George Sand

Gesammelte Werke


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Do­ku­men­te aus der Zeit der Hus­si­ten den­noch er­hal­ten ha­ben möch­te, die Al­bert viel­leicht auf­ge­fun­den habe. Er glaubt, dass das Le­sen die­ser ge­fähr­li­chen Schrif­ten Al­ber­t’s kran­ke Ein­bil­dungs­kraft so hef­tig auf­ge­regt ha­ben könn­te, dass er sich nun in al­lem Erns­te ein­bil­de, dem An­den­ken an ein frü­he­res Da­sein auf Er­den die Erin­ne­run­gen man­cher jetzt un­be­kann­ten Ein­zel­hei­ten zu ver­dan­ken, wel­che er in je­nen Hand­schrif­ten auf­ge­zeich­net und um­ständ­lich be­rich­tet ge­fun­den.

      Daraus wür­den sich die Ge­schich­ten, wel­che er uns er­zählt hat, eben so wie sein un­be­greif­li­ches Ver­schwin­den wäh­rend gan­zer Tage, ja selbst Wo­chen, sehr na­tür­lich er­klä­ren; denn ich muss nur gleich sa­gen, dass die­ser letz­te­re Um­stand sich noch ver­schie­de­ne Male wie­der­holt hat, wäh­rend un­mög­lich an­zu­neh­men ist, dass es au­ßer­halb des Schlos­ses ge­sche­hen sei. So oft er näm­lich so ver­schwand, ist sein Auf­ent­halt nicht zu ent­de­cken ge­we­sen, und wir wis­sen ge­wiss, dass ihm kein Bau­er Zuf­lucht ge­währt oder Spei­se mit­ge­teilt hat. Wir ha­ben schon be­merkt, dass er An­fäl­le von Schlaf­sucht hat, wäh­rend wel­cher er Tage lang ein­ge­schlos­sen in sei­nem Zim­mer bleibt. Wenn man die Tür er­bricht oder sich um ihn her be­wegt, so fällt er in Krämp­fe. Seit wir dies wis­sen, ha­ben wir uns in Acht ge­nom­men, und man über­lässt ihn der Ent­frem­dung sei­nes Geis­tes.

      In sei­nem Geis­te ge­hen zu sol­chen Zei­ten au­ßer­or­dent­li­che Din­ge vor, aber kein Geräusch, kei­ne Be­we­gung sei­nes Kör­pers ver­rät sie: wir er­fah­ren sie erst spä­ter aus sei­nen Äu­ße­run­gen. Wenn es vor­bei ist, so scheint er sich er­leich­tert und der Ver­nunft zu­rück­ge­ge­ben zu füh­len, aber all­mäh­lich kehrt die Auf­re­gung zu­rück und nimmt zu, bis er wie­der in Er­schöp­fung ver­fällt. Es scheint als ob er ein Vor­ge­fühl von der Dau­er die­ser Kri­sen hät­te, denn, wenn sie lang wer­den sol­len, so geht er ins Wei­te oder flüch­tet sich in je­nen Ver­steck, des­sen Da­sein wir ver­mu­ten, ent­we­der in ir­gend ei­ner ver­bor­ge­nen Höh­le des Ge­birgs oder gar in ei­nem Kel­ler des Schlos­ses, den nur er al­lein kennt. Bis jetzt hat man sei­nen Zuf­luchts­ort nicht ent­de­cken kön­nen. Es ist dies umso schwie­ri­ger, da man ihn nicht be­ob­ach­ten darf; man ver­setzt ihn in einen ge­fähr­li­chen Zu­stand, wenn man ihm folgt, ihm nach­sieht oder ihn auch nur be­fragt.

      Da­her hat man sich end­lich ent­schlos­sen, ihm ganz sei­ne Frei­heit zu las­sen, und wir ha­ben uns ge­wöhnt, sei­ne Ab­we­sen­hei­ten, wel­che uns An­fangs so furcht­bar wa­ren, als güns­ti­ge Kri­sen sei­ner Krank­heit an­zu­se­hen. Wenn sie ein­tre­ten, so härmt sich mei­ne Tan­te, mein On­kel be­tet, aber nie­mand rührt sich, und ich, ich ge­ste­he Ih­nen, dass ich in die­ser Hin­sicht schon ganz ab­ge­här­tet bin. Der Kum­mer ist bei mir in Lan­ge­wei­le und end­lich in Ab­nei­gung über­ge­gan­gen. Ich möch­te lie­ber ster­ben als die­sen Ra­sen­den hei­ra­ten. Ich er­ken­ne sei­ne herr­li­chen Ei­gen­schaf­ten, aber wenn es Ih­nen auch scheint, dass ich ihm sei­ne Ver­kehrt­hei­ten nicht an­rech­nen soll­te, weil sie von sei­ner Krank­heit her­rüh­ren, so ge­ste­he ich Ih­nen doch, dass ich dar­über wü­tend bin, denn ich sehe sie als eine Pest in mei­nem und der Mei­ni­gen Le­ben an.

      – Es scheint mir dies ein we­nig un­ge­recht, lie­be Baro­nin! sag­te Con­sue­lo. Dass Sie eine Ab­nei­gung füh­len, des Gra­fen Al­bert Frau zu wer­den, be­grei­fe ich jetzt voll­kom­men, al­lein dass sich Ihre Teil­nah­me von ihm ab­wen­det, be­grei­fe ich nicht.

      – Es kommt da­her, weil ich mir’s nicht aus dem Sin­ne brin­gen kann, dass et­was Frei­wil­li­ges in der Toll­heit die­ses ar­men Men­schen liegt. Es ist ge­wiss, dass er eine au­ßer­or­dent­li­che Stär­ke des Cha­rak­ters be­sitzt und in tau­send Fäl­len eine große Herr­schaft über sich selbst hat. Er kann den Aus­bruch sei­ner Kri­sen durch sei­nen Wil­len zu­rück­hal­ten. Ich habe sie ihn mit Ge­walt be­meis­tern se­hen, wenn man nicht ge­neigt schi­en, sie für ernst­haft zu hal­ten. Da­ge­gen wenn er uns leicht­gläu­big und ängst­lich ge­stimmt sieht, scheint er mit sei­nen Aus­schwei­fun­gen Ef­fekt auf uns ma­chen zu wol­len und miss­braucht die Schwach­heit, die man für ihn hat. Das ist es, wes­we­gen ich ihm gram bin, und oft sei­nen Pa­tron Bel­ze­bub an­ru­fe, er möch­te ihn doch ei­nes gu­ten Ta­ges ho­len und ihn uns vom Hal­se schaf­fen.

      – Sie scher­zen sehr grau­sam über einen so un­glück­li­chen Mann, sag­te Con­sue­lo, des­sen Krank­heit mir auch eher poe­tisch und wun­der­bar als ab­sto­ßend vor­kommt.

      – Wie es Ih­nen be­liebt, teu­re Por­po­ri­na! ent­geg­ne­te Ama­lie. Be­wun­dern Sie nach Her­zens­lust die­se Zau­ber­stück­chen, wenn Sie dar­an glau­ben mö­gen. Aber ich ma­che es An­ge­sichts die­ser Din­ge ähn­lich wie un­ser Ka­plan, der sei­ne See­le Gott emp­fiehlt und sich nicht ver­misst, sie zu be­grei­fen; ich flüch­te mich in den Schoß der ge­sun­den Ver­nunft, und er­spa­re es mir, Sa­chen zu er­grü­beln, die einen ganz na­tür­li­chen Er­klä­rungs­grund ha­ben müs­sen, wenn wir ihn auch bis jetzt nicht ken­nen.

      Das ein­zi­ge, was ganz ge­wiss ist bei dem un­glück­li­chen Loo­se mei­nes Cous­ins, ist die­ses, dass sei­ne Ver­nunft voll­stän­dig bei ihm ein­ge­packt, und dass die Ima­gi­na­ti­on in sei­nem Ge­hirn so ge­wal­ti­ge Flü­gel ent­fal­tet hat, dass der Kas­ten da­von sprin­gen muss. Und wenn ich es denn ge­ra­de her­aus­sa­gen soll und das Wort ge­brau­chen, wel­ches mein ar­mer On­kel Chris­ti­an zu den Fü­ßen der Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia, die sich mit hal­b­en Ant­wor­ten und hal­b­en Er­klä­run­gen nicht ab­spei­sen lässt, un­ter Trä­nen aus­zu­spre­chen ge­zwun­gen war: Al­bert von Ru­dol­stadt ist ver­rückt; geis­tes­ab­we­send, wenn Ih­nen die­ser Aus­druck an­stän­di­ger scheint.

      Con­sue­lo ant­wor­te­te nur mit ei­nem tie­fen Seuf­zer. Ama­lie schi­en ihr in die­sem Au­gen­blick eine has­sens­wür­di­ge Per­son, ein Herz von Stein. Sie streng­te sich an, sie in ih­ren ei­ge­nen Au­gen zu ent­schul­di­gen: sie stell­te sich al­les vor, was Ama­lie wäh­rend die­ser acht­zehn Mo­na­te ei­nes trau­ri­gen und an so man­nich­fal­ti­gen Er­schüt­te­run­gen rei­chen Le­bens ge­lit­ten ha­ben muss­te. Dann auf ihr ei­ge­nes Un­glück zu­rück­ge­ra­tend, dach­te sie: Ach, warum kann ich nicht An­zo­le­to’s Fehl­trit­te auf die Schuld ei­nes Wahn­sinns schie­ben! Wenn er un­ter den Berau­schun­gen und Täu­schun­gen sei­nes De­büts in Ra­se­rei ge­fal­len wäre, ich füh­le es wohl, ich wür­de ihn des­halb nicht we­ni­ger ge­liebt ha­ben, und ich wünsch­te nichts, als dass ich ihn aus Irr­wahn un­ge­treu und un­dank­bar wüss­te, um ihn heiß zu lie­ben wie zu­vor und ihm zu Hil­fe zu ei­len.

      Es ver­stri­chen meh­re Tage, ohne dass Al­bert den Be­haup­tun­gen sei­ner Cou­si­ne über die Ver­wir­rung sei­nes Geis­tes die ge­rings­te Be­stä­ti­gung gab. Ei­nes gu­ten Ta­ges aber, als der Ka­plan ihm un­ver­se­hens ent­ge­gen­ge­spro­chen hat­te, fing er an, sehr un­zu­sam­men­hän­gen­de Sa­chen zu sa­gen, und gleich als hät­te er es selbst be­merkt, ging er plötz­lich aus dem Saal und ver­schloss sich in sein Zim­mer. Man glaub­te, dass er dort lan­ge blei­ben wür­de; aber nach ei­ner Stun­de kam er zu­rück bleich und matt, schlepp­te sich von Stuhl zu Stuhl, ging um Con­sue­lo her­um, der er nicht mehr Auf­merk­sam­keit als an den vo­ri­gen Ta­gen zu wid­men schi­en und zog sich zu­letzt in eine tie­fe Fens­ter­ni­sche zu­rück, wo er, den Kopf in sei­ne Hän­de ge­stützt, un­be­weg­lich sit­zen blieb.

      Es