re Wall­fahrt aus­zu­füh­ren. Je­doch, wenn es Ih­nen noch im Min­des­ten zu­wi­der ist, einen Ort wie­der­zu­se­hen, der Sie an so vie­le Angst und Lei­den er­in­nert …

      – Nein, nein, mein Freund! ant­wor­te­te Con­sue­lo. Ich füh­le im Ge­gen­tei­le, dass ich nie­mals auf­ge­leg­ter war, in Ih­rer Kir­che zu be­ten und mei­ne See­le auf den Schwin­gen die­ser hei­li­gen Me­lo­di­en, de­ren Be­kannt­schaft Sie mir ver­spra­chen, mit der Ihren zu ver­ei­ni­gen.

      Sie nah­men mit­ein­an­der den Weg nach dem Schre­cken­stein, und wäh­rend sie sich in den Wald auf ei­ner der von An­zo­le­to ein­ge­schla­ge­nen Rich­tung ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te ver­tief­ten, fühl­te sich Con­sue­lo leich­ter, als ob je­der Schritt, der sie wei­ter von ihm ent­fern­te, mehr und mehr den bö­sen Zau­ber, wo­mit sein An­blick sie be­fing, zer­streu­te. Sie schritt so rasch und so ent­schlos­sen vor­wärts, ob­wohl ernst und ge­sam­melt, dass Graf Al­bert die­sen un­ge­zwun­ge­nen Ei­fer dem blo­ßen Wun­sche ihm ge­fäl­lig zu sein, hät­te bei­mes­sen kön­nen, wenn er nicht das Miss­trau­en in sich selbst und sein Ge­schick, das einen Grund­zug sei­nes We­sens aus­mach­te, stets mit sich ge­tra­gen hät­te.

      Er führ­te sie am Fuße des Schre­cken­steins an den Ein­gang ei­ner Grot­te, die voll ste­hen­den Was­sers und von üp­pi­gem Pflan­zen­wuch­se über­wu­chert war.

      – Die­se Grot­te, an wel­cher Sie ei­ni­ge Über­res­te von ge­wölb­ter Ar­beit be­mer­ken kön­nen, sag­te er, heißt im Lan­de der Mönchs­kel­ler. Die einen glau­ben, dass es das Un­ter­ge­schoss ei­ner hei­li­gen Stät­te war, als an der Stel­le der Trüm­mer, die hier zer­streut lie­gen, eine be­fes­tig­te Burg stand, an­de­re er­zäh­len, dass hier vor Zei­ten ein reui­ger Sün­der ge­haust hät­te, der, um zu bü­ßen, sich da­hin zu­rück­zog. Wie dem nun sei, es wagt sich jetzt nie­mand hin­ein, und es ist die all­ge­mei­ne Mei­nung, dass das Was­ser dar­in tief sei und mit töd­li­chem Gif­te ge­schwän­gert, we­gen der Kup­fera­dern, durch wel­che es sich einen Weg ge­bro­chen hät­te. Aber in der Tat ist die­ses Was­ser we­der tief noch schäd­lich, es ruht auf ei­nem Fels­bo­den, und wir wer­den leicht hin­durch­ge­lan­gen, wenn Sie sich noch ein­mal, Con­sue­lo, der Kraft mei­ner Arme und der Rein­heit mei­ner Lie­be an­ver­trau­en wol­len.

      Er über­zeug­te sich zu­vor, ob nie­mand ihm ge­folgt wäre oder sie be­ob­ach­ten könn­te, nahm sie dann in sei­nen Arm, da­mit sie sich die Füße nicht zu be­net­zen brauch­te, und bis an die Knie im Was­ser ge­hend, bahn­te er sich einen Weg durch das Ge­sträuch und die Epheu­ge­hän­ge, wel­che die Tie­fe der Grot­te ver­bar­gen. Nach ei­ner sehr kur­z­en Stre­cke setz­te er sie auf ei­nem rei­nen Sand­bo­den ab, an ei­nem völ­lig dun­keln Orte, wo er so­gleich eine La­ter­ne, die er bei sich trug, an­zün­de­te, und durch ei­ni­ge Win­dun­gen ei­nes un­ter­ir­di­schen Gan­ges, der de­nen, die Con­sue­lo schon mit ihm zu­rück­ge­legt hat­te, ziem­lich glich, ge­lang­ten sie an die­je­ni­ge Tür der Zel­le, wel­che der an­de­ren, durch die sie das ers­te­mal ge­gan­gen war, ge­gen­über lag.

      – Die­ser un­ter­ir­di­sche Bau, sag­te Al­bert, war An­fangs dazu be­stimmt, in Kriegs­zei­ten zum Zuf­luchtsor­te zu die­nen, ent­we­der den vor­nehms­ten Be­woh­nern der Burg, wel­che auf dem Schre­cken­stein lag, oder den Her­ren von Rie­sen­burg, de­ren Lehn jene Burg war, und die sich dort­hin auf dem ge­hei­men Wege, den Sie ken­nen, be­ge­ben konn­ten. Wenn spä­ter ein Klaus­ner, wie er­zählt wird, den Mönchs­kel­ler be­wohnt hat, so ist es wahr­schein­lich, dass er die­se ver­bor­ge­ne Stät­te hier kann­te: der Gang, durch wel­chen wir eben ge­kom­men sind, scheint mir in der Tat in jün­ge­rer Zeit auf­ge­räumt, wäh­rend ich die, wel­che zum Schlos­se füh­ren, an vie­len Stel­len mit Sand oder Kies ver­schüt­tet fand, so­dass ich vie­le Mühe hat­te, sie frei zu ma­chen. Spu­ren end­lich, wel­che ich in der Grot­te fand, Res­te von Schüs­sel, Krug, Cru­ci­fix, Lam­pe und end­lich die Ge­bei­ne ei­nes Man­nes, der auf dem Rücken lag, die Hän­de auf der Brust ge­fal­tet wie zum letz­ten Ge­be­te, be­wie­sen mir, dass ein Ein­sied­ler hier fromm und fried­lich sein stil­les Da­sein be­schlos­sen hat.

      Un­se­re Bau­ern glau­ben, dass der Geist des Ere­mi­ten noch im In­nern des Ber­ges hau­se. Sie sa­gen, sie hät­ten