suchte voll Besorgnis Consuelo’s Urteil aus deren Augen zu lesen, und der Baron, der keine andere Musik liebte als das angenehme Blasen der Jagdhörner, und sich einbildete, seine Tochter sänge zu gut, als dass er es fassen könnte, rechnete mit Bestimmtheit auf einen lobenden Ausspruch. Nur der Kaplan ergötzte sich wirklich an diesen Kehlkunststücken, die er vor Amaliens Ankunft nie gehört hatte und wiegte seinen dicken Kopf mit seligem Lächeln.
Consuelo sah wohl, dass sie durch die ungeschminkte Wahrheit die Familie in Schrecken setzen würde. Sie behielt es sich daher vor, ihre Schülerin unter vier Augen über alles aufzuklären, was sie vergessen müsste, bevor sie daran denken könnte, etwas zu lernen, lobte ihre Stimme, befragte sie über die Studien, welche sie gemacht hätte, lobte die Wahl der Werke, die man sie hatte üben lassen, und entging so der Unannehmlichkeit zu bekennen, dass sie dieselben auf verkehrte Weise eingeübt hatte.
Man trennte sich sehr zufrieden mit einer Prüfung, die für niemanden hart gewesen war als für Consuelo. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein und durchlief das Stück, das sie entweihen gehört, mit den Augen und sang es sich in Gedanken vor, um den unangenehmen Eindruck wieder zu verwischen, den sie davon empfangen hatte.
Ende des zweiten Teils.
1 Dieses Palestrina (nicht mit dem bekannteren Gebirgsstädtchen in der Nähe Roms zu verwechseln) ist eine Laguneninsel unterhalb Venedigs. Unterhalb, also auf der Straße nach Süden, nach Pomposa, Ravenna, Rimini. Die Überfahrt nach Palestrina könnte nur den Zweck haben, um in dem Hafen des dicht dabei gelegenen Chioggia (Chiozza im venetian. Dialekt) zu Schiffe zu gehen nach Triest. Consuelo muss aber guten Wind gehabt haben, um in den sieben oder acht Stunden, die seit ihrer Abreise verflossen sein können, schon Triest erreicht und noch ein Stück ins Land hinein zurückgelegt zu haben. Das Dampfboot braucht gewöhnlich mehr. Vielleicht verwechselt die Corilla hier Palestrina mit Fusina, von wo auf die Landstraßen nach dem Westen und Norden gehen. <<<
2 Der kundige Leser wird in den folgenden Abschnitten dieser von nun an ganz auf deutschem Boden spielenden Geschichte auf einige Willkürlichkeiten oder Irrtümer in den geschichtlichen und örtlichen Voraussetzungen stoßen, gewiss aber diese umso geneigter entschuldigen, als sich hier deutsche Geschichte und deutsche Verhältnisse im Allgemeinen mit weit mehr Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit geschildert finden, als es bei französischen Novellisten gewöhnlich der Fall ist. Zu Änderungen hat der Übersetzer sich nicht berufen geglaubt. Es wäre jawohl auch eine zu deutsche Pedanterei, Staffage und Costüm mit feinster historischer Sonde zu untersuchen, und höchstens nur dann erlaubt, wenn der Verfasser aus Prahlerei und ohne höheren ästhetischen Zweck als um recht bunt die Farben zu mischen, einen Aufwand von geschichtlichem Flitterwerk angebracht hätte: nicht aber hier, wo Schauplatz, Zeit der Handlung, Charaktere der handelnden Personen, alle geschichtlichen Beziehungen und Berührungen mit großem Bedacht, der inneren Wahrheit des Ganzen wegen, und im Dienste des Grundgedankens, aus welchem der Roman entwickelt ist, gewählt und künstlerisch zu einem Ganzen geordnet sind. <<<
3 Nämlich nach dem Sprichwort: Le Diable était beau, quand il était jeune. Wir haben im Deutschen meines Wissens nichts Ähnliches; dem Sinne nach entsprechend ist das Sprichwort: »Jung ist schön genug.« <<<
4 Siehe »Achter Teil« von »Die Gräfin von Rudolstadt« (Fortsetzung von »Consuelo«): »Johann Ziska. Episode aus dem Hussitenkriege« (Verlag von Otto Wigand, Leipzig, 1844), eine historische Studie der Verfasserin. Darin macht sie, so der Übersetzer L. Meyer, »ihre Leser mit den historischen Ereignissen näher bekannt ( …), die sie bei Gelegenheit von Consuelo’s Aufenthalt auf der Riesenburg zum Verständnis des seltsamen Charakters Albert’s nur flüchtig erwähnte.« <<<
5 Im Originale steht wiederholt Prachalitz, was ich für einen Druckfehler halte, da, meines Wissens, nur Prachatitz (Prachaticz) ein böhmischer Name ist (der einer Stadt im Prachiner Kreise und nach dieser dann der Herren von Prachatitz, deren mehre sich im Husitenkriege hervorgetan). Woher die Notiz entnommen, dass Ziska’s Tochter einem Prachatitz vermählt gewesen, oder ob (wie das ganze Rudolstädtsche Familienverhältnis) bloß erfunden, weiß ich nicht; denn Lenfant (Geschichte des Hussitenkrieges, Buch XI. §. 25.), vermutlich die Quelle unseres Verfassers, sagt: »Von Ziska’s Familie habe ich weiter nichts erkundet, als dass er verheiratet gewesen und eine Tochter hinterlassen, die dem Adel ihrer Vorfahren nicht entartete.« <<<
6 Die Hussiten zerfielen gleich beim Beginne des Aufstandes in eine mildere Partei (Calixtiner oder Utraquisten) und eine strengere (Taboriten, deren Führer Ziska war). Von den letzteren sonderte sich nach Ziska’s Tode eine Partei ab, welche Ziska für unersetzlich erklärte und sich deshalb »Waisen« nannte. Die »böhmischen Brüder« waren einzelne, zerstreute Gemeinden, die sich erst etwas später (um 1450) von den Calixtinern absonderten, und unter allen Verfolgungen, jeden Vertrag mit den Katholischen ablehnend, einen gereinigten Lehrbegriff festzuhalten suchten. <<<
7 Paratura – Aufputz; im engerem Sinne: Ausschmückung einer Kirche mit farbigen Drapperien, Teppichen, Lichtern u. s. w. bei festlichen Anlässen. <<<
Dritter Teil.
1.
Als die Familie sich gegen Abend wieder versammelt hatte, fühlte Consuelo, dass es ihr schon wohler ward im Kreise dieser Personen, die sie zu kennen anfing, und auf die Fragen, die ihr Jene, nun auch mutiger geworden, über ihr Vaterland, ihre Kunst und ihre Reisen taten, antwortete sie weniger kurz und zurückhaltend. Sie nahm sich aber sorgfältig in Acht, nicht von sich zu reden, und erzählte von den Dingen, in deren Mitte sie gelebt hatte, ohne je der Rolle zu gedenken, welche sie selbst dabei gespielt. Es war umsonst, dass die neugierige Amalie allerlei Versuche machte, sie im Gespräche zur Enthüllung ihrer persönlichen Verhältnisse zu drängen. Consuelo ging in keine ihrer Fallen