sie ihre Hand in die Hand dieses fantastischen Helden der Erzählungen und Träume ihrer letzten Nacht legte; sie erwartete diese Hand kalt wie eine Totenhand zu finden. Aber sie fand sie weich und warm, wie die eines Menschen, der auf sich hält und sich wohl befindet. Die Wahrheit zu sagen, war Consuelo nicht imstande, diese Bemerkung zu machen. Vor innerer Aufregung war ihr wie schwindlig, und Amaliens Blick, der jeder ihrer Bewegungen folgte, hätte sie vollends außer Fassung gebracht, wenn sie sich nicht mit aller Kraft bewaffnet hätte, deren sie sich benötigt fühlte, um ihre Würde diesem scharfzüngigen jungen Frauenzimmer gegenüber zu behaupten. Sie erwiderte die tiefe Verbeugung, die Albert ihr machte, nachdem er sie zu einem Sessel geführt hatte; kein Wort, kein Blick ward unter ihnen ausgetauscht.
– Wissens Sie, verräterische Porporina, sagte Amalie, sich ganz dicht zu ihr setzend, um in Freiheit ihr ins Ohr flüstern zu können, dass Sie Wunder wirken auf meinen Vetter?
– Bis jetzt habe ich nicht viel davon gemerkt, antwortete Consuelo.
– Das macht, weil es Ihnen nicht beliebt, darauf zu achten, wie er sich gegen mich benimmt. Seit einem Jahre hat er mir nicht ein einziges Mal die Hand geboten, um mich zu Tische oder vom Tische zu führen, und sehen Sie da! mit Ihnen macht er seine Sache so zierlich wie möglich. Es ist wahr, er hat einen seiner glänzendsten Augenblicke. Man sollte denken, Sie hätten ihm die Wiederkehr seiner Vernunft und Gesundheit mitgebracht. Aber trauen Sie dem Scheine nicht, Nina! Es wird mit Ihnen gehen wie mit mir. Nach drei Tagen freundlicher Zuvorkommenheit wird er gar nicht mehr wissen, ob Sie da sind.
– Ich sehe wohl, sagte Consuelo, ich werde mich daran gewöhnen müssen, mich necken zu lassen.
– Ist es nicht wahr, Tantchen! sagte Amalie leise zu dem Stiftsfräulein, das sich in diesem Augenblick zu ihr und Consuelo setzte, dass mein Cousin unserer lieben Porporina vollständig die Cour macht?
– Keine Spöttereien, Amalie! sagte Wenceslawa sanft; Mademoiselle wird bald genug den Grund unseres Kummers gewahren.
– Ich spotte nicht, gute Tante! Albert ist überaus wohl diesen Morgen und ich freue mich, ihn zu sehen, wie ich ihn vielleicht, seitdem ich hier bin, nicht gesehen habe. Wäre er frisiert und gepudert wie alle Menschen, so möchte es einem vorkommen, als ob er niemals krank gewesen wäre.
– Sein ruhiges und gesundes Aussehen tut mir in der Seele wohl, entgegnete das Fräulein, aber ich wage es nicht mehr, mir mit der Hoffnung auf längere Dauer eines glücklicheren Zustandes bei ihm zu schmeicheln.
– Wie edel und gut er aussieht, sagte Consuelo, die das Herz des Stiftsfräuleins recht am empfindlichsten Fleck für sich einnehmen wollte.
– Sie finden? sagte Amalie, indem sie sie mit ihrem schelmischen und spöttischen Auge durchbohrte.
– Ja, ich finde es, entgegnete Consuelo fest, und ich sagte es Ihnen schon gestern Abend, Signora! nie hat eines Menschen Gesicht mir mehr Hochachtung eingeflößt.
– Ach! liebes Mädchen, sagte das Stiftsfräulein, indem sie plötzlich ihre steife Haltung fahren ließ und bewegt Consuelo’s Hand drückte; gute Seelen erraten einander. Ich war voll Angst, dass Ihnen mein armes Kind Furcht machen würde; es ist mir immer ein so großer Schmerz, wenn ich auf den Gesichtern der anderen den übeln Eindruck lese, den ihnen dergleichen Krankheiten zu machen pflegen. Aber ich sehe, Sie sind gefühlvoll, und Sie haben es gleich geahnt, dass in diesem kranken, gebrochenen Körper eine erhabene Seele wohnt, die ein besseres Loos verdiente.
Consuelo wurde bis zu Tränen gerührt von den Worten und dem Ton des trefflichen Fräuleins; sie küsste ihr die Hand recht aus bewegtem Herzen. Sie empfand schon mehr Vertrauen und Zuneigung zu dieser alten, buckligen Dame, als zu der glänzenden leichtfertigen Amalie.
Baron Friedrich unterbrach sie, indem er, mehr auf seinen Mut als auf seine Mittel vertrauend, näher trat und sich anschickte, die Signora Porporina um eine Gunst zu bitten. Noch linkischer, im Umgange mit Damen, als sein ältester Bruder (es schien dies eine Art Familienfehler zu sein, den man sich daher nicht zu sehr wundern durfte, in Albert bis zur Menschenscheu ausgebildet zu sehen) stotterte er eine Anrede nebst einer Menge von Entschuldigungen her, die Amalie Consuelon zu übersetzen und verständlich zu machen sich bemühte.
– Mein Vater will anfragen, sagte sie, ob Sie sich nach Ihrer beschwerlichen Reise schon wieder kräftig genug fühlen, um Musik zu machen, und ob es nicht Ihre Güte missbrauchen hieße, wenn er Sie bäte, meine Stimme zu prüfen und zu sehen, was ich gelernt habe.
– Von Herzen gern, antwortete Consuelo, indem sie rasch aufstand und an das Clavier trat, welches sie öffnete.
– Sie werden sehen, sagte Amalie leise zu ihr, während sie ihr Notenbuch auf das Pult legte, dass dies Alberten in die Flucht schlägt, trotz Ihrer schönen Augen und der meinigen.
In der Tat hatte Amalie kaum angefangen zu präludieren, als Albert aufstand und auf den Zehenspitzen wie jemand, der sich unbemerkt glaubt, hinausschlich.
– Es ist viel, sagte Amalie noch immer flüsternd, während sie gegen den Takt spielte, dass er nicht die Türe wütend zugeworfen hat, wie ihm das oft widerfährt, wenn ich zu fingen anfange. Er ist heute vollkommen liebenswürdig, man kann sagen galant.
Der Kaplan trat in der Meinung, Albert’s Rückzug dadurch verdecken zu können, an das Klavier und tat so, als ob er mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. Die übrigen Personen bildeten in einiger Entfernung einen Halbzirkel und erwarteten in achtungsvoller Stille, was Consuelo über ihre Schülerin sagen würde.
Amalie wählte kecklich eine Arie aus Pergoleses Achille in Sciro und sang sie dreistweg von einem Ende bis zum anderen, mit einer frischen und durchdringenden Stimme und dabei mit so komischem deutschen Akzent, dass Consuelo, die noch nie so etwas gehört hatte, die Lippen über einander biss, um nicht bei jedem Worte aufzulachen. Sie brauchte nicht vier Takte zu hören, um zu wissen, dass die junge Baronin nicht den mindesten Begriff von Musik hatte. Sie hatte ein biegsames Organ und mochte guten Unterricht erhalten haben; aber sie war viel zu leichtsinnig, um auf irgend etwas ein ernstes Studium gewendet zu haben. Aus derselben Ursache glaubte sie sich unbedenklich der Sache gewachsen und stürzte mit wahrhaft deutscher Kaltblütigkeit die verwegensten und schwierigsten Passagen über den Haufen. Es hinderte sie gar nicht, dass sie eine nach der anderen umwarf, und sie glaubte ihr Ungeschick zu bedecken, wenn sie die Stimme forzierte und auf das Klavier tüchtig losschlug,