schreien, ihn zurückrufen.
Aber ihre Stimme erstarb auf ihren Lippen; es schien ihr, dass die Hand des Todes ihr die Kehle zuzog und ihr in der Brust wühlte. Vor ihren Augen wurde es Nacht; ein dumpfes Grollen wie das des Donners brauste in ihren Ohren, und kraftlos an dem Steine niedersinkend, fand sie sich in Albert’s Armen, welcher herangekommen war, ohne dass sie ihn bemerkt hatte, und die halb Ohnmächtige an einen dunklern und verstecktern Ort trug.
11.
Die Furcht, durch ihre Aufregung ein Geheimnis zu verraten, welches sie bis dahin so tief im Grunde ihres Herzens verborgen gehalten, gab Consuelo die Kraft, sich zu beherrschen und Albert in dem Glauben zu lassen, dass der Zustand, in welchem er sie überrascht hatte, durch nichts Außerordentliches veranlasst war. In dem Augenblicke, wo der junge Graf sie bleich und fast besinnungslos in seinen Arm genommen hatte, war Anzoleto mit seinem Führer schon fern hinter den Fichten verschwunden und Albert konnte sich selbst anklagen, dass er sie in Gefahr gebracht hätte, in den Abgrund zu stürzen.
Der Gedanke an diese Gefahr, in die er sie durch den Schreck, den ihr seine unerwartete Annäherung erregte, versetzt zu haben meinte, hatte ihn selbst so bestürzt gemacht, dass er die Verworrenheit ihrer Antworten in dem ersten Augenblicke nicht bemerkte. Consuelo, die vor ihm bisweilen noch eine Art abergläubischer Furcht hatte, war Anfangs besorgt, dass er vermöge seines Ahnungsvermögens einen Teil ihres Geheimnisses durchschauen möchte. Aber Albert schien, seitdem die Liebe sein Leben dem der anderen Menschen gleich gemacht, die gewissermaßen übernatürlichen Fähigkeiten eingebüßt zu haben, welche er zuvor besaß.
Sie war bald imstande, ihre Aufregung zu beherrschen, und der Vorschlag, den er ihr machte, sie in seine Einsiedelei zu führen, verursachte ihr in diesem Augenblicke nicht das Missbehagen, welches sie ein Paar Stunden früher dabei empfunden hätte. Es däuchte ihr, als ob der erhabene Geist und die düstere Wohnung dieses ihrem Loose mit so großem Ernste hingegebenen Menschen sich vor ihr wie ein Zufluchtsort öffneten, wo sie die nötige Ruhe und Kraft finden würde, die Erinnerungen ihrer Liebe zu bewältigen.
– Die Vorsehung, dachte sie, sendet mir diesen Freund in der Stunde der Versuchung, und die finstere Kapelle, zu welcher er mich führen will, liegt vor mir, wie ein Sinnbild des Grabes, das mich lieber verschlingen soll, als dass ich der Spur des bösen Geistes nachjage, den ich eben vorüberfliehen sah. Ja, mein Gott, ja! ehe ich seinem Fuße folge, lass lieber die Erde unter dem meinigen sich auftun und mich nie in die Welt der Lebendigen zurückkehren.
– Theure Consuelo! hob Albert an, ich sagte Ihnen, dass meine Tante heute Morgen bei dem Abrechnen mit ihren Wirtschaftsleuten vollauf zu tun hat, und nicht an uns denken kann, daher wir endlich die Freiheit haben, unsere Wallfahrt auszuführen. Jedoch, wenn es Ihnen noch im Mindesten zuwider ist, einen Ort wiederzusehen, der Sie an so viele Angst und Leiden erinnert …
– Nein, nein, mein Freund! antwortete Consuelo. Ich fühle im Gegenteile, dass ich niemals aufgelegter war, in Ihrer Kirche zu beten und meine Seele auf den Schwingen dieser heiligen Melodien, deren Bekanntschaft Sie mir versprachen, mit der Ihren zu vereinigen.
Sie nahmen miteinander den Weg nach dem Schreckenstein, und während sie sich in den Wald auf einer der von Anzoleto eingeschlagenen Richtung entgegengesetzten Seite vertieften, fühlte sich Consuelo leichter, als ob jeder Schritt, der sie weiter von ihm entfernte, mehr und mehr den bösen Zauber, womit sein Anblick sie befing, zerstreute. Sie schritt so rasch und so entschlossen vorwärts, obwohl ernst und gesammelt, dass Graf Albert diesen ungezwungenen Eifer dem bloßen Wunsche ihm gefällig zu sein, hätte beimessen können, wenn er nicht das Misstrauen in sich selbst und sein Geschick, das einen Grundzug seines Wesens ausmachte, stets mit sich getragen hätte.
Er führte sie am Fuße des Schreckensteins an den Eingang einer Grotte, die voll stehenden Wassers und von üppigem Pflanzenwuchse überwuchert war.
– Diese Grotte, an welcher Sie einige Überreste von gewölbter Arbeit bemerken können, sagte er, heißt im Lande der Mönchskeller. Die einen glauben, dass es das Untergeschoss einer heiligen Stätte war, als an der Stelle der Trümmer, die hier zerstreut liegen, eine befestigte Burg stand, andere erzählen, dass hier vor Zeiten ein reuiger Sünder gehaust hätte, der, um zu büßen, sich dahin zurückzog. Wie dem nun sei, es wagt sich jetzt niemand hinein, und es ist die allgemeine Meinung, dass das Wasser darin tief sei und mit tödlichem Gifte geschwängert, wegen der Kupferadern, durch welche es sich einen Weg gebrochen hätte. Aber in der Tat ist dieses Wasser weder tief noch schädlich, es ruht auf einem Felsboden, und wir werden leicht hindurchgelangen, wenn Sie sich noch einmal, Consuelo, der Kraft meiner Arme und der Reinheit meiner Liebe anvertrauen wollen.
Er überzeugte sich zuvor, ob niemand ihm gefolgt wäre oder sie beobachten könnte, nahm sie dann in seinen Arm, damit sie sich die Füße nicht zu benetzen brauchte, und bis an die Knie im Wasser gehend, bahnte er sich einen Weg durch das Gesträuch und die Epheugehänge, welche die Tiefe der Grotte verbargen. Nach einer sehr kurzen Strecke setzte er sie auf einem reinen Sandboden ab, an einem völlig dunkeln Orte, wo er sogleich eine Laterne, die er bei sich trug, anzündete, und durch einige Windungen eines unterirdischen Ganges, der denen, die Consuelo schon mit ihm zurückgelegt hatte, ziemlich glich, gelangten sie an diejenige Tür der Zelle, welche der anderen, durch die sie das erstemal gegangen war, gegenüber lag.
– Dieser unterirdische Bau, sagte Albert, war Anfangs dazu bestimmt, in Kriegszeiten zum Zufluchtsorte zu dienen, entweder den vornehmsten Bewohnern der Burg, welche auf dem Schreckenstein lag, oder den Herren von Riesenburg, deren Lehn jene Burg war, und die sich dorthin auf dem geheimen Wege, den Sie kennen, begeben konnten. Wenn später ein Klausner, wie erzählt wird, den Mönchskeller bewohnt hat, so ist es wahrscheinlich, dass er diese verborgene Stätte hier kannte: der Gang, durch welchen wir eben gekommen sind, scheint mir in der Tat in jüngerer Zeit aufgeräumt, während ich die, welche zum Schlosse führen, an vielen Stellen mit Sand oder Kies verschüttet fand, sodass ich viele Mühe hatte, sie frei zu machen. Spuren endlich, welche ich in der Grotte fand, Reste von Schüssel, Krug, Crucifix, Lampe und endlich die Gebeine eines Mannes, der auf dem Rücken lag, die Hände auf der Brust gefaltet wie zum letzten Gebete, bewiesen mir, dass ein Einsiedler hier fromm und friedlich sein stilles Dasein beschlossen hat.
Unsere Bauern glauben, dass der Geist des Eremiten noch im Innern des Berges hause. Sie sagen, sie hätten