George Sand

Gesammelte Werke


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was ei­ner Po­dieb­rad nicht un­be­kannt sein soll­te. Näm­lich, dass die alte Ei­che vom Schre­cken­stein, die Sie alle Tage aus Ihrem Fens­ter se­hen, Ama­lie! und un­ter der ich Ih­nen nie zu sit­zen rate, ohne dass Sie Ihre See­le zu Gott er­he­ben, vor drei­hun­dert Jah­ren Früch­te ge­tra­gen hat ein Bi­schen schwe­rer als die ver­trock­ne­ten Ei­cheln, die sie jetzt kaum noch mit Mühe her­vor­bringt.

      – Es ist eine grau­sen­vol­le Ge­schich­te, sag­te der Ka­plan, höchst be­stürzt, und ich weiß gar nicht, wo­her sie Graf Al­bert er­fah­ren ha­ben kann.

      – Aus der Über­lie­fe­rung des Lan­des, ver­setz­te Al­bert, und viel­leicht … aus ei­ner noch zu­ver­läs­si­ge­ren Quel­le. Denn wenn man auch die Fa­mi­li­en­ar­chi­ve und die his­to­ri­sche Do­ku­men­te ver­brennt, mein Herr Ka­plan! wenn man auch die Kin­der in Un­wis­sen­heit über die frü­he­re Ge­schich­te auf­wach­sen lässt; wenn man auch den Ein­fäl­ti­gen Wind vor­macht und den Schwa­chen Furcht macht, da­mit sie schwei­gen – es hilft al­les nicht, die Furcht we­der vor Ge­walt noch vor der Höl­le ist im­stan­de, die tau­send Stim­men der Ver­gan­gen­heit, die sich über­all er­he­ben, stumm zu ma­chen. Nein nein, sie schrei­en zu laut, die­se schreck­li­chen Stim­men, sie schrei­en zu laut, als dass die Stim­me ei­nes Pries­ters sie über­schrei­en könn­te! Sie re­den zu uns im Schla­fe, sie re­den zu uns durch den Mund der Geis­ter, wel­che auf­stei­gen uns zu mah­nen und zu war­nen, sie re­den zu uns durch alle Lau­te der Na­tur, sie schal­len aus den Bäu­men wie vor­dem die Stim­me der Göt­ter in den hei­li­gen Hai­nen, und ge­ben uns von den Ver­bre­chen, von den Lei­den, von den Hel­den­ta­ten un­se­rer Vä­ter Kun­de.

      – Was soll es nur, du ar­mes Kind! sag­te das Fräu­lein, dass du dei­nen Geist mit so bit­te­ren Ge­dan­ken und so trau­ri­gen Erin­ne­run­gen nährst?

      Der ge­wal­ti­ge und ver­ab­scheu­te Na­men des Haup­tes der Ta­bo­ri­ten, je­ner Sek­ti­rer, die im Hus­si­ten­krie­ge an Tap­fer­keit, Kraft und Bar­ba­rei­en alle an­de­ren Re­li­gi­ons­par­tei­en über­tra­fen, fiel wie ein Blitz­strahl auf den Abbé und auf den Ka­plan. Der letz­te­re mach­te ein großes Kreuz, die Tan­te fuhr mit ih­rem Stuh­le zu­rück, wel­cher dicht ne­ben Al­ber­t’s Stuh­le stand.

      – Gott in Gna­den! rief sie; von was und von wem re­det das Kind! Hö­ren Sie nicht auf ihn, Herr Abbé. Nie, nein nie hat un­se­re Fa­mi­lie ir­gend einen Zu­sam­men­hang mit dem Ver­wor­fe­nen ge­habt, des­sen gräss­li­chen Na­men er so­eben aus­sprach.

      – Ein Traum, ein Irr­tum ist das, Al­bert!

      – Nein, lie­be Tan­te! ich be­ru­fe mich auf den Herrn Ka­plan, der ein wahr­heit­lie­ben­der und got­tes­fürch­ti­ger Mann ist. Er hat die Per­ga­men­te, wel­che es be­wie­sen, in Hän­den ge­habt.

      – Ich! rief der Ka­plan bleich wie der Tod.

      – Sie dür­fen es vor dem Herrn Abbé ohne Er­rö­ten ge­ste­hen, ver­setz­te Al­bert mit bit­te­rer Iro­nie, da Sie Ihre Pf­licht als ka­tho­li­scher Pries­ter und ös­ter­rei­chi­scher Un­ter­tan er­füllt ha­ben, in­dem Sie sie am Tage nach dem Tode mei­ner Mut­ter ver­brann­ten!

      – Die­se Hand­lung, die mir mein Ge­wis­sen ge­bot, rief der Ka­plan noch blei­cher, hat nie­man­den als Gott zum Zeu­gen ge­habt. Graf Al­bert, wer hat Ih­nen das ent­de­cken kön­nen?

      – Ich habe es Ih­nen ge­sagt, Herr Ka­plan! Die Stim­me, wel­che lau­ter ruft als die des Pries­ters!

      – Was für eine Stim­me, Al­bert? frag­te ich, im höchs­ten Gra­de ge­spannt.

      – Die Stim­me, wel­che zu uns im Schla­fe re­det, ent­geg­ne­te Al­bert.

      – Aber das er­klärt die Sa­che nicht, mein Sohn! sag­te Graf Chris­ti­an ganz nach­denk­lich und trau­rig.

      – Der Schrei des Blu­tes, Va­ters er­wi­der­te Al­bert mit ei­nem Tone, der uns alle zit­tern mach­te.

      – Mein Gott, mein Gott! rief mein On­kel, die Hän­de fal­tend; das sind die­sel­ben Träu­me, die­sel­ben Ein­bil­dun­gen, die sei­ne arme Mut­ter pei­nig­ten. Sie muss in ih­rer Krank­heit vor un­se­rem Kin­de von dem al­len ge­spro­chen ha­ben, füg­te er hin­zu, in­dem er sich zu mei­ner Tan­te beug­te, und es muss früh­zei­tig einen Ein­druck auf sei­nen Geist ge­macht ha­ben.

      – Un­mög­lich, Bru­der! er­wi­der­te das Stifts­fräu­lein; Al­bert war erst drei Jah­re alt, als er sei­ne Mut­ter ver­lor.

      – Es muss viel­mehr, sag­te der Ka­plan lei­se, et­was von die­sen ver­ruch­ten, ganz mit Lü­gen und mit ei­nem Ge­we­be von Gott­lo­sig­kei­ten an­ge­füll­ten Schrif­ten, die sie als Fa­mi­li­en­an­den­ken auf­be­wahrt hat­te, in ih­rer letz­ten Stun­de aber so fromm war, mir Preis zu ge­ben, ir­gend­wo im Hau­se zu­rück­ge­blie­ben sein.

      – Nein! es ist nichts zu­rück­ge­blie­ben, ant­wor­te­te Al­bert, der kein Wort des Ka­plans ver­lo­ren hat­te, un­ge­ach­tet die­ser sehr lei­se sprach und Al­bert, der mit star­ken Schrit­ten auf- und nie­der­ging, sich in die­sem Au­gen­bli­cke am an­de­ren Ende des großen Saa­l­es be­fand. Sie wis­sen seht wohl, Herr Ka­plan! dass Sie al­les ver­nich­tet ha­ben, und dass Sie am Tage nach ih­rem Tode noch alle Win­kel ih­res Zim­mers durch­stö­bert und durch­sucht ha­ben.

      – Wer hat dein Ge­dächt­nis so auf­ge­frischt oder ver­wirrt, Al­bert? frag­te Graf Chris­ti­an mit stren­gem Tone. Wel­cher un­ge­treue oder un­vor­sich­ti­ge Die­ner hat sich un­ter­stan­den, dei­nen ju­gend­li­chen Geist durch eine, si­cher­lich über­trie­be­ne Schil­de­rung die­ser häus­li­chen Vor­gän­ge zu be­un­ru­hi­gen?

      – Kei­ner, mein Va­ter! Ich schwö­re es Ih­nen bei al­lem was mir hei­lig ist.

      – Der Feind, der böse Feind ist da­bei im Spie­le, rief der er­schro­cke­ne Ka­plan.

      – Es wäre doch wahr­schein­li­cher und christ­li­cher an­zu­neh­men, be­merk­te der Abbé,