George Sand

Gesammelte Werke


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um die­se Sa­che noch kei­ne schlaflo­se Nacht ge­macht habe.

      – O, das glau­be ich, ver­setz­te Con­sue­lo un­ge­dul­dig.

      Der Ka­plan zuck­te die Ach­seln und er­hob sich schwer­fäl­lig von sei­nem Sit­ze, um die­sem For­schungs­ei­fer zu ent­rin­nen.

      – Nun wohl! dach­te Con­sue­lo, da nie­mand hier eine Stund sei­nes Schlafs op­fern will, um eine so wich­ti­ge Sa­che zu er­grün­den, so will ich mei­ne gan­ze Nacht, wenn es sein muss, dar­an set­zen. Und da es noch nicht Zeit zum Schla­fen­ge­hen war, so nahm sie ih­ren Man­tel um und mach­te einen Gang durch den Gar­ten.

      Die Nacht war kalt und stern­hell; ihre Ne­bel hat­ten sich zer­streut vor dem em­por­stei­gen­den Voll­mond. Die Ster­ne erb­lass­ten bei sei­nem Na­hen, die Luft war tro­cken und klin­gend. Con­sue­lo, die von der Er­mü­dung, von der Schlaf­lo­sig­keit und von der edel­mü­ti­gen, doch viel­leicht ein we­nig krank­haf­ten An­span­nung ih­res Geis­tes auf­ge­regt, nicht er­mat­tet war, fühl­te eine leich­te Fie­ber­hit­ze, die die Fri­sche der Nacht nicht zu dämp­fen ver­moch­te. Es war ihr als stün­de sie am Zie­le ih­res Un­ter­neh­mens. Ein ro­man­ti­sches Vor­ge­fühl, das sie sich als Ge­heiß und Auf­mun­te­rung vom Him­mel aus­leg­te, ließ ihr kei­ne Rast und Ruh.

      Sie setz­te sich auf einen mit Ler­chen­bäu­men um­pflanz­ten Ra­sen­hü­gel und fing an auf den schwa­chen, kla­gen­den Ton des Stroms, der un­ten durch das Tal rann, zu hor­chen. Da schi­en es ihr, als ob noch eine lieb­li­che­re und klin­gen­de­re Stim­me sich in das Ge­mur­mel des Was­sers misch­te und sich all­mäh­lich bis zu ihr er­hob. Sie streck­te sich auf den Ra­sen nie­der, um nä­her dem Bo­den deut­li­cher die­se Lau­te, die der Wind je­den Au­gen­blick hin­weg­trug, zu ver­neh­men. Nun­mehr un­ter­schied sie Zden­ko’s Stim­me. Er sang deutsch und sie er­hasch­te fol­gen­de Wor­te, die er, so gut es gehn woll­te, ei­ner böh­mi­schen Me­lo­die von je­nem, ihr nun schon be­kann­ten ein­fa­chen und schwer­mü­ti­gen Cha­rak­ter an­pass­te:

       Un­ten, da un­ten in Leid und Müh eine See­le harrt an Er­lö­sung;

       Die Er­lö­sung, die ver­heiß­ne, den ver­heiß­nen Trost.

       Die Er­lö­sung scheint ge­bun­den, und der Trost scheint un­er­bitt­lich

       Un­ten, da un­ten in Leid und Müh ist eine See­le war­tens­mü­de.

      Als der Ge­sang schwieg, stand Con­sue­lo auf, such­te Zden­ko mit den Au­gen drau­ßen im Frei­en, durch­lief nach ihm den gan­zen Park und den gan­zen Gar­ten, rief ihn an ver­schie­de­nen Or­ten und kam ins Haus zu­rück, ohne ihn ge­fun­den zu ha­ben.

      Eine Stun­de spä­ter, nach ei­nem lan­gen, in Ge­mein­schaft laut ge­spro­che­nen Ge­be­te für den Gra­fen Al­bert, wor­an man die gan­ze Die­ner­schaft Teil neh­men ließ, war al­les zu Bett ge­gan­gen und Con­sue­lo hat­te ih­ren Platz bei der Trä­nen­quel­le ge­nom­men. Sie saß auf der Ein­fas­sung des Brun­nens un­ter dem dich­ten Moo­se, das da von Na­tur wuchs, und den Schwert­li­li­en, die Al­bert ge­pflanzt hat­te, sie blick­te un­ver­wandt auf das stil­le Was­ser, in wel­chem sich der Mond, der sei­nen höchs­ten Stand eben er­reicht hat­te, klar ab­spie­gel­te.

      Eine Stun­de hat­te sie schon so ge­war­tet und das mu­ti­ge Kind fühl­te, von der Mü­dig­keit be­zwun­gen, sei­ne Au­gen­li­der schwer wer­den, als ein leich­tes Geräusch auf der Ober­flä­che des Was­sers sie mun­ter mach­te. Sie öff­ne­te die Au­gen und sah das Bild des Mon­des sich be­we­gen, sich bre­chen und sich in flim­mern­den Zir­keln auf dem Was­ser­spie­gel aus­brei­ten. Zu­gleich ließ sich ein Spru­deln und ein dump­fes Geräusch wahr­neh­men, erst kaum merk­lich, bald aber un­ge­stüm; sie sah das Was­ser wir­belnd wie in ei­nem Trich­ter fal­len und in we­ni­ger als ei­ner Vier­tel­stun­de in der Tie­fe des Sch­lun­des ver­schwin­den.

      Sie war so kühn, meh­re Stu­fen hin­ab­zu­stei­gen. Die Trep­pe, die nur dazu an­ge­bracht schi­en, dass man bei dem ver­schie­de­nen Stand des Was­sers je­des Mal bis zu sei­nem Spie­gel ge­lan­gen könn­te, lief schne­cken­för­mig aus dem Gra­nit des Fel­sens ge­hau­en hin­ab. Die schlam­mi­gen, schlüpf­ri­gen Stu­fen lie­ßen kei­nen fes­ten Tritt zu und ver­lo­ren sich in ei­ner schau­er­li­chen Tie­fe. Die Dun­kel­heit, ein Über­rest von Was­ser, der noch un­ten in dem un­er­mess­li­chen Sch­lun­de klatsch­te, die Un­mög­lich­keit, ihre zar­ten Füße auf dem zä­hen Schlam­me fest­zu­hal­ten, setz­ten dem un­sin­ni­gen Ver­su­che Con­sue­lo’s eine Gren­ze; sie stieg rück­wärts mit vie­ler Mühe wie­der hin­auf und setz­te sich zit­ternd und be­tre­ten auf die obers­te Stu­fe.

      Das Was­ser schi­en in­zwi­schen im­mer tiefer in das Herz der Erde zu ent­wei­chen. Das Geräusch wur­de im­mer dump­fer, bis es gänz­lich auf­hör­te und Con­sue­lo be­dach­te, ob sie ge­hen und Licht ho­len soll­te, umso weit, als es von oben mög­lich war, das In­ne­re der Cis­ter­ne zu un­ter­su­chen. Aber sie fürch­te­te als­dann die An­kunft des­sen, den sie er­war­te­te, zu ver­feh­len und harr­te in Ge­duld fast noch eine Stun­de un­be­weg­lich an ih­rer Stel­le.

      End­lich glaub­te sie ein schwa­ches Licht in der Tie­fe des Brun­nens zu be­mer­ken und sich in der höchs­ten Span­nung über­beu­gend sah sie den zit­tern­den Schein all­mäh­lich hö­her stei­gen. Bald war kein Zwei­fel mehr, Zden­ko kam die Schne­cken­stie­ge her­auf, sich an ei­ner ei­ser­nen Ket­te fort­hel­fend, die an den Stein­wän­den be­fes­tigt war. Das Geräusch, das sei­ne Hand ver­ur­sach­te, in­dem sie die­se Ket­te an­zog und von Stre­cke zu Stre­cke wie­der fal­len ließ, ver­riet das Da­sein die­ser Art Ge­län­der; es hör­te aber in ei­ner ge­wis­sen Höhe auf, da­her es Con­sue­lo we­der hat­te be­mer­ken noch ver­mu­ten kön­nen.

      Zden­ko trug eine La­ter­ne, die er an einen dazu be­stimm­ten und un­ge­fähr zwan­zig Fuß un­ter­halb des Bo­dens in den Fel­sen ein­ge­kit­te­ten Ha­ken häng­te; hier­auf stieg er be­händ und schnell den Rest der Trep­pe hin­auf, ohne Ket­te oder sonst eine wahr­nehm­ba­re Un­ter­stüt­zung. In­des­sen be­merk­te Con­sue­lo, die mit der größ­ten Auf­merk­sam­keit be­ob­ach­te­te, dass er sich an den Spit­zen ei­ni­ger Mau­er­pflan­zen hin­auf­half, die wohl kräf­ti­ger als die üb­ri­gen sein moch­ten, oder viel­leicht auch an ei­ni­gen aus der Wand her­vor­ra­gen­den Ha­ken, die er mit der Hand zu tref­fen wuss­te.

      Als er so hoch kam, um Con­sue­lo se­hen zu kön­nen, ver­steck­te sie sich hin­ter der kreis­för­mi­gen stei­ner­nen Ba­lus­tra­de, wel­che die Mün­dung des Brun­nens um­schloss und sich nur da, wo die Trep­pe hin­ab­ging, öff­ne­te.

      Zden­ko trat her­aus und fing an, lang­sam auf dem Par­terre mit vie­ler Sorg­falt und, wie es schi­en, mit Aus­wahl, einen großen Blu­men­strauß zu pflücken. Dann ging er in Al­ber­t’s Ka­bi­net, und Con­sue­lo sah durch die Glas­schei­ben der Tür, wie er lan­ge un­ter den Bü­chern wühl­te und ei­nes such­te, das er end­lich ge­fun­den zu ha­ben schi­en; denn er kam la­chend zur Cis­ter­ne zu­rück, und mit sich selbst in dem Tone großer Zufrie­den­heit, aber mit lei­ser, kaum er­hasch­ba­rer Stim­me re­dend: so ge­teilt schi­en er zwi­schen dem Be­dürf­nis, für sich hin zu schwat­zen, sei­ner Ge­wohn­heit nach, und der Furcht, die Be­woh­ner des Schlos­ses zu we­cken.

      Con­sue­lo hat­te sich noch nicht ge­fragt, ob sie ihn an­re­den soll­te, ob sie ihn bit­ten soll­te, sie zu Al­bert zu füh­ren; und, um es zu ge­ste­hen, in die­sem Au­gen­blick, über­rascht