George Sand

Gesammelte Werke


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Ge­stalt nichts Er­schre­cken­des au­ßer ih­rer Selt­sam­keit und dem Uner­war­te­ten ih­res Er­schei­nens, denn sie ge­bär­de­te sich nicht feind­se­lig. Ein sanf­tes, schmei­cheln­des Lä­cheln ver­zog ih­ren großen Mund, und ein kin­di­scher Aus­druck mil­der­te die Geis­tes­ver­wir­rung, die der un­stä­te Blick und die zu­cken­den Be­we­gun­gen ver­rie­ten.

      Als sich Con­sue­lo mit ei­nem Tol­len al­lein sah an ei­nem Orte, wo ihr si­cher­lich nie­mand zu Hil­fe ge­kom­men wäre, ge­riet sie in wirk­li­che Furcht, un­ge­ach­tet der vie­len Ver­beu­gun­gen und des zu­tun­li­chen Lä­chelns, wo­mit die­ser Wahn­sin­ni­ge sie be­grüß­te. Sie glaub­te, sei­ne Grü­ße und sein Ni­cken er­wi­dern zu müs­sen, um ihn nicht böse zu ma­chen, aber sie be­eil­te sich auf­zu­ste­hen und sich zu ent­fer­nen, bleich und an al­len Glie­dern zit­ternd.

      Der Tol­le ver­folg­te sie nicht und tat nichts, um sie zu­rück­zu­ru­fen; er stieg nur auf den Schre­cken­stein, um ihr mit den Au­gen zu fol­gen, und fuhr fort, sie mit sei­ner Müt­ze zu grü­ßen, wo­bei er hüpf­te und sei­ne Arme und Bei­ne schwenk­te, ein böh­mi­sches Wort mehr­mals wie­der­ho­lend, das sie nicht ver­stand.

      Als sie eine Stre­cke von ihm ent­fernt war, ge­wann sie wie­der so viel Mut, sich nach ihm um­zu­se­hen und auf ihn zu hö­ren. Sie mach­te sich Vor­wür­fe, dass ihr vor der Nähe ei­nes die­ser Un­glück­li­chen grau­te, die sie einen Au­gen­blick zu­vor in ih­rem Her­zen be­klagt und ge­gen die Ver­ach­tung und Ver­sto­ßung, die von den Men­schen ih­nen wi­der­fährt, in Schutz ge­nom­men hat­te.

      Es ist ein gut­mü­ti­ger Ver­rück­ter, sag­te sie zu sich, viel­leicht aus Lie­be toll ge­wor­den. Er hat nir­gend Ret­tung ge­fun­den vor der Un­emp­find­lich­keit und Ver­ach­tung der Men­schen als auf die­sem ver­damm­ten Stein, wo kein an­de­rer zu hau­sen wagt, und wo für ihn die Geis­ter und Ge­s­pens­ter mensch­li­cher ge­sinnt sind als sei­nes Glei­chen, denn sie scheu­chen ihn nicht fort und stö­ren ihn nicht in sei­ner Lus­tig­keit. Ar­mer Mann! mit dei­nen grau­en Bart und dei­nem ge­krümm­ten Rücken lachst und tollst du wie ein Kind! Gott be­hü­tet dich ge­wiss und seg­net dich in dei­nem Un­glück, da er dir nur la­chen­de Ge­dan­ken zu­schickt und dich nicht men­schen­feind­lich und wü­tend ge­macht hat, wie du es zu sein ge­wiss ein Recht hät­test.

      Als der Tol­le sah, dass sie ihre Schrit­te an­hielt und sei­ne freund­li­chen Bli­cke zu ver­ste­hen schi­en, fing er an, auf böh­misch und mit un­ge­mei­ner Ge­läu­fig­keit zu ihr zu re­den; sei­ne Stim­me hat­te et­was au­ßer­or­dent­lich Sanf­tes, einen ein­dring­li­chen Reiz, der ganz im Wi­der­spruch mit sei­ner Häss­lich­keit stand.

      Con­sue­lo, die ihn nicht ver­stand, glaub­te, sie soll­te ihm ein Al­mo­sen ge­ben, und hol­te ein Geld­stück her­vor, das sie auf einen großen Stein leg­te, nach­dem sie es ihm mit er­ho­be­ner Hand ge­zeigt und den Ort be­zeich­net hat­te, wo sie es nie­der­le­gen woll­te. Aber der Tol­le fing noch lau­ter an zu la­chen, rieb sich die Hän­de und sag­te in ge­bro­che­nem Deutsch:

      – Brauch nicht, brauch nicht. Zden­ko nicht brauch. Zden­ko glück­lich, sehr glück­lich. Zden­ko hat Trost, Trost, Trost.

      Dann plötz­lich, als hät­te er sich auf ein Wort be­son­nen, das er lan­ge ge­sucht, rief er mit ei­nem Freu­den­ge­schrei und ganz deut­lich, ob­gleich er es sehr schlecht aus­sprach: »con­sue­lo, con­sue­lo, con­sue­lo de mi alma!«

      Con­sue­lo blieb starr vor Stau­nen ste­hen, und rief ihm auf spa­nisch zu:

      – Wa­rum nennst du mich so? wer hat dir die­sen Na­men ge­sagt? ver­stehst du die Spra­che, in der ich mit dir rede?

      Auf alle die­se Fra­gen, de­ren Ant­wort Con­sue­lo ver­geb­lich er­war­te­te, tat der Tol­le nichts als sprin­gen und die Hän­de rei­ben wie ei­ner, der ganz von sich ent­zückt ist, und so weit ihr sei­ne Stim­me ver­nehm­lich war, hör­te sie ihn un­ter La­chen und Freu­den­ge­schrei ih­ren Na­men in al­ler­lei Mo­du­la­tio­nen wie­der­ho­len, wie wenn ein schwat­zen­der Vo­gel sich übt ein Wort her­aus­zu­brin­gen, das man ihm ge­lehrt hat und da­zwi­schen im­mer wie­der mit sei­ner na­tür­li­chen Stim­me pfeift.

      Auf dem Wege nach dem Schlos­se ver­lor sich Con­sue­lo in Be­trach­tun­gen.

      – Wer, dach­te sie, hat mein Ge­heim­nis so ver­ra­ten, dass schon der ers­te ver­wil­der­te Mensch, dem ich in die­ser Ein­sam­keit be­geg­ne, mir mei­nen wah­ren Na­men an den Kopf wirft? Hat­te mich die­ser Tol­le ir­gend­wo ge­se­hen? Leu­te der Art, zie­hen viel um­her: war er viel­leicht mit mir zu­gleich in Ve­ne­dig?

      Sie such­te sich ver­geb­lich die Ge­sich­ter al­ler Bett­ler und Va­ga­bun­den zu­rück­zu­ru­fen, die sie ge­wohnt war, auf den Quais und aus dem Mar­cus­platz zu se­hen: das des Tol­len vom Schre­cken­stein bot sich ih­rem Ge­dächt­nis nicht dar.

      Aber als sie über die Zug­brücke ging, fiel sie auf eine Ge­dan­ken­ver­knüp­fung, die tref­fen­der und span­nen­der war. Sie nahm sich vor, ihre Ver­mu­tun­gen ins Kla­re zu brin­gen, und wünsch­te sich im Stil­len Glück, den Zweck ih­rer Wan­de­rung nicht ganz ver­fehlt zu ha­ben.

      7.

      Als sie sich wie­der im Krei­se der nie­der­ge­schla­ge­nen und schwei­gen­den Fa­mi­lie be­fand, sie voll fri­schen Muts und Hoff­nung, mach­te sie es sich zum Vor­wur­fe, in ih­rem In­nern die Läs­sig­keit die­ser tief be­trüb­ten Men­schen so hart be­ur­teilt zu ha­ben. Graf Chris­ti­an und das Stifts­fräu­lein nah­men beim Früh­stück fast kei­nen Bis­sen zu sich und der Ka­plan ge­trau­te sich nicht, sei­nen Hun­ger zu stil­len; Ama­lie schi­en sehr üb­ler Lau­ne.

      Als man vom Ti­sche auf­stand, trat der alte Graf an das Fens­ter, blieb einen Au­gen­blick ste­hen und blick­te hin­aus auf den san­di­gen Weg nach dem Wei­her, auf wel­chem Al­bert wie­der­kom­men konn­te, dann schüt­tel­te er trau­rig den Kopf, als woll­te er sa­gen: Wie­der ein Tag, der schlimm an­ge­fan­gen hat und so auch en­den wird!

      Con­sue­lo gab sich Mühe, sie zu zer­streu­en, in­dem sie ih­nen ei­ni­ge der letz­ten geist­li­chen Kom­po­si­tio­nen Por­po­ras, wel­che sie im­mer mit Be­wun­de­rung und be­son­de­rer Teil­nah­me zu hö­ren pfleg­ten, auf dem Kla­vier vor­spiel­te. Es tat ihr weh, sie so nie­der­ge­beugt zu se­hen, und ih­nen nicht sa­gen zu kön­nen, dass sie Hoff­nung heg­te.

      Aber als sie den Gra­fen nach sei­nem Bu­che und Wences­la­wa nach ih­rer Na­del grei­fen sah, als sie von die­ser letz­te­ren an den Stick­rah­men ge­ru­fen wur­de, um ihre Mei­nung ab­zu­ge­ben, ob in ei­ner Ro­set­te ein paar blaue oder ein paar wei­ße Sti­che bes­ser tä­ten, da konn­te sie sich nicht ent­hal­ten, mit ih­ren Ge­dan­ken vor­zugs­wei­se wie­der Al­bert zu su­chen, der viel­leicht vor Er­mat­tung und Er­schöp­fung in ei­nem Win­kel des Wal­des ver­ging, ohne den Heim­weg fin­den zu kön­nen, oder viel­leicht auf ei­nem kal­ten Stei­ne lag, von sei­ner Starr­sucht nie­der­ge­schmet­tert und ge­fes­selt, den Wöl­fen und Schlan­gen Preis ge­ge­ben, wäh­rend un­ter den kunst­fer­ti­gen, be­harr­li­chen Fin­gern der zärt­li­chen Wences­la­wa die glän­zends­ten Blu­men auf der Gaze zu Tau­sen­den ent­stan­den, be­gos­sen dann und wann mit ei­ner ver­stoh­le­nen, aber un­frucht­ba­ren Trä­ne.

      So­bald sie mit der schmol­len­den Ama­lie ein Ge­spräch an­knüp­fen konn­te, frag­te sie, was für