Offenherzig, ja, das bin ich; aber Sie, Nina, sind Sie es auch? Ja, einen großen Sinn, ein redliches Herz verrät Ihre Miene; aber sind Sie mitteilend? Ich glaube nicht.
– Es geziemt mir nicht, es zuerst zu sein; nicht wahr? Sie, jetzt meine Beschützerin, in deren Hand für den Augenblick mein Schicksal liegt, müssen mir darin vorangehen.
– Sie haben recht, aber Ihr hoher Sinn macht mir Furcht. Wenn Sie mich toll und töricht sehen, nicht wahr, Sie werden mich nicht zu sehr ausschelten?
– Ich habe dazu keinerlei Recht. Ich bin Ihre Musiklehrerin, nichts weiter. Übrigens wird sich ein armes Mädchen aus der untern Klasse, wie ich es bin, stets in seinen Schranken halten.
– Sie, ein Mädchen aus der unteren Klasse, hoffärtige Porporina? Sie lügen. O, es ist unmöglich. Ich würde Sie eher für einen heimlichen Sprößling aus irgend einer fürstlichen Familie halten. Was war Ihre Mutter?
– Sie sang, wie ich.
– Und Ihr Vater?
Consuelo schwieg verlegen. Sie war nicht darauf vorbereitet, die vertraulich zudringlichen Fragen der kleinen Baronesse zu beantworten. In Wahrheit hatte sie nie von ihrem Vater reden hören und war nie darauf gefallen, zu fragen, ob sie einen hätte.
– Gut, gut! rief Amalie, hell auflachend, das ist der Punkt, ich dachte es wohl. Ihr Vater ist irgend ein spanischer Grand oder ein Doge von Venedig.
Diese Redensarten dünkten Consuelo leichtfertig und verletzend.
– Demnach, sagte sie ein wenig verstimmt, demnach würde ein armer Künstler oder ein ehrlicher Handwerksmann kein Recht gehabt haben, ein von der Natur wohlbegabtes Kind in die Welt zu setzen? Und müssen denn die Kinder aus dem Volk gerade plump und missgestaltet sein?
– Das letztere ist eine Stichelei auf meine Tante Wenceslawa, rief Amalie mit noch stärkerem Gelächter. Nun, liebe Nina, verzeihen Sie es mir, wenn ich Sie ein Bischen böse mache und lassen Sie mir die Freude, mir in meinem Kopfe einen schönen Roman über Ihr Leben zusammenzusetzen. Aber geschwind mach Toilette, Kind; denn es wird gleich schlagen, und Tante ließe eher die ganze Familie Hungers sterben, als dass sie ohne Sie das Frühstück auftragen ließe. Ich will Ihnen Ihre Koffer öffnen helfen, geben Sie mir die Schlüssel. Sie haben ganz gewiss die reizendsten Toiletten von Venedig mitgebracht und ich bin ganz begierig die neuesten Moden von Ihnen zu erfahren, ich, die ich hier und schon so lange im Lande der Wilden lebe.
Consuelo, die sich beeilte, ihr Haar in Ordnung zu bringen, gab die Schlüssel hin ohne auf Amaliens Geplauder zu hören. Die Baronin öffnete geschwind einen Kasten, den sie mit Putzsachen angefüllt glaubte; aber zu ihrem großen Erstaunen fand sie nichts als eine Masse alter Musikalien, abgegriffene Drucksachen und Handschriftliches, das ganz unleserlich schien.
– Ah! was für Zeugs ist denn das? rief sie, eilig ihre hübschen Finger abwischend. Sie haben da eine sonderbare Garderobe, liebes Kind!
– Es sind Schätze, gute Baronesse; haben Sie Achtung davor! sagte Consuelo. Es sind eigenhändige Arbeiten der größten Meister darunter, und ich wollte mit leichterem Mute meine Stimme als etwas davon meinem Meister Porpora verlieren, der sie mir anvertraut hat.
Amalie öffnete einen zweiten Kasten und fand ihn angefüllt mit rostriertem Notenpapier, mit musikalischen Schriften, Büchern über Kompositionslehre, Generalbass und Kontrapunkt.
– Aha! ich verstehe, das ist Ihr Schmuckkästchen, sagte sie lachend.
– Ich habe kein anderes, antwortete Consuelo, und ich hoffe, dass Sie sich desselben fleißig bedienen werden.
– Nun ja, ich sehe schon, Sie sind eine strenge Lehrerin. Aber darf man Sie fragen, ohne Sie zu kränken, liebe Nina, wo Sie Ihre Kleider haben?
– Da unten in dem kleinen Carton, antwortete Consuelo und ging ihn hervorzulangen; er enthielt ein sorgfältig zusammengelegtes schwarzseidenes Kleidchen, das sie Amalien zeigte.
– Das ist alles? fragte Amalie.
– Alles, antwortete Consuelo; und noch mein Reisekleid. In den nächsten Tagen will ich mir ein zweites schwarzes Kleid machen, ganz wie das andere, damit ich abzuwechseln habe.
– Ach, liebes Kind, Sie haben also Trauer?
– So etwas ist’s, Signora! sagte Consuelo ernst.
– In diesem Falle vergeben Sie mir. Ich hätte es Ihnen abmerken sollen, dass Sie einen Gram im Herzen bergen und ich habe Sie darum doch lieb. Ja, wir werden uns nur noch leichter verstehen, denn ich habe auch viel Ursach, traurig zu sein und ich könnte schon um den Gatten, den man mir bestimmt hatte, Trauer anlegen. Ach! liebe Nina, lassen Sie sich durch meine Lustigkeit nicht abschrecken; das ist oft nur erkünstelt, um einen tiefen Schmerz zu verstecken.
Sie küssten sich und gingen hinunter in den Salon, wo sie erwartet wurden.
Consuelo sah beim ersten Blick, dass ihr bescheidenes schwarzes Kleid und ihr bis an das Kinn hinauf mit einer Gagatnadel zusammengestecktes weißes Tuch dem Stiftsfräulein eine sehr günstige Meinung von ihr beibrachten. Der alte Christian war etwas weniger verlegen und eben so liebenswürdig gegen sie als am vorigen Abend. Baron Friedrich, der aus Courtoisie es sich diesen Morgen versagt hatte, auf die Suche zu gehen, konnte kein Wort für sie finden, obgleich er sich tausend angenehme Sachen ausgedacht hatte, die er ihr in Bezug auf ihre Güte, sich seiner Tochter anzunehmen, sagen wollte. Er setzte sich jedoch neben ihr an die Tafel und beeiferte sich, sie zu bedienen, wobei er so ämsig und sorgsam zu Werke ging, dass er gar keine Zeit behielt, an die Befriedigung seines eigenen Appetits zu denken.
Der Kaplan erkundigte sich bei ihr, wie der Patriarch von Venedig seine Prozessionen anordnete, und ließ sich den Pomp der Gottesdienste und die Paraturen7 der Kirchen beschreiben. Er sah aus ihren Antworten, dass sie die letzteren viel besucht hatte, und als er hörte, dass sie sich für den heiligen Gesang gebildet hätte, gewann er eine außerordentliche Achtung für sie.
Und Graf Albert? Consuelo hatte kaum gewagt, nach ihm aufzusehen, gerade deswegen, weil er der einzige war, der ihre Neugierde lebhaft erregte. Sie wusste nicht, wie er sie begrüßt hatte. Sie hatte ihn nur im Spiegel gesehen, als er durch den Salon schritt, hatte aber bemerkt, dass sein Anzug eine gewisse Sorgfalt verriet, obgleich er wie immer schwarz ging. Er hatte ganz den Anstand eines vornehmen Mannes, aber sein Bart und sein loses Haar im Verein mit seiner dunkeln