George Sand

Gesammelte Werke


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Of­fen­her­zig, ja, das bin ich; aber Sie, Nina, sind Sie es auch? Ja, einen großen Sinn, ein red­li­ches Herz ver­rät Ihre Mie­ne; aber sind Sie mit­tei­lend? Ich glau­be nicht.

      – Es ge­ziemt mir nicht, es zu­erst zu sein; nicht wahr? Sie, jetzt mei­ne Be­schüt­ze­rin, in de­ren Hand für den Au­gen­blick mein Schick­sal liegt, müs­sen mir dar­in vor­an­ge­hen.

      – Sie ha­ben recht, aber Ihr ho­her Sinn macht mir Furcht. Wenn Sie mich toll und tö­richt se­hen, nicht wahr, Sie wer­den mich nicht zu sehr aus­schel­ten?

      – Ich habe dazu kei­ner­lei Recht. Ich bin Ihre Mu­sik­leh­re­rin, nichts wei­ter. Üb­ri­gens wird sich ein ar­mes Mäd­chen aus der un­tern Klas­se, wie ich es bin, stets in sei­nen Schran­ken hal­ten.

      – Sie, ein Mäd­chen aus der un­te­ren Klas­se, hof­fär­ti­ge Por­po­ri­na? Sie lü­gen. O, es ist un­mög­lich. Ich wür­de Sie eher für einen heim­li­chen Spröß­ling aus ir­gend ei­ner fürst­li­chen Fa­mi­lie hal­ten. Was war Ihre Mut­ter?

      – Sie sang, wie ich.

      – Und Ihr Va­ter?

      Con­sue­lo schwieg ver­le­gen. Sie war nicht dar­auf vor­be­rei­tet, die ver­trau­lich zu­dring­li­chen Fra­gen der klei­nen Baro­nes­se zu be­ant­wor­ten. In Wahr­heit hat­te sie nie von ih­rem Va­ter re­den hö­ren und war nie dar­auf ge­fal­len, zu fra­gen, ob sie einen hät­te.

      – Gut, gut! rief Ama­lie, hell auf­la­chend, das ist der Punkt, ich dach­te es wohl. Ihr Va­ter ist ir­gend ein spa­ni­scher Grand oder ein Doge von Ve­ne­dig.

      Die­se Re­dens­ar­ten dünk­ten Con­sue­lo leicht­fer­tig und ver­let­zend.

      – Dem­nach, sag­te sie ein we­nig ver­stimmt, dem­nach wür­de ein ar­mer Künst­ler oder ein ehr­li­cher Hand­werks­mann kein Recht ge­habt ha­ben, ein von der Na­tur wohl­be­gab­tes Kind in die Welt zu set­zen? Und müs­sen denn die Kin­der aus dem Volk ge­ra­de plump und miss­ge­stal­tet sein?

      – Das letz­te­re ist eine Sti­che­lei auf mei­ne Tan­te Wences­la­wa, rief Ama­lie mit noch stär­ke­rem Ge­läch­ter. Nun, lie­be Nina, ver­zei­hen Sie es mir, wenn ich Sie ein Bi­schen böse ma­che und las­sen Sie mir die Freu­de, mir in mei­nem Kop­fe einen schö­nen Ro­man über Ihr Le­ben zu­sam­men­zu­set­zen. Aber ge­schwind mach Toi­let­te, Kind; denn es wird gleich schla­gen, und Tan­te lie­ße eher die gan­ze Fa­mi­lie Hun­gers ster­ben, als dass sie ohne Sie das Früh­stück auf­tra­gen lie­ße. Ich will Ih­nen Ihre Kof­fer öff­nen hel­fen, ge­ben Sie mir die Schlüs­sel. Sie ha­ben ganz ge­wiss die rei­zends­ten Toi­let­ten von Ve­ne­dig mit­ge­bracht und ich bin ganz be­gie­rig die neues­ten Mo­den von Ih­nen zu er­fah­ren, ich, die ich hier und schon so lan­ge im Lan­de der Wil­den lebe.

      Con­sue­lo, die sich be­eil­te, ihr Haar in Ord­nung zu brin­gen, gab die Schlüs­sel hin ohne auf Ama­li­ens Ge­plau­der zu hö­ren. Die Baro­nin öff­ne­te ge­schwind einen Kas­ten, den sie mit Putz­sa­chen an­ge­füllt glaub­te; aber zu ih­rem großen Er­stau­nen fand sie nichts als eine Mas­se al­ter Mu­si­ka­li­en, ab­ge­grif­fe­ne Druck­sa­chen und Hand­schrift­li­ches, das ganz un­le­ser­lich schi­en.

      – Ah! was für Zeugs ist denn das? rief sie, ei­lig ihre hüb­schen Fin­ger ab­wi­schend. Sie ha­ben da eine son­der­ba­re Gar­de­ro­be, lie­bes Kind!

      – Es sind Schät­ze, gute Baro­nes­se; ha­ben Sie Ach­tung da­vor! sag­te Con­sue­lo. Es sind ei­gen­hän­di­ge Ar­bei­ten der größ­ten Meis­ter dar­un­ter, und ich woll­te mit leich­te­rem Mute mei­ne Stim­me als et­was da­von mei­nem Meis­ter Por­po­ra ver­lie­ren, der sie mir an­ver­traut hat.

      Ama­lie öff­ne­te einen zwei­ten Kas­ten und fand ihn an­ge­füllt mit rostrier­tem No­ten­pa­pier, mit mu­si­ka­li­schen Schrif­ten, Bü­chern über Kom­po­si­ti­ons­leh­re, Ge­ne­ral­bass und Kon­tra­punkt.

      – Aha! ich ver­ste­he, das ist Ihr Schmuck­käst­chen, sag­te sie la­chend.

      – Ich habe kein an­de­res, ant­wor­te­te Con­sue­lo, und ich hof­fe, dass Sie sich des­sel­ben flei­ßig be­die­nen wer­den.

      – Nun ja, ich sehe schon, Sie sind eine stren­ge Leh­re­rin. Aber darf man Sie fra­gen, ohne Sie zu krän­ken, lie­be Nina, wo Sie Ihre Klei­der ha­ben?

      – Da un­ten in dem klei­nen Car­ton, ant­wor­te­te Con­sue­lo und ging ihn her­vor­zu­lan­gen; er ent­hielt ein sorg­fäl­tig zu­sam­men­ge­leg­tes schwarz­sei­de­nes Kleid­chen, das sie Ama­li­en zeig­te.

      – Das ist al­les? frag­te Ama­lie.

      – Al­les, ant­wor­te­te Con­sue­lo; und noch mein Rei­se­kleid. In den nächs­ten Ta­gen will ich mir ein zwei­tes schwar­zes Kleid ma­chen, ganz wie das an­de­re, da­mit ich ab­zu­wech­seln habe.

      – Ach, lie­bes Kind, Sie ha­ben also Trau­er?

      – So et­was ist’s, Si­gno­ra! sag­te Con­sue­lo ernst.

      – In die­sem Fal­le ver­ge­ben Sie mir. Ich hät­te es Ih­nen ab­mer­ken sol­len, dass Sie einen Gram im Her­zen ber­gen und ich habe Sie dar­um doch lieb. Ja, wir wer­den uns nur noch leich­ter ver­ste­hen, denn ich habe auch viel Ur­sach, trau­rig zu sein und ich könn­te schon um den Gat­ten, den man mir be­stimmt hat­te, Trau­er an­le­gen. Ach! lie­be Nina, las­sen Sie sich durch mei­ne Lus­tig­keit nicht ab­schre­cken; das ist oft nur er­küns­telt, um einen tie­fen Schmerz zu ver­ste­cken.

      Sie küss­ten sich und gin­gen hin­un­ter in den Sa­lon, wo sie er­war­tet wur­den.

      Con­sue­lo sah beim ers­ten Blick, dass ihr be­schei­de­nes schwar­zes Kleid und ihr bis an das Kinn hin­auf mit ei­ner Ga­gat­na­del zu­sam­men­ge­steck­tes wei­ßes Tuch dem Stifts­fräu­lein eine sehr güns­ti­ge Mei­nung von ihr bei­brach­ten. Der alte Chris­ti­an war et­was we­ni­ger ver­le­gen und eben so lie­bens­wür­dig ge­gen sie als am vo­ri­gen Abend. Baron Fried­rich, der aus Cour­toi­sie es sich die­sen Mor­gen ver­sagt hat­te, auf die Su­che zu ge­hen, konn­te kein Wort für sie fin­den, ob­gleich er sich tau­send an­ge­neh­me Sa­chen aus­ge­dacht hat­te, die er ihr in Be­zug auf ihre Güte, sich sei­ner Toch­ter an­zu­neh­men, sa­gen woll­te. Er setz­te sich je­doch ne­ben ihr an die Ta­fel und be­ei­fer­te sich, sie zu be­die­nen, wo­bei er so ämsig und sorg­sam zu Wer­ke ging, dass er gar kei­ne Zeit be­hielt, an die Be­frie­di­gung sei­nes ei­ge­nen Ap­pe­tits zu den­ken.

      Und Graf Al­bert? Con­sue­lo hat­te kaum ge­wagt, nach ihm auf­zu­se­hen, ge­ra­de des­we­gen, weil er der ein­zi­ge war, der ihre Neu­gier­de leb­haft er­reg­te. Sie wuss­te nicht, wie er sie be­grüßt hat­te. Sie hat­te ihn nur im Spie­gel ge­se­hen, als er durch den Sa­lon schritt, hat­te aber be­merkt, dass sein An­zug eine ge­wis­se Sorg­falt ver­riet, ob­gleich er wie im­mer schwarz ging. Er hat­te ganz den An­stand ei­nes vor­neh­men Man­nes, aber sein Bart und sein lo­ses Haar im Ve­rein mit sei­ner dun­keln