George Sand

Gesammelte Werke


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Und die­se la­tei­ni­schen Wor­te wa­ren mit ei­ner Tin­te un­ter­stri­chen, die noch frisch schi­en, denn sie hat­te ein we­nig an der ge­gen­über­ste­hen­den Sei­te fest­ge­klebt. Sie durch­blät­ter­te den gan­zen Band (es war eine be­rühm­te alte Bi­bel, die so­ge­nann­te Kra­li­cer)7 und fand kei­ne wei­te­re Hin­deu­tung, kei­ne Rand­be­mer­kung, kei­ne Zu­schrift. Aber die­ser ein­fa­che Schrei aus der Tie­fe, war er nicht be­zeich­nend, nicht be­redt ge­nug? Wel­cher Wi­der­spruch also zwi­schen Al­ber­t’s förm­li­chem und stä­tem Wun­sche und dem jüngs­ten Be­tra­gen Zden­ko’s?

      Con­sue­lo blieb end­lich bei die­ser An­nah­me ste­hen: krank und kraft­los viel­leicht wur­de Al­bert an dem tie­fen, ver­bor­ge­nen Ort, des­sen Lage sie un­ter dem Schre­cken­stein ver­mu­te­te, von Zden­ko’s wahn­sin­ni­ger Zärt­lich­keit zu­rück­ge­hal­ten; er war viel­leicht in der Ge­walt die­ses Tol­len, der ihm auf sei­ne Wei­se Lie­be er­wies, in­dem er ihn ge­fan­gen hielt, manch­mal sei­nem Ver­lan­gen, das Licht wie­der­zu­se­hen, nach­gab, sei­ne Bot­schaf­ten an Con­sue­lo aus­rich­te­te und sich dann plötz­lich aus ir­gend ei­ner un­er­klär­li­chen Furcht oder Gril­le dem Er­fol­ge sei­ner Schrit­te ent­ge­gen­stemm­te.

      – Wohl­an, sag­te sie zu sich, ich wer­de ge­hen, und müss­te ich erns­ten Ge­fah­ren die Stirn bie­ten; ich wer­de ge­hen, und müss­te ich mich in den Au­gen der To­ren und der Selbst­süch­ti­gen als ein un­be­son­ne­nes Ge­schöpf lä­cher­lich ma­chen; ich wer­de ge­hen, und müss­te ich die De­mü­ti­gung er­fah­ren, von dem, der mich ruft, mit Gleich­gül­tig­keit emp­fan­gen zu wer­den. De­mü­ti­gung? wie wäre es eine, wenn er wirk­lich selbst so toll ist wie der arme Zden­ko? Ich wür­de nur Ur­sa­che ha­ben, sie bei­de zu be­kla­gen, und ich wer­de mei­ne Pf­licht ge­tan ha­ben. Ich wer­de der Stim­me Got­tes ge­horcht ha­ben, die mich mahnt, und sei­ner Hand, die mich mit un­wi­der­steh­li­cher Ge­walt an­treibt.

      Der fie­ber­haf­te Zu­stand, in wel­chem sie sich alle die­se Tage be­fun­den und der seit ih­rem letz­ten un­glück­li­chen Zu­sam­men­tref­fen mit Zden­ko ei­ner pein­li­chen Ab­span­nung Raum ge­macht hat­te, stell­te sich geis­tig und kör­per­lich wie­der ein. Sie fand ihre gan­ze Kraft wie­der, und Ama­li­en so­wohl das Buch, als ihre Be­geis­te­rung und ihre Ab­sicht ver­ber­gend, wech­sel­te sie mit ihr hei­te­re Wor­te, ließ sie ein­schla­fen und mach­te sich dann nach der Trä­nen­quel­le auf, ver­se­hen mit ei­ner klei­nen Blend­la­ter­ne, wel­che sie sich an die­sem Mor­gen ver­schafft hat­te.

      Sie war­te­te ziem­lich lan­ge und wur­de durch die Käl­te ge­zwun­gen, mehr­mals in Al­ber­t’s Ka­bi­net ein­zu­tre­ten, um ihre er­starr­ten Glie­der in ei­ner mil­de­ren Luft zu be­le­ben. Sie wag­te einen Blick auf die­se ge­wal­ti­ge Mas­se Bü­cher zu wer­fen, wel­che nicht auf Bret­tern ge­reiht stan­den wie in ei­ner Biblio­thek, son­dern mit­ten im Zim­mer auf dem Fuß­bo­den wie aus ei­ner Art Ver­ach­tung und Wi­der­wil­len durch­ein­an­der ge­wor­fen la­gen. Auf gut Glück öff­ne­te sie ei­ni­ge. Sie wa­ren fast alle la­tei­nisch ge­schrie­ben, und Con­sue­lo konn­te höchs­tens mut­ma­ßen, dass es theo­lo­gi­sche Streit­schrif­ten wa­ren, wel­che die rö­mi­sche Kir­che aus­ge­hen las­sen oder ap­pro­biert hat­te.

      Sie woll­te die Ti­tel zu ent­rät­seln ver­su­chen, als sie end­lich das Was­ser des Brun­nens bro­deln hör­te. Sie lief hin, schloss ihre La­ter­ne, ver­steck­te sich hin­ter dem Ge­län­der und er­war­te­te Zden­ko’s An­kunft. Die­ses Mal hielt er sich we­der auf dem Par­kett noch in Al­ber­t’s Zim­mer auf, son­dern ging, wie Con­sue­lo spä­ter er­fuhr, nach des Gra­fen Chris­ti­an Schlaf­zim­mer und Ka­pel­le, um an den Tü­ren zu hor­chen und zu se­hen, ob der Greis in sei­nem Schmer­ze be­te­te oder ob er ru­hig schlie­fe. Dies war eine Be­mü­hung, die er sich oft aus ei­ge­nem An­trie­be mach­te, ohne dass es Al­bert in den Sinn ge­kom­men war, sie ihm auf­zu­er­le­gen, wie man wei­ter­hin se­hen wird.

      Con­sue­lo war nicht mehr zwei­fel­haft, was sie zu tun hät­te; ihr Ent­schluss war ge­fasst. Sie moch­te sich der Ver­nunft und dem gu­ten Wil­len Zden­ko’s nicht mehr an­ver­trau­en und woll­te al­lein und un­be­schützt bis zu Dem drin­gen, den sie für ge­fan­gen hielt.

      Es gab ohne Zwei­fel nur einen ein­zi­gen Weg, um aus der Cis­ter­ne des Schlos­ses zu der des Schre­cken­stein zu ge­lan­gen. Wenn die­ser Weg schwie­rig oder ge­fähr­lich war, so muss­te er we­nigs­tens gang­bar sein, da Zden­ko ihn jede Nacht zu­rück­leg­te. Be­son­ders muss­te er es mit Licht sein, und Con­sue­lo hat­te sich für den Not­fall mit ei­ner Ker­ze, ei­nem Stahl, Schwamm und Stein ver­se­hen.

      Was es ihr zur Ge­wiss­heit mach­te, auf dem un­ter­ir­di­schen Wege zum Schre­cken­stein ge­lan­gen zu kön­nen, war eine alte Ge­schich­te, wel­che sie von dem Stifts­fräu­lein ge­hört hat­te, eine Be­la­ge­rung be­tref­fend, die in den Zei­ten der Deutsch­herrn die­ses Schloss aus­zu­hal­ten ge­habt hat­te. Die Rit­ter, sag­te Wences­la­wa, hat­ten in ih­rem Re­fek­to­ri­um eine Cis­ter­ne, wel­che stets Was­ser von ei­nem be­nach­bar­ten Ber­ge er­hielt; und wenn sie Spio­ne aus­schi­cken woll­ten, um den Feind zu be­ob­ach­ten, so leg­ten sie die Cis­ter­ne tro­cken, und man ging durch die un­ter­ir­di­sche Lei­tung nach ei­nem Dor­fe, wel­ches ih­nen un­ter­tä­nig war.

      Con­sue­lo er­in­ner­te sich fer­ner, dass, der Sage des Lan­des zu Fol­ge, das Dorf, von des­sen Ein­äsche­rung der Hü­gel, wor­auf es lag, den Na­men Schre­cken­stein hat­te, von der Rie­sen­burg ab­hän­gig war und mit ihr in Be­la­ge­rungs­zei­ten in Ver­bin­dung stand. Es war also ganz fol­ge­rich­tig, wenn sie die­se Ver­bin­dung und den Aus­gang auf den Schre­cken­stein zu su­chen ge­dach­te.

      Sie be­nutz­te die Ent­fer­nung Zden­ko’s, um in den Brun­nen hin­ab­zu­stei­gen. Zu­vor warf sie sich auf ihre Knie, emp­fahl ihre See­le Gott, mach­te naiv ein großes Kreuz, ganz wie sie auch in der Cou­lis­se des S. Sa­mu­el-Thea­ters ge­tan hat­te, be­vor sie zum ers­ten Male auf die Büh­ne hin­austrat; hier­auf stieg sie kühn die steil­ge­wun­de­ne Stie­ge hin­ab, die Stütz­punk­te an der Mau­er su­chend, nach de­nen sie Zden­ko hat­te grei­fen se­hen, und nicht un­ter­wärts bli­ckend, aus Furcht, schwind­lig zu wer­den. Sie ge­lang­te ohne Un­fall zu der ei­ser­nen Ket­te, und als sie die­se er­grif­fen hat­te, fühl­te sie sich ru­hi­ger und hat­te ge­nug kal­tes Blut, um in die Tie­fe hin­un­ter zu schau­en. Es war noch Was­ser da, und die­se Ent­de­ckung er­reg­te ihr einen au­gen­blick­li­chen Schau­der. Aber die Über­le­gung kehr­te ihr so­gleich zu­rück. Der Brun­nen konn­te sehr tief sein, aber die Öff­nung, durch wel­che Zden­ko ge­kom­men war, muss­te sich in ei­ner ver­hält­nis­mä­ßig ge­rin­gen Ent­fer­nung un­ter dem Bo­den be­fin­den.

      Sie war schon fünf­zig Stu­fen hin­un­ter­ge­stie­gen mit je­ner Ge­wandt­heit und Be­hän­dig­keit, wel­che in den Sa­lons er­zo­ge­ne jun­ge Mäd­chen nicht ha­ben, Kin­der aus dem Vol­ke je­doch bei ih­ren Spie­len ge­win­nen und da­von für ihr gan­zes Le­ben die zu­ver­sicht­li­che Dreis­tig­keit be­hal­ten. Wirk­li­che Ge­fahr war nur, auf den feuch­ten Stu­fen aus­zuglei­ten. Con­sue­lo hat­te aber um­her­su­chend in ei­nem Win­kel einen al­ten breit­kräm­pi­gen Hut ge­fun­den, den Baron Frie­de­rich lan­ge auf der Jagd ge­tra­gen hat­te. Die­sen hat­te sie zer­schnit­ten und sich Soh­len dar­aus ge­macht, wel­che sie mit Bän­dern wie Co­thur­ne un­ter ih­ren Schu­hen be­fes­tig­te. Sie hat­te an Zden­ko’s