George Sand

Gesammelte Werke


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such­te voll Be­sorg­nis Con­sue­lo’s Ur­teil aus de­ren Au­gen zu le­sen, und der Baron, der kei­ne an­de­re Mu­sik lieb­te als das an­ge­neh­me Bla­sen der Jagd­hör­ner, und sich ein­bil­de­te, sei­ne Toch­ter sän­ge zu gut, als dass er es fas­sen könn­te, rech­ne­te mit Be­stimmt­heit auf einen lo­ben­den Auss­pruch. Nur der Ka­plan er­götz­te sich wirk­lich an die­sen Kehl­kunst­stücken, die er vor Ama­li­ens An­kunft nie ge­hört hat­te und wieg­te sei­nen di­cken Kopf mit se­li­gem Lä­cheln.

      Con­sue­lo sah wohl, dass sie durch die un­ge­schmink­te Wahr­heit die Fa­mi­lie in Schre­cken set­zen wür­de. Sie be­hielt es sich da­her vor, ihre Schü­le­rin un­ter vier Au­gen über al­les auf­zu­klä­ren, was sie ver­ges­sen müss­te, be­vor sie dar­an den­ken könn­te, et­was zu ler­nen, lob­te ihre Stim­me, be­frag­te sie über die Stu­di­en, wel­che sie ge­macht hät­te, lob­te die Wahl der Wer­ke, die man sie hat­te üben las­sen, und ent­ging so der Unan­nehm­lich­keit zu be­ken­nen, dass sie die­sel­ben auf ver­kehr­te Wei­se ein­ge­übt hat­te.

      Man trenn­te sich sehr zu­frie­den mit ei­ner Prü­fung, die für nie­man­den hart ge­we­sen war als für Con­sue­lo. Sie schloss sich in ih­rem Zim­mer ein und durch­lief das Stück, das sie ent­wei­hen ge­hört, mit den Au­gen und sang es sich in Ge­dan­ken vor, um den un­an­ge­neh­men Ein­druck wie­der zu ver­wi­schen, den sie da­von emp­fan­gen hat­te.

       En­de des zwei­ten Teils.

      1 Die­ses Pa­le­stri­na (nicht mit dem be­kann­te­ren Ge­birgs­städt­chen in der Nähe Roms zu ver­wech­seln) ist eine La­gu­nen­in­sel un­ter­halb Ve­ne­digs. Un­ter­halb, also auf der Stra­ße nach Sü­den, nach Pom­po­sa, Ra­ven­na, Ri­mi­ni. Die Über­fahrt nach Pa­le­stri­na könn­te nur den Zweck ha­ben, um in dem Ha­fen des dicht da­bei ge­le­ge­nen Chiog­gia (Chioz­za im ve­ne­ti­an. Dia­lekt) zu Schif­fe zu ge­hen nach Triest. Con­sue­lo muss aber gu­ten Wind ge­habt ha­ben, um in den sie­ben oder acht Stun­den, die seit ih­rer Abrei­se ver­flos­sen sein kön­nen, schon Triest er­reicht und noch ein Stück ins Land hin­ein zu­rück­ge­legt zu ha­ben. Das Dampf­boot braucht ge­wöhn­lich mehr. Vi­el­leicht ver­wech­selt die Co­ril­la hier Pa­le­stri­na mit Fu­si­na, von wo auf die Land­stra­ßen nach dem Wes­ten und Nor­den ge­hen. <<<

      2 Der kun­di­ge Le­ser wird in den fol­gen­den Ab­schnit­ten die­ser von nun an ganz auf deut­schem Bo­den spie­len­den Ge­schich­te auf ei­ni­ge Will­kür­lich­kei­ten oder Irr­tü­mer in den ge­schicht­li­chen und ört­li­chen Voraus­set­zun­gen sto­ßen, ge­wiss aber die­se umso ge­neig­ter ent­schul­di­gen, als sich hier deut­sche Ge­schich­te und deut­sche Ver­hält­nis­se im All­ge­mei­nen mit weit mehr Sach­kennt­nis und Ge­wis­sen­haf­tig­keit ge­schil­dert fin­den, als es bei fran­zö­si­schen No­vel­lis­ten ge­wöhn­lich der Fall ist. Zu Än­de­run­gen hat der Über­set­zer sich nicht be­ru­fen ge­glaubt. Es wäre ja­wohl auch eine zu deut­sche Pe­dan­terei, Staf­fa­ge und Co­stüm mit feins­ter his­to­ri­scher Son­de zu un­ter­su­chen, und höchs­tens nur dann er­laubt, wenn der Ver­fas­ser aus Prah­le­rei und ohne hö­he­ren äs­the­ti­schen Zweck als um recht bunt die Far­ben zu mi­schen, einen Auf­wand von ge­schicht­li­chem Flit­ter­werk an­ge­bracht hät­te: nicht aber hier, wo Schau­platz, Zeit der Hand­lung, Cha­rak­tere der han­deln­den Per­so­nen, alle ge­schicht­li­chen Be­zie­hun­gen und Berüh­run­gen mit großem Be­dacht, der in­ne­ren Wahr­heit des Gan­zen we­gen, und im Diens­te des Grund­ge­dan­kens, aus wel­chem der Ro­man ent­wi­ckelt ist, ge­wählt und künst­le­risch zu ei­nem Gan­zen ge­ord­net sind. <<<

      3 Näm­lich nach dem Sprich­wort: Le Dia­ble était beau, quand il était jeu­ne. Wir ha­ben im Deut­schen mei­nes Wis­sens nichts Ähn­li­ches; dem Sin­ne nach ent­spre­chend ist das Sprich­wort: »Jung ist schön ge­nug.« <<<

      4 Sie­he »Ach­ter Teil« von »Die Grä­fin von Ru­dol­stadt« (Fort­set­zung von »Con­sue­lo«): »Jo­hann Zis­ka. Epi­so­de aus dem Hus­si­ten­krie­ge« (Ver­lag von Otto Wi­gand, Leip­zig, 1844), eine his­to­ri­sche Stu­die der Ver­fas­se­rin. Da­rin macht sie, so der Über­set­zer L. Mey­er, »ihre Le­ser mit den his­to­ri­schen Er­eig­nis­sen nä­her be­kannt ( …), die sie bei Ge­le­gen­heit von Con­sue­lo’s Auf­ent­halt auf der Rie­sen­burg zum Ver­ständ­nis des selt­sa­men Cha­rak­ters Al­ber­t’s nur flüch­tig er­wähn­te.« <<<

      5 Im Ori­gi­na­le steht wie­der­holt Pra­cha­litz, was ich für einen Druck­feh­ler hal­te, da, mei­nes Wis­sens, nur Pracha­titz (Pracha­ticz) ein böh­mi­scher Name ist (der ei­ner Stadt im Pra­chi­ner Krei­se und nach die­ser dann der Her­ren von Pracha­titz, de­ren meh­re sich im Hu­si­ten­krie­ge her­vor­ge­tan). Wo­her die No­tiz ent­nom­men, dass Zis­ka’s Toch­ter ei­nem Pracha­titz ver­mählt ge­we­sen, oder ob (wie das gan­ze Ru­dol­städt­sche Fa­mi­li­en­ver­hält­nis) bloß er­fun­den, weiß ich nicht; denn Len­fant (Ge­schich­te des Hus­si­ten­krie­ges, Buch XI. §. 25.), ver­mut­lich die Quel­le un­se­res Ver­fas­sers, sagt: »Von Zis­ka’s Fa­mi­lie habe ich wei­ter nichts er­kun­det, als dass er ver­hei­ra­tet ge­we­sen und eine Toch­ter hin­ter­las­sen, die dem Adel ih­rer Vor­fah­ren nicht ent­ar­te­te.« <<<

      6 Die Hus­si­ten zer­fie­len gleich beim Be­gin­ne des Auf­stan­des in eine mil­de­re Par­tei (Ca­lix­ti­ner oder Utra­quis­ten) und eine stren­ge­re (Ta­bo­ri­ten, de­ren Füh­rer Zis­ka war). Von den letz­te­ren son­der­te sich nach Zis­ka’s Tode eine Par­tei ab, wel­che Zis­ka für un­er­setz­lich er­klär­te und sich des­halb »Wai­sen« nann­te. Die »böh­mi­schen Brü­der« wa­ren ein­zel­ne, zer­streu­te Ge­mein­den, die sich erst et­was spä­ter (um 1450) von den Ca­lix­ti­nern ab­son­der­ten, und un­ter al­len Ver­fol­gun­gen, je­den Ver­trag mit den Ka­tho­li­schen ab­leh­nend, einen ge­rei­nig­ten Lehr­be­griff fest­zu­hal­ten such­ten. <<<

      7 Pa­ra­tu­ra – Auf­putz; im en­ge­rem Sin­ne: Aus­schmückung ei­ner Kir­che mit far­bi­gen Drap­pe­ri­en, Tep­pi­chen, Lich­tern u. s. w. bei fest­li­chen An­läs­sen. <<<

      Dritter Teil.

      1.

      Als die Fa­mi­lie sich ge­gen Abend wie­der ver­sam­melt hat­te, fühl­te Con­sue­lo, dass es ihr schon woh­ler ward im Krei­se die­ser Per­so­nen, die sie zu ken­nen an­fing, und auf die Fra­gen, die ihr Jene, nun auch mu­ti­ger ge­wor­den, über ihr Va­ter­land, ihre Kunst und ihre Rei­sen ta­ten, ant­wor­te­te sie we­ni­ger kurz und zu­rück­hal­tend. Sie nahm sich aber sorg­fäl­tig in Acht, nicht von sich zu re­den, und er­zähl­te von den Din­gen, in de­ren Mit­te sie ge­lebt hat­te, ohne je der Rol­le zu ge­den­ken, wel­che sie selbst da­bei ge­spielt. Es war um­sonst, dass die neu­gie­ri­ge Ama­lie al­ler­lei Ver­su­che mach­te, sie im Ge­sprä­che zur Ent­hül­lung ih­rer per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se zu drän­gen. Con­sue­lo ging in kei­ne ih­rer Fal­len