George Sand

Gesammelte Werke


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und dich von Mut­ter­leib an für ein hei­li­ges Wir­ken aus­er­ko­ren hat, was küm­mert mich der Wan­del mensch­li­cher Din­ge? Nein, ich bin über­zeugt, dass du so hei­lig auf dem Thea­ter wie im Klos­ter sein musst.

      – Wie? Der stren­ge Ernst Ih­rer Ge­sin­nung bebt nicht vor der Berüh­rung mit ei­ner Schau­spie­le­rin zu­rück?

      – Im Mor­gen­ro­te der Re­li­gio­nen, sag­te er, sind Thea­ter und Tem­pel glei­cher­ma­ßen hei­li­ge Stät­ten. In der Rein­heit der ur­sprüng­li­chen Vor­stel­lun­gen sind die Bräu­che des Got­tes­diens­tes ein Schau­spiel für die Völ­ker; am Fuße der Al­tä­re steht die Wie­ge der Küns­te; der Tanz selbst, die­se Kunst, mit der sich heu­te nur der Ge­dan­ke un­rei­ner Lust ver­bin­det, ist die Mu­sik der Leib­lich­keit bei den Fes­ten der Göt­ter. Mu­sik und Poe­sie sind die höchs­ten Aus­drucks­for­men des Glau­bens, und das mit Geist und Schön­heit be­gab­te Weib ist Pries­te­rin, Si­byl­le, Wei­hes­pen­de­rin.

      Die­sen erns­ten, ed­len For­men der Vor­zeit sind sünd­haf­te und ab­ge­schmack­te Un­ter­schei­dun­gen ge­folgt. Die rö­mi­sche Re­li­gi­on hat die Schön­heit von ih­ren Hei­lig­tü­mern und das Weib von ih­ren fei­er­li­chen Bräu­chen aus­ge­schlos­sen; an­statt die Lie­be zu adeln und zu hei­li­gen, hat sie sie ver­dammt und aus­ge­schlos­sen. Die Schön­heit, das Weib, die Lie­be konn­ten ihre Herr­schaft nicht ver­lie­ren. Die Men­schen ha­ben ih­nen an­de­re Tem­pel auf­ge­rich­tet, wel­che sie Thea­ter nann­ten und wo nun kei­ne Gott­heit mehr den Vor­sitz führt.

      Ist es Ihre Schuld, Con­sue­lo, wenn die­se Gym­na­si­en des Geis­tes Höh­len der Ver­derb­nis ge­wor­den sind? Die Na­tur, die ihre Wun­der vollen­det, un­be­sorgt um die Auf­nah­me, wel­che ihre Meis­ter­stücke un­ter den Men­schen fin­den wer­den, bil­de­te Sie, um un­ter den Frau­en her­vor­zu­leuch­ten und über die Welt die Schät­ze der Kunst­fül­le und des Ge­ni­us aus­zu­gie­ßen. Aber Klos­ter und Grab ist ei­ner­lei. Sie durf­ten nicht, ohne einen Selbst­mord zu be­ge­hen, die Ge­schen­ke der Vor­se­hung ver­gra­ben. Sie muss­ten in ei­ner freie­ren Luft Ihren Aufflug neh­men.

      Es gibt sol­che We­sen­hei­ten, zu de­ren Na­tur es ge­hört, sich zu of­fen­ba­ren; der Trieb ih­rer Na­tur reißt sie un­wi­der­steh­lich dazu fort; und Got­tes Wil­le ist in die­ser Hin­sicht so be­stimmt, dass er ih­nen die Fä­hig­kei­ten, wel­che er ih­nen ver­lie­hen hat, ent­zieht, so­bald sie de­ren An­wen­dung miss­ken­nen. Der Künst­ler geht un­ter und stirbt hin in der Ver­bor­gen­heit, gleich wie der Den­ker in vollen­de­ter Ein­sam­keit sich ver­irrt und ver­wil­dert, und wie je­der Men­schen­geist in der Ab­ge­schlos­sen­heit und Zu­rück­ge­zo­gen­heit ent­ar­tet und zu Grun­de geht.

      Drum be­stei­gen Sie die Büh­ne, Con­sue­lo, wenn es Ihr Wil­le ist, und un­ter­zie­hen Sie sich der an­schei­nen­den Ent­wür­di­gung mit der Er­ge­ben­heit ei­ner from­men See­le, die ge­schaf­fen ist zu lei­den, ihr Va­ter­land ver­geb­lich zu su­chen in die­ser heu­ti­gen Welt, und doch ge­zwun­gen, das Dun­kel der Ver­bor­gen­heit zu flie­hen, wel­che ihr Le­bens­ele­ment nicht ist und aus wel­cher sie das We­hen des hei­li­gen Geis­tes mit Macht hin­aus­treibt.

      In die­ser Wei­se sprach Al­bert noch lan­ge mit Feu­er, Con­sue­lo schnel­len Schrit­tes un­ter den Laub­gän­gen des Parks mit sich zie­hend. Es war nicht schwer, ihr die Be­geis­te­rung mit­zu­tei­len, von wel­cher er für die Kunst durch­drun­gen war, und ihr die Ab­nei­gung in Ver­ges­sen­heit zu brin­gen, die sie zu­erst emp­fun­den hat­te, in die Grot­te zu­rück­zu­keh­ren. Sie sah nicht nur, wie sehn­lich er es wünsch­te, sie fing auch selbst zu wün­schen an, lan­ge ge­nug mit ihm al­lein zu sein, um die Ge­dan­ken zu ver­neh­men, wel­che die­ser zu­gleich so glü­hen­de und so schüch­ter­ne Mensch nur ge­gen sie aus­zu­spre­chen wag­te.

      Es wa­ren für Con­sue­lo neue Ge­dan­ken, und sie wa­ren es wohl über­haupt im Mun­de ei­nes Edel­man­nes aus je­ner Zeit und aus je­nem Lan­de. In­des­sen über­rasch­ten sie die jun­ge Künst­le­rin nur als ein frei­es, küh­nes Aus­spre­chen des­sen, was schon längst in Ih­rer See­le ver­schlos­sen lag. Selbst got­tes­fürch­tig und Schau­spie­le­rin hör­te sie das Stifts­fräu­lein und den Ka­plan die Ver­dam­mung ohne Gna­de aus­spre­chen über die Ko­mö­di­an­ten und Hans­würs­te, ihre Brü­der.

      Dass sie sich nun von ei­nem erns­ten, gläu­bi­gen Man­ne wie­der in ihre Ehre, wor­auf sie An­spruch zu ha­ben fühl­te, ein­ge­setzt sah, dies hob ihre Brust und mach­te ihr Herz frei­er schla­gen, als wür­de ihr erst der Ein­gang in die wah­re Sphä­re des Le­bens auf­ge­tan.

      Ihre Au­gen wa­ren mit Trä­nen ge­füllt und ihre Wan­gen strahl­ten von ei­ner ho­hen, hei­li­gen Röte, als sie plötz­lich am Ende ei­ner Al­lee das Stifts­fräu­lein ge­wahr­te, wel­ches sie such­te.

      – O, mei­ne Pries­te­rin! sprach Al­bert, ih­ren Arm, der in den sei­ni­gen ge­hängt war, an sei­ne Brust drückend, Sie wer­den kom­men und in mei­ner Kir­che be­ten.

      – Ja! ant­wor­te­te sie, ich wer­de ge­wiss.

      – Und wann?

      – Wann Sie wol­len. Fin­den Sie mich schon stark ge­nug, um die­se neue Hel­den­tat zu un­ter­neh­men?

      – Ja! denn wir wol­len bei Tage vom Schre­cken­stein aus hin­un­ter­ge­hen und auf ei­nem min­der ge­fähr­li­chen Wege als durch die Cis­ter­ne. Füh­len Sie sich mu­tig ge­nug, mor­gen mit Ta­ge­s­an­bruch auf­zu­ste­hen und so­bald die Tore ge­öff­net sein wer­den, hin­aus­zu­ge­hen? So will ich in dem Wäld­chen, das Sie dort auf dem Hü­gel se­hen, bei ei­nem stei­ner­nen Kreu­ze, das Sie da­selbst fin­den wer­den, Ih­rer war­ten und Ihr Füh­rer sein.

      – Gut! ich ver­spre­che es Ih­nen! sag­te Con­sue­lo, nicht ohne ein letz­tes Herz­klop­fen.

      – Es ist heut Abend sehr frisch für einen so lan­gen Spa­zier­gang, sag­te das Stifts­fräu­lein, sie er­rei­chend.

      Al­bert gab kei­ne Ant­wort, Ver­stel­lung war ihm un­mög­lich. Con­sue­lo, wel­che sich zwar im In­ners­ten be­wegt, je­doch nicht ver­wirrt fühl­te, häng­te hei­ter ih­ren an­de­ren Arm in den des Fräu­leins und küss­te sie auf die Schul­ter. Wences­la­wa hat­te sich vor­ge­nom­men, ihr kalt zu be­geg­nen, aber sie emp­fand wi­der Wil­len die Über­macht die­ser gra­den und lie­be­vol­len Na­tur. Sie seufz­te und als sie in ihr Zim­mer kam, be­te­te sie für Con­sue­lo’s bal­di­ge Um­kehr.

      10.

      Es ver­gin­gen in­des­sen meh­re Tage, ohne dass Al­ber­t’s Wunsch er­füllt wer­den konn­te. Con­sue­lo wur­de von dem Stifts­fräu­lein so ängst­lich be­wacht, dass es ihr nichts half, vor der Mor­gen­rö­te auf­zu­ste­hen und die Ers­te auf der Zug­brücke zu sein: im­mer sah sie schon die Tan­te oder den Ka­plan un­ter dem Lau­ben­gang der Es­pla­na­de auf- und ab­ge­hen und von dort das gan­ze freie Feld durch­spä­hen, über wel­ches sie ge­hen muss­te, um das Wäld­chen zu er­rei­chen. Sie er­griff den Aus­weg, vor den Au­gen ih­rer Wäch­ter al­lein um­her­zu­wan­deln und auf die Zu­sam­men­kunft mit Al­bert zu ver­zich­ten, der aus sei­nem schat­ti­gen Ver­steck die feind­li­chen Ve­det­ten eben­falls sah, einen großen großen Um­weg durch den Busch mach­te und un­be­merkt in das Schloss zu­rück­kehr­te.

      – Sie sind sehr früh aus­ge­we­sen, Si­gno­ra Por­po­ri­na!