George Sand

Gesammelte Werke


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zu be­geg­nen.

      Die Furcht, wel­che ihr Zden­ko er­regt hat­te, nahm im­mer mehr zu, je wei­ter sie sich von ihm ent­fern­te, und nach­dem sie sei­ner Rach­sucht mit ei­ner wun­der­ba­ren Geis­tes­ge­gen­wart die Stirn ge­bo­ten, zit­ter­te sie jetzt vor dem Ge­dan­ken dar­an. Sie floh vor ihm, ge­trau­te sich nicht den Mut zu, An­ge­sichts sei­ner das zu ver­su­chen, was ihn ihr hät­te ge­neigt ma­chen kön­nen, und eil­te nun, eine der Zau­ber­pfor­ten zu er­rei­chen, de­ren Schlüs­sel er ihr aus­ge­lie­fert hat­te, um zwi­schen sich und die Rück­kehr sei­nes Wahn­sinns eine Schran­ke zu stel­len.

      Aber konn­te sie nicht Al­bert, die­sen an­de­ren Tol­len, den sie sich hart­nä­ckig, ohne al­len Grund stets nur sanft und lenk­sam vor­ge­stellt hat­te, in ei­ner Stim­mung ganz der Zden­ko’s ähn­lich fin­den? Be­deck­te doch noch ein düs­te­rer Schlei­er die­ses gan­ze Aben­teu­er.

      Und Con­sue­lo, von dem ro­man­ti­schen Reiz, der sie hin­ein­ge­lockt hat­te, zur Be­sin­nung zu­rück­ge­kom­men, frag­te sich, ob sie nicht von al­len drei­en die tolls­te wäre, dass sie sich in die­sen Ab­grund von Ge­fah­ren und Ge­heim­nis­sen ge­stürzt hät­te, ohne ei­nes glück­li­chen Aus­gangs und ei­nes güns­ti­gen Er­folgs ge­wiss zu sein.

      In­des­sen schritt sie in ei­nem ge­räu­mi­gen und von den star­ken Hän­den mit­tel­al­ter­li­cher Män­ner be­wun­de­rungs­wür­dig aus­ge­haue­nen Gan­ge fort. Spitz­bo­gig, mit vie­ler Sorg­falt und in ei­nem kräf­ti­gen Sty­le ge­wölbt, durch­brach die­ser die Stein­mas­sen und fand sich, wo es lo­se­re Schich­ten gab, durch Kon­struk­tio­nen in Bruch­stei­nen ge­si­chert, de­ren Wöl­bung mit Kei­len von Gra­nit­blö­cken ge­schlos­sen war.

      Con­sue­lo ver­lor nicht ihre Zeit da­mit, die­ses ge­wal­ti­ge Werk an­zu­stau­nen, das dau­er­haft ge­nug schi­en, um noch man­chem Jahr­hun­dert zu trot­zen. Sie frag­te sich auch nicht, wie es mög­lich war, dass die jet­zi­gen Be­sit­zer des Schlos­ses von dem Da­sein ei­ner so wich­ti­gen An­la­ge nichts wuss­ten. Sie hät­te sich dies wohl er­klä­ren kön­nen, wenn sie dar­an dach­te, dass das Fa­mi­li­en­ar­chiv und alle Ur­kun­den des Schlos­ses schon vor mehr als hun­dert Jah­ren von den Je­sui­ten ver­nich­tet wor­den wa­ren; al­lein sie blick­te nicht um sich und sie dach­te an nichts als an ihre ei­ge­ne Si­cher­heit, zu­frie­den ge­nug, einen un­un­ter­bro­che­nen Bo­den, eine atem­ba­re Luft und einen frei­en Raum zu ih­rem Lau­fe zu fin­den.

      Sie hat­te noch eine, ziem­lich wei­te Stre­cke vor sich, un­ge­ach­tet die­ser ge­ra­de Weg zum Schre­cken­stein kür­zer war als der ge­wun­de­ne Berg­pfad über der Erde. Sie fand ihn sehr lang, und wuss­te nicht ein­mal, da sie ihre Rich­tung nicht mehr kann­te, ob sie nach dem Schre­cken­stein oder an einen weit ent­leg­ne­ren Ort ge­lan­gen wür­de.

      Nach­dem sie eine Vier­tel­stun­de ge­gan­gen war, fand sie, dass sich die Wöl­bung aber­mals hob und der kunst­mä­ßi­ge Bau auf­hör­te. In­des­sen wa­ren, die wei­ten Stein­brü­che, die ma­je­stä­ti­schen Grot­ten, durch wel­che sie nun kam, noch im­mer Men­schen­werk. Von Ve­ge­ta­ti­on be­deckt und der äu­ße­ren Luft durch un­zäh­li­ge Spal­ten und Klüf­te zu­gäng­lich, bo­ten sie ein min­der düs­te­res An­se­hen als die ge­wölb­ten Gän­ge dar. Hier gab es tau­send Ge­le­gen­hei­ten, sich zu ver­ste­cken und sich den Ver­fol­gun­gen ei­nes er­grimm­ten Fein­des zu ent­zie­hen. Aber ein Geräusch von rin­nen­dem Was­ser mach­te Con­sue­lo zit­tern, und wenn sie in ih­rer Lage zum Scher­zen auf­ge­legt ge­we­sen wäre, so hät­te sie sich sa­gen kön­nen, dass Baron Frie­de­rich nie bei sei­ner Rück­kehr von der Jagd mehr Ab­scheu vor dem Was­ser ge­habt ha­ben könn­te, als sie in die­sem Au­gen­bli­cke.

      Sie mach­te in­des­sen bald von ih­rem Nach­den­ken Ge­brauch. Seit sie je­nen Ab­grund, als sich eben die Flut hin­ein­warf, ver­las­sen hat­te, war sie im­mer nur auf­wärts ge­stie­gen. Wenn nicht dem Zden­ko ein Pump­werk von un­be­greif­li­cher Kraft und Rie­se­n­um­fang zu Ge­bo­te stand, so konn­te er sei­nen fürch­ter­li­chen Bun­des­ge­nos­sen, den Was­ser­strom, nicht bis zu ihr hin­auf­zwin­gen. Es war üb­ri­gens klar, dass sie das Ge­rin­ne der Quel­le, die Schleu­se oder die Quel­le selbst ir­gend­wo an­tref­fen muss­te, und wenn sie Muße ge­habt hät­te wei­ter zu über­le­gen, so wür­de sie sich ge­wun­dert ha­ben, die­sem heim­li­chen Was­ser, der Trä­nen­quel­le, wel­che den Brun­nen speis­te, auf je­nem Wege noch nicht be­geg­net zu sein.

      Die Quel­le nahm aber ih­ren Lauf im Bo­gen durch un­be­kann­te Adern des Ge­steins, und der un­ter­ir­di­sche ge­wölb­te Gang bil­de­te eine Seh­ne, wel­che die­sen Bo­gen nur an zwei Punk­ten durch­schnitt, ein­mal ganz in der Nähe der Cis­ter­ne und so­dann un­ter dem Schre­cken­stein, wo ihn auch Con­sue­lo end­lich wie­der an­traf. Die Schleu­se also lag weit hin­ter ihr, auf dem Wege, den Zden­ko al­lein zu­rück­ge­legt hat­te, und Con­sue­lo nä­her­te sich jetzt die­ser Quel­le, die seit Jahr­hun­der­ten kein Mensch ge­se­hen au­ßer Al­bert und Zden­ko. In kur­z­em be­fand sie sich ne­ben dem Was­ser­lauf, an wel­chem sie dies­mal furcht­los und ge­fahr­los hin­ging.

      Ein Fuß­steig von lo­cke­rem, fei­nem San­de lief an dem kla­ren, durch­sich­ti­gen Was­ser ent­lang, das mit fröh­li­chem Ge­mur­mel in ei­nem tief ge­nug aus­ge­höhlten Bet­te rann. Hier zeig­te sich wie­der die Ar­beit der Men­schen­hand. Der Fuß­steig war auf der Bö­schung ei­nes Ufers von lo­cke­rem, frucht­ba­rem Bo­den an­ge­legt, denn schö­ne Was­ser­pflan­zen, un­ge­heue­re Mau­er­ge­wäch­se, wil­des Brom­beer­ge­sträuch in Blü­te be­kränz­te an die­sem ge­schütz­ten Ort, der stren­gen Jah­res­zeit zum Trotz, den Bach mit ei­nem üp­pi­gen grü­nen Saum. Die äu­ße­re Luft drang durch eine Men­ge von Ris­sen und Spal­ten ein, wel­che hin­rei­chend wa­ren, dem Pflan­zen­wuchs das Le­ben zu fris­ten, ob­wohl zu eng, um dem neu­gie­ri­gen Blick, der von au­ßen sie ge­sucht hät­te, Ein­gang zu ver­stat­ten. Es war wie ein na­tür­li­ches Treib­haus, durch sei­ne Ge­wöl­be vor Frost und Schnee be­schützt und doch mit Luft durch tau­send un­be­merk­ba­re Züge hin­läng­lich ver­se­hen.

      Es schi­en als ob eine freund­lich sor­gen­de Hand die­se schö­nen Ge­wäch­se be­hü­tet und den Sand; wel­chen der Bach auf sei­nem Ufer ab­setz­te, von den Kie­seln, die den Fuß ver­letz­ten, ge­rei­nigt hät­te. Und so war es auch. Zden­ko hat­te Sor­ge ge­tra­gen, die Zu­gän­ge zu Al­ber­t’s Ver­steck be­quem und si­cher und an­ge­nehm zu ma­chen.

      Con­sue­lo be­gann den wohl­tä­ti­gen Ein­fluss zu füh­len, den eine min­der düs­te­re und schon poe­ti­sche Ge­stalt der äu­ße­ren Ge­gen­stän­de auf ihre von grau­sen Schreck­bil­dern er­schüt­ter­te See­le übte. Sie sah die blas­sen Strah­len des Mon­des hier und da durch die Fels­s­pal­ten her­ein­schlüp­fen und sich auf dem zit­tern­den Was­ser bre­chen, sie sah von der obe­ren Luft von Zeit zu Zeit die re­gungs­lo­sen Pflan­zen, die das Was­ser nicht er­reich­te, lei­se be­wegt, sie fühl­te sich von Schritt zu Schritt der Ober­flä­che der Erde nä­her, sie fühl­te sich neu­ge­bo­ren, und der Empfang, der ih­rer am Zie­le ih­res hel­den­mü­ti­gen Pil­ger­gan­ges harr­te, mal­te sich in ih­rem Geis­te nicht so schwarz mehr.

      End­lich sah sie den Fuß­steig schnell vom Ufer ab­len­ken, in eine kur­ze frisch ge­mau­er­te Stre­cke ein­bie­gen und vor ei­ner klei­nen Tür en­den: die­se schi­en von Me­tall zu sein, so kalt war sie an­zu­füh­len; ein star­ker Epheu­stock hat­te sie mit zier­li­chen Ran­ken