hatte Consuelo seinen Namen zehn Mal auf den Lippen, um ihn zurückzurufen. Sie wollte sich eben durch einen heroischen Entschluss dazu ermannen, als ihr plötzlich einfiel, dass die Überraschung dem Unglücklichen auf dieser schwierigen und gefährlichen Stiege ein Straucheln, einen Schwindel, der hier tödlich wäre, verursachen könnte. Sie unterließ es daher und versprach sich, am nächsten Tage, zur gelegenen Zeit, mutiger zu sein.
Sie erwartete noch die Wiederkehr des Wassers und dieses Mal hatte das Phänomen einen geschwinderen Verlauf. Kaum war eine Viertelstunde vergangen, seit sie Zdenko nicht mehr hörte und keinen Lichtschein mehr sah, als sich ein dumpfes Geräusch, dem fernen Rollen des Donners ähnlich, vernehmen ließ, und das Wasser mit Heftigkeit emporschoss, brodelnd aufstieg und mit wirbelnder Wut die Wände seines Kerkers peitschte. Dieses rasche Hervorbrechen des Wassers hatte etwas so Erschreckendes, dass Consuelo für den armen Zdenko zitterte und sich fragte, ob er nicht, mit solchen Gefahren spielend und so mit den Kräften der Natur schaltend, leicht eine Beute des wütenden Elementes werden könnte und ertränkt und zerschmettert auf der Oberfläche des Wassers mit den schlammigen Pflanzen, die sie heraufgespült sah, wieder erscheinen würde.
Indessen musste das Mittel sehr einfach sein: es konnte nur darauf ankommen, eine Schleuse niederzulassen und aufzuziehen, vielleicht herkommend einen Stein zu legen, und zurückgehend wieder wegzunehmen. Aber konnte sich dieser Mensch, der immer zerstreut und in seine wunderlichen Fantasien verloren war, nicht einmal irren und den Stein zu früh entfernen? Kam er denn wohl durch den nämlichen Kanal, welcher dem Wasser der Quelle zum Durchgang diente? Wie dem sei, ich muss hindurch, mit ihm oder ohne ihn, sagte sich Consuelo, und das spätestens in der nächsten Nacht, denn es ist da unten eine Seele in Leid und Müh, die meiner harrt und wartensmüde ist. Dies ist nicht zufällig gesungen worden, und es ist nicht ohne Absicht geschehen, dass Zdenko, der das Deutsche hasst und nur mit Mühe spricht, sich heute in dieser Sprache ausgedrückt hat.
Sie ging endlich zu Bett, aber sie verbrachte den Rest der Nacht unter schweren, beängstigenden Träumen. Das Fieber machte Fortschritte. Sie bemerkte es nicht, so sehr fühlte sie sich noch voll Kraft und Entschlossenheit; aber jeden Augenblick fuhr sie aus dem Schlummer auf, dünkte sich noch auf den Stufen der furchtbaren Brunnenstiege, und als könnte sie nicht wieder hinaufgelangen, während das Wasser sich unter ihr mit Gebrüll und Sturmeseile hob.
Sie war am anderen Morgen so verwandelt, dass jedermann die Verstörung ihrer Züge bemerkte. Der Kaplan hatte sich nicht enthalten können, gegen das Stiftsfräulein im Vertrauen zu äußern, dass ihm »diese angenehme und dienstfertige Person« etwas kopfverwirrt schiene, und die gute Wenceslawa, die in ihrem Kreise nicht gewohnt war, so viel Mut und Aufopferung zu sehen, fing zu glauben an, dass die Porporina wenigstens ein sehr exaltiertes junges Frauenzimmer von großer Reizbarkeit der Nerven sei. Sie verließ sich zu sehr auf ihre guten eisenbeschlagenen Türen und auf ihre treuen, stets an ihrem Gürtel klirrenden Schlüssel, um an Zdenko’s Erscheinen und Verschwinden in der vorletzten Nacht lange zu glauben. Sie redete daher der Consuelo freundlich und teilnehmend zu, beschwor sie, sich die Leiden der Familie nicht dergestalt zu Herzen zu nehmen, dass es ihrer Gesundheit schaden könnte, und gab sich Mühe, ihr auf die baldige Rückkehr Albert’s Hoffnungen zu machen, welche sie selbst im Stillen schon zu verlieren anfing.
Aber sie wurde von Furcht und Hoffnung zugleich bewegt, als Consuelo ihr mit einem von Zufriedenheit leuchtenden Blicke und mit einem milden stolzen Lächeln zur Antwort gab:
– Sie haben sehr Recht zu vertrauen und mit Zuversicht zu hoffen, teure Frau! Graf Albert lebt und befindet sich, hoffe ich, nicht zu schlecht, denn er kümmert sich noch von dem Schoße seines Zufluchtsortes aus um seine Bücher und um seine Blumen. Ich weiß es gewiss, und könnte Ihnen die Beweise liefern.
– Was meinen Sie damit, liebes Kind? rief das Stiftsfräulein, durch Consuelo’s zuversichtliche Miene besiegt; was haben Sie erfahren? was haben Sie entdeckt? Reden Sie, um Gottes willen! geben Sie einer trostlosen Familie das Leben wieder!
– Sagen Sie dem Grafen Christian, sein Sohn lebt und ist nicht fern von hier. Dies ist so wahr, als ich Sie liebe und Sie hochachte.
Das Stiftsfräulein stand auf, um zu ihrem Bruder zu eilen, der noch nicht in den Saal heruntergekommen war. Aber ein Blick und ein Seufzer des Kaplans hielten sie zurück.
– Regen wir in meinem armen Christian nicht leichtsinnigerweise eine solche Freude auf! sagte sie, nun auch seufzend. Wenn vielleicht Ihre süßen Verheißungen bald zu Schanden würden, ach, mein liebes Kind, dann hätten wir diesem unglücklichen Vater den Todesstoß gegeben.
– Sie misstrauen also meinem Worte? sagte Consuelo erstaunt.
– Gott bewahre mich, edelmütige Nina! aber Sie können sich selbst täuschen! Mein Gott! wie oft ist das uns begegnet! Sie sagen, dass Sie Beweise haben, meine liebe Tochter; können Sie sie uns nicht namhaft machen?
– Ich kann nicht … wenigstens scheint mir, dass ich es nicht darf, sagte Consuelo ein wenig verlegen. Ich habe ein Geheimnis entdeckt, worauf Graf Albert gewiss eine große Wichtigkeit legt, und ich glaube, es nicht ohne seine Bewilligung verraten zu dürfen.
– Ohne seine Bewilligung! rief das Stiftsfräulein, indem sie den Kaplan unschlüssig ansah. Sollte sie ihn gesehen haben?
Der Kaplan zuckte unmerklich mit den Achseln, ohne zu empfinden, welchen Schmerz er durch seine Ungläubigkeit dem armen Stiftsfräulein verursachte.
– Ich habe ihn nicht gesehen, entgegnete Consuelo, aber ich werde ihn bald sehen und Sie auch, hoffe ich. Ich bin daher besorgt, seine Rückkehr vielleicht zu verzögern, wenn ich unbehutsamer Weise gegen seinen Willen handelte.
– Möge die himmlische Wahrheit in deinem Herzen wohnen, herrliches Geschöpf, und durch deinen Mund reden! sagte Wenceslawa, sie mit besorgten und sehnsüchtigen Blicken betrachtend. Behalte dein Geheimnis, wenn du eines hast, und gib uns Albert wieder, wenn du die Macht besitzest. Ich weiß nur, wenn das geschähe, so würde ich deine Füße küssen, wie jetzt deine arme Stirn … die so brennt und so feucht ist, fügte sie, nachdem sie die schöne, glühende Stirn des Mädchens mit ihren Lippen berührt hatte, zu dem Kaplan gewendet mit bewegter Miene hinzu.
Wenn sie närrisch ist, sagte sie zu dem letzteren, sobald sie ohne Zeugen waren, ein Engel von Güte ist sie immer, und sie scheint mit unseren Leiden mehr beschäftigt als wir selbst. Ach, Vater! es ruht ein Fluch auf diesem Hause.