der Berg trug keine wilden Rosen und es war auch nicht die Jahreszeit dazu. Es gab noch keine außer in dem Treibhause des Schlosses. Dieses schwache Anzeichen gab ihr den Trost, dass sie nicht so ganz einen Fehlgang, wie es zuerst schien, getan hatte und machte es ihr mehr und mehr zur Gewissheit, dass der Schreckenstein der Ort sei, wo man hoffen durfte, Albert zu finden.
Aber in welcher Höhle dieses undurchdringlichen Berges mochte er versteckt sein? Er war also wohl nicht jederzeit dort, oder er lag eben jetzt in einem Zustand völliger Bewusstlosigkeit, oder auch Consuelo hatte sich betrogen, indem sie ihrer Stimme einige Gewalt über ihn zutraute, und jenes Entzücken, welches er ihr gezeigt hatte, war nur eine Anwandlung von Wahnsinn, und keine Spur davon in seiner Erinnerung zurückgeblieben. Er sah sie vielleicht, er hörte sie vielleicht jetzt und spottete ihrer Anstrengungen und sah ihr fruchtloses Sichantragen mit Verachtung an.
Bei diesem letzten Gedanken fühlte Consuelo eine brennende Röte auf ihre Wangen steigen und verließ eilig den Schreckenstein, fest entschlossen, nicht wieder dahin zurückzukehren. Jedoch ließ sie ein Körbchen mit Früchten zurück, welches sie mitgebracht hatte.
Am anderen Tage fand sie das Körbchen an derselben Stelle, und unberührt. Die Blätter, welche sie über die Früchte gedeckt hatte, waren nicht einmal von neugieriger Hand verschoben. Ihre Gabe war verschmäht, oder es war weder Albert noch Zdenko an den Ort gekommen, und doch hatte wieder der rote Schein eines Kienfeuers die ganze Nacht auf dem Gipfel des Berges geglänzt.
Consuelo hatte bis an den Morgen gewacht und die Erscheinung beobachtet; sie hatte mehrmals die Helle sinken und sich wieder heben sehen, wie bei einem wohlbesorgten Feuer. Niemand hatte Zigeuner in der Gegend bemerkt. Kein Fremder hatte sich auf den Fußsteigen des Waldes blicken lassen, und alle Bauern, die Consuelo über das Phänomen des Schreckensteins befragte, antworteten ihr, es sei nicht gut, sich auf dergleichen einzulassen, man müsse sich mit den Dingen der jenseitigen Welt nichts zu schaffen machen.
Indessen war es schon der neunte Tag seit Albert’s Verschwinden. Er war noch nie so lange ausgeblieben. Und diese Dauer seiner Abwesenheit in Verbindung mit den trüben Prophezeihungen, die sein dreißigstes Jahr betrafen, war nicht geeignet, die Hoffnung der Seinigen zu beleben. Man fing endlich an, unruhig zu werden; Graf Christian stieß jeden Augenblick die kläglichsten Seufzer aus, der Freiherr ging auf die Jagd und dachte nicht ans Schießen, der Kaplan stellte außerordentliche Andachtsübungen an, Amalie getraute sich nicht mehr zu schwatzen, und das Stiftsfräulein, bleich und matt, von ihren häuslichen Geschäften abgezogen, ihrer Stickerei vergessend, drehte von früh bis spät ihren Rosenkranz, unterhielt kleine Wachskerzen vor dem Madonnenbilde und schien um einen Fuß tiefer zusammengekrümmt als sonst.
Consuelo nahm sich den Mut, eine große, sorgsame Durchforschung des Schreckensteins in Vorschlag zu bringen, bekannte die Nachsuchungen, welche sie schon unternommen hatte, und vertraute dem Stiftsfräulein insbesondere den Umstand mit dem Rosenblatte und die Mühe, die sie sich gegeben hatte, den schimmernden Gipfel des Berges die ganze Nacht hindurch zu beobachten.
Die Anstalten aber, welche Wenceslawa zu dieser Nachforschung treffen wollte, machten Consuelo ihre Offenherzigkeit bald leid. Das Stiftsfräulein wollte, dass man sich Zdenko’s bemächtigen sollte, man sollte ihn durch Drohungen einschüchtern, zwanzig Leute sollten mit Fackeln und mit Flinten bewaffnet nach dem Berge gehen, und der Kaplan sollte auf dem Gipfel seine furchtbarsten Bannformeln aussprechen, während der Freiherr mit Hans und den Kühnsten seiner Begleiter den Berg die Nacht über förmlich blokierte.
Albert eine Überraschung dieser Art zu bereiten, war natürlich das beste Mittel, ihn völlig verrückt und vielleicht rasend zu machen, und mit vielen Vorstellungen und Bitten erlangte Consuelo endlich so viel, dass Wenceslawa ihr versprach, nichts ohne ihren Rat zu unternehmen.
Ihr eigener Vorschlag war dieser: man sollte in der nächsten Nacht das Tor öffnen, dann wollte sie mit dem Stiftsfräulein hinausgehen, von Hans und dem Kaplan in einiger Entfernung begleitet, um das Feuer auf dem Schreckenstein in der Nähe zu untersuchen. Aber ein solcher Plan war auf andere Kräfte berechnet, als die des Fräuleins. Sie hielt sich überzeugt, dass wenigstens der Hexensabbat auf dem Schreckenstein gefeiert würde, und alles, was Consuelo erlangen konnte, war, dass das Tor in der Nacht geöffnet werden sollte, um sie und den Freiherrn nebst einigen anderen unbewaffneten Leuten, die sich dazu willig finden würden, in aller Stille hinauszulassen.
Man kam überein, dem Grafen Christian nichts von diesem Versuche zu sagen, denn er würde sich sonst gewiss nicht haben abhalten lassen, persönlich Teil zu nehmen, ungeachtet sein hohes Alter und seine geschwächte Gesundheit ihn zu einer solchen Expedition in der kalten, ungesunden Nacht nicht eigneten.
Alles wurde so ausgeführt, wie es Consuelo gewünscht hatte. Der Freiherr, der Kaplan und Hans begleiteten sie. Sie ging allein, ihrer Eskorte hundert Schritte voraus, und erstieg den Schreckenstein mit einem Mute Bradamantens5 würdig. Aber je näher sie kam, desto mehr nahm der Schein ab, der ihr aus den Spalten des Berggipfels hervorzuleuchten schien, und als sie oben war, lag alles in tiefer Finsternis. Totenstille und das Grausen der Einsamkeit herrschten überall. Sie rief Zdenko, Ajax und selbst Albert, obwohl mit Zittern. Alles blieb stumm und nur das Echo gab ihr der Schall ihrer unsicheren Stimme zurück.
Entmutigt kehrte sie zu ihren Begleitern zurück. Diese rühmten ihren Mut und wagten es, nach ihr, nochmals den Ort zu untersuchen, den sie eben verlassen hatte, jedoch ohne Erfolg; schweigend kehrten alle zum Schlosse zurück und fanden Wenceslawa am Tore wartend, der, als sie den Bericht vernommen, ihre letzte Hoffnung schwand.
9.
Nachdem Consuelo die Danksagungen und den Kuss, den die gute Wenceslawa ganz betrübt ihr auf die Stirn gab, empfangen hatte, ging sie behutsam, um Amalie nicht zu wecken, vor der man das Unternehmen geheim gehalten, nach ihrem Zimmer. Sie wohnte im ersten Stock, während das Zimmer des Stiftsfräuleins zu ebener Erde war. Im Hinaufsteigen aber ließ sie ihren Leuchter fallen, und das Licht erlosch, ehe sie es wieder ergreifen konnte. Sie glaubte auch im Dunkeln ihren Weg zu finden, umso mehr, als der Tag zu grauen begann; Allein, war es nun eine sonderbare Zerstreuung; oder war ihr Mut ihr, nach einer für ihr Geschlecht übergroßen Anstrengung, plötzlich entschwunden, sie verwirrte sich dergestalt, dass sie dem Geschoss, in welchem sie wohnte, vorbeiging und in das obere Stockwerk gelangte,