George Sand

Gesammelte Werke


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      – Du, Mut­ter! rief er und blick­te mich mit schreck­li­chen Au­gen an, for­de­re das nicht, ich kann es dir nie ver­ge­ben. Gott ließ mich un­ter dem Her­zen ei­nes stär­ke­ren Wei­bes von Neu­em wer­den, ge­bar mich wie­der aus Zis­ka’s Blut, aus mei­nem ei­gens­ten Le­bens­born, der mir, ich weiß nicht wie, ent­wi­chen war. Ama­lie, sieh mich nicht an und vor al­lem sprich nicht zu mir. Es ist Ihre Stim­me, Mut­ter Ul­ri­ke, die­se Stim­me ist es, die heu­te mir alle Pein macht, die ich lei­de.

      Mit die­sen Wor­ten ging Al­bert schnell aus dem Saa­le, und wir blie­ben zu­rück be­stürzt über die trau­ri­ge Ent­de­ckung, dass sein Ver­stand ver­wirrt war.

      Es war zwei Uhr nach Mit­ta­ge: wir hat­ten still wie ge­wöhn­lich un­se­re Mahl­zeit ge­hal­ten, Al­bert hat­te nur Was­ser ge­trun­ken. Wir konn­ten uns nicht da­mit be­ru­hi­gen, dass er mit uns in ei­nem Rau­sche ge­re­det ha­ben moch­te. Der Ka­plan und mei­ne Tan­te gin­gen ihm auf der Stel­le nach, um Sor­ge für ihn zu tra­gen, denn sie hiel­ten ihn für sehr krank. Aber un­be­greif­lich! Al­bert war wie durch Zau­be­rei ver­schwun­den; man fand ihn we­der in sei­nem, noch in sei­ner Mut­ter Zim­mer, wo er sich sonst oft ein­zu­schlie­ßen pfleg­te, noch in ir­gend ei­nem Win­kel des Schlos­ses; man such­te ihn im Gar­ten, im Park, im an­sto­ßen­den Hol­ze, auf den Ber­gen. Nie­mand hat­te ihn we­der nah noch fern ge­se­hen. Nir­gend eine Spur sei­nes Fuß­tritts. So ging der Tag hin, so die fol­gen­de Nacht. Nie­mand im Hau­se ging zu Bet­te. Un­se­re Leu­te wa­ren bis an den Mor­gen auf den Bei­nen, um ihn mit Fa­ckeln zu su­chen.

      Die gan­ze Fa­mi­lie leg­te sich aufs Be­ten. Auch der gan­ze fol­gen­de Tag ging in der näm­li­chen Angst, die zwei­te Nacht in der näm­li­chen Be­stür­zung hin. Der Aufruhr ist un­be­schreib­lich, in wel­chem ich mich be­fand, ich, die ich noch nie in mei­nem Le­ben durch ein häus­li­ches Er­eig­nis von sol­cher Wich­tig­keit er­schreckt und be­un­ru­higt wor­den war. Ich glaub­te ernst­lich, dass sich Al­bert ein Lei­des ge­tan oder sich für im­mer aus dem el­ter­li­chen Hau­se ge­flüch­tet habe. Ich fiel in Krämp­fe und in ein ziem­lich hef­ti­ges Fie­ber. Ich lieb­te ihn noch ein we­nig, un­ge­ach­tet der Furcht, die sein ab­son­der­li­ches und ge­heim­nis­vol­les We­sen mir ein­flö­ßte. Mein Va­ter be­hielt Kraft ge­nug ja­gen zu ge­hen, in­dem er sich ein­re­de­te, er wür­de Al­bert, wenn er weit­hin such­te, wohl tief im Wal­de fin­den. Mei­ne arme Tan­te, die der Schmerz ver­zehr­te, war den­noch ämsig und voll Mut, pfleg­te mich und such­te alle Welt zu be­ru­hi­gen. Mein On­kel be­te­te Tag und Nacht. Sei­nen Glau­ben und sei­ne Er­ge­bung in den Wil­len des Höchs­ten se­hend, be­dau­er­te ich, dass ich nicht fromm war.

      Der Abbé stell­te sich ein we­nig be­küm­mert, tat aber da­bei, als ob er sich kei­ne Un­ru­he we­gen der Sa­che wei­ter mach­te. Zwar ist Al­bert, sag­te er, noch nie­mals, wäh­rend ich mit ihm leb­te, auf die­se Art ver­schwun­den, al­lein er hat im­mer Ein­sam­keit und Samm­lung sehr nö­tig ge­habt. Das Ende vom Lie­de war je­des Mal, man könn­te ihn von sei­nen Son­der­bar­kei­ten nicht si­che­rer hei­len, als wenn man sich den­sel­ben nie wi­der­setz­te und nicht viel dar­auf zu ach­ten schie­ne.

      Die Sa­che war, dass die­ser schlaue und selbst­süch­ti­ge Ge­sell nur dar­auf be­dacht ge­we­sen, das be­deu­ten­de Ge­halt, wel­ches er als Al­ber­t’s Beauf­sich­ti­ger be­zog, sich so lan­ge als ir­gend mög­lich zu si­chern, in­dem er die Fa­mi­lie über den Er­folg sei­ner Be­mü­hun­gen in Täu­schung er­hielt. Sei­nen ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten und Ver­gnü­gun­gen hin­ge­ge­ben, hat­te er sich um Al­ber­t’s über­spann­ten Hang nicht ge­küm­mert. Er hat­te ihn viel­leicht oft krank und ex­al­tiert ge­se­hen; er hat­te ohne Zwei­fel den Fan­tasi­en sei­nes Pfle­ge­be­foh­le­nen ganz frei­en Lauf ge­las­sen. So viel ist ge­wiss, dass er ge­schickt ge­nug war, sie vor al­len Per­so­nen, die uns dar­über hät­ten Be­richt ge­ben kön­nen, zu ver­ste­cken, denn alle Brie­fe, die mein On­kel in Be­treff sei­nes Soh­nes er­hielt, wa­ren voll von Lob­sprü­chen über des­sen Er­schei­nung und von Glück­wün­schen über des­sen per­sön­li­che Vor­zü­ge. Al­bert hat­te sich nir­gend in den Ruf ei­nes Kran­ken oder Ver­rück­ten ge­bracht.

      Wie dem nun sei, sein in­ne­res Le­ben wäh­rend der acht Jah­re sei­ner Ab­we­sen­heit ist uns ein un­durch­dring­li­ches Ge­heim­nis ge­blie­ben. Da der Abbé sah, dass Al­bert nach Ver­lauf drei­er Tage noch im­mer nicht wie­der er­schi­en, und fürch­ten muss­te, dass ihm die­ser Zwi­schen­fall eine schlim­me Stel­lung be­rei­ten wür­de, so such­te er das Wei­te, in­dem er vor­gab, er woll­te se­hen, ob mei­nen Vet­ter nicht etwa der Wunsch, ir­gend ein sel­te­nes Buch zu be­nut­zen oder der­glei­chen, nach Prag ge­lockt habe.

      – Er ist, sag­te er, wie die Ge­lehr­ten, die sich in ihre Nach­for­schun­gen völ­lig ver­tie­fen und die gan­ze Welt ver­ges­sen, um ih­rer un­schul­di­gen Lei­den­schaft nach­zu­hän­gen.

      Un­ter die­sem Vor­wan­de reis­te der Abbé ab und hat sich nicht wie­der bli­cken las­sen.

      Nach sie­ben Ta­gen töd­li­cher Angst, als wir schon ver­zwei­fel­ten, Al­bert je wie­der zu er­bli­cken, sah mei­ne Tan­te, die ge­gen Abend nach sei­nem Zim­mer ging, die Türe of­fen und ih­ren Nef­fen auf sei­nem Lehn­stuhl sit­zend und mit sei­nem Hun­de, der ihn auf sei­ner ge­heim­nis­vol­len Rei­se be­glei­tet hat­te, spie­lend. Sei­ne Klei­dung war we­der be­schmutzt noch zer­ris­sen, nur die Ver­gol­dung et­was blind, wie wenn er an ei­nem feuch­ten Orte ge­we­sen wäre, oder die Näch­te un­ter frei­em Him­mel zu­ge­bracht hät­te. Sei­ne Schu­he sa­hen nicht aus, als ob er viel ge­gan­gen wäre, aber Bart und Haar be­wie­sen, dass er an Sorg­falt für sei­nen Kör­per lan­ge nicht ge­dacht hat­te. Er hat sich seit­dem nie wie­der ra­sie­ren und pu­dern mö­gen wie an­de­re Män­ner; da­her kommt es, dass er Ih­nen wie ein Ge­s­penst er­schie­nen ist.

      Mei­ne Tan­te stürz­te sich laut schrei­end auf ihn.

      – Was ist Ih­nen, gute Tan­te? sag­te er, in­dem er ihre Hand küss­te. Man soll­te den­ken, Sie hät­ten mich seit hun­dert Jah­ren nicht ge­se­hen.

      – Un­glück­li­ches Kind! rief sie, seit sie­ben Ta­gen bist du von uns, ohne uns ein Wort ge­sagt zu ha­ben, sie­ben töd­lich lan­ge Tage, sie­ben fürch­ter­li­che Näch­te ha­ben wir dich ge­sucht, ha­ben wir um dich ge­weint, ha­ben wir für dich ge­be­tet.

      – Sie­ben Tage? sag­te Al­bert und sah sie er­staunt an. Sie ha­ben wohl sa­gen wol­len sie­ben Stun­den, lie­be Tan­te; denn heut mor­gen bin ich aus­ge­gan­gen, um einen Spa­zier­gang zu ma­chen und bin zur rech­ten Zeit wie­der­ge­kom­men, um mit euch zu Abend zu es­sen. Wie habe ich euch denn durch eine so kur­ze Ab­we­sen­heit so große Un­ru­he ma­chen kön­nen?

      – Ja frei­lich, sag­te sie, aus Furcht, sein Übel zu ver­schlim­mern, wenn sie ihm die Wahr­heit sag­te, ich habe mich ver­spro­chen, ich mein­te sie­ben Stun­den. Ich habe mich be­un­ru­higt, weil es ge­gen dei­ne Ge­wohn­heit ist, so lan­ge Spa­zier­gän­ge zu ma­chen, und dann hat­te ich die­se Nacht einen bö­sen Traum: ich war eine När­rin.

      – Gute Tan­te, treue Freun­din! sag­te Al­bert, ihre Hand mit Küs­sen be­de­ckend, Sie lie­ben mich, wie man ein Kind­chen liebt. Mein Va­ter hat doch, will ich hof­fen, Ihre Un­ru­he nicht ge­teilt?

      – Nein, kei­nes­we­ges. Er er­war­tet dich beim Abend­ti­sche. Du bist wohl recht hung­rig?

      – O nein,