George Sand

Gesammelte Werke


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sie ihre Hand in die Hand die­ses fan­tas­ti­schen Hel­den der Er­zäh­lun­gen und Träu­me ih­rer letz­ten Nacht leg­te; sie er­war­te­te die­se Hand kalt wie eine To­ten­hand zu fin­den. Aber sie fand sie weich und warm, wie die ei­nes Men­schen, der auf sich hält und sich wohl be­fin­det. Die Wahr­heit zu sa­gen, war Con­sue­lo nicht im­stan­de, die­se Be­mer­kung zu ma­chen. Vor in­ne­rer Auf­re­gung war ihr wie schwind­lig, und Ama­li­ens Blick, der je­der ih­rer Be­we­gun­gen folg­te, hät­te sie vollends au­ßer Fas­sung ge­bracht, wenn sie sich nicht mit al­ler Kraft be­waff­net hät­te, de­ren sie sich be­nö­tigt fühl­te, um ihre Wür­de die­sem scharf­zün­gi­gen jun­gen Frau­en­zim­mer ge­gen­über zu be­haup­ten. Sie er­wi­der­te die tie­fe Ver­beu­gung, die Al­bert ihr mach­te, nach­dem er sie zu ei­nem Ses­sel ge­führt hat­te; kein Wort, kein Blick ward un­ter ih­nen aus­ge­tauscht.

      – Wis­sens Sie, ver­rä­te­rische Por­po­ri­na, sag­te Ama­lie, sich ganz dicht zu ihr set­zend, um in Frei­heit ihr ins Ohr flüs­tern zu kön­nen, dass Sie Wun­der wir­ken auf mei­nen Vet­ter?

      – Bis jetzt habe ich nicht viel da­von ge­merkt, ant­wor­te­te Con­sue­lo.

      – Das macht, weil es Ih­nen nicht be­liebt, dar­auf zu ach­ten, wie er sich ge­gen mich be­nimmt. Seit ei­nem Jah­re hat er mir nicht ein ein­zi­ges Mal die Hand ge­bo­ten, um mich zu Ti­sche oder vom Ti­sche zu füh­ren, und se­hen Sie da! mit Ih­nen macht er sei­ne Sa­che so zier­lich wie mög­lich. Es ist wahr, er hat einen sei­ner glän­zends­ten Au­gen­bli­cke. Man soll­te den­ken, Sie hät­ten ihm die Wie­der­kehr sei­ner Ver­nunft und Ge­sund­heit mit­ge­bracht. Aber trau­en Sie dem Schei­ne nicht, Nina! Es wird mit Ih­nen ge­hen wie mit mir. Nach drei Ta­gen freund­li­cher Zu­vor­kom­men­heit wird er gar nicht mehr wis­sen, ob Sie da sind.

      – Ich sehe wohl, sag­te Con­sue­lo, ich wer­de mich dar­an ge­wöh­nen müs­sen, mich ne­cken zu las­sen.

      – Ist es nicht wahr, Tant­chen! sag­te Ama­lie lei­se zu dem Stifts­fräu­lein, das sich in die­sem Au­gen­blick zu ihr und Con­sue­lo setz­te, dass mein Cou­sin un­se­rer lie­ben Por­po­ri­na voll­stän­dig die Cour macht?

      – Kei­ne Spöt­te­rei­en, Ama­lie! sag­te Wences­la­wa sanft; Ma­de­moi­sel­le wird bald ge­nug den Grund un­se­res Kum­mers ge­wah­ren.

      – Ich spot­te nicht, gute Tan­te! Al­bert ist über­aus wohl die­sen Mor­gen und ich freue mich, ihn zu se­hen, wie ich ihn viel­leicht, seit­dem ich hier bin, nicht ge­se­hen habe. Wäre er fri­siert und ge­pu­dert wie alle Men­schen, so möch­te es ei­nem vor­kom­men, als ob er nie­mals krank ge­we­sen wäre.

      – Sein ru­hi­ges und ge­sun­des Aus­se­hen tut mir in der See­le wohl, ent­geg­ne­te das Fräu­lein, aber ich wage es nicht mehr, mir mit der Hoff­nung auf län­ge­re Dau­er ei­nes glück­li­che­ren Zu­stan­des bei ihm zu schmei­cheln.

      – Wie edel und gut er aus­sieht, sag­te Con­sue­lo, die das Herz des Stifts­fräu­leins recht am emp­find­lichs­ten Fleck für sich ein­neh­men woll­te.

      – Sie fin­den? sag­te Ama­lie, in­dem sie sie mit ih­rem schel­mi­schen und spöt­ti­schen Auge durch­bohr­te.

      – Ja, ich fin­de es, ent­geg­ne­te Con­sue­lo fest, und ich sag­te es Ih­nen schon ges­tern Abend, Si­gno­ra! nie hat ei­nes Men­schen Ge­sicht mir mehr Hochach­tung ein­ge­flö­ßt.

      – Ach! lie­bes Mäd­chen, sag­te das Stifts­fräu­lein, in­dem sie plötz­lich ihre stei­fe Hal­tung fah­ren ließ und be­wegt Con­sue­lo’s Hand drück­te; gute See­len er­ra­ten ein­an­der. Ich war voll Angst, dass Ih­nen mein ar­mes Kind Furcht ma­chen wür­de; es ist mir im­mer ein so großer Schmerz, wenn ich auf den Ge­sich­tern der an­de­ren den übeln Ein­druck lese, den ih­nen der­glei­chen Krank­hei­ten zu ma­chen pfle­gen. Aber ich sehe, Sie sind ge­fühl­voll, und Sie ha­ben es gleich ge­ahnt, dass in die­sem kran­ken, ge­bro­che­nen Kör­per eine er­ha­be­ne See­le wohnt, die ein bes­se­res Loos ver­dien­te.

      Con­sue­lo wur­de bis zu Trä­nen ge­rührt von den Wor­ten und dem Ton des treff­li­chen Fräu­leins; sie küss­te ihr die Hand recht aus be­weg­tem Her­zen. Sie emp­fand schon mehr Ver­trau­en und Zu­nei­gung zu die­ser al­ten, buck­li­gen Dame, als zu der glän­zen­den leicht­fer­ti­gen Ama­lie.

      Baron Fried­rich un­ter­brach sie, in­dem er, mehr auf sei­nen Mut als auf sei­ne Mit­tel ver­trau­end, nä­her trat und sich an­schick­te, die Si­gno­ra Por­po­ri­na um eine Gunst zu bit­ten. Noch lin­ki­scher, im Um­gan­ge mit Da­men, als sein äl­tes­ter Bru­der (es schi­en dies eine Art Fa­mi­li­en­feh­ler zu sein, den man sich da­her nicht zu sehr wun­dern durf­te, in Al­bert bis zur Men­schen­scheu aus­ge­bil­det zu se­hen) stot­ter­te er eine An­re­de nebst ei­ner Men­ge von Ent­schul­di­gun­gen her, die Ama­lie Con­sue­lon zu über­set­zen und ver­ständ­lich zu ma­chen sich be­müh­te.

      – Mein Va­ter will an­fra­gen, sag­te sie, ob Sie sich nach Ih­rer be­schwer­li­chen Rei­se schon wie­der kräf­tig ge­nug füh­len, um Mu­sik zu ma­chen, und ob es nicht Ihre Güte miss­brau­chen hie­ße, wenn er Sie bäte, mei­ne Stim­me zu prü­fen und zu se­hen, was ich ge­lernt habe.

      – Von Her­zen gern, ant­wor­te­te Con­sue­lo, in­dem sie rasch auf­stand und an das Cla­vier trat, wel­ches sie öff­ne­te.

      – Sie wer­den se­hen, sag­te Ama­lie lei­se zu ihr, wäh­rend sie ihr No­ten­buch auf das Pult leg­te, dass dies Al­ber­ten in die Flucht schlägt, trotz Ih­rer schö­nen Au­gen und der mei­ni­gen.

      In der Tat hat­te Ama­lie kaum an­ge­fan­gen zu prä­lu­die­ren, als Al­bert auf­stand und auf den Ze­hen­spit­zen wie je­mand, der sich un­be­merkt glaubt, hin­aus­sch­lich.

      – Es ist viel, sag­te Ama­lie noch im­mer flüs­ternd, wäh­rend sie ge­gen den Takt spiel­te, dass er nicht die Türe wü­tend zu­ge­wor­fen hat, wie ihm das oft wi­der­fährt, wenn ich zu fin­gen an­fan­ge. Er ist heu­te voll­kom­men lie­bens­wür­dig, man kann sa­gen ga­lant.

      Der Ka­plan trat in der Mei­nung, Al­ber­t’s Rück­zug da­durch ver­de­cken zu kön­nen, an das Kla­vier und tat so, als ob er mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit zu­hör­te. Die üb­ri­gen Per­so­nen bil­de­ten in ei­ni­ger Ent­fer­nung einen Halb­zir­kel und er­war­te­ten in ach­tungs­vol­ler Stil­le, was Con­sue­lo über ihre Schü­le­rin sa­gen wür­de.

      Ama­lie wähl­te keck­lich eine Arie aus Per­go­le­ses Achil­le in Sci­ro und sang sie dreist­weg von ei­nem Ende bis zum an­de­ren, mit ei­ner fri­schen und durch­drin­gen­den Stim­me und da­bei mit so ko­mi­schem deut­schen Ak­zent, dass Con­sue­lo, die noch nie so et­was ge­hört hat­te, die Lip­pen über ein­an­der biss, um nicht bei je­dem Wor­te auf­zu­la­chen. Sie brauch­te nicht vier Tak­te zu hö­ren, um zu wis­sen, dass die jun­ge Baro­nin nicht den min­des­ten Be­griff von Mu­sik hat­te. Sie hat­te ein bieg­sa­mes Or­gan und moch­te gu­ten Un­ter­richt er­hal­ten ha­ben; aber sie war viel zu leicht­sin­nig, um auf ir­gend et­was ein erns­tes Stu­di­um ge­wen­det zu ha­ben. Aus der­sel­ben Ur­sa­che glaub­te sie sich un­be­denk­lich der Sa­che ge­wach­sen und stürz­te mit wahr­haft deut­scher Kalt­blü­tig­keit die ver­we­gens­ten und schwie­rigs­ten Pas­sa­gen über den Hau­fen. Es hin­der­te sie gar nicht, dass sie eine nach der an­de­ren um­warf, und sie glaub­te ihr Un­ge­schick zu be­de­cken, wenn sie die Stim­me for­zier­te und auf das Kla­vier tüch­tig los­schlug,