teure Tante), der letzte, der unsern Namen trug, mit seinem Blute den Schreckenstein gerötet hatte? Ich will wetten, Sie haben Ihre Aufführung bei dieser Gelegenheit vergessen, mein Herr Abbé.
– Ich habe sie in der Tat rein vergessen, antwortete der Abbé mit einem spöttischen Lächeln, welches gewiss in einem Augenblick sehr unzeitig war, wo es uns allen deutlich wurde, dass Albert völlig irre redete.
– Nun wohl! ich will sie Euch ins Gedächtnis rufen, Herr Abbé, entgegnete Albert, ohne aus seiner Fassung zu kommen. Ihr liefet sehr eilig, den kaiserlichen Soldaten Rat zu geben, denen es gelungen war, sich zu retten oder zu verstecken, weil die Bürger von Pilsen, die den Mut hatten sich als Protestanten zu bekennen und dem Withold sehr zugetan waren, herbeieilten, um seinen Tod zu rächen und seine Mörder in Stücke zu hauen. Hierauf eiltet Ihr zu meiner Urgroßmutter Ulrike, der zitternden, erschreckten Wittwe Witholds, und verhießet ihr, sie mit Kaiser Ferdinand II. auszusöhnen, ihre Güter, ihre Titel, ihre Freiheit und das Leben ihrer Kinder zu retten, wenn sie Euerem Rate folgen und Euch Euere Dienste mit gutem Golde bezahlen wollte: sie sagte Ja, ihr Mutterherz machte sie so schwach. Sie sah das Martyrtum ihres edlen Gemahles nicht an. Sie war eine geborene Katholikin und hatte nur aus Liebe zu ihm ihrem Glauben abgesagt. Sie fühlte sich nicht stark genug, Elend, Acht und Verfolgung auf sich zu nehmen, um ihre Kinder dem Glauben, den Withold mit seinem Blute besiegelt hatte, um ihnen den Namen zu erhalten, den er noch herrlicher gemacht hatte als alle seine Vorfahren, was sie immer waren, Hussiten, Calixtiner, Taboriten, Waisen, böhmische Brüder, Lutheraner.
Dies sind lauter Sektennamen, liebe Porporina! welche verschiedene Parteien von Anhängern der hussischen und lutherschen Ketzerei bezeichnen;6 diesen verschiedenen Parteien hatten vermutlich verschiedene Glieder des Zweiges der Familie Podiebrad, von welchem wir abstammen, angehört.
Genug, so sprach Albert weiter, die Sächsin fürchtete sich und gab nach. Ihr nahmet Besitz vom Schlosse, Ihr schicktet die kaiserlichen Haufen weg, Ihr stelltet ein ungeheueres Autodafé von unseren Urkunden, unseren Archiven an. Das ist die Ursache, weshalb meine Tante, zu ihrem Glücke, den Stammbaum der Podiebrad nicht hat wiederherstellen können, und sich ganz und gar darauf gelegt hat, den der Rudolstadt abzuweiden, was freilich weniger schwer zu verdauende Kost ist. Zum Lohn für Euere Dienste wurdet Ihr reich, gewaltig reich. Drei Monate danach erhielt Ulrike Erlaubnis, in Wien die Knie des Kaisers zu umfassen, der ihr in Gnaden vergönnte, ihre Kinder zu denationalisieren, sie durch Euch in der römischen Religion erziehen zu lassen und sie zuletzt unter die Fahnen zu stellen, gegen welche ihr Vater und ihre Vorfahren so tapfer gestritten hatten. So wurden wir österreichisch, ich und meine Söhne …
– Du und deine Söhne! … rief meine Tante voll Verzweiflung, da sie ihn so fantasieren hörte.
– Ja meine Söhne, Sigismund und Rudolph, erwiderte Albert mit der größten Ernsthaftigkeit.
– Er nennt meinen Vater und meinen Oheim, sagte Graf Christian. Albert, bist du von Sinnen? Komm zu dir, mein Sohn, mehr als ein Jahrhundert trennt uns von diesen schmerzlichen Ereignissen, welche die Vorsehung über uns verhängt hatte.
Albert ließ nicht los. Er stand in der Einbildung und wollte uns einbilden, dass er eben jener Wratislaw, Witholds Sohn wäre, der erste Podiebrad, welcher von seiner Mutter den Namen Rudolstadt trug. Er schilderte uns seine Kindheit, die deutliche Erinnerung, welche er von dem Tode des Grafen Withold hätte, und diesen Tod bürdete er dem Jesuiten Dithmar auf, der kein anderer gewesen wäre als der jetzige Abbé; er schilderte uns den tiefen Hass, den er in seiner Kindheit gegen diesen Dithmar, gegen Österreich, gegen die Kaiserlichen und die Katholiken eingesogen hätte. Alsdann schienen seine Erinnerungen sich zu verwirren und er sagte tausend unbegreifliche Dinge über das ewige und unvergängliche Leben, über die Wiederkunft der Menschen auf Erden, und bezog sich in Betreff dieser Lehre auf den unter den Hussiten verbreiteten Glauben, dass Johann Huß hundert Jahre nach seinem Tode wieder erscheinen und sein Werk vollenden würde, was sich dann auch erfüllt habe, indem er in Luther wieder aufgestanden sei. Kurz, seine Reden waren ein Gemisch von ketzerischen Meinungen, abergläubischen Vorstellungen, dunklen metaphysischen Sätzen und poetischen Rasereien, und alles dies trug er mit einer solchen Überzeugung vor, mit so vielen genau geschilderten und merkwürdigen Einzelheiten über alles, was er nicht nur als Wratislaw, sondern auch als Johann Ziska selbst und ich weiß nicht wer noch sonst von Verstorbenen in seinen vormaligen Lebensphasen gesehen haben wollte, dass wir ihn starr vor Erstaunen anhörten und dass niemand das Herz hatte, ihn zu unterbrechen oder ihm zu widersprechen. Mein Onkel und meine Tante, denen diese ihrer Meinung nach gottlosen Fantasien höchst schmerzlich waren, wollten wenigstens seinem Wahnwitz ganz auf den Grund kommen, denn es war das erste Mal, dass derselbe sich so unverholen aussprach, und wenn man versuchen wollte, ihn zu bekämpfen, musste man seine Quelle kamen. Der Abbé gab sich alle Mühe, die Sache ins Lustige zu kehren und uns glauben zu machen, Graf Albert wäre spaßhaft und schadenfroh genug, uns durch seine Bekanntschaft mit der ungläubigen Geschichte in Schrecken zu jagen.
– Er hat so viel gelesen, sagte er, dass er uns die Geschichte aller Jahrhunderte Kapitel für Kapitel auf diese Weise erzählen könnte, so ins Einzelne eingehend und so umständlich, dass ein etwas wundergläubiges Gemüt vermeinen sollte, er müsste in Wahrheit den Auftritten, die er schildert, beigewohnt haben. Meine Tante, deren brünstige Religiosität nicht sehr weit vom Aberglauben entfernt ist und die schon anfing, ihrem Neffen aufs Wort zu glauben, nahm die Bemerkungen des Abbé sehr übel und riet ihm, seine spaßhafte Erklärung für eine frohere Gelegenheit aufzusparen, dann machte sie jede Anstrengung, um Albert von dem Wahn, der seinen Kopf anfüllte, zurückzubringen.
– Nehmen Sie sich in Acht, Tante! rief Albert ungeduldig, dass ich Ihnen nicht auch sage, wer Sie sind. Bis jetzt habe ich es nicht wissen mögen, aber es ist Etwas, was mir in diesem Augenblicke anzeigt, dass die Sächsin Ulrike vor mir steht.
– Wie, mein Kind! antwortete sie, diese kluge und fromme Ältermutter, die ihren Kindern das Leben und ihren Nachkommen Freiheit, Gut und Ehren rettete, glaubst du in mir wieder aufgelebt zu sehen? Nun sieh, Albert. In der Tat liebe ich dich so, dass ich für dich noch mehr täte, ich würde mein Leben hingeben, wenn ich damit deinem verwirrten Geiste die Ruhe erkaufen könnte.
Albert sah sie