die Sektirer ihrer Zeit hinterlassen haben, bricht er noch mit Macht hervor. Denjenigen, welche sich in Zeiten der Umwälzung von den eingeführten Sitten frei machen wollen, weil sie deren Verfallenheit und Geistlosigkeit erkannt haben oder fühlen, wird gemeinlich der Vorwurf gemacht, dass sie sich von der Sitte überhaupt emancipieren und jegliches Gesetz und Band von sich werfen wollen; dieser Kunstgriff ist so leicht zu ersinnen und so leicht zu handhaben, dass es fürwahr kein Wunder ist, ihn in den ältesten Zeiten schon ebenso angewendet zu sehen, wie wir ihn noch jetzt alle Tage gegen die, welche sich wider Geltendes erklären, im Brauche finden. Dessenungeachtet wird es in den geschlossenen Kreisen derer, denen es um wahrhafte Befreiung, d. h. um Einsetzung einer dem menschlichen Geiste gemäßen Lebensordnung wirklich zu tun ist, vielleicht immer auch Solche geben, die sich von allem Maße befreien und einzig ihrer Willkür fröhnen wollen. Diese Knechte ihrer Lust spielen in der Geschichte keine Rolle und sind gar nicht der Betrachtung wert; kaum in der Zeit ihres Daseins gelingt es ihnen eine vorübergehende Aufmerksamkeit der Mitlebenden zu erregen, wie wir das noch in unseren Tagen gesehen haben. Man darf daher annehmen, dass die schändlichen Laster und Sittenlosigkeiten, welche einigen Sekten von den kirchlichen Schriftstellern ihrer Zeit aufgebürdet wurden, zum größten Teil geradezu erlogen und erfunden sind, und zwar für das Auge des heutigen Forschers ungeschickt genug erfunden, weil die Erfinder nichts anderes aufzubringen wussten als genau die alten Sünden, welche der Alexandriner Clemens den Sektirern seiner Zeit, d. h. des zweiten Jahrhunderts nach Chr. zur Last legt. Sogar der Name, welchen ein anderer alter Schriftsteller Theodoret, auf jenen Clemens verweisend, den erwähnten Sektirern gibt, der Name Adamiten wird im 14. und 15. Jahrhundert in Böhmen wieder aufgewärmt, um die, welche man damit brandmarkt, des Stranges, des Schwertes, des Scheiterhaufens desto würdiger darzustellen.8
Freiheit, einziges Kleinod unseres Geistes, einziges Licht, das uns die Nacht dieses traurigen, schmerzenvollen Daseins erhellen kann, Stern nach dem wir pilgern, wann wird dein Tag der bangenden Welt aufgehn? So oft du dich in ihr verherrlichtest, so oft du siegtest, haben alsogleich die Menschen deine Waffen, dein glänzendes Rüstzeug selbst zu neuen Ketten umgeschmiedet und die Knechtschaft ärger denn zuvor gemacht oder werden lassen. Komm endlich, komm und wohne unter uns in Wahrheit! »Sehet in das Feld, es ist zur Ernte weiß!« rief Jesus von Nazareth. »Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Ihr wisset nicht was ihr anbetet. Aber es kommt die Zeit, dass ihr weder auf den Bergen, noch in Jerusalem anbetet, es kommt die Zeit, dass die wahrhaftigen Anbeter anbeten werden im Geist und in der Wahrheit.« Und siehe! es kam die Zeit, dass die sich wahrhaftige Anbeter nannten, in Kirchen und Kapellen, auf Gräbern und vor Kreuzen und Bildern und in Rom anbeteten, und dass niemand wusste was er anbetete, weder die geführten Blinden noch die Blindenführer selbst. Das pharisäische Wesen, von welchem das Christentum, insonderheit Paulus Befreiung verkündigt hatte, war in einer neuen und, weil sie geistiger ausgeschmückt und verbreiteter, allgemeiner zum Gesetz gemacht und mehr mit Gewalt aufgenötigt war, gefährlicheren, heilloseren Weise eingerissen, als es jemals unter den Juden hatte herrschen können. »Gehet hin«, sprach Jesus, »und taufet alle Welt und lehret alle Heiden! Lehret sie, dass kein Unterschied des Volkes und der Person gilt, dass alle Menschen Menschen sind, schuldig als Brüder brüderlich zu leben, und dass sich alle mit mir eins beweisen werden, wenn sie einander Liebe beweisen, denn daran will ich erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt.« Und sie gingen hin und lehrten alle Völker, dass man alle Liebe haben und üben könne und doch nicht selig sei, wofern man nicht die menschliche Vernunft und den Glauben an das ewig Wahre und seine Macht beuge unter die Satzungen einer privilegierten Klasse und ihres Oberhaupts, des Bischofs zu Rom. Die Schranken, welche die Völker im Altertume voneinander trennten, waren gefallen; aber sie hatten nun neue Schranken aufgerichtet, zwischen denen, die sich Christen sollten nennen dürfen, weil sie sich den Bestimmungen der kirchlichen Obrigkeit unterwarfen, und denen, welche, wenn sie sich auch Christen nennen wollten, doch den Grund ihres Heiles in der inneren Offenbarung des Geistes suchten. Diese letzteren sind die Sektirer, die Häretiker, die Ketzer, die Verdammten, die nicht des Daseins Würdigen, die dem Teufel, dem sie dienen, Auszuliefernden, mit Schande und mit schaudervollem Tod zu Strafenden.
Der Geist im Menschen aber ruht und unterwirft sich nicht. Knechtet, bindet ihn, er wird sich selbst befreien, und seine Ketten triumphierend, Qual und Tod verachtend, mit Gewalt zerreißen. Durch welche äußerlichen Umstände aufgerüttelt er aus dem Schlafe erwache, gleichviel! erwachen muss er, ihn ewig schlafend fest zu bannen ist unmöglich. Ob ihn zuerst das liederliche Leben und der Stumpfsinn derer, die sich Hüter des Heiligtums nennen, entrüste und empöre und er von da aus weiter frage nach ihrem Rechte und dem Grunde und Ursprunge ihrer Tyrannei, ob er durch sein Bedürfnis, alles was ist zu erkennen, seinen Wahrheitsdurst, den Trieb, die ihm einwohnende Kraft zu brauchen, angespornt, die Lehren, die man ihm verkauft, zu prüfen sich gedrungen fühle, und ob er den Frieden, dem er nachjagt, mit den Übungen die man ihm auferlegt hat, nicht erzwingend, sich aus innerer Nötigung selber den Rettungsweg zu suchen unterfange, oder ob er nur sich selbst ergreifend, seinen ewigen Ursprung und sein ewiges Recht, seine Macht und Freiheit ahnend, sich gegen den Zwang und die Gewalt, die ihm der fremde Geist antut, stolz und ungeduldig auflehne: es ist gleichviel; in allen diesen Formen tritt der Trieb einer Neugestaltung des geistigen Lebens schon früh, schon im 11. Jahrhundert, so weit wir bestimmte Kunde haben, und sicherlich noch früher auf. Die langen Aufzählungen der einzelnen ketzerischen Lehren zahlloser Sekten, wie sie uns kirchliche Schriftsteller überliefert haben, und wie wir sie in bischöflichen und päpstlichen Erlassen finden, sind von wenigem Belang, weil sie meist nur das enthalten, was die Sektirer an kirchlichen Gesetzen und Lehren verwarfen, oder was man ihnen an Unsittlichkeiten, um sie dem Volke verhasst zu machen, entweder einzelne Ungebühr als Schuld der ganzen Richtung anrechnend oder geradezu nach uralten Mustern erdichtend, aufgebürdet hat. Da heißt es immer wieder, dass die Abtrünnigen die Bilderverehrung, die Heiligenanrufung, die Zeremonien, den äußeren Gottesdienst, das Kreuzmachen, die Heiligkeit der Sakramente, die Vorrechte des Priesterstandes verwürfen; tiefer in das Wesen der Lehre, in sittliche Fragen dringt es schon ein, wenn wir erfahren, dass sie die Taufe missachtet, das Abendmahl für ein bloßes Erinnerungszeichen und die Ehe für kein der Kirche zuzuweisendes Institut erklärt hätten; und wenn uns endlich gesagt wird, dass