George Sand

Gesammelte Werke


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das auf ei­nem schö­nen, noch halb von den Schat­ten des To­des be­deck­ten Ge­sich­te so rüh­rend ist:

      – Ich glau­be jetzt gern, Al­bert, dass Sie sich auf Zau­be­rei ver­ste­hen; denn Sie dür­fen nur ei­nem Tröpf­chen Was­ser be­feh­len mir gut zu tun, so über­trägt es gleich auf mich die Ruhe und die Kraft die ich an Ih­nen sehe.

      Al­bert fühl­te sich zum ers­ten Male in sei­nem Le­ben glück­lich, und als ob sei­ne See­le mit der­sel­ben Hef­tig­keit die Freu­de wie den Schmerz er­grif­fe, war er in die­ser Zeit des Ent­zückens und der Trun­ken­heit der glück­lichs­te Mensch, den es auf Er­den gab. Die­ses Zim­mer, wo er sei­ne heiß Ge­lieb­te je­der Zeit und ohne läs­ti­ge Zeu­gen sah, war für ihn ein Pa­ra­dies ge­wor­den.

      Nachts, wann er Schei­nes hal­ber sich zu­rück­ge­zo­gen hat­te, und wann al­les im Hau­se zu Bett ge­gan­gen war, schlich er lei­se durch die Gän­ge, und wäh­rend die Wär­te­rin, die am Bet­te der Ge­ne­sen­den wa­chen soll­te, tief ein­ge­schla­fen war, stahl er sich hin­ter das Bett sei­ner ge­lieb­ten Con­sue­lo und sah sie schlum­mern, bleich und ge­knickt wie eine Blu­me nach dem Sturm.

      Er nahm in ei­nem großen Lehn­stuhl Platz, den er im­mer dort ste­hen hat­te, und ver­brach­te bei ihr die gan­ze Nacht, so lei­se schlum­mernd, dass er bei der ge­rings­ten Be­we­gung der Kran­ken zu ihr hin­über ge­beugt war, um die schwa­chen Wor­te auf­zu­fan­gen die sie lis­pel­te, oder in sei­ne stets be­rei­te Hand die ih­ri­ge auf­zu­neh­men die ihn such­te, wenn Con­sue­lo, von ir­gend ei­nem Traum er­schreckt, einen Rest von Un­ru­he fühl­te.

      Wach­te die Wär­te­rin auf, so sag­te ihr Al­bert je­des Mal, er sei so eben ge­kom­men und sie bil­de­te sich ein, dass er sei­ne Kran­ke ein oder zwei­mal in der Nacht be­such­te, wäh­rend er in der Tat kei­ne hal­be Stun­de in sei­nem ei­ge­nen Zim­mer zu­brach­te. Con­sue­lo teil­te die­se Ein­bil­dung. Ob­gleich sie Al­ber­t’s Ge­gen­wart öf­ter als ihre Hü­te­rin be­merk­te, war sie doch noch so schwach, dass sie sich von ihm leicht über die Häu­fig­keit und Dau­er die­ser Be­su­che täu­schen ließ. Manch­mal mit­ten in der Nacht, wenn sie ihn bat schla­fen zu ge­hen, sag­te er ihr, es sei bald Mor­gen und er sei eben erst aus­ge­stan­den.

      Dank die­sen zar­ten Täu­schun­gen, litt Con­sue­lo nie­mals von sei­ner Ab­we­sen­heit und be­un­ru­hig­te sich zu­gleich nicht über die Er­mü­dung, die er füh­len müss­te. Die­se Er­mü­dung war bei dem al­len so ge­ring, dass Al­bert sie gar nicht spür­te. Die Lie­be gibt dem Schwächs­ten Kräf­te, und au­ßer­dem, dass Al­bert eine un­ge­wöhn­li­che Stär­ke der Kon­sti­tu­ti­on be­saß, hat­te nie in ei­ner Men­schen­brust eine ge­wal­ti­ge­re, le­bens­vol­le­re Lie­be ge­wohnt.

      Als bei der ers­ten Son­nen­wär­me sich Con­sue­lo müh­sam zu ih­rer Chai­se Longue am ge­öff­ne­ten Fens­ter ge­schleppt hat­te, setz­te sich Al­bert hin­ter sie und such­te in dem Zuge der Wol­ken oder in dem Pur­pur des Mor­gen­lich­tes die Ge­dan­ken zu er­ha­schen, die der An­blick des Him­mels sei­ner schwei­gen­den Freun­din ein­gab. Manch­mal nahm er ver­stoh­len einen Zip­fel des Schlei­ers, der ih­ren Kopf um­hüll­te und des­sen Ende ein mil­der Luft­hauch ge­gen die Leh­ne des So­phas we­he­te. Al­bert neig­te sei­ne Stirn wie um zu ru­hen und press­te sei­nen Mund auf den Schlei­er.

      Ei­nes Ta­ges, als ihn ihm Con­sue­lo weg­zog, um ihn wie­der über ihre Brust zu de­cken, war sie ver­wun­dert ihn warm und feucht zu fin­den, und sich leb­haf­ter als sie seit ih­rer Krank­heit pfleg­te, um­wen­dend, über­rasch­te sie die Züge ih­res Freun­des in un­ge­wöhn­li­cher Be­we­gung. Sei­ne Ba­cken wa­ren ge­rötet, in sei­nen Au­gen flam­men­de Glut und sei­ne Brust von hef­ti­gem Klop­fen ge­ho­ben.

      Al­bert be­meis­ter­te schnell sei­ne Auf­re­gung, er hat­te aber Zeit ge­habt, den Schreck sich auf Con­sue­lo’s Ant­litz ma­len zu se­hen. Die­se Be­mer­kung be­trüb­te ihn tief. Er hät­te sie lie­ber mit Ver­ach­tung und Stren­ge ge­waff­net, als von ei­nem Über­res­te von Furcht und Miss­trau­en be­klom­men se­hen mö­gen. Er nahm sich vor, mit sol­cher Sorg­falt über sich zu wa­chen, dass kei­ne Erin­ne­rung an sei­nen Wahn­sinn mehr sie, die ihn mit Ge­fahr und fast auf Kos­ten ih­rer eig­nen Ver­nunft und ih­res Le­bens da­von ge­heilt hat­te, be­un­ru­hi­gen soll­te.

      Es ge­lang ihm ver­mö­ge ei­ner Ge­walt, die ei­nem Men­schen im ge­wöhn­li­chen Zu­stan­de des Be­wusst­seins nicht zu Ge­bo­te ge­stan­den hät­te. Seit lan­ger Zeit dar­an ge­wöhnt, den Un­ge­stüm sei­ner Ge­müts­be­we­gun­gen in sich zu­rück­zu­drän­gen und von sei­nem Wil­len einen umso wirk­sa­me­ren Ge­brauch zu ma­chen, als ihm die­sen oft die rät­sel­haf­ten An­wand­lun­gen sei­nes Übels strei­tig mach­ten, übte er über sich selbst eine Herr­schaft, die man ihm ge­mein­lich nicht hoch ge­nug an­rech­ne­te. Man kann­te nicht die häu­fi­ge Wie­der­kehr und die Stär­ke der An­fäl­le, die er je­den Tag zu­rück­schlug, bis zu dem Au­gen­bli­cke, wo er von der Hef­tig­keit der Ver­wir­rung und Verzweif­lung über­mannt, in sei­ne ver­bor­ge­ne Höh­le floh, auch noch in sei­ner Nie­der­la­ge Sie­ger, in­dem er so­viel Ach­tung vor sich selbst be­wahr­te, um den Au­gen al­ler das Schau­spiel sei­nes Fal­les zu ent­zie­hen.

      Al­bert litt an ei­nem Wahn­sinn der un­glück­lichs­ten und ach­tungs­wer­tes­ten Art. Er kann­te sei­nen Wahn­sinn und fühl­te ihn kom­men, bis er völ­lig von ihm um­nach­tet war. Auch dann noch be­hielt er in­mit­ten sei­ner An­fäl­le eine dunkle Ah­nung, ein ver­wor­re­nes Be­wusst­sein von ei­ner wirk­li­chen Welt, in wel­cher er sich nicht eher zei­gen woll­te, als bis er sei­nen Zu­sam­men­hang mit ihr ganz wie­der­her­ge­stellt fühl­te.

      Eine sol­che dump­fe Erin­ne­rung an das wirk­li­che, be­wuss­te Le­ben ha­ben wir alle, wenn ängst­li­che Träu­me uns in der Welt der Ein­bil­dun­gen und des Wahns um­her­wer­fen. Wir weh­ren uns manch­mal ge­gen die­se Trug­bil­der und Schre­cken der Nacht, in­dem wir uns sa­gen, es sei ja nur ein Alp­drücken, und in­dem wir An­stren­gun­gen ma­chen uns zu er­mun­tern; aber eine feind­li­che Ge­walt scheint uns im­mer wie­der zu fas­sen und in die schreck­li­che Schwe­re des Schlafs un­ter­zut­au­chen, wo im­mer grau­en­vol­le­re Ge­sich­te und im­mer boh­ren­de­re Schmer­zen uns über­fal­len und uns mar­tern.

      In ei­nem ähn­li­chen Schwan­ken ver­lief das über­kräf­ti­ge und jam­mer­vol­le Le­ben die­ses ver­kann­ten Men­schen, den al­lein eine tä­ti­ge, zar­te, klu­ge Lie­be aus dem Elen­de, das er sich sel­ber schuf, zu rei­ßen ver­moch­te. Eine sol­che zärt­li­che Für­sor­ge hat­te end­lich in sein Da­sein ein­ge­grif­fen. Con­sue­lo war in der Tat die lau­te­re See­le, wel­che dazu ge­schaf­fen schi­en, den Zu­gang zu die­ser düs­te­ren und bis da­hin je­der Teil­nah­me ver­schlos­se­nen See­le zu fin­den. Es lag in der be­sorg­ten Teil­nah­me, die die­sem jun­gen Mäd­chen An­fangs ein fan­tas­ti­scher Zug ih­res Her­zens auf­ge­nö­tigt hat­te, und in der rück­sichts­vol­len Freund­schaft, wel­che seit ih­rer Krank­heit die Dank­bar­keit ihr ein­flö­ßte, et­was Lin­des, Be­sänf­ti­gen­des, Rüh­ren­des, wo­von ge­wiss Gott wuss­te, dass es zu Al­ber­t’s Hei­lung ganz vor­züg­lich dien­lich war.

      Wenn Con­sue­lo, des Ver­gan­ge­nen un­ein­ge­denk, die Glut sei­ner Lei­den­schaft ge­teilt hät­te, so ist sehr wahr­schein­lich, dass ein in sei­nem Le­ben so ganz neu­es Ent­zücken, eine so plötz­li­che Freu­de ihn höchst schäd­lich auf­ge­regt ha­ben wür­de. Die be­schei­de­ne