George Sand

Gesammelte Werke


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ih­rem zwei­ten Va­ter­lan­de, wo sie so süße Tage ver­lebt hat­te, schi­en ihr wie ein Traum, und es war ihr ein Trost, – ein lei­der nur zu kur­z­er Trost – in ih­rer Ver­ban­nung und dem Un­glück, wel­ches die­ses her­bei­ge­führt, einen Au­gen­blick zwei­feln zu kön­nen. Es däuch­te ihr, als ob sie noch in ih­rem ar­men Zim­mer in der Cor­te-Mi­nel­li wäre, auf der Ma­trat­ze ih­rer Mut­ter, und nun nach ei­ner hef­ti­gen und bit­tern Sze­ne mit An­zo­le­to, de­ren Erin­ne­rung dun­kel vor ih­rer See­le schwamm, dem Le­ben zu­rück­ge­ge­ben wür­de und der Hoff­nung, in­dem sie ihn ne­ben sich fühl­te, sein un­ter­bro­che­nes At­men hör­te und die sü­ßen Wor­te, die er ihr zu­flüs­ter­te.

      Bei die­sem Ge­dan­ken durch­zit­ter­te ihr Herz ein won­ne­vol­les, sehn­li­ches Ver­lan­gen, und sie raff­te sich ge­walt­sam auf, um ih­ren reui­gen Freund zu se­hen und ihm die Hand zu rei­chen. Aber sie drück­te nur eine kal­te, frem­de Hand, und an­statt der fröh­li­chen Son­ne, die sie ge­wohnt war, ro­sig durch ihre wei­ßen Vor­hän­ge schim­mern zu se­hen, sah sie nur die Be­leuch­tung ei­ner Gruft von düs­te­rem Ge­wöl­be nie­der­däm­mern und durch einen feuch­ten Dunst­kreis sich ver­brei­ten; sie fühl­te un­ter ih­ren Ar­men das raue Tier­fell und mit schau­er­li­chem Schwei­gen beug­te sich Al­ber­t’s blei­ches Ant­litz wie das ei­nes ab­ge­schie­de­nen Geis­tes zu ihr nie­der.

      Con­sue­lo glaub­te sich le­bend in das Grab hin­ab­ge­stie­gen, sie schloss die Au­gen wie­der und sank schmerz­lich seuf­zend auf das Bett von trock­nem Laub zu­rück Sie brauch­te noch meh­re­re Mi­nu­ten, um zu fas­sen wo sie wäre und in wel­ches schlim­men Wir­tes Hän­den. Die Furcht, von ih­rer Be­geis­te­rung und Hin­ge­bung bis da­hin nie­der­ge­hal­ten, be­mäch­tig­te sich ih­rer so sehr, dass sie die Au­gen nicht wie­der auf­zu­schla­gen wag­te, um nicht ir­gend ein gräss­li­ches Schau­spiel, To­ten­ge­prän­ge, ein of­fe­nes Grab vor sich zu se­hen.

      Sie fühl­te et­was auf ih­rer Stirn, und griff da­nach. Es war ein Blät­ter­kranz, wo­mit Al­bert sie ge­krönt hat­te. Sie nahm ihn ab, um ihn zu be­trach­ten, und sah Cy­pres­sen­zwei­ge.

      – Ich glaub­te dich tot, o mei­ne See­le! o mein Trost! sag­te Al­bert ne­ben ihr nie­der­kni­end, und ich woll­te, be­vor ich dir ins Grab folg­te, dich hoch­zeit­lich schmücken. Blu­men wach­sen nicht hier um­her, Con­sue­lo! Die schwar­zen Cy­pres­sen bo­ten das ein­zi­ge Laub, wo­von ich Dir einen Braut­kranz pflücken konn­te. Da ist er, stoß’ ihn nicht hin­weg. Wenn wir hier ster­ben müs­sen, lass mich dir schwö­ren, dass ich, dem Le­ben zu­rück­ge­ge­ben, nie eine an­de­re Gat­tin ge­habt ha­ben wür­de als dich, und dass ich mit dir st­er­be, dir ge­eint durch ein un­auf­lös­li­ches Ver­löb­nis.

      – Ver­lobt, ver­eint! rief Con­sue­lo er­schreckt und schau­te be­stürzt um­her: wer hat dies Ur­teil ge­spro­chen? wer hat die­se Ehe ein­ge­seg­net?

      – Das Ge­schick, o du mein En­gels er­wi­der­te Al­bert un­aus­sprech­lich sanft und trau­rig. Den­ke nicht, ihm zu ent­rin­nen, es ist ein wun­der­selt­sa­mes Ge­schick für dich, und noch mehr für mich. Du be­greifst mich nicht, Con­sue­lo, und doch musst du die Wahr­heit er­fah­ren. Du hast es mir ver­bo­ten, in der Ver­gan­gen­heit zu su­chen, du hast es mir ver­wehrt, an die ver­flos­se­nen Tage zu ge­den­ken, die man die Nacht der Jahr­hun­der­te heißt. Mein In­ners­tes hat dir ge­horcht, und ich weiß nun nichts mehr von mei­nem frü­hern Da­sein. Aber das ge­gen­wär­ti­ge habe ich be­fragt, ich ken­ne es, ich habe es ganz mit ei­nem Bli­cke über­schaut, es ist mir ur­plötz­lich auf­ge­gan­gen, wäh­rend du ruh­test von den Ar­men des To­des um­fan­gen. Dein Ge­schick ist, Con­sue­lo, mir an­zu­ge­hö­ren, und den­noch wirst du nie­mals mein sein. Du liebst mich nicht, du wirst mich nie so lie­ben, wie ich dich lie­be. Dei­ne Lie­be zu mir ist nur Nächs­ten­lie­be, ist nur hel­den­mü­ti­ge Hin­ge­bung. Du bist eine Hei­li­ge, die Gott mir sen­de­te, und nie wirst du für mich ein Weib sein. Ich muss ster­ben, ver­zehrt von ei­ner Lie­be, wel­che du nicht tei­len kannst, und doch, Con­sue­lo, wirst du mei­ne Gat­tin sein, wie du mei­ne Braut schon bist, sei es, dass wir hier ster­ben und dass dein Mit­leid wil­ligt, mir den Ti­tel dei­nes Gat­ten bei­zu­le­gen, wel­chen nie ein Kuss be­sie­geln soll, sei es, dass wir die Son­ne wie­der­se­hen, und dein Ge­wis­sen dir ge­bie­tet, Got­tes Ab­sich­ten an mir zu er­fül­len.

      – Graf Al­bert, sag­te Con­sue­lo, in­dem sie einen Ver­such mach­te, das mit schwar­zem Bä­ren­fell be­deck­te Bett, das ei­nem Lei­chen­ge­rüs­te glich, zu ver­las­sen, ich weiß nicht, ob der Schwung ei­ner zu leb­haf­ten Er­kennt­lich­keit, oder die Nach­wir­kung Ihres Irr­sinns Sie so re­den macht. Ich habe nicht mehr die Kraft, Ihre Ein­bil­dun­gen zu be­kämp­fen, und wenn die­se sich ge­gen mich wen­den müs­sen, ge­gen mich, die ich mit Le­bens­ge­fahr ge­kom­men bin, Ih­nen bei­zu­ste­hen und Sie zu trös­ten, so füh­le ich, dass ich nicht mehr im­stan­de bin, mein Le­ben und mei­ne Frei­heit ge­gen Sie zu ver­tei­di­gen. Wenn mein An­blick Sie auf­bringt, wenn mich Gott ver­lässt, wohl! so ge­sch­ehe Got­tes Wil­le. Sie, der Sie so viel zu wis­sen glau­ben, das wis­sen Sie nicht, wie mein Le­ben mir ver­gällt ist, und wie we­nig ich be­dau­ern wür­de, es da­hin zu ge­ben.

      – Ich weiß, dass du sehr un­glück­lich bist, o mei­ne arme Hei­li­ge! Ich weiß, dass du eine Dor­nen­kro­ne auf der Stir­ne trägst, die ich nicht her­ab­rei­ßen kann. Die Ur­sa­che und den Her­gang dei­ner Lei­den ken­ne ich nicht und be­geh­re ich nicht zu wis­sen. Aber ich wür­de dich sehr we­nig lie­ben, ich wür­de sehr we­nig dein Mit­ge­fühl ver­die­nen, wenn ich nicht von dem Tage an, da ich dir zu­erst be­geg­ne­te, ge­ahnt und er­kannt hät­te, dass dei­ne See­le be­trübt und dein Le­ben voll Trä­nen ist. Was hast du von mir zu fürch­ten, Con­sue­lo mei­ner See­le? Du, so klug und so stark, du, der Gott Wor­te ein­ge­ge­ben, wel­che mich in ei­nem Au­gen­bli­cke be­zwun­gen und zum Le­ben zu­rück­ge­bracht ha­ben, du soll­test nun selt­sam das Licht dei­nes Glau­bens, dei­ner Ver­nunft dir un­treu fin­den, weil du mich fürch­test, dei­nen Freund, dei­nen Die­ner, dei­nen Skla­ven? Komm zu dir, mein En­gel, sieh mich an! Sieh mich hier zu dei­nen Fü­ßen, und für alle Zeit, die Stirn im Stau­be. Was willst du? was ge­bie­test du? Ver­langst du fort von hier, jetzt gleich, und ohne dass ich dir fol­ge, ohne dass ich je­mals wie­der vor dir er­schei­ne? Wel­ches Op­fer hei­schest du? Wel­chen Eid­schwur soll ich dir leis­ten? Ich bin fä­hig, dir al­les zu ge­lo­ben, dir in al­lem zu ge­hor­chen. Ja, Con­sue­lo, ich bin fä­hig, selbst ein ru­hi­ger Mann zu wer­den, un­ter­wür­fig und so ver­nünf­tig schei­nend, wie die an­de­ren. Wür­de ich dir so min­der herb dün­ken und we­ni­ger Furcht ein­flö­ßen? Bis­her habe ich nie ge­konnt, was ich woll­te, aber al­les, was du wol­len wirst, wird mir künf­tig mög­lich sein. Ich wer­de viel­leicht den Tod da­von tra­gen, wenn ich mich nach dei­nem Wunsch um­wand­le, aber ich muss dir nun auch mei­ner­seits sa­gen, dass mir mein Le­ben stets ver­gällt war, und dass es mich nicht dau­ern könn­te, es um dei­net­wil­len zu ver­lie­ren.

      – Lie­ber, ed­ler Al­bert, sag­te Con­sue­lo be­ru­higt durch sei­ne Wor­te und ge­rührt, er­klä­ren Sie sich deut­li­cher und las­sen Sie mich end­lich in die Tie­fe die­ser un­durch­dring­li­chen See­le schau­en. Sie sind in mei­nen Au­gen ein Mensch, der hö­her als die an­de­ren steht, und von dem ers­ten Au­gen­blick an fühl­te ich für Sie eine Hochach­tung und eine in­ni­ge Teil­nah­me, die ich kei­ne Ur­sa­che habe Ih­nen zu ver­ber­gen. Ich hör­te von al­len Sei­ten, dass Sie un­sin­nig wä­ren, ich konn­te es nicht glau­ben. Al­les was man mir von Ih­nen er­zähl­te, ver­mehr­te nur mei­ne