George Sand

Gesammelte Werke


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von ge­weih­tem Was­ser ver­schwen­de­te, um den bö­sen Geist aus­zu­trei­ben, und Mes­sen dut­zend­wei­se las, um das Kind still zu ma­chen. Es half aber nichts, denn nach­dem das Kind lan­ge Zeit nichts von sei­nen Ge­sich­ten er­zählt hat­te, sag­te es sei­ner Amme ein­mal im Ver­trau­en, sein Müt­ter­chen käme noch im­mer zu ihm, er woll­te aber nicht mehr da­von re­den, weil der Herr Ka­plan gleich schlim­me Sa­chen in der Stu­be sag­te, um sie fort­zu­scheu­chen.

      Es war ein fins­te­res, ver­schlos­se­nes Kind. Man gab sich alle Mühe, es zu zer­streu­en; je mehr man ihm Ver­gnü­gen mach­te und Spiel­sa­chen gab, de­sto trau­ri­ger wur­de es. End­lich ent­schloss man sich, der Nei­gung zum Le­sen, die sich bei ihm ent­wi­ckel­te, kei­nen Wi­der­stand mehr zu leis­ten, und es wur­de in der Tat mun­te­rer, als es die­sem Han­ge fol­gen durf­te, aber an die Stel­le sei­ner brü­ten­den Schwer­mut trat nun eine selt­sa­me Schwär­me­rei, mit Zorn­auf­wal­lun­gen un­ter­mischt, de­ren An­läs­se man nie­mals vor­her­se­hen und ver­hü­ten konn­te. Zum Bei­spiel, wenn er Arme sah, zer­floss er in Trä­nen, be­raub­te sich al­ler sei­ner klei­nen Kost­bar­kei­ten und war är­ger­lich auf sich und trau­rig, dass er ih­nen nie ge­nug ge­ben konn­te. Wenn er ein Kind schla­gen oder einen Bau­er hart be­han­deln sah, ge­riet er in so hef­ti­gen Zorn, dass er ohn­mäch­tig wur­de oder stun­den­lang in Krämp­fen lag.

      Al­les dies ver­kün­dig­te eine edle Na­tur und eine schö­ne See­le; aber die herr­lichs­ten An­la­gen wer­den, wenn sie ins Über­trie­be­ne ge­hen, zu Feh­lern oder zu Lä­cher­lich­kei­ten. Der Ver­stand ent­wi­ckel­te sich in dem jun­gen Al­bert nicht gleich­mä­ßig mit sei­nem Ge­fühl und sei­ner Ein­bil­dungs­kraft. Das Stu­di­um der Ge­schich­te be­geis­ter­te ihn, ohne ihn auf­zu­klä­ren. Wenn er von Ver­bre­chen und Un­ge­rech­tig­kei­ten las, so er­zürn­te er sich nur zu naiv, gleich je­nem Bar­ba­ren­kö­ni­ge, der, da er die Lei­dens­ge­schich­te un­se­res Herrn vor­le­sen hör­te, sei­ne Lan­ze schüt­tel­te und aus­rief: Ha, wäre ich nur mit mei­nen Krie­gern da­ge­we­sen, so wäre das al­les nicht ge­sche­hen! In tau­send Stücke hät­te ich die­se schänd­li­chen Ju­den zer­hackt!

      Al­bert wuss­te die Men­schen nie so zu neh­men, wie sie im­mer ge­we­sen und wie sie noch sind. Er klag­te den Schöp­fer an, dass er sie nicht alle gut und mit­lei­dig ge­macht hat­te, wie ihn, und vor lau­ter Zärt­lich­keit und Tu­gend be­merk­te er nicht, dass er pflicht­ver­ges­sen und men­schen­feind­lich wur­de. Er be­griff nichts als was er in sich er­leb­te, und als er acht­zehn Jah­re alt war, wuss­te er eben so we­nig mit den Men­schen zu le­ben und war eben so un­fä­hig, die Rol­le in der Ge­sell­schaft zu spie­len, wel­che sein Stand er­for­der­te, als in sei­nem sechs­ten Mo­nat. Wenn je­mand in sei­ner Ge­gen­wart einen Ei­gen­nutz bli­cken ließ, wie er in die­ser ar­gen Welt nun ein­mal die Re­gel ist und auch nö­tig, dass sie be­ste­he, so nahm er kei­ne Rück­sicht auf Rang und Per­son und auf das, was etwa sei­ne Fa­mi­lie die­ser Per­son schul­dig sein moch­te, son­dern gab ihr auf der Stel­le eine un­über­wind­li­che Ab­nei­gung zu er­ken­nen, und nichts hät­te ihn ver­mocht, der­sel­ben freund­lich zu be­geg­nen. Er wähl­te sich sei­nen Um­gang aus den ge­meins­ten und am meis­ten vom Glücke und selbst von der Na­tur ver­nach­läs­sig­ten Ge­schöp­fen. Wenn er als Kind spiel­te, war es ihm nur in der Ge­sell­schaft ar­mer Kin­der wohl, und ge­ra­de am wohls­ten mit de­nen, de­ren Stumpf­heit oder Ge­brech­lich­keit an­de­ren Lan­ge­wei­le und Ekel er­regt ha­ben wür­de. Die­sen son­der­ba­ren Hang hat er nicht ver­lo­ren, und Sie wer­den nicht lan­ge bei uns sein, ohne Pro­ben da­von zu er­hal­ten.

      Da er bei al­len die­sen Wun­der­lich­kei­ten vie­len Ver­stand, ein gu­tes Ge­dächt­nis und An­la­ge für die schö­nen Küns­te zeig­te, so hat­ten sein Va­ter und sei­ne gute Tan­te Wences­la­wa, die ihn lieb­reich er­zo­gen, nicht Ur­sach, sich in der Welt sei­ner zu schä­men. Man ent­schul­dig­te sei­ne Gerad­hei­ten mit ei­ner et­was un­ge­schlif­fe­nen Ma­nier, die er im Le­ben auf dem Lan­de sich an­ge­eig­net hat­te, und wenn es schi­en, als woll­te er ein­mal zu weit dar­in ge­hen, so such­te man ihn un­ter ir­gend ei­nem Vor­wan­de vor den­je­ni­gen, die zum Übel­neh­men ge­neigt sein moch­ten, zu ver­ste­cken. Aber un­ge­ach­tet sei­ner be­wun­derns­wür­di­gen Ei­gen­schaf­ten und sei­ner glück­li­chen An­la­gen, sa­hen der Graf und das Stifts­fräu­lein mit Schre­cken die­se un­lenk­sa­me und rück­sicht­lo­se Na­tur sich in vie­ler Hin­sicht mehr und mehr den Ge­set­zen des An­stan­des und den Sit­ten der großen Welt ver­schlie­ßen.

      – Bis hier­her, fiel Con­sue­lo ein, sehe ich noch nichts, was die Un­ver­nunft an­deu­te­te, von der Sie sag­ten.

      – Das macht, ent­geg­ne­te Ama­lie, weil Sie selbst, so viel ich glau­be, eine schö­ne See­le voll Rein­heit und Un­schuld sind … Aber viel­leicht er­mü­det es Sie, mich schwat­zen zu hö­ren, und Sie wol­len ver­su­chen, ob Sie schla­fen kön­nen.

      – Nein, lie­be Baro­nin, ant­wor­te­te Con­sue­lo, ich bit­te Sie viel­mehr recht sehr, fort­zu­fah­ren.

      Ama­lie nahm ihre Er­zäh­lung wie­der auf und sag­te das Fol­gen­de.

      9.

      – Sie sa­gen, lie­be Nina, dass Sie bis hier­her nichts Aus­schwei­fen­des in dem Be­tra­gen mei­nes ar­men Vet­ters fin­den. Ich will Ih­nen bes­se­re Pro­ben da­von lie­fern. Mein On­kel und mei­ne Tan­te sind ohne Fra­ge die bes­ten Chris­ten und die mild­tä­tigs­ten See­len, die es ge­ben kann. Sie ha­ben von je­her Al­mo­sen mit vol­len Hän­den aus­ge­streut und es ist un­mög­lich, mit we­ni­ger Prunk und Hoff­art bei der Ver­wen­dung sei­nes Über­flus­ses zu ver­fah­ren, als mei­ne wür­di­gen Ver­wand­ten es tun. Nun se­hen Sie, und mein Vet­ter fand ih­ren Wan­del ganz und gar nicht dem Geist des Evan­ge­li­ums ent­spre­chend. Wenn es nach ihm ging, so muss­ten sie alle ihre Habe ver­kau­fen und den Ar­men ge­ben, um selbst zu Bett­lern zu wer­den. Wenn er dies auch nicht ge­ra­de­zu aus­sprach, weil sei­ne Ehr­furcht und Lie­be ihn zu­rück­hielt, so ließ er doch mer­ken, dass es sei­ne An­sicht war, in­dem er mit Bit­ter­keit das Loos der Ar­men be­klag­te, die nichts ha­ben als Ar­beit und Elend, wäh­rend die Rei­chen mü­ßig­ge­hen und schwei­gen. Hat­te er al­les Geld aus­ge­ge­ben, das man ihm zu die­sem Be­hu­fe über­ließ, so sah er dies nur als einen Trop­fen im Mee­re an; und er ver­lang­te im­mer grö­ße­re Sum­men, die man ihm auch so viel als mög­lich gab und die wie Was­ser un­ter sei­nen Hän­den zer­ran­nen. Er hat so viel ver­schenkt, dass Sie weit um­her kei­nen Not­lei­den­den an­tref­fen wer­den, und ich darf sa­gen, wir be­fin­den uns nicht bes­ser da­bei als zu­vor, denn die An­sprü­che und die Be­dürf­nis­se der klei­nen Leu­te wach­sen im­mer mehr, je mehr man ih­nen be­wil­ligt, und un­se­re gu­ten Bau­ern, die ehe­dem so de­mü­tig und so schmieg­sam wa­ren, tra­gen den Kopf jetzt ge­wal­tig hoch, in Fol­ge der Frei­ge­big­keit und der schö­nen Re­den ih­res jun­gen Herrn. Wenn wir nicht die kai­ser­li­che Ge­walt über uns hät­ten, um uns von der einen Sei­te zu schüt­zen, wäh­rend sie uns von der an­de­ren un­ter­drückt, so glau­be ich, wä­ren un­se­re Län­de­rei­en und un­se­re Sch­lös­ser schon zwan­zig Mal ge­plün­dert und ver­wüs­tet von Bau­ern­hor­den aus der Nach­bar­schaft, die der Krieg aus­ge­hun­gert und Al­ber­t’s un­ver­sieg­li­ches Mit­leid, das drei­ßig Mei­len in der Run­de be­kannt ist, uns auf den Hals ge­zo­gen hat, son­der­lich in den letz­ten Erb­fol­ge­hän­deln.

      Woll­te ein­mal Graf Chris­ti­an