als ihre Lumpen, und kam in den Saal, wo wir aßen; da sang sie uns spanische, französische und deutsche Lieder vor mit einer schönen Stimme, einer reinen Aussprache und so frei und ausdrucksvoll im Vortrag, dass wir ganz entzückt davon waren. Meine gute Tante bewies ihr tausend Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten. Sie schien davon gerührt, verleugnete aber ihren Stolz nicht und gab uns auf unsere Fragen nur ausweichende Antworten.
Ihr Kind zog mich noch mehr an als sie selbst. Ich hätte es gern wiedersehen, mit ihm spielen, es auch nur betrachten mögen. Ich weiß nicht, wie es kam, dass mir dieses arme kleine Geschöpf, das auf Erden unstät und elend war, eine solche zärtliche Teilnahme abgewann. Ich träumte die ganze Nacht von ihm, und mit dem frühesten Morgen lief ich hin, um es zu sehen. Aber die Zigeunerin war schon fort, und ich suchte sie vergeblich auf den Bergen. Sie war vor Tage aufgestanden und gen Süden gezogen mit ihrem Kinde und mit meiner Guitarre, die ich ihr geschenkt hatte, da die ihrige zu ihrem großen Leide zerbrochen war.
– Albert! Albert! rief Consuelo in großer Bewegung. Diese Guitarre ist in Venedig bei meinem Lehrer Porpora, der sie mir aufhebt, und von dem ich sie mir wiederfordern werde, um mich nie wieder von ihr zu trennen. Sie ist von Ebenholz, mit einer Chiffre in Silber ausgelegt, deren ich mich sehr gut erinnere. Es ist ein »A. R.« Meine Mutter, die kein gutes Gedächtnis hatte, weil ihr so viel begegnet war, konnte sich nie auf Ihren oder des Schlosses oder auch nur des Landes Namen besinnen, wo sie sie erhalten hätte. Aber sie hat mir oft von der gastfreundlichen Aufnahme erzählt, die ihr der Besitzer dieser Guitarre erwiesen, und von der rührenden Menschlichkeit eines jungen, schönen Herrn, der mich eine halbe Stunde weit auf dem Arme getragen und mit mir gesprochen hätte wie mit seines Gleichen.
O mein lieber Albert! ich erinnere mich alles dessen auch noch selbst. Bei jedem Worte Ihrer Erzählung wachten diese Bilder eines nach dem anderen auf, die lange in meiner Seele schliefen, und nun weiß ich, warum mir hier die Berge nicht ganz fremd und neu schienen, und warum ich mich doch vergebens anstrengte, den dunkeln Erinnerungen, die diese Landschaft in mir weckte, auf den Grund zu kommen, und besonders warum ich, da ich Sie zum ersten Male sah, mein Herz hüpfen fühlte und meine Stirn sich ehrerbietig neigen, als ob ich einen lang vermissten und beklagten Freund und Beschützer wiedergefunden hätte.
– Meinst du denn, Consuelo, sagte Albert, sie an sein Herz drückend, ich hätte dich nicht auf den ersten Blick wieder erkannt? Was tat es, dass du groß geworden, dass die Jahre dich verwandelt und verschönt haben? Ich habe ein Gedächtnis – o wunderbare, obwohl oft unheilvolle Gabe! – das nicht Blicke, nicht Worte braucht, um sich durch Jahrhunderte, wie durch Tage hindurch zu bewähren. Ich wusste nicht, dass du meine geliebte Zingarella wärest, aber ich wusste, dass ich dich schon gekannt, schon geliebt, schon an mein Herz gedrückt, das sich von Augenblick an, ohne dass ich’s wusste und auf ewig mit dem deinigen verknüpft und vereint hatte.
3.
So redend erreichten sie die Verzweigung der beiden Wege, wo Consuelo mit Zdenko zusammengetroffen war, und sie sahen schon von fern den Schimmer seiner Laterne, die er neben sich auf den Boden gestellt hatte. Consuelo, die jetzt die gefährlichen Launen und die Riesenstärke des »Unschuldigen« aus Erfahrung kannte, drängte sich unwillkürlich an Albert, indem sie ihm dies Anzeichen von Zdenko’s Nähe bemerklich machte.
– Warum fürchten Sie sich vor diesem sanftmütigen, liebreichen Geschöpfe, fragte der junge Graf, den ihre Furcht überraschte und zugleich beglückte. Zdenko hat Sie lieb, obgleich ihn seit letzter Nacht ein böser Traum, den er hatte, widerspänstig gegen meine Wünsche gemacht und ein wenig gegen Ihr edelmütiges Vorhaben, mich zu suchen, aufgebracht hat: er ist aber unterwürfig wie ein Kind, wenn ich etwas mit Entschiedenheit von ihm fordere, und Sie werden ihn zu Ihren Füßen sehen, wenn ich nur ein Wort sage.
– Nein, demütigen Sie ihn nicht vor mir, entgegnete Consuelo, vergrößern Sie nicht den Widerwillen, den er gegen mich nährt. Wann wir vorbei sein werden, will ich Ihnen sagen, was für ernste Ursache ich habe, ihn zu fürchten und künftig zu vermeiden.
– Zdenko hat ein wahrhaft himmlisches Gemüt, antwortete Albert, und ich kann mir nicht im Entferntesten denken, wie er irgendjemandem furchtbar sein kann. Bei dem Zustande von Verzückung, in welchem er sich stets befindet, ist er wie ein Engel rein und voll Liebe.
– Dieser Zustand von Verzückung, Albert, den ich auch bewundere, ist doch, wenn er lange anhält, eine Krankheit. Täuschen Sie sich nicht in dieser Hinsicht! Gott will nicht, dass der Mensch die Empfindung und das Bewusstsein seines Daseins abstreife, um sich zu oft in das leere Anschauen einer idealen Welt zu erheben. Wut und Wahnsinn sind das Ende solcher Berauschungen, als eine Strafe des Hochmuts und der Müßigkeit.
Ajax blieb vor Zdenko stehen, und sah ihn freundlich an, als ob er eine Liebkosung von dem Freunde erwarte; dieser aber gewährte ihm keine. Er saß, den Kopf in beiden Händen, noch in der nämlichen Stellung und auf dem nämlichen Felsstück, wo ihn Consuelo verlassen hatte. Albert redete ihn auf Böhmisch an, und er gab keine Antwort. Er schüttelte den Kopf mit mutloser Gebärde, seine Backen waren von Tränen überströmt, und er wollte Consuelo gar nicht ansehen. Albert erhob seine Stimme und redete nachdrücklicher mit ihm, doch lag mehr etwas Ermahnendes und Zärtliches als Gebieterisches und Scheltendes in seinem Tone; Zdenko stand endlich auf und reichte Consuelo seine Hand, die sie ihm zitternd drückte.
– Jetzt, sagte er zu ihr auf Deutsch, sie sanft, doch traurig anblickend, sollst du nicht mehr Furcht vor mir haben; aber du machst mir sehr weh und ich fühle an deiner Hand, dass sie viel Unglück über uns bringt.
Er ging vor ihnen her, von Zeit zu Zeit mit Albert einige Worte wechselnd. Sie verfolgten den massiven und geräumigen Gang, den Consuelo auf dieser Seite noch nicht kannte, und der sie zu einem Rundgewölbe brachte, woselbst sich das Wasser in ein weites von Menschenhand gebildetes und mit Bruchsteinen eingefasstes Becken ergoss. Es floss daraus auf zwei Wegen ab, von denen der eine sich in den Höhlen verlor, der andere zu der Cisterne des Schlosses führte. Diesen letzteren verschloss Zdenko, indem er mit seiner herkulischen Hand drei gewaltige Steine vor die Öffnung legte.
– Setzen wir uns hier nieder! sagte der Graf zu seiner Gefährtin, und lassen wir dem Wasser des Brunnens Zeit, durch einen Kanal abzulaufen.
– Ich kenne ihn gut, sagte Consuelo, von Kopf zu Füßen schaudernd.
– Wie meinen Sie das? fragte Albert und sah sie verwundert an.
– Sie sollen es später hören, antwortete Consuelo.