George Sand

Gesammelte Werke


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oder Sie ver­ach­ten sie. Mit gott­lo­sem Hoch­mut stei­gen Sie in die fer­nen ent­schwun­de­nen Zei­ten hin­auf, die Ge­heim­nis­se der Schi­ckung zu durch­drin­gen trach­ten Sie; Got­te mei­nen Sie sich gleich­zu­stel­len, mit ei­nem Blick die Ge­gen­wart und die Ver­gan­gen­heit über­schau­end. Ich aber sage Ih­nen die Wahr­heit, wie mich der Glau­be treibt: die­ses Zu­rück­schau­en ist Ver­mes­sen­heit und Sün­de: die­ses über­na­tür­li­che Ge­dächt­nis, wel­ches Sie sich bei­le­gen, ist Selbst­täu­schung. Sie neh­men einen trüg­li­chen, flüch­ti­gen Schein für Ge­wiss­heit, und Ihre Ein­bil­dungs­kraft be­trügt Sie. Ihr Dün­kel sie­delt sich in ei­ner Welt von Hirn­ge­spinns­ten an, da Sie sich selbst in der Ge­schich­te Ih­rer Vor­fah­ren die größ­ten Rol­len spie­len las­sen. Zit­tern Sie da­vor, das wirk­lich zu ver­mö­gen, was Sie zu ver­mö­gen glau­ben. Fürch­ten Sie, dass, um Sie zu stra­fen, die ewi­ge Weis­heit Ih­nen einen Au­gen­blick die Au­gen öff­ne, und Ih­nen in Ihrem frü­he­ren Da­sein Ver­ir­run­gen zei­ge, wel­che min­der glän­zend, Ge­gen­stän­de der Ge­wis­sens­angst, die min­der glor­reich sind als jene, de­ren Sie sich zu rüh­men wa­gen.

      Al­bert ver­nahm die­se Rede voll Furcht und in sich ge­kehrt, das Ge­sicht in den Hän­den, die Knie in die Erde ge­bohrt.

      – Rede, rede, himm­li­sche Stim­me, die ich höre und die ich nicht mehr ken­ne, seufz­te er mit er­stick­ten Lau­ten. Wenn du der En­gel vom Ber­ge bist, wenn du, wie ich glau­be, die himm­li­sche Er­schei­nung bist, die ich so oft auf dem Schre­cken­stei­ne sah, rede, ge­bie­te mei­nem Wil­len, mei­nem Be­wusst­sein, mei­ner Fan­ta­sie. Du weißt wohl, dass ich nach dem Lich­te rin­ge, und wenn ich mich in Fins­ter­nis­sen ver­lie­re, dass es von der An­stren­gung ist, die ich ma­che sie zu zer­streu­en, um zu dir hin­durch­zu­drin­gen.

      – Nur ein we­nig De­mut, Ver­trau­en, Un­ter­wer­fung un­ter die Ratschlüs­se der den Men­schen un­er­forsch­li­chen Weis­heit, sag­te Con­sue­lo, das ist für Sie der Weg der Wahr­heit, Al­bert! Ent­sa­gen Sie in Ihrem Her­zen, ent­sa­gen Sie mit Fes­tig­keit, und ein für alle Male dem Ge­lüs­te, sich jen­seits die­ses ver­gäng­li­chen Da­seins, wel­ches Ih­nen auf­er­legt ist, ein­zu­le­ben, und Sie wer­den wie­der an­ge­nehm vor Gott, den Men­schen nütz­lich und in Ihrem In­nern ru­hig wer­den. Stim­men Sie Ihr stol­zes Schau­en her­ab, und ohne den Glau­ben an die Uns­terb­lich­keit zu ver­lie­ren, ohne an der gött­li­chen Güte zu ver­zwei­feln, wel­che das Ver­gan­ge­ne ver­zeiht und die Zu­kunft in ihre Hut nimmt, schaf­fen Sie, dass Ihr Le­ben frucht­bar und mensch­lich wer­de, Ihr ge­gen­wär­ti­ges Le­ben, wel­ches Sie ge­ring­schät­zen, wäh­rend Sie es wert­hal­ten und sich ihm ganz mit al­ler Ih­rer Kraft, Ih­rer Ent­sa­gung und Ih­rer Men­schen­lie­be hin­ge­ben soll­ten. Jetzt, Al­bert, se­hen Sie mich an, schla­gen Sie frei die Au­gen auf. Ich bin nicht mehr Ihre Schwes­ter, nicht mehr Ihre Mut­ter. Ich bin eine Freun­din, die der Him­mel Ih­nen sen­det, die er auf wun­der­ba­ren We­gen her­ge­führt hat, um Sie dem Hoch­mut und dem Wahn­sinn zu ent­rei­ßen. Se­hen Sie mich an, und sa­gen Sie mir, auf Ihr Ge­wis­sen, wer ich bin und wie ich hei­ße.

      Al­bert hob zit­ternd und scheu den Kopf em­por und blick­te sie noch ein­mal an, aber nicht so ent­setzt und ver­wirrt als die ers­ten Male.

      – Sie rei­ßen mich über Ab­grün­de, sag­te er zu ihr, Sie be­schä­men mit ein­dring­li­chen Wor­ten mei­ne Ver­nunft, die ich, zu mei­nem Un­glück, der der an­de­ren über­le­gen wähn­te, Sie hei­ßen mich das ge­gen­wär­ti­ge Da­sein und das Men­schen­le­ben an­schau­en und be­grei­fen. Um das Ge­dächt­nis man­cher Pha­sen mei­nes Le­bens zu ver­lie­ren, muss ich furcht­ba­re Kri­sen über­ste­hen, und um das Be­wusst­sein ei­ner neu­en Pha­se zu ge­win­nen, muss ich An­stren­gun­gen ma­chen, mich im In­nern um­zu­wan­deln, die mir töd­lich sind. Wenn Sie es for­dern, Na­mens ei­ner Macht, die ich der mei­nen über­le­gen füh­le, dass ich mein Den­ken in das Ih­ri­ge gie­ße, ge­hor­chen muss ich: aber ich ken­ne die­ses fürch­ter­li­che Rin­gen und an sei­nem Zie­le ist der Tod. Ha­ben Sie Er­bar­men, Sie, die Sie einen mäch­ti­gen Zau­ber auf mich üben, hel­fen Sie mir, oder ich er­lie­ge. Sa­gen Sie mir, wer Sie sind, denn ich er­ken­ne Sie nicht. Ich er­in­ne­re mich nicht, Sie je ge­se­hen zu ha­ben: ich weiß nicht, ob Sie Mann oder Weib sind, Sie ste­hen vor mir wie eine rät­sel­haf­te Er­schei­nung, de­ren Ur­bild ich ver­ge­bens in mei­nen Erin­ne­run­gen su­che. Hel­fen Sie mir, denn ich füh­le mich ver­ge­hen.

      Bei die­sen Wor­ten wur­de Al­bert, des­sen Ge­sicht sich zu­vor fie­ber­haft ge­rötet hat­te, zum Er­schre­cken bleich. Er streck­te die Hän­de nach Con­sue­lo aus, ließ sie aber so­gleich wie­der fal­len, um sich auf die Erde zu stüt­zen, als ob er in un­be­zwing­li­cher Er­schöp­fung zu­sam­men­sän­ke.

      Con­sue­lo, wel­che all­mäh­lich in das ge­hei­me We­ben sei­ner Geis­tes­krank­heit ein­drang, fühl­te sich be­lebt und wie be­geis­tert von ei­ner neu­en Kraft und Klar­heit. Sie er­griff sei­ne Hän­de, zwang ihn auf­zu­ste­hen und führ­te ihn zu dem Sit­ze ne­ben dem Ti­sche. Er sank dar­auf nie­der, von un­er­hör­ter Mat­tig­keit be­fal­len und beug­te sich nach vorn, wie ei­ner Ohn­macht nahe.

      Das Rin­gen, von wel­chem er ge­sagt hat­te, war nur zu wirk­lich. Al­bert be­saß die Fä­hig­keit, sei­ne Be­sin­nung zu­sam­men­zu­fas­sen und die Fie­ber­fan­tasi­en, wel­che sein Ge­hirn durch­tob­ten, zu­rück­zu­drän­gen, aber er er­reich­te das nicht ohne An­stren­gun­gen und Lei­den, wel­che sei­nen Or­ga­nis­mus auf­rie­ben. Wenn die Ge­gen­wir­kung von selbst ein­trat, so ging er er­frischt und gleich­sam neu­ge­bo­ren dar­aus her­vor, aber wenn er sie durch eine Ge­walt­tat sei­nes noch mäch­ti­gen Wil­lens er­zwang, so er­lag sein Kör­per und die Starr­sucht be­mäch­tig­te sich al­ler sei­ner Glie­der. Con­sue­lo be­griff, was in ihm vor­ging.

      – Al­bert! sag­te sie zu ihm, ihre kal­te Hand auf sein bren­nen­des Haupt le­gend, ich ken­ne Sie, und das ist ge­nug. Ich neh­me An­teil an Ihrem Woh­le, und das soll auch Ih­nen für jetzt ge­nug sein. Ich ver­bie­te Ih­nen, ir­gend eine An­stren­gung zu ma­chen, um mich zu er­ken­nen und mit mir zu re­den. Hö­ren Sie nur mir zu, und wenn Ih­nen, was ich sage, dun­kel scheint, so war­ten Sie, dass ich mich er­klä­re und über­ei­len Sie sich nicht, den Sinn zu fas­sen. Ich ford­re nichts von Ih­nen als dass Sie sich lei­dend und still ver­hal­ten und al­les Nach­den­ken gänz­lich fah­ren las­sen.

      – O, wie wohl Sie mir tun! ant­wor­te­te Al­bert. Spre­chen Sie wei­ter, spre­chen Sie im­mer so zu mir. Sie hal­ten mei­ne See­le in Ih­rer Hand. Wer Sie auch sind, hal­ten Sie sie fest und las­sen Sie sie nicht ent­rin­nen, denn sie wür­de ge­gen die Pfor­ten der Ewig­keit ren­nen und zer­schel­len. Sa­gen Sie mir, wer Sie sind, sa­gen Sie ge­schwind, und wenn ich es nicht fas­se, so er­klä­ren Sie es mir, denn wi­der Wil­len su­che ich da­nach und rege mich auf.

      – Ich bin Con­sue­lo, ant­wor­te­te das jun­ge Mäd­chen, und das wis­sen Sie auch, denn un­will­kür­lich re­den Sie mit mir in ei­ner Spra­che, die nur ich al­lein in Ih­rer Um­ge­bung ver­ste­hen kann. Ich bin eine Freun­din, die Sie lan­ge Zeit er­war­tet ha­ben, und die Sie einst er­kann­ten, als sie sang. Seit je­nem Tage ha­ben Sie Ihre Fa­mi­lie ver­las­sen und ha­ben sich hier ver­bor­gen. Seit je­nem Tage habe ich Sie ge­sucht, und Sie ha­ben mich durch Zden­ko zu ver­schie­de­nen Ma­len ru­fen las­sen, aber Zden­ko, der Ihre Be­feh­le zum Teil aus­führ­te, hat mich nicht zu Ih­nen füh­ren wol­len. Ich bin aber den­noch her­ge­langt durch vie­le Ge­fah­ren …

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