beispringen, handeln sie klug, zu glauben, dass sie mit Gebeten und mit Unterwürfigkeit gegen Kaiser und Papst den Himmel eher gewinnen werden als mit großen Taten und gewaltigen Opfern!
Nein, Albert ist nicht toll; eine Stimme sagt es mir in der Tiefe meiner Seele, dass er das schönste Musterbild eines Heiligen und Gerechten ist, das aus den Händen der Natur hervorgegangen. Und wenn schwere Träume, seltsame Täuschungen die Klarheit seiner Vernunft umdunkelt haben, wenn er geistesirr ist, wie sie glauben, so trägt die Schuld davon allein ihr blindes Widerstreben, dieser Mangel an aller inneren Gemeinschaft, die Vereinsamung des Herzens.
Ich habe die Zelle gesehen, wo Tasso als toll eingeschlossen war, und ich habe mir gedacht, vielleicht war er nur durch Ungerechtigkeiten wild gemacht. Ich habe die großen Heiligen der Christenheit, deren rührende Geschichte mich als Kind zu Tränen und Gedanken brachte, in den Salons von Venedig tolle Menschen nennen hören, ihre Wunder Taschenspielerstückchen und ihre Offenbarungen kranke Hirngespinnste.
Aber mit welchem Rechte sprechen diese Leute hier, dieser fromme Greis, dieses furchtsame Fräulein, die an die Wunder der Heiligen und an den Genius der Dichter glauben, über ihr Kind das Urteil einer Schmach und Strafe, die nur Geistesschwache und Verworfene treffen sollte!
Toll! Aber es ist etwas Furchtbares, etwas Zurückstoßendes, die Tollheit! ein göttliches Gericht über entsetzliche Verbrechen. Und aus Tugend sollte ein Mensch toll werden! Ich dachte immer, es wäre genug, unter der Last eines unverdienten Unglücks zu wanken, um Anspruch auf die Achtung wie auf das Mitleid der Menschen zu haben.
Und wenn ich – wenn ich nun toll geworden wäre, wenn ich den fürchterlichen Tag verflucht hätte, wo ich Anzoleto in den Armen einer anderen sah, ich würde also auch jeden Anspruch auf treuen Rat, auf Trost und geistige Erquickung von den Christen, meinen Brüdern, eingebüßt haben? Man hätte mich also hinausgestoßen, oder mich auf den Straßen allein umherirren lassen und gesagt: Ihr ist nicht zu helfen, man muss ihr Almosen geben und nicht mit ihr reden, denn sie hat zu viel gelitten und darüber den Verstand verloren?
Ja, so behandeln sie diesen unglücklichen Grafen Albert. Sie geben ihm zu essen, kleiden ihn, warten ihn, reichen ihm, mit einem Worte, das Almosen einer kindischen Pflege.
Aber mit ihm reden? Nein! man schweigt, wenn er fragt, man senkt den Kopf oder wendet sich weg, wenn er zu überzeugen sucht. Man lässt ihn fliehen, wenn das grauenvolle Gefühl der Einsamkeit ihn in noch tiefere Einsamkeiten treibt und wartet auf seine Zurückkunft, Gott bittend, über ihn zu wachen und ihn frisch und gesund wieder heim zu bringen, als ob der Ozean zwischen ihm und denen, die ihn lieben, läge. Und doch denkt man, er sei nicht fern, doch lässt man mich singen, um ihn zu wecken, falls er etwa im hohlen Innern irgend einer Wand oder im Stamme eines alten Baums der Nachbarschaft verborgen von seinem lethargischen Schlafe gefesselt läge. Und man hat nicht alle geheimen Schlupfwinkel dieses alten Baues aufzuspüren gewusst, man hat sich nicht bis in die Eingeweide dieses unterhöhlten Bodens hineingegraben!
Ach! ich sollte Albert’s Vater oder Tante sein, ich hätte keinen Stein auf dem anderen gelassen, bis er gefunden wäre; kein Baum des Waldes wäre stehen geblieben, bis ich ihn wiedergehabt hätte.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, hatte Consuelo geräuschlos das Oratorium des Grafen Christian verlassen, da sie, ohne zu wissen wie, eine Tür gefunden hatte, die ins Freie führte. Sie verlor sich in den Wald, wo sie die wildesten beschwerlichsten Pfade aufsuchte, von einem romantischen und heldenmütigen Triebe geleitet, der ihr die Hoffnung vorhielt, Albert zu finden. Keine niedrige Sucht, kein Schatten einer unbesonnenen Vorspiegelung drängte sie zu diesem abenteuerlichen Beginnen.
Albert erfüllte ihre Einbildung und beschäftigte ihre Gedanken allerdings ganz, aber in ihren Augen war es nicht ein schöner und von ihr eingenommener junger Mann, den sie an den einsamen Orten suchte, um ihn zu sehen und mit ihm allein zu sein; es war ein edler Unglücklicher, den sie sich einbildete retten oder wenigstens durch die Reinheit ihres Eifers beschwichtigen zu können. Sie würde ebenso einen ehrwürdigen erkrankten Eremiten aufgesucht haben, um ihn zu pflegen, oder ein verloren gegangenes Kind, um es seiner Mutter zurückzubringen.
Sie war selbst ein Kind, und doch war in ihr eine Offenbarung der Mutterliebe, es war in ihr ein kindlicher Glaube, eine brennende Liebe, ein begeisterter Mut. Sie träumte und unternahm diese Pilgerschaft wie Johanna d’Arc die Befreiung ihres Vaterlandes geträumt und unternommen hatte. Es kam ihr gar nicht in Gedanken, dass es möglich wäre, ihren Entschluss zu tadeln oder lächerlich zu finden; sie konnte es nicht begreifen, wie nicht Amalie, durch die Stimme des Bluts oder Anfangs durch die Hoffnungen der Liebe, zu demselben Unternehmen sich habe angetrieben fühlen und es glücklich vollenden müssen.
Sie ging mit schnellen Schritten: kein Hindernis hielt sie auf. Das Schweigen dieser großen Wälder wirkte nicht mehr Traurigkeit und Furcht in ihrer Seele. Sie sah die Fährte der Wölfe im Sande und es bangte ihr nicht, ihrer hungrigen Rotte zu begegnen. Es war ihr, als ob eine himmlische Hand sie vorwärts triebe, welche sie unverletzlich machte. Sie, die den Tasso auswendig wusste, weil sie ihn alle Nacht auf den Lagunen gesungen hatte, dünkte sich wie der hochherzige Ubald, der den Rinaldo sucht, unter dem Schutze ihres Talismans durch die Schrecken des Zauberwalds hindurch zu schreiten.
Sie schritt leicht und behänd über Wurzeln und Gestein, die Stirne leuchtend von innerlichem Stolz und die Wangen von einer leichten Röte überflogen. Nie war sie auf der Bühne in heroischen Rollen schöner gewesen; ach, und sie dachte eben so wenig jetzt an die Bühne als sie die Bühne betretend damals an sich gedacht hatte.
Von Zeit zu Zeit blieb sie sinnend und in sich versunken stehen.
– Und wenn ich plötzlich auf ihn träfe, sagte sie zu sich, was würde ich ihm sagen, das ihn überzeugen und beruhigen könnte? Ich verstehe nichts von jenen mysteriösen, tiefen Sachen, welche sein Gemüt bewegen. Ich erkenne sie nur durch einen poetischen Schleier, den man kaum gelüftet hat vor meinen, von der Neuheit solcher Erscheinungen noch geblendeten Augen.
Ich müsste mehr als Eifer und Menschenliebe haben, ich müsste Wissenschaft besitzen und Beredsamkeit, um Worte zu finden, eines mir so überlegenen Mannes würdig, eines Narren, der so weise neben allen den vernünftigen Wesen, die ich kennen gelernt, erscheint. Nun wohl! Gott wird mich sprechen lehren, wenn es Zeit sein wird, denn ich allein, ich könnte immerhin suchen, ich würde mich nur mehr