– Du, Mutter! rief er und blickte mich mit schrecklichen Augen an, fordere das nicht, ich kann es dir nie vergeben. Gott ließ mich unter dem Herzen eines stärkeren Weibes von Neuem werden, gebar mich wieder aus Ziska’s Blut, aus meinem eigensten Lebensborn, der mir, ich weiß nicht wie, entwichen war. Amalie, sieh mich nicht an und vor allem sprich nicht zu mir. Es ist Ihre Stimme, Mutter Ulrike, diese Stimme ist es, die heute mir alle Pein macht, die ich leide.
Mit diesen Worten ging Albert schnell aus dem Saale, und wir blieben zurück bestürzt über die traurige Entdeckung, dass sein Verstand verwirrt war.
Es war zwei Uhr nach Mittage: wir hatten still wie gewöhnlich unsere Mahlzeit gehalten, Albert hatte nur Wasser getrunken. Wir konnten uns nicht damit beruhigen, dass er mit uns in einem Rausche geredet haben mochte. Der Kaplan und meine Tante gingen ihm auf der Stelle nach, um Sorge für ihn zu tragen, denn sie hielten ihn für sehr krank. Aber unbegreiflich! Albert war wie durch Zauberei verschwunden; man fand ihn weder in seinem, noch in seiner Mutter Zimmer, wo er sich sonst oft einzuschließen pflegte, noch in irgend einem Winkel des Schlosses; man suchte ihn im Garten, im Park, im anstoßenden Holze, auf den Bergen. Niemand hatte ihn weder nah noch fern gesehen. Nirgend eine Spur seines Fußtritts. So ging der Tag hin, so die folgende Nacht. Niemand im Hause ging zu Bette. Unsere Leute waren bis an den Morgen auf den Beinen, um ihn mit Fackeln zu suchen.
Die ganze Familie legte sich aufs Beten. Auch der ganze folgende Tag ging in der nämlichen Angst, die zweite Nacht in der nämlichen Bestürzung hin. Der Aufruhr ist unbeschreiblich, in welchem ich mich befand, ich, die ich noch nie in meinem Leben durch ein häusliches Ereignis von solcher Wichtigkeit erschreckt und beunruhigt worden war. Ich glaubte ernstlich, dass sich Albert ein Leides getan oder sich für immer aus dem elterlichen Hause geflüchtet habe. Ich fiel in Krämpfe und in ein ziemlich heftiges Fieber. Ich liebte ihn noch ein wenig, ungeachtet der Furcht, die sein absonderliches und geheimnisvolles Wesen mir einflößte. Mein Vater behielt Kraft genug jagen zu gehen, indem er sich einredete, er würde Albert, wenn er weithin suchte, wohl tief im Walde finden. Meine arme Tante, die der Schmerz verzehrte, war dennoch ämsig und voll Mut, pflegte mich und suchte alle Welt zu beruhigen. Mein Onkel betete Tag und Nacht. Seinen Glauben und seine Ergebung in den Willen des Höchsten sehend, bedauerte ich, dass ich nicht fromm war.
Der Abbé stellte sich ein wenig bekümmert, tat aber dabei, als ob er sich keine Unruhe wegen der Sache weiter machte. Zwar ist Albert, sagte er, noch niemals, während ich mit ihm lebte, auf diese Art verschwunden, allein er hat immer Einsamkeit und Sammlung sehr nötig gehabt. Das Ende vom Liede war jedes Mal, man könnte ihn von seinen Sonderbarkeiten nicht sicherer heilen, als wenn man sich denselben nie widersetzte und nicht viel darauf zu achten schiene.
Die Sache war, dass dieser schlaue und selbstsüchtige Gesell nur darauf bedacht gewesen, das bedeutende Gehalt, welches er als Albert’s Beaufsichtiger bezog, sich so lange als irgend möglich zu sichern, indem er die Familie über den Erfolg seiner Bemühungen in Täuschung erhielt. Seinen eigenen Angelegenheiten und Vergnügungen hingegeben, hatte er sich um Albert’s überspannten Hang nicht gekümmert. Er hatte ihn vielleicht oft krank und exaltiert gesehen; er hatte ohne Zweifel den Fantasien seines Pflegebefohlenen ganz freien Lauf gelassen. So viel ist gewiss, dass er geschickt genug war, sie vor allen Personen, die uns darüber hätten Bericht geben können, zu verstecken, denn alle Briefe, die mein Onkel in Betreff seines Sohnes erhielt, waren voll von Lobsprüchen über dessen Erscheinung und von Glückwünschen über dessen persönliche Vorzüge. Albert hatte sich nirgend in den Ruf eines Kranken oder Verrückten gebracht.
Wie dem nun sei, sein inneres Leben während der acht Jahre seiner Abwesenheit ist uns ein undurchdringliches Geheimnis geblieben. Da der Abbé sah, dass Albert nach Verlauf dreier Tage noch immer nicht wieder erschien, und fürchten musste, dass ihm dieser Zwischenfall eine schlimme Stellung bereiten würde, so suchte er das Weite, indem er vorgab, er wollte sehen, ob meinen Vetter nicht etwa der Wunsch, irgend ein seltenes Buch zu benutzen oder dergleichen, nach Prag gelockt habe.
– Er ist, sagte er, wie die Gelehrten, die sich in ihre Nachforschungen völlig vertiefen und die ganze Welt vergessen, um ihrer unschuldigen Leidenschaft nachzuhängen.
Unter diesem Vorwande reiste der Abbé ab und hat sich nicht wieder blicken lassen.
Nach sieben Tagen tödlicher Angst, als wir schon verzweifelten, Albert je wieder zu erblicken, sah meine Tante, die gegen Abend nach seinem Zimmer ging, die Türe offen und ihren Neffen auf seinem Lehnstuhl sitzend und mit seinem Hunde, der ihn auf seiner geheimnisvollen Reise begleitet hatte, spielend. Seine Kleidung war weder beschmutzt noch zerrissen, nur die Vergoldung etwas blind, wie wenn er an einem feuchten Orte gewesen wäre, oder die Nächte unter freiem Himmel zugebracht hätte. Seine Schuhe sahen nicht aus, als ob er viel gegangen wäre, aber Bart und Haar bewiesen, dass er an Sorgfalt für seinen Körper lange nicht gedacht hatte. Er hat sich seitdem nie wieder rasieren und pudern mögen wie andere Männer; daher kommt es, dass er Ihnen wie ein Gespenst erschienen ist.
Meine Tante stürzte sich laut schreiend auf ihn.
– Was ist Ihnen, gute Tante? sagte er, indem er ihre Hand küsste. Man sollte denken, Sie hätten mich seit hundert Jahren nicht gesehen.
– Unglückliches Kind! rief sie, seit sieben Tagen bist du von uns, ohne uns ein Wort gesagt zu haben, sieben tödlich lange Tage, sieben fürchterliche Nächte haben wir dich gesucht, haben wir um dich geweint, haben wir für dich gebetet.
– Sieben Tage? sagte Albert und sah sie erstaunt an. Sie haben wohl sagen wollen sieben Stunden, liebe Tante; denn heut morgen bin ich ausgegangen, um einen Spaziergang zu machen und bin zur rechten Zeit wiedergekommen, um mit euch zu Abend zu essen. Wie habe ich euch denn durch eine so kurze Abwesenheit so große Unruhe machen können?
– Ja freilich, sagte sie, aus Furcht, sein Übel zu verschlimmern, wenn sie ihm die Wahrheit sagte, ich habe mich versprochen, ich meinte sieben Stunden. Ich habe mich beunruhigt, weil es gegen deine Gewohnheit ist, so lange Spaziergänge zu machen, und dann hatte ich diese Nacht einen bösen Traum: ich war eine Närrin.
– Gute Tante, treue Freundin! sagte Albert, ihre Hand mit Küssen bedeckend, Sie lieben mich, wie man ein Kindchen liebt. Mein Vater hat doch, will ich hoffen, Ihre Unruhe nicht geteilt?
– Nein, keinesweges. Er erwartet dich beim Abendtische. Du bist wohl recht hungrig?
– O nein,