George Sand

Gesammelte Werke


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der Berg trug kei­ne wil­den Ro­sen und es war auch nicht die Jah­res­zeit dazu. Es gab noch kei­ne au­ßer in dem Treib­hau­se des Schlos­ses. Die­ses schwa­che An­zei­chen gab ihr den Trost, dass sie nicht so ganz einen Fehl­gang, wie es zu­erst schi­en, ge­tan hat­te und mach­te es ihr mehr und mehr zur Ge­wiss­heit, dass der Schre­cken­stein der Ort sei, wo man hof­fen durf­te, Al­bert zu fin­den.

      Aber in wel­cher Höh­le die­ses un­durch­dring­li­chen Ber­ges moch­te er ver­steckt sein? Er war also wohl nicht je­der­zeit dort, oder er lag eben jetzt in ei­nem Zu­stand völ­li­ger Be­wusst­lo­sig­keit, oder auch Con­sue­lo hat­te sich be­tro­gen, in­dem sie ih­rer Stim­me ei­ni­ge Ge­walt über ihn zu­trau­te, und je­nes Ent­zücken, wel­ches er ihr ge­zeigt hat­te, war nur eine An­wand­lung von Wahn­sinn, und kei­ne Spur da­von in sei­ner Erin­ne­rung zu­rück­ge­blie­ben. Er sah sie viel­leicht, er hör­te sie viel­leicht jetzt und spot­te­te ih­rer An­stren­gun­gen und sah ihr frucht­lo­ses Sichan­tra­gen mit Ver­ach­tung an.

      Bei die­sem letz­ten Ge­dan­ken fühl­te Con­sue­lo eine bren­nen­de Röte auf ihre Wan­gen stei­gen und ver­ließ ei­lig den Schre­cken­stein, fest ent­schlos­sen, nicht wie­der da­hin zu­rück­zu­keh­ren. Je­doch ließ sie ein Körb­chen mit Früch­ten zu­rück, wel­ches sie mit­ge­bracht hat­te.

      Am an­de­ren Tage fand sie das Körb­chen an der­sel­ben Stel­le, und un­be­rührt. Die Blät­ter, wel­che sie über die Früch­te ge­deckt hat­te, wa­ren nicht ein­mal von neu­gie­ri­ger Hand ver­scho­ben. Ihre Gabe war ver­schmäht, oder es war we­der Al­bert noch Zden­ko an den Ort ge­kom­men, und doch hat­te wie­der der rote Schein ei­nes Ki­en­feu­ers die gan­ze Nacht auf dem Gip­fel des Ber­ges ge­glänzt.

      Con­sue­lo hat­te bis an den Mor­gen ge­wacht und die Er­schei­nung be­ob­ach­tet; sie hat­te mehr­mals die Hel­le sin­ken und sich wie­der he­ben se­hen, wie bei ei­nem wohl­be­sorg­ten Feu­er. Nie­mand hat­te Zi­geu­ner in der Ge­gend be­merkt. Kein Frem­der hat­te sich auf den Fuß­stei­gen des Wal­des bli­cken las­sen, und alle Bau­ern, die Con­sue­lo über das Phä­no­men des Schre­cken­steins be­frag­te, ant­wor­te­ten ihr, es sei nicht gut, sich auf der­glei­chen ein­zu­las­sen, man müs­se sich mit den Din­gen der jen­sei­ti­gen Welt nichts zu schaf­fen ma­chen.

      In­des­sen war es schon der neun­te Tag seit Al­ber­t’s Ver­schwin­den. Er war noch nie so lan­ge aus­ge­blie­ben. Und die­se Dau­er sei­ner Ab­we­sen­heit in Ver­bin­dung mit den trü­ben Pro­phe­zei­hun­gen, die sein drei­ßigs­tes Jahr be­tra­fen, war nicht ge­eig­net, die Hoff­nung der Sei­ni­gen zu be­le­ben. Man fing end­lich an, un­ru­hig zu wer­den; Graf Chris­ti­an stieß je­den Au­gen­blick die kläg­lichs­ten Seuf­zer aus, der Frei­herr ging auf die Jagd und dach­te nicht ans Schie­ßen, der Ka­plan stell­te au­ßer­or­dent­li­che An­dachts­übun­gen an, Ama­lie ge­trau­te sich nicht mehr zu schwat­zen, und das Stifts­fräu­lein, bleich und matt, von ih­ren häus­li­chen Ge­schäf­ten ab­ge­zo­gen, ih­rer Sti­cke­rei ver­ges­send, dreh­te von früh bis spät ih­ren Ro­sen­kranz, un­ter­hielt klei­ne Wachs­ker­zen vor dem Ma­don­nen­bil­de und schi­en um einen Fuß tiefer zu­sam­men­ge­krümmt als sonst.

      Con­sue­lo nahm sich den Mut, eine große, sorg­sa­me Durch­for­schung des Schre­cken­steins in Vor­schlag zu brin­gen, be­kann­te die Nach­su­chun­gen, wel­che sie schon un­ter­nom­men hat­te, und ver­trau­te dem Stifts­fräu­lein ins­be­son­de­re den Um­stand mit dem Ro­sen­blat­te und die Mühe, die sie sich ge­ge­ben hat­te, den schim­mern­den Gip­fel des Ber­ges die gan­ze Nacht hin­durch zu be­ob­ach­ten.

      Die An­stal­ten aber, wel­che Wences­la­wa zu die­ser Nach­for­schung tref­fen woll­te, mach­ten Con­sue­lo ihre Of­fen­her­zig­keit bald leid. Das Stifts­fräu­lein woll­te, dass man sich Zden­ko’s be­mäch­ti­gen soll­te, man soll­te ihn durch Dro­hun­gen ein­schüch­tern, zwan­zig Leu­te soll­ten mit Fa­ckeln und mit Flin­ten be­waff­net nach dem Ber­ge ge­hen, und der Ka­plan soll­te auf dem Gip­fel sei­ne furcht­bars­ten Bann­for­meln aus­spre­chen, wäh­rend der Frei­herr mit Hans und den Kühns­ten sei­ner Beglei­ter den Berg die Nacht über förm­lich blo­kier­te.

      Al­bert eine Über­ra­schung die­ser Art zu be­rei­ten, war na­tür­lich das bes­te Mit­tel, ihn völ­lig ver­rückt und viel­leicht ra­send zu ma­chen, und mit vie­len Vor­stel­lun­gen und Bit­ten er­lang­te Con­sue­lo end­lich so viel, dass Wences­la­wa ihr ver­sprach, nichts ohne ih­ren Rat zu un­ter­neh­men.

      Ihr ei­ge­ner Vor­schlag war die­ser: man soll­te in der nächs­ten Nacht das Tor öff­nen, dann woll­te sie mit dem Stifts­fräu­lein hin­aus­ge­hen, von Hans und dem Ka­plan in ei­ni­ger Ent­fer­nung be­glei­tet, um das Feu­er auf dem Schre­cken­stein in der Nähe zu un­ter­su­chen. Aber ein sol­cher Plan war auf an­de­re Kräf­te be­rech­net, als die des Fräu­leins. Sie hielt sich über­zeugt, dass we­nigs­tens der He­xensab­bat auf dem Schre­cken­stein ge­fei­ert wür­de, und al­les, was Con­sue­lo er­lan­gen konn­te, war, dass das Tor in der Nacht ge­öff­net wer­den soll­te, um sie und den Frei­herrn nebst ei­ni­gen an­de­ren un­be­waff­ne­ten Leu­ten, die sich dazu wil­lig fin­den wür­den, in al­ler Stil­le hin­aus­zu­las­sen.

      Man kam über­ein, dem Gra­fen Chris­ti­an nichts von die­sem Ver­su­che zu sa­gen, denn er wür­de sich sonst ge­wiss nicht ha­ben ab­hal­ten las­sen, per­sön­lich Teil zu neh­men, un­ge­ach­tet sein ho­hes Al­ter und sei­ne ge­schwäch­te Ge­sund­heit ihn zu ei­ner sol­chen Ex­pe­di­ti­on in der kal­ten, un­ge­sun­den Nacht nicht eig­ne­ten.

      Ent­mu­tigt kehr­te sie zu ih­ren Beglei­tern zu­rück. Die­se rühm­ten ih­ren Mut und wag­ten es, nach ihr, noch­mals den Ort zu un­ter­su­chen, den sie eben ver­las­sen hat­te, je­doch ohne Er­folg; schwei­gend kehr­ten alle zum Schlos­se zu­rück und fan­den Wences­la­wa am Tore war­tend, der, als sie den Be­richt ver­nom­men, ihre letz­te Hoff­nung schwand.

      9.

      Nach­dem Con­sue­lo die Dank­sa­gun­gen und den Kuss, den die gute Wences­la­wa ganz be­trübt ihr auf die Stirn gab, emp­fan­gen hat­te, ging sie be­hut­sam, um Ama­lie nicht zu we­cken, vor der man das Un­ter­neh­men ge­heim ge­hal­ten, nach ih­rem Zim­mer. Sie wohn­te im ers­ten Stock, wäh­rend das Zim­mer des Stifts­fräu­leins zu ebe­ner Erde war. Im Hin­auf­stei­gen aber ließ sie ih­ren Leuch­ter fal­len, und das Licht er­losch, ehe sie es wie­der er­grei­fen konn­te. Sie glaub­te auch im Dun­keln ih­ren Weg zu fin­den, umso mehr, als der Tag zu grau­en be­gann; Al­lein, war es nun eine son­der­ba­re Zer­streu­ung; oder war ihr Mut ihr, nach ei­ner für ihr Ge­schlecht über­großen An­stren­gung, plötz­lich ent­schwun­den, sie ver­wirr­te sich der­ge­stalt, dass sie dem Ge­schoss, in wel­chem sie wohn­te, vor­bei­ging und in das obe­re Stock­werk ge­lang­te,