George Sand

Gesammelte Werke


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wo Sie schlim­me­re Be­geg­nun­gen ha­ben könn­ten als den des un­schul­di­gen Zden­ko.

      – Zum Bei­spiel einen hung­ri­gen Wolf? frag­te Con­sue­lo lä­chelnd. Ich den­ke, un­ter Ihres Va­ters Büch­se wäre doch die gan­ze Ge­gend si­cher.

      – Es ist nicht bloß von wil­den Tie­ren die Rede, sag­te Ama­lie; die Ge­gend ist nicht so si­cher als Sie glau­ben und zwar we­gen der rei­ßends­ten Tie­re, die es gibt, der Land­strei­cher und Räu­ber. Die erst zu Ende ge­gan­ge­nen Kriegs­läuf­te ha­ben so vie­le Fa­mi­li­en zu Grun­de ge­rich­tet, dass sich eine Mas­se von Bett­lern dar­an ge­wöhnt hat, weit um­her zu strei­fen und mit der Pis­to­le in der Hand Al­mo­sen zu for­dern. Wol­ken von Zi­geu­nern schwär­men auch um­her, die sie uns in Frank­reich die Ehre an­tun, Böh­men zu nen­nen, als ob sie auf un­sern Ber­gen, die sie bei ih­rem Er­schei­nen in Eu­ro­pa zu­erst über­zo­gen, ein­hei­misch wä­ren. Dies Ge­sin­del, das man über­all weg­jagt und zu­rück­stößt, das vor ei­nem be­waff­ne­ten Man­ne feig und de­mü­tig ist, könn­te wohl leicht bei ei­nem hüb­schen Mäd­chen, wie Sie sind, dreist wer­den; und ich be­sor­ge, dass Ihr Ge­schmack an aben­teu­er­li­chen Streif­zü­gen Sie mehr bloß­stel­le, als ei­ner so ver­nünf­ti­gen Per­son, als mei­ne lie­be Por­po­ri­na sein will, lieb sein dürf­te.

      – Lie­be Baro­nes­se, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, ob­gleich Sie den Wolfs­zahn für sehr we­nig ge­fähr­lich ne­ben den an­de­ren Ge­fah­ren, die mir dro­hen, zu hal­ten schei­nen, muss ich Ih­nen doch ge­ste­hen, dass ich ihn mehr fürch­te als den der Zi­geu­ner. Das sind für mich alte Be­kann­te, und über­haupt ist es mir nicht leicht mög­lich, mich vor schwa­chen, ar­men, ver­folg­ten Ge­schöp­fen zu fürch­ten. Ich bil­de mir ein, ich wür­de mit die­sen Leu­ten im­mer so zu re­den wis­sen, dass sie Ver­trau­en und Zu­nei­gung zu mir ge­win­nen müss­ten, denn wie häss­lich, zer­lumpt und ver­ach­tet sie im­mer sei­en, ich kann nicht an­ders, ich habe für sie eine ganz be­son­de­re Teil­nah­me.

      Die­se Wor­te tra­fen Con­sue­lo mit ei­nem Licht­strahl, den sie bei die­ser Un­ter­re­dung von An­fang an ge­sucht hat­te und der ihr über Ama­li­ens Bit­ter­keit hin­weg­half.

      – Also lebt Graf Al­bert in gu­tem Ein­ver­ständ­nis mit Zden­ko? frag­te sie mit ei­ner zu­frie­de­nen Mie­ne, die sie nicht Be­dacht nahm zu ver­stel­len.

      – Es ist sein in­tims­ter, sein teu­ers­ter Freund, ant­wor­te­te Ama­lie ver­ächt­lich lä­chelnd. Es ist sein Ge­fähr­te auf Spa­zir­gän­gen, sein Ver­trau­ter, und, wie man sagt, sein Bote an den Teu­fel. Zden­ko und Al­bert sind die ein­zi­gen, die es wa­gen, sich in je­der Stun­de auf dem Schre­cken­stein von den ver­track­tes­ten gött­li­chen Din­gen zu un­ter­hal­ten. Al­bert und Zden­ko sind die ein­zi­gen, die sich nicht schä­men, mit den Zi­geu­nern, wel­che un­ter un­sern Föh­ren ihr La­ger auf­schla­gen, im Gra­se zu sit­zen und mit ih­nen das ekel­haf­te Mahl zu tei­len, das die­se Men­schen in ih­ren höl­zer­nen Näp­fen zu­recht­ma­chen. Sie nen­nen das kom­mu­ni­zie­ren und man kann sa­gen, dass es kom­mun in je­dem Sin­ne des Wor­tes ist. Puh! ist das ein Ge­mahl, ist das ein er­wünsch­ter Lieb­ha­ber, die­ser mein Vet­ter Al­bert, der die Hand sei­ner Braut in eine Hand nimmt, mit der er eben die ei­nes ver­pes­te­ten Zi­geu­ners ge­drückt hat, und sie an den Mund führt, der eben den Kelch­wein aus ei­ner­lei Be­cher mit Zden­ko ge­trun­ken hat.

      – Das ist viel­leicht recht wit­zig, sag­te Con­sue­lo; in­des­sen ich ver­ste­he es nicht.

      – Das macht, weil Sie kei­nen Ge­schmack an der Ge­schich­te fin­den, ent­geg­ne­te Ama­lie, und nichts von dem be­grif­fen ha­ben, was ich Ih­nen von Pro­tes­tan­ten und Hus­si­ten er­zähl­te, und ich habe mir doch die Lun­ge wund ge­re­det, um Ih­nen mei­nes Cous­ins Rät­sel und ab­ge­schmack­te Prak­ti­ken wis­sen­schaft­lich zu er­läu­tern. Sag­te ich Ih­nen nicht, dass der große Streit zwi­schen den Hus­si­ten und der rö­mi­schen Kir­che über die Kom­mu­ni­on un­ter bei­der­lei Ge­stalt aus­brach? Das Bas­ler Con­cil hat­te den Auss­pruch ge­tan, dass es eine Ent­wei­hung wäre, wenn man den Lai­en das Blut Chris­ti in Ge­stalt des Wei­nes reich­te, denn, ach­ten Sie auf den herr­li­chen Be­weis! Leib und Blut wä­ren glei­cher­ma­ßen in bei­den Ge­stal­ten, und wer den einen ge­nös­se, trän­ke auch da­mit zu­gleich das an­de­re. Ver­stan­den?

      – Es scheint mir, als ob die Vä­ter vom Con­cil sich selbst nicht recht ver­stan­den ha­ben könn­ten. Denn wenn bei­des in bei­den Ge­stal­ten ist, so hät­ten sie nur den Auss­pruch tun kön­nen, dass das Blut über­flüs­sig wäre. Aber wie kann von Ent­wei­hung die Rede sein, wenn doch der, wel­cher das Brot isst, auch das Blut mit emp­fängt?

      – Das kam da­her, weil die Hus­si­ten von ei­nem fürch­ter­li­chen Blut­durst be­ses­sen wa­ren, und die Vä­ter des Con­cils das wohl kom­men sa­hen. Sie wa­ren selbst auch sehr durs­tig nach dem Blu­te die­ser Leu­te, woll­ten aber sel­bi­ges gern un­ter der Ge­stalt des Gol­des trin­ken. Die rö­mi­sche Kir­che ist al­le­zeit über­aus hung­rig und durs­tig nach die­sem Le­bens­saft der Völ­ker, nach dem sau­ren Schweiß der Ar­men ge­we­sen. Die Ar­men em­pör­ten sich end­lich da­wi­der und nah­men ih­ren Schweiß und Blut zu­rück in den auf­ge­häuf­ten Schät­zen der Ab­tei­en und auf den Kap­pen der Bi­schö­fe. Das ist der gan­ze Grund des Han­dels, wozu noch, wie ich Ih­nen sag­te, das Ge­fühl der Na­tio­na­lu­n­ab­hän­gig­keit und der Frem­den­hass ka­men. Der Abend­mahlss­treit drück­te das sym­bo­lisch aus. Rom und sei­ne Pries­ter ver­wal­te­ten das Abend­mahl in gol­de­nen und mit Edel­stein be­setz­ten Kel­chen; die Hus­si­ten spitz­ten sich dar­auf, es in höl­zer­nen Ge­schir­ren zu tun, um den Lu­xus der Kir­che zu stra­fen und die apo­sto­li­sche Ar­mut vor­zu­stel­len. Da ist nun Al­bert, der sich’s in den Kopf ge­setzt hat, den Hus­si­ten zu spie­len, jetzt, wo alle die­se Sa­chen al­len Wert und alle Be­deu­tung ver­lo­ren ha­ben, Al­bert, der sich ein­bil­det, Jo­hann Hus­sens wah­re Leh­re bes­ser zu ken­nen als Jo­hann Huß selbst; und da denkt er sich al­ler­lei Kom­mu­nio­nen aus und läuft auf die Land­stra­ßen und kom­mu­ni­ziert mit al­len Bett­lern, Hei­den und Dumm­köp­fen. Es war auch die fixe Idee der Hus­si­ten, über­all und alle Au­gen­bli­cke und mit al­ler Welt zu kom­mu­ni­zie­ren.

      – Das ist in der Tat sehr wun­der­lich, ant­wor­te­te Con­sue­lo, und ich kann es mir nicht an­ders er­klä­ren, als aus ei­nem über­trie­be­nen Pa­trio­tis­mus, der beim Gra­fen Al­bert, ich ge­ste­he es, bis zum Wahn­sinn gehn muss. Es liegt viel­leicht ein tiefer Ge­dan­ke zum Grun­de, aber die Form, die er die­sem gibt, scheint mir kin­disch für einen so erns­ten und so un­ter­rich­te­ten Mann. Soll­te nicht die wah­re Kom­mu­ni­on viel­mehr die mil­de Gabe sein? Was ha­ben lee­re Ze­re­mo­ni­en für Wert, die nicht mehr in Brauch sind und ge­wiss von de­nen, die er da­zu­zieht, nicht be­grif­fen wer­den?

      – Was die mil­den Ga­ben be­trifft, so lässt es Al­bert dar­an nicht feh­len, und wenn man ihn ge­wäh­ren lie­ße, so wür­de er sich bald sei­nen Reich­tum vom Hal­se ge­schafft ha­ben; mir wär’s schon