George Sand

Gesammelte Werke


Скачать книгу

als ihre Lum­pen, und kam in den Saal, wo wir aßen; da sang sie uns spa­ni­sche, fran­zö­si­sche und deut­sche Lie­der vor mit ei­ner schö­nen Stim­me, ei­ner rei­nen Auss­pra­che und so frei und aus­drucks­voll im Vor­trag, dass wir ganz ent­zückt da­von wa­ren. Mei­ne gute Tan­te be­wies ihr tau­send Auf­merk­sam­kei­ten und Freund­lich­kei­ten. Sie schi­en da­von ge­rührt, ver­leug­ne­te aber ih­ren Stolz nicht und gab uns auf un­se­re Fra­gen nur aus­wei­chen­de Ant­wor­ten.

      Ihr Kind zog mich noch mehr an als sie selbst. Ich hät­te es gern wie­der­se­hen, mit ihm spie­len, es auch nur be­trach­ten mö­gen. Ich weiß nicht, wie es kam, dass mir die­ses arme klei­ne Ge­schöpf, das auf Er­den un­stät und elend war, eine sol­che zärt­li­che Teil­nah­me ab­ge­wann. Ich träum­te die gan­ze Nacht von ihm, und mit dem frü­he­s­ten Mor­gen lief ich hin, um es zu se­hen. Aber die Zi­geu­ne­rin war schon fort, und ich such­te sie ver­geb­lich auf den Ber­gen. Sie war vor Tage auf­ge­stan­den und gen Sü­den ge­zo­gen mit ih­rem Kin­de und mit mei­ner Gui­tar­re, die ich ihr ge­schenkt hat­te, da die ih­ri­ge zu ih­rem großen Lei­de zer­bro­chen war.

      – Al­bert! Al­bert! rief Con­sue­lo in großer Be­we­gung. Die­se Gui­tar­re ist in Ve­ne­dig bei mei­nem Leh­rer Por­po­ra, der sie mir auf­hebt, und von dem ich sie mir wie­der­for­dern wer­de, um mich nie wie­der von ihr zu tren­nen. Sie ist von Eben­holz, mit ei­ner Chif­fre in Sil­ber aus­ge­legt, de­ren ich mich sehr gut er­in­ne­re. Es ist ein »A. R.« Mei­ne Mut­ter, die kein gu­tes Ge­dächt­nis hat­te, weil ihr so viel be­geg­net war, konn­te sich nie auf Ihren oder des Schlos­ses oder auch nur des Lan­des Na­men be­sin­nen, wo sie sie er­hal­ten hät­te. Aber sie hat mir oft von der gast­freund­li­chen Auf­nah­me er­zählt, die ihr der Be­sit­zer die­ser Gui­tar­re er­wie­sen, und von der rüh­ren­den Men­sch­lich­keit ei­nes jun­gen, schö­nen Herrn, der mich eine hal­be Stun­de weit auf dem Arme ge­tra­gen und mit mir ge­spro­chen hät­te wie mit sei­nes Glei­chen.

      O mein lie­ber Al­bert! ich er­in­ne­re mich al­les des­sen auch noch selbst. Bei je­dem Wor­te Ih­rer Er­zäh­lung wach­ten die­se Bil­der ei­nes nach dem an­de­ren auf, die lan­ge in mei­ner See­le schlie­fen, und nun weiß ich, warum mir hier die Ber­ge nicht ganz fremd und neu schie­nen, und warum ich mich doch ver­ge­bens an­streng­te, den dun­keln Erin­ne­run­gen, die die­se Land­schaft in mir weck­te, auf den Grund zu kom­men, und be­son­ders warum ich, da ich Sie zum ers­ten Male sah, mein Herz hüp­fen fühl­te und mei­ne Stirn sich ehr­er­bie­tig nei­gen, als ob ich einen lang ver­miss­ten und be­klag­ten Freund und Be­schüt­zer wie­der­ge­fun­den hät­te.

      – Meinst du denn, Con­sue­lo, sag­te Al­bert, sie an sein Herz drückend, ich hät­te dich nicht auf den ers­ten Blick wie­der er­kannt? Was tat es, dass du groß ge­wor­den, dass die Jah­re dich ver­wan­delt und ver­schönt ha­ben? Ich habe ein Ge­dächt­nis – o wun­der­ba­re, ob­wohl oft un­heil­vol­le Gabe! – das nicht Bli­cke, nicht Wor­te braucht, um sich durch Jahr­hun­der­te, wie durch Tage hin­durch zu be­wäh­ren. Ich wuss­te nicht, dass du mei­ne ge­lieb­te Zin­ga­rel­la wä­rest, aber ich wuss­te, dass ich dich schon ge­kannt, schon ge­liebt, schon an mein Herz ge­drückt, das sich von Au­gen­blick an, ohne dass ich’s wuss­te und auf ewig mit dem dei­ni­gen ver­knüpft und ver­eint hat­te.

      3.

      So re­dend er­reich­ten sie die Verzwei­gung der bei­den Wege, wo Con­sue­lo mit Zden­ko zu­sam­men­ge­trof­fen war, und sie sa­hen schon von fern den Schim­mer sei­ner La­ter­ne, die er ne­ben sich auf den Bo­den ge­stellt hat­te. Con­sue­lo, die jetzt die ge­fähr­li­chen Lau­nen und die Rie­sen­stär­ke des »Un­schul­di­gen« aus Er­fah­rung kann­te, dräng­te sich un­will­kür­lich an Al­bert, in­dem sie ihm dies An­zei­chen von Zden­ko’s Nähe be­merk­lich mach­te.

      – Wa­rum fürch­ten Sie sich vor die­sem sanft­mü­ti­gen, lieb­rei­chen Ge­schöp­fe, frag­te der jun­ge Graf, den ihre Furcht über­rasch­te und zu­gleich be­glück­te. Zden­ko hat Sie lieb, ob­gleich ihn seit letz­ter Nacht ein bö­ser Traum, den er hat­te, wi­der­späns­tig ge­gen mei­ne Wün­sche ge­macht und ein we­nig ge­gen Ihr edel­mü­ti­ges Vor­ha­ben, mich zu su­chen, auf­ge­bracht hat: er ist aber un­ter­wür­fig wie ein Kind, wenn ich et­was mit Ent­schie­den­heit von ihm for­de­re, und Sie wer­den ihn zu Ihren Fü­ßen se­hen, wenn ich nur ein Wort sage.

      – Nein, de­mü­ti­gen Sie ihn nicht vor mir, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, ver­grö­ßern Sie nicht den Wi­der­wil­len, den er ge­gen mich nährt. Wann wir vor­bei sein wer­den, will ich Ih­nen sa­gen, was für erns­te Ur­sa­che ich habe, ihn zu fürch­ten und künf­tig zu ver­mei­den.

      – Zden­ko hat ein wahr­haft himm­li­sches Ge­müt, ant­wor­te­te Al­bert, und ich kann mir nicht im Ent­fern­tes­ten den­ken, wie er ir­gend­je­man­dem furcht­bar sein kann. Bei dem Zu­stan­de von Ver­zückung, in wel­chem er sich stets be­fin­det, ist er wie ein En­gel rein und voll Lie­be.

      – Die­ser Zu­stand von Ver­zückung, Al­bert, den ich auch be­wun­de­re, ist doch, wenn er lan­ge an­hält, eine Krank­heit. Täu­schen Sie sich nicht in die­ser Hin­sicht! Gott will nicht, dass der Mensch die Emp­fin­dung und das Be­wusst­sein sei­nes Da­seins ab­strei­fe, um sich zu oft in das lee­re An­schau­en ei­ner idea­len Welt zu er­he­ben. Wut und Wahn­sinn sind das Ende sol­cher Berau­schun­gen, als eine Stra­fe des Hoch­muts und der Mü­ßig­keit.

      Ajax blieb vor Zden­ko ste­hen, und sah ihn freund­lich an, als ob er eine Lieb­ko­sung von dem Freun­de er­war­te; die­ser aber ge­währ­te ihm kei­ne. Er saß, den Kopf in bei­den Hän­den, noch in der näm­li­chen Stel­lung und auf dem näm­li­chen Fels­stück, wo ihn Con­sue­lo ver­las­sen hat­te. Al­bert re­de­te ihn auf Böh­misch an, und er gab kei­ne Ant­wort. Er schüt­tel­te den Kopf mit mut­lo­ser Ge­bär­de, sei­ne Ba­cken wa­ren von Trä­nen über­strömt, und er woll­te Con­sue­lo gar nicht an­se­hen. Al­bert er­hob sei­ne Stim­me und re­de­te nach­drück­li­cher mit ihm, doch lag mehr et­was Er­mah­nen­des und Zärt­li­ches als Ge­bie­te­ri­sches und Schel­ten­des in sei­nem Tone; Zden­ko stand end­lich auf und reich­te Con­sue­lo sei­ne Hand, die sie ihm zit­ternd drück­te.

      – Jetzt, sag­te er zu ihr auf Deutsch, sie sanft, doch trau­rig an­bli­ckend, sollst du nicht mehr Furcht vor mir ha­ben; aber du machst mir sehr weh und ich füh­le an dei­ner Hand, dass sie viel Un­glück über uns bringt.

      Er ging vor ih­nen her, von Zeit zu Zeit mit Al­bert ei­ni­ge Wor­te wech­selnd. Sie ver­folg­ten den mas­si­ven und ge­räu­mi­gen Gang, den Con­sue­lo auf die­ser Sei­te noch nicht kann­te, und der sie zu ei­nem Rund­ge­wöl­be brach­te, wo­selbst sich das Was­ser in ein wei­tes von Men­schen­hand ge­bil­de­tes und mit Bruch­stei­nen ein­ge­fass­tes Be­cken er­goss. Es floss dar­aus auf zwei We­gen ab, von de­nen der eine sich in den Höh­len ver­lor, der an­de­re zu der Cis­ter­ne des Schlos­ses führ­te. Die­sen letz­te­ren ver­schloss Zden­ko, in­dem er mit sei­ner her­ku­li­schen Hand drei ge­wal­ti­ge Stei­ne vor die Öff­nung leg­te.

      – Set­zen wir uns hier nie­der! sag­te der Graf zu sei­ner Ge­fähr­tin, und las­sen wir dem Was­ser des Brun­nens Zeit, durch einen Kanal ab­zu­lau­fen.

      – Ich ken­ne ihn gut, sag­te Con­sue­lo, von Kopf zu Fü­ßen schau­dernd.

      – Wie mei­nen Sie das? frag­te Al­bert und sah sie ver­wun­dert an.

      – Sie sol­len es spä­ter hö­ren, ant­wor­te­te Con­sue­lo.