George Sand

Gesammelte Werke


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beim Paps­te den Dis­pens we­gen un­se­res Ver­wandt­schafts­gra­des aus­zu­wir­ken. Zu glei­cher Zeit nahm mich mein Va­ter aus dem Klos­ter und ei­nes schö­nen mor­gens lang­ten wir auf Rie­sen­burg an, ich sehr glück­lich, die freie Lust zu at­men, und voll Un­ge­duld, mei­nen Ver­lob­ten zu se­hen, mein gu­ter Va­ter voll freu­di­ger Hoff­nun­gen und in der Mei­nung, dass er mir den Hei­rats­plan sehr ge­schickt ver­steckt hät­te, wäh­rend er ihn, ohne es zu wis­sen, mir un­ter­we­ges bei je­dem Wor­te ver­ra­ten hat­te.

      Das ers­te was mir an Al­bert auf­fiel war sein schö­nes Ge­sicht und sei­ne wür­de­vol­le Hal­tung. Ich will Ih­nen ge­ste­hen, lie­be Nina, dass mein Herz hoch schlug, als er mir die Hand küss­te und dass ich eine Rei­he von Ta­gen ganz ent­zückt von sei­nem Blick und von je­dem sei­ner Wor­te war. Sein erns­tes We­sen miss­fiel mir nicht, er schi­en sich völ­lig un­ge­zwun­gen ge­gen mich zu be­neh­men. Er dutz­te mich wie in un­se­rer Kind­heit, und als er sich ver­bes­sern woll­te, aus Furcht ge­gen die Schick­lich­keit ver­sto­ßen zu ha­ben, er­laub­ten ihm mei­ne El­tern und ba­ten ihn ge­wis­ser­ma­ßen, sei­ne alte Ver­trau­lich­keit mit mir bei­zu­be­hal­ten. Mei­ne Fröh­lich­keit ent­lock­te ihm manch­mal ein un­ge­zwun­ge­nes Lä­cheln, und mei­ne gute Tan­te, die ganz ent­zückt dar­über war, tat mir die Ehre an, eine Hei­lung, die sie schon für ganz ra­di­cal hielt, mir bei­zu­mes­sen.

      Ge­nug, er be­han­del­te mich mit der Freund­lich­keit und Güte, die man ei­nem Kin­de be­zeigt, und ich be­gnüg­te mich da­mit in der Mei­nung, dass er mei­nem mun­te­ren Ge­sicht­chen und den hüb­schen Toi­let­ten, die ich ihm zu ge­fal­len ver­schwen­de­te, schon noch mehr Auf­merk­sam­keit schen­ken wür­de.

      Ich sah aber bald mit Ver­druss, dass er sich aus dem ers­te­ren sehr we­nig mach­te und die letz­te­ren gar nicht ein­mal be­merk­te. Ei­nes Ta­ges woll­te ihn mei­ne gute Tan­te auf ein hüb­sches la­sur­blau­es Kleid auf­merk­sam ma­chen, das mei­ne Tail­le zum Ent­zücken her­vor­hob. Da be­haup­te­te er, das Kleid wäre sehr schön rot. Der Abbé, sein Gou­ver­neur, der al­le­zeit zucker­sü­ße Kom­pli­men­te auf den Lip­pen hat­te und ihn auf eine Galan­te­rie hin­lei­ten woll­te, rief, er ver­stün­de ganz gut, dass Graf Al­bert es nicht auf die Far­be mei­nes Klei­des ab­ge­se­hen hät­te. Dies war nun eine Ge­le­gen­heit für Al­bert, mir et­was Schö­nes über mei­ne ro­si­gen Wan­gen oder mein gol­de­nes Haar zu sa­gen. Al­lein er tat nichts wei­ter, als dass er dem Abbé ganz tro­cken zur Ant­wort gab, er könn­te eben­so gut wie je­ner die Far­ben un­ter­schei­den, und mein Kleid wäre in der Tat rot wie Blut.

      Die­se Un­ge­schlif­fen­hei­ten und die be­son­de­re Wahl des Aus­drucks mach­ten, dass es mich kalt über­lief, ich weiß selbst nicht warum. Ich sah Al­bert an und be­merk­te nun einen Blick an ihm, der mir Grau­en er­reg­te. Ich fing an, ihn mehr zu fürch­ten als zu lie­ben. Bald lieb­te ich ihn gar nicht mehr und jetzt fürch­te ich ihn we­der, noch lie­be ich ihn. Ich be­daue­re ihn, das ist al­les. Sie wer­den nach und nach schon se­hen wes­halb, und wer­den es na­tür­lich fin­den.

      Ta­ges dar­auf soll­ten wir ei­ni­ger Ein­käu­fe we­gen nach der nächs­ten Stadt, Tauß. Ich ver­sprach mir viel An­nehm­lich­keit von die­ser Tour, Al­bert soll­te mich zu Pfer­de be­glei­ten. Ich war fer­tig und war­te­te, dass er käme, mir den Arm zu bie­ten. Die Wa­gen war­te­ten auch schon auf dem Hofe. Er er­schi­en noch im­mer nicht. Sein Kam­mer­die­ner sag­te, er hät­te zur ge­wöhn­li­chen Zeit an sei­ne Tür ge­klopft. Man ließ nach­se­hen, ob er sich fer­tig mach­te. Al­bert hat­te näm­lich die Gril­le, sich im­mer selbst an­zu­klei­den und nie zu lei­den, dass ein Be­dien­ter sein Zim­mer be­trä­te, bis er hin­aus war. Man klopf­te ver­geb­lich, er gab kei­ne Ant­wort. Sein Va­ter, den die­ses Still­schwei­gen be­un­ru­hig­te, ging hin­auf nach Al­ber­t’s Zim­mer und konn­te we­der die Tür öff­nen, wel­che von in­nen ver­rie­gelt war, noch eine Ant­wort er­lan­gen. Man fing an sich be­un­ru­higt zu füh­len, als der Abbé ganz tro­cken be­merk­te, Al­bert hät­te manch­mal An­fäl­le von Schlaf­sucht, in de­nen er wie starr läge, und wenn man ihn ge­walt­sam her­aus­ris­se, so wäre er her­nach Ta­ge­lang un­ru­hig und wie lei­dend.

      – Aber das ist ja eine Krank­heit, sag­te das Stifts­fräu­lein äu­ßerst be­sorgt.

      – Ich glau­be nicht, ent­geg­ne­te der Abbé. Ich habe ihn nie über ir­gend et­was kla­gen hö­ren. Die Ärz­te, wel­che ich wäh­rend sol­cher An­fäl­le von Schlaf kom­men ließ, fan­den an ihm kein Fie­ber­sym­ptom und er­klär­ten es für eine Er­schöp­fung, wel­che eine Fol­ge über­mä­ßi­ger An­stren­gung durch Ar­beit oder Den­ken sein müss­te. Sie rie­ten mir an­ge­le­gent­lich, die­sem Be­dürf­nis der Ruhe und Er­ho­lung nichts in den Weg zu le­gen.

      – Und kommt das häu­fig? frag­te mein Oheim.

      – Ich habe das Phä­no­men, ant­wor­te­te der Abbé, nur fünf oder sechs Male wäh­rend der acht Jah­re be­ob­ach­tet, und da ich ihn nie durch un­zei­ti­ge Be­f­lis­sen­heit stör­te, so hat es auch nie­mals schlim­me Fol­gen ge­habt.

      – Und dau­ert es lan­ge? frag­te ich mei­ner­seits sehr un­ge­dul­dig.

      – Je nach­dem! ent­geg­ne­te der Abbé. Es hängt von der Dau­er der Schlaf­lo­sig­keit ab, wel­che die­ser Ab­span­nung vor­an­ge­gan­gen ist oder sie ver­ur­sacht hat; aber wis­sen kann man es nicht, denn der Herr Graf er­in­nert sich nie­mals der Ver­an­las­sung oder will sie we­nigs­tens nicht sa­gen. Er ar­bei­tet äu­ßerst an­ge­strengt, ver­birgt sich aber da­mit in sel­te­ner Be­schei­den­heit.

      – Er weiß also wohl sehr viel? frag­te ich.

      – Au­ßer­or­dent­lich viel.

      – Und er zeigt es nie­mals?

      – Er hält da­mit zu­rück, und gibt sich auch wohl selbst kei­ne Re­chen­schaft dar­über.

      – Aber wozu hilft es ihm als­dann?

      – Mit den geis­ti­gen Ga­ben, ver­setz­te der hö­fi­sche Je­suit, mich süß­lich an­bli­ckend, ist es wie mit der Schön­heit. Es sind Ge­schen­ke des Him­mels, sie ma­chen die­je­ni­gen, wel­che sie be­sit­zen, nicht stolz und dün­ken ih­nen nichts Be­son­de­res.

      Ich ver­stand die Lek­ti­on und wur­de dar­über nur noch ver­drieß­li­cher, wie Sie leicht den­ken kön­nen. Man be­schloss die Ab­fahrt zu ver­schie­ben, bis mein Cou­sin auf­ge­wacht sein wür­de; da aber zwei Stun­den hin­gin­gen, ohne dass er sich rühr­te, zog ich mein präch­ti­ges Reit­kleid aus und setz­te mich an den Stick­rah­men, wo ich alle Au­gen­bli­cke den Fa­den zer­riss oder falsche Sti­che mach­te. Ich war au­ßer mir über Al­ber­t’s Un­ge­zo­gen­heit, dass er sich am Abend vor ei­nem Spa­zier­ritt mit mir, über sei­nen Bü­chern ver­ges­sen und dann, wäh­rend ich war­ten muss­te, ganz süß und ru­hig schla­fen konn­te. Es wur­de end­lich zu spät, um noch an die Aus­füh­rung un­se­res Pla­nes zu den­ken. Mein Va­ter, der durch die Ver­si­che­rung des Abbé zu­frie­den ge­stellt war, nahm sei­ne Flin­te und ging in den Wald um et­was Hase zu schie­ßen. Mei­ne Tan­te trau­te we­ni­ger und ging mehr als zwan­zig­mal hin­aus, um an Al­ber­t’s Türe zu hor­chen, ohne dass sie ihn auch nur at­men hör­te. Die arme Frau war ganz un­glück­lich über mei­ne är­ger­li­che Lau­ne. Mein On­kel da­ge­gen nahm ein Ge­bet­buch, um sei­ne Be­sorg­nis­se zu zer­streu­en, setz­te sich in einen Win­kel und las mit ei­ner Er­ge­bung und Ruhe, dass ich hät­te aus dem Fens­ter sprin­gen mö­gen.

      End­lich