Und du fühlst dich nicht unwohl?
– Nicht im geringsten.
– Nicht ermüdet? Du bist ohne Zweifel weit gelaufen? Berge hinaufgeklettert? Das ist anstrengend. Wo warst du denn?
Albert hielt die Hand auf seine Augen, als ob er sich besänne, aber er konnte es nichts finden.
– Ich gestehe Ihnen, antwortete er, dass ich es selbst nicht weiß. Ich war ganz in Gedanken. Ich ging immerfort, ohne mich umzusehen, wie ich als Kind pflegte, wissen Sie? Da konnte ich Ihnen auch immer keine Antwort geben, wenn Sie mich fragten.
– Sage, auf deinen Reisen, hast du denn da mehr auf das geachtet, was um dich her vorging?
– Manchmal, aber nicht immer. Ich habe vielerlei bemerkt, viel anderes aber nicht beachtet, Gott sei Dank.
– Und warum Gott sei Dank?
– Weil es Dinge auf dieser Welt gibt, die schrecklich zu sehen sind, sagte er, indem er mit einer finstern Stirn, wie meine Tante sie noch nicht an ihm gesehen hatte, sich erhob. Sie glaubte das Gespräch abbrechen zu müssen und lief zu meinem Onkel, um ihm die Nachricht zu bringen, dass sein Sohn wieder da wäre. Es wusste es noch niemand im Hause, niemand hatte ihn kommen sehen. Seine Wiederkunft war eben so spurlos wie sein Verschwinden.
Mein armer Onkel, der so viel Kraft bewiesen hatte, das Unglück zu tragen, fand im ersten Augenblicke keine für die Freude. Er verlor das Bewusstsein, und als Albert bei ihm eintrat, war er bleicher als sein Sohn. Albert, der seit seiner Rückkehr von der Reise von dem, was seine Umgebung beunruhigte, nie das geringste zu bemerken schien, war an diesem Tage ein ganz anderer Mensch. Er machte seinem Vater tausend Liebkosungen, nahm mit Besorgnis wahr, dass dieser so übel aussah und fragte nach der Ursache. Aber sobald man sich getraute, ihm diese zu verstehen zu geben, wusste er nicht, was man meinte und antwortete mit einer Unbefangenheit, welche klar zu beweisen schien, dass er durchaus nichts davon wusste, wie und wo er die sieben Tage seiner Abwesenheit zugebracht.
– Was Sie mir erzählen, hört sich wie ein Traum an, sagte Consuelo, und macht mir mehr Lust, darüber zu grübeln als zu schlafen, meine liebe Baronin! Wie ist es doch möglich, dass ein lebender Mensch sieben Tage ohne alles Bewusstsein zubringe.
– Und doch ist es gar nichts gegen das, was ich Ihnen noch zu erzählen habe, und bis Sie sich durch den Augenschein überzeugt haben werden, dass ich nicht übertreibe, sondern im Gegenteil, um kurz zu sein, alles noch schwäche, werden Sie, wie ich mir leicht denken kann, Mühe haben, mir zu glauben. Ich selbst, die ich das, was ich Ihnen erzähle, mit angesehen habe, frage mich noch manchmal, ob Albert ein Hexenmeister ist, oder ob er uns zum Besten hat. Aber es ist spät und wahrhaftig, ich fürchte, Ihre Güte zu missbrauchen.
– Vielmehr ich die Ihrige, entgegnete Consuelo; das Sprechen muss Sie ermüdet haben. Verschieben wir auf morgen Abend, wenn es Ihnen recht ist, die Fortsetzung dieser unglaublichen Geschichte.
– Gut denn, auf morgen, sagte Amalie, sie umarmend.
12.
Die in der Tat unglaubliche Geschichte, welche sie vernommen hatte, hielt Consuelo noch ziemlich lange munter. Die dunkle, regnichte und heulende Nacht trug dazu bei, unheimliche Gefühle in ihr zu erwecken, die ihr bis dahin fremd gewesen waren. Es gibt also doch, sagte sie bei sich, ein unerklärliches Verhängnis, das über gewissen Wesen brütet? Was hatte dieses junge Mädchen Gotte getan, das mir jetzt eben mit so großer Offenheit die Verwundung ihrer naiven Eigenliebe und die Zerstörung ihrer schönen Träume geschildert hat? Ich selbst, was habe ich Übles getan, dass meine einzige Liebe so schrecklich zerknickt und zerbrochen ward in meinem Herzen? Aber ach! welche Schuld hat denn dieser menschenscheue Albert von Rudolstadt auf sich geladen, dass er so sein Bewusstsein und sein Lebensziel verlieren muss? Was hat den Anzoleto so abscheulich in den Augen Gottes gemacht, dass Gott ihn dahingab, wie er tat, so bösen Neigungen, so unseligen Versuchungen?
Von Müdigkeit endlich-übermannt, schlief sie ein und verlor sich in einem Gewirr von Traumbildern ohne Zusammenhang und ohne Ausgang. Zwei oder dreimal wurde sie wach und schlief wieder ein, ohne sich Rechenschaft geben zu können, wo sie sich befände: es kam ihr vor, als wäre sie noch immer auf der Reise. Porpora, Anzoleto, Graf Zustiniani, die Corilla traten ihr abwechselnd vor die Augen und sagten ihr wunderliche und traurige Dinge, klagten sie ich weiß nicht welches Verbrechens an, dessen Strafe sie trug, ohne sich erinnern zu können, dass sie es begangen hätte. Aber alle diese Erscheinungen verschwanden wieder vor der des Grafen Albert, der immer aufs Neue sich ihr darstellte in seinem schwarzen Barte, seinem starren Blick, seinem Trauerkleide mit Gold gestickt und auf Augenblicke mit Tränen besetzt wie ein Leichentuch.
Sie fand, als sie endlich völlig erwachte, Amalie schon in geschmackvollem Putze, frisch und lächelnd vor ihrem Bette.
– Wissen Sie wohl, liebe Porporina, sagte die junge Baronin, sie auf die Stirn küssend, dass Sie eine Seltsamkeit an sich haben? Es ist mein Loos mit außerordentlichen Wesen zu leben, denn sicherlich sind auch Sie ein solches. Seit einer Viertelstunde habe ich Sie, während Sie schliefen, betrachtet, um mich bei lichtem Tage zu überzeugen, ob Sie wohl schöner seien als ich. Ich gestehe Ihnen, dass mir dies einige Sorge macht, und dass ich, obwohl ich es verschworen habe, Albert noch zu lieben, doch ziemlich empfindlich sein würde, wenn ich fände, dass er sich von Ihnen einnehmen ließe. Was wollen Sie? Er ist hier der einzige Mann und ich war bis jetzt das einzige Frauenzimmer. Nun sind wir unser Zwei, und wir werden miteinander ein Hähnchen zu pflücken haben, wenn Sie mich zu sehr ausstechen.
– Es beliebt Ihnen zu spotten, entgegnete Consuelo, das ist nicht großmütig. Aber wollen Sie nicht das Kapitel der Sticheleien bei Seite lassen. und mir sagen, was ich Außerordentliches an mir habe? Vielleicht ist es meine Hässlichkeit, die sich ganz wieder eingefunden hat. Es ist mir, als müsste das wirklich der Fall sein.
– Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Nina. Bei dem ersten Blick, den ich heute auf Sie warf, hatte ich über Ihre Blässe, Ihre großen, halb geschlossenen und mehr starrenden als schlafenden Augen, Ihren mageren Arm außerhalb des Bettes einen Augenblick lang einen Triumph. Dann aber, als ich Sie immerfort ansah, war ich wie erschreckt vor Ihrer Unbeweglichkeit und wahrhaft königlichen Haltung. Ihr Arm ist der einer Königin, ich kann nicht anders sagen, und Ihre Ruhe hat etwas Gebieterisches und Überwältigendes, was ich mir nicht erklären kann. Ich kann es mir nicht mehr verbergen, dass ich Sie jetzt fürchterlich schön finde, und doch ist so viel Sanftes in Ihrem Auge. Sagen Sie mir, was für eine Person sind Sie nur! Sie ziehen mich an und Sie machen