George Sand

Gesammelte Werke


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Und du fühlst dich nicht un­wohl?

      – Nicht im ge­rings­ten.

      – Nicht er­mü­det? Du bist ohne Zwei­fel weit ge­lau­fen? Ber­ge hin­auf­ge­klet­tert? Das ist an­stren­gend. Wo warst du denn?

      Al­bert hielt die Hand auf sei­ne Au­gen, als ob er sich be­sän­ne, aber er konn­te es nichts fin­den.

      – Ich ge­ste­he Ih­nen, ant­wor­te­te er, dass ich es selbst nicht weiß. Ich war ganz in Ge­dan­ken. Ich ging im­mer­fort, ohne mich um­zu­se­hen, wie ich als Kind pfleg­te, wis­sen Sie? Da konn­te ich Ih­nen auch im­mer kei­ne Ant­wort ge­ben, wenn Sie mich frag­ten.

      – Sage, auf dei­nen Rei­sen, hast du denn da mehr auf das ge­ach­tet, was um dich her vor­ging?

      – Manch­mal, aber nicht im­mer. Ich habe vie­ler­lei be­merkt, viel an­de­res aber nicht be­ach­tet, Gott sei Dank.

      – Und warum Gott sei Dank?

      – Weil es Din­ge auf die­ser Welt gibt, die schreck­lich zu se­hen sind, sag­te er, in­dem er mit ei­ner fins­tern Stirn, wie mei­ne Tan­te sie noch nicht an ihm ge­se­hen hat­te, sich er­hob. Sie glaub­te das Ge­spräch ab­bre­chen zu müs­sen und lief zu mei­nem On­kel, um ihm die Nach­richt zu brin­gen, dass sein Sohn wie­der da wäre. Es wuss­te es noch nie­mand im Hau­se, nie­mand hat­te ihn kom­men se­hen. Sei­ne Wie­der­kunft war eben so spur­los wie sein Ver­schwin­den.

      Mein ar­mer On­kel, der so viel Kraft be­wie­sen hat­te, das Un­glück zu tra­gen, fand im ers­ten Au­gen­bli­cke kei­ne für die Freu­de. Er ver­lor das Be­wusst­sein, und als Al­bert bei ihm ein­trat, war er blei­cher als sein Sohn. Al­bert, der seit sei­ner Rück­kehr von der Rei­se von dem, was sei­ne Um­ge­bung be­un­ru­hig­te, nie das ge­rings­te zu be­mer­ken schi­en, war an die­sem Tage ein ganz an­de­rer Mensch. Er mach­te sei­nem Va­ter tau­send Lieb­ko­sun­gen, nahm mit Be­sorg­nis wahr, dass die­ser so übel aus­sah und frag­te nach der Ur­sa­che. Aber so­bald man sich ge­trau­te, ihm die­se zu ver­ste­hen zu ge­ben, wuss­te er nicht, was man mein­te und ant­wor­te­te mit ei­ner Un­be­fan­gen­heit, wel­che klar zu be­wei­sen schi­en, dass er durch­aus nichts da­von wuss­te, wie und wo er die sie­ben Tage sei­ner Ab­we­sen­heit zu­ge­bracht.

      – Was Sie mir er­zäh­len, hört sich wie ein Traum an, sag­te Con­sue­lo, und macht mir mehr Lust, dar­über zu grü­beln als zu schla­fen, mei­ne lie­be Baro­nin! Wie ist es doch mög­lich, dass ein le­ben­der Mensch sie­ben Tage ohne al­les Be­wusst­sein zu­brin­ge.

      – Und doch ist es gar nichts ge­gen das, was ich Ih­nen noch zu er­zäh­len habe, und bis Sie sich durch den Au­gen­schein über­zeugt ha­ben wer­den, dass ich nicht über­trei­be, son­dern im Ge­gen­teil, um kurz zu sein, al­les noch schwä­che, wer­den Sie, wie ich mir leicht den­ken kann, Mühe ha­ben, mir zu glau­ben. Ich selbst, die ich das, was ich Ih­nen er­zäh­le, mit an­ge­se­hen habe, fra­ge mich noch manch­mal, ob Al­bert ein He­xen­meis­ter ist, oder ob er uns zum Bes­ten hat. Aber es ist spät und wahr­haf­tig, ich fürch­te, Ihre Güte zu miss­brau­chen.

      – Viel­mehr ich die Ih­ri­ge, ent­geg­ne­te Con­sue­lo; das Spre­chen muss Sie er­mü­det ha­ben. Ver­schie­ben wir auf mor­gen Abend, wenn es Ih­nen recht ist, die Fort­set­zung die­ser un­glaub­li­chen Ge­schich­te.

      – Gut denn, auf mor­gen, sag­te Ama­lie, sie um­ar­mend.

      12.

      Die in der Tat un­glaub­li­che Ge­schich­te, wel­che sie ver­nom­men hat­te, hielt Con­sue­lo noch ziem­lich lan­ge mun­ter. Die dunkle, reg­nich­te und heu­len­de Nacht trug dazu bei, un­heim­li­che Ge­füh­le in ihr zu er­we­cken, die ihr bis da­hin fremd ge­we­sen wa­ren. Es gibt also doch, sag­te sie bei sich, ein un­er­klär­li­ches Ver­häng­nis, das über ge­wis­sen We­sen brü­tet? Was hat­te die­ses jun­ge Mäd­chen Got­te ge­tan, das mir jetzt eben mit so großer Of­fen­heit die Ver­wun­dung ih­rer nai­ven Ei­gen­lie­be und die Zer­stö­rung ih­rer schö­nen Träu­me ge­schil­dert hat? Ich selbst, was habe ich Übles ge­tan, dass mei­ne ein­zi­ge Lie­be so schreck­lich zer­knickt und zer­bro­chen ward in mei­nem Her­zen? Aber ach! wel­che Schuld hat denn die­ser men­schen­scheue Al­bert von Ru­dol­stadt auf sich ge­la­den, dass er so sein Be­wusst­sein und sein Le­bens­ziel ver­lie­ren muss? Was hat den An­zo­le­to so ab­scheu­lich in den Au­gen Got­tes ge­macht, dass Gott ihn da­hin­gab, wie er tat, so bö­sen Nei­gun­gen, so un­se­li­gen Ver­su­chun­gen?

      Von Mü­dig­keit end­lich-über­mannt, schlief sie ein und ver­lor sich in ei­nem Ge­wirr von Traum­bil­dern ohne Zu­sam­men­hang und ohne Aus­gang. Zwei oder drei­mal wur­de sie wach und schlief wie­der ein, ohne sich Re­chen­schaft ge­ben zu kön­nen, wo sie sich be­fän­de: es kam ihr vor, als wäre sie noch im­mer auf der Rei­se. Por­po­ra, An­zo­le­to, Graf Zus­ti­nia­ni, die Co­ril­la tra­ten ihr ab­wech­selnd vor die Au­gen und sag­ten ihr wun­der­li­che und trau­ri­ge Din­ge, klag­ten sie ich weiß nicht wel­ches Ver­bre­chens an, des­sen Stra­fe sie trug, ohne sich er­in­nern zu kön­nen, dass sie es be­gan­gen hät­te. Aber alle die­se Er­schei­nun­gen ver­schwan­den wie­der vor der des Gra­fen Al­bert, der im­mer aufs Neue sich ihr dar­stell­te in sei­nem schwar­zen Bar­te, sei­nem star­ren Blick, sei­nem Trau­er­klei­de mit Gold ge­stickt und auf Au­gen­bli­cke mit Trä­nen be­setzt wie ein Lei­chen­tuch.

      Sie fand, als sie end­lich völ­lig er­wach­te, Ama­lie schon in ge­schmack­vol­lem Put­ze, frisch und lä­chelnd vor ih­rem Bet­te.

      – Wis­sen Sie wohl, lie­be Por­po­ri­na, sag­te die jun­ge Baro­nin, sie auf die Stirn küs­send, dass Sie eine Selt­sam­keit an sich ha­ben? Es ist mein Loos mit au­ßer­or­dent­li­chen We­sen zu le­ben, denn si­cher­lich sind auch Sie ein sol­ches. Seit ei­ner Vier­tel­stun­de habe ich Sie, wäh­rend Sie schlie­fen, be­trach­tet, um mich bei lich­tem Tage zu über­zeu­gen, ob Sie wohl schö­ner sei­en als ich. Ich ge­ste­he Ih­nen, dass mir dies ei­ni­ge Sor­ge macht, und dass ich, ob­wohl ich es ver­schwo­ren habe, Al­bert noch zu lie­ben, doch ziem­lich emp­find­lich sein wür­de, wenn ich fän­de, dass er sich von Ih­nen ein­neh­men lie­ße. Was wol­len Sie? Er ist hier der ein­zi­ge Mann und ich war bis jetzt das ein­zi­ge Frau­en­zim­mer. Nun sind wir un­ser Zwei, und wir wer­den mit­ein­an­der ein Hähn­chen zu pflücken ha­ben, wenn Sie mich zu sehr aus­ste­chen.

      – Es be­liebt Ih­nen zu spot­ten, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, das ist nicht groß­mü­tig. Aber wol­len Sie nicht das Ka­pi­tel der Sti­che­lei­en bei Sei­te las­sen. und mir sa­gen, was ich Au­ßer­or­dent­li­ches an mir habe? Vi­el­leicht ist es mei­ne Häss­lich­keit, die sich ganz wie­der ein­ge­fun­den hat. Es ist mir, als müss­te das wirk­lich der Fall sein.

      – Ich will Ih­nen die Wahr­heit sa­gen, Nina. Bei dem ers­ten Blick, den ich heu­te auf Sie warf, hat­te ich über Ihre Bläs­se, Ihre großen, halb ge­schlos­se­nen und mehr star­ren­den als schla­fen­den Au­gen, Ihren ma­ge­ren Arm au­ßer­halb des Bet­tes einen Au­gen­blick lang einen Tri­umph. Dann aber, als ich Sie im­mer­fort an­sah, war ich wie er­schreckt vor Ih­rer Un­be­weg­lich­keit und wahr­haft kö­nig­li­chen Hal­tung. Ihr Arm ist der ei­ner Kö­ni­gin, ich kann nicht an­ders sa­gen, und Ihre Ruhe hat et­was Ge­bie­te­ri­sches und Über­wäl­ti­gen­des, was ich mir nicht er­klä­ren kann. Ich kann es mir nicht mehr ver­ber­gen, dass ich Sie jetzt fürch­ter­lich schön fin­de, und doch ist so viel Sanf­tes in Ihrem Auge. Sa­gen Sie mir, was für eine Per­son sind Sie nur! Sie zie­hen mich an und Sie ma­chen