George Sand

Gesammelte Werke


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be­schäf­tigt als mit sei­nen De­büts und sei­nen Er­fol­gen in Ve­ne­dig.

      Zwei­tens woll­te Con­sue­lo sich die Lie­be und die Ach­tung der Fa­mi­lie ge­win­nen, bei der sie in ih­rer Ver­ein­sa­mung und ih­rem Schmerz für den Au­gen­blick eine Zuf­lucht fand, und sie schloss ganz rich­tig, dass man sie als blo­ße Mu­si­ke­rin, als Schü­le­rin Por­po­ras und Ge­sang­leh­re­rin lie­ber auf­neh­men wür­de, denn als Pri­ma Don­na, Thea­ter­da­me und be­rühm­te Sän­ge­rin. Sie sah ein, dass sie, wenn ihre wirk­li­che Lage ein­mal ver­ra­ten wäre, eine schwie­ri­ge Rol­le ha­ben wür­de un­ter die­sen schlich­ten und from­men Leu­ten, die wahr­schein­lich, trotz der Emp­feh­lun­gen Por­po­ras, die An­kunft Con­sue­lo’s, der De­bü­tan­tin, des Wun­ders von San Sa­mu­el, nicht we­nig ver­le­gen und scheu ge­macht hät­te.

      Wä­ren aber auch die­se bei­den mäch­ti­gen Be­weg­grün­de nicht ge­we­sen, so wür­de Con­sue­lo den­noch das Be­dürf­nis ge­fühlt ha­ben nichts zu sa­gen und nie­man­den den Glanz und das Elend ih­rer Be­stim­mung mer­ken zu las­sen. Al­les hing in ih­rem Le­ben an ein­an­der, ihre Stär­ke und ihre Schwach­heit, ihr Ruhm und ihre Lie­be. Sie konn­te nicht die kleins­te Ecke des Schlei­ers lüf­ten, ohne der Wun­den ih­rer See­le eine auf­zu­de­cken, und die­se Wun­den wa­ren zu frisch, zu tief, als dass mensch­li­che Hil­fe ihr Lin­de­rung ge­ben konn­te. Sie fand im Ge­gen­teil nur Er­leich­te­rung in die­ser Art von Damm, den sie zwi­schen ih­ren schmerz­li­chen Erin­ne­run­gen und ih­rer neu­en Le­bens­wei­se auf­ge­führt hat­te. Der Wech­sel des Lan­des, der Um­ge­bung, des Na­mens soll­te sie mit ei­nem­ma­le in eine un­be­kann­te Re­gi­on ver­set­zen, wo sie eine völ­lig an­de­re Rol­le spie­lend ver­su­chen woll­te, ein neu­es We­sen an­zu­zie­hen.

      In die­ser Ver­ban­nung al­ler Ei­tel­kei­ten, wel­che an­de­ren Frau­en Trost ge­ge­ben hät­ten, fand die­se mu­ti­ge See­le ihre Ret­tung. Al­lem Mit­leid, al­lem Ruhm bei Men­schen ent­sa­gend, fühl­te sie sich von ei­ner himm­li­schen Kraft ge­tra­gen.

      – Ich muss einen Teil mei­nes Glückes wie­der­fin­den, sprach sie zu sich; das Glück, das ich so lan­ge ge­noss, das Glück die an­de­ren zu lie­ben und von ih­nen ge­liebt zu wer­den. Von dem Tage an, dass ich ihre Be­wun­de­rung such­te, ha­ben sie mir ihre Lie­be ver­sagt, und die Ehren, die sie mir statt ih­res Wohl­wol­lens zoll­ten, habe ich zu teu­er er­kauft. Nein! lie­ber wie­der un­be­kannt und klein wer­den, um kei­nen Nei­der, kei­nen Un­dank­ba­ren, kei­nen Feind auf der Welt zu ha­ben! Süß ist das kleins­te Zei­chen von Mit­ge­fühl und der größ­te Zoll von Be­wun­de­rung ist mit Bit­ter­keit ge­mischt. Wenn es stol­ze und star­ke See­len gibt, de­nen Lob ge­nügt, und de­nen Tri­um­phe Trost ge­wäh­ren, die mei­ni­ge ge­hört zu die­sen nicht, ich habe es nur zu grau­sam füh­len müs­sen. Ach! der Ruhm hat mir das Herz mei­nes Ge­lieb­ten ent­ris­sen; möge mir die Nied­rig­keit zum we­nigs­ten ei­ni­ge Freun­de wie­der­ge­ben!

      So hat­te es Por­po­ra nicht ge­meint. Als er Con­sue­lo von Ve­ne­dig ent­fern­te, als er sie den Ge­fah­ren und den Schmer­zen ih­rer Lei­den­schaft ent­führ­te, hat­te er nichts ge­wollt, als ihr ein paar Rast­ta­ge schaf­fen, um sie dann wie­der auf den Schau­platz der ehr­gei­zi­gen Kämp­fe zu­rück­zu­ru­fen und sie von Neu­em in die Stür­me des Künst­ler­le­bens zu schleu­dern. Er kann­te sei­nen Zög­ling schlecht. Er glaub­te, dass sie mehr Weib, d. h. be­weg­li­cher wäre als sie war. Wenn der an sie in die­sem Au­gen­bli­cke dach­te, so stell­te er sie sich nicht ru­hig vor, nicht lie­be­voll und nur mit den an­de­ren be­schäf­tigt, wie sie es zu sein schon wie­der Kraft ge­nug be­saß. Er stell­te sie sich vor in Trä­nen ge­ba­det und von Gram ver­zehrt. Aber er dach­te, dass doch bald eine große Ver­wand­lung in ihr vor sich ge­hen und dass er sie wie­der­fin­den wür­de ge­heilt von ih­rer Lie­be und bren­nend vor Ver­lan­gen, sich von Neu­em in den Ge­nuss ih­rer Kraft und der Vor­rech­te ih­res Ge­nies zu set­zen.

      Das in­ne­re Ge­fühl, so rein und fromm, das Con­sue­lo sich von ih­rer Rol­le in der Ru­dol­städt­schen Fa­mi­lie ge­schaf­fen hat­te, ver­brei­te­te von Stund an eine se­li­ge Ruhe über ihre Wor­te, ihre Hand­lun­gen und ihre Mie­nen. Wer sie zu­vor ge­se­hen hat­te leuch­tend von Lie­be und Freu­de im Son­nenglanz Ve­ne­digs, wür­de sich nicht leicht den­ken kön­nen, wie sie nun auf ein­mal ru­hig, lie­be­voll sein konn­te mit­ten un­ter Un­be­kann­ten und im Scho­ße fins­te­rer Wäl­der, mit dem Ge­fühl der hin­ge­welk­ten Lie­be ohne Hoff­nung neu­er Blü­te. Ein gu­tes Herz aber fin­det da Kraft, wo ein hoch­mü­ti­ger Sinn nichts als Verzweif­lung fin­den wür­de.

      Con­sue­lo war an die­sem Abend schön, von ei­ner Schön­heit, wel­che sich noch nicht an ihr of­fen­bart hat­te. Es war jetzt nicht die Unauf­ge­schlos­sen­heit ei­ner be­deu­ten­den Na­tur, wel­che noch ih­rer selbst sich un­be­wusst ist und auf ihr Er­wa­chen harrt; es war jetzt aber auch nicht das Her­vor­bre­chen ei­ner Kraft, die über­ra­schend und ent­zückend sich ent­fes­selt. Es war we­der die ver­hüll­te, un­fass­ba­re Schön­heit der S­co­la­re zin­ga­rel­la, noch die strah­len­de und sieg­rei­che Schön­heit der ge­krön­ten Sie­ge­rin: es war der ein­drin­gen­de Lieb­reiz ei­ner rei­nen und in sich ge­schlos­se­nen Weib­lich­keit, die sich fühlt und ein­zig sich be­stim­men lässt durch ih­ren in­ne­ren hei­li­gen Trieb.

      Ihre al­ten Wir­te, schlich­te, lieb­rei­che Men­schen, be­durf­ten kei­ner an­de­ren Hil­fe als ih­res ei­ge­nen ede­len Ge­fühls, um, dass ich so sage, den ge­heim­nis­vol­len Duft zu at­men, den in ihre geis­ti­ge At­mo­sphä­re Con­sue­lo’s eng­li­sche See­le er­goss. Es tat ih­nen wohl, sie an­zu­se­hen, viel­leicht ohne dass sie sich Re­chen­schaft da­von zu ge­ben wuss­ten, so in­nig wohl, dass sie sich wie neu­be­lebt fühl­ten.

      Auch Al­bert schi­en zum ers­ten Male sei­ner selbst ganz und in Frei­heit froh zu wer­den. Er war zu­vor­kom­mend und lie­be­voll ge­gen alle Welt: ge­gen Con­sue­lo war er es in den Gren­zen der Schick­lich­keit und er sprach mit ihr ver­schie­de­ne Male so, dass man wohl sah, er habe nicht, wie man bis­her ge­glaubt, den ho­hen Geist und kla­ren Ver­stand, den er von Na­tur be­saß, von sich ge­wor­fen.

      Der Frei­herr schlief nicht ein, das Stifts­fräu­lein seufz­te nicht ein ein­zi­ges Mal, und Graf Chris­ti­an, der ge­wohnt war, abends trau­rig un­ter der Last des Al­ters und des Kum­mers in sei­nen Sor­gen­stuhl zu sin­ken, blieb, den Rücken am Kam­me, recht wie im Mit­tel­punk­te sei­ner Fa­mi­lie, auf­recht ste­hen und nahm be­hag­lich und fast lau­nig an der Un­ter­hal­tung Teil, die bis um neun Uhr ohne zu sto­cken an­hielt.

      – Gott scheint un­se­re hei­ßen Ge­be­te er­hört zu ha­ben, sag­te der Ka­plan zu dem Gra­fen Chris­ti­an und dem Stifts­fräu­lein, wel­che zu­letzt im Saa­le blie­ben, nach­dem der Frei­herr und die jun­gen Leu­te sich zu­rück­ge­zo­gen hat­ten. Graf Al­bert ist heut in sein drei­ßigs­tes Jahr ge­tre­ten, und die­ser fest­li­che Tag, dem er und wir mit so ah­nungs­vol­ler Er­war­tung ent­ge­gen­ge­se­hen, ist un­be­greif­lich ru­hig und glück­lich ver­flos­sen.

      – Ja, dan­ken wir Gott! sag­te der alte Graf. Ich weiß nicht, ob das nur ein wohl­tä­ti­ger Traum ist, wel­chen er uns zu­schickt, um uns einen Au­gen­blick zu er­qui­cken, aber ich habe heu­te den gan­zen Tag und be­son­ders heu­te Abend die Über­zeu­gung ge­won­nen, dass mein Sohn für im­mer ge­heilt ist.

      – Lie­ber Bru­der, sag­te das Stifts­fräu­lein, mit dei­ner Ver­zei­hung, und auch mit