George Sand

Gesammelte Werke


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als es mein Wunsch sein muss­te. Je­den­noch da un­er­war­tet güns­ti­ge Um­stän­de mit Ew. Gna­den An­lie­gen zu­sam­men­tra­fen, so be­ei­le ich mich, Ih­nen eine jun­ge Per­son zu­zu­sen­den, wel­che die ge­stell­ten Be­din­gun­gen teil­wei­se er­füllt. Sie er­füllt sel­bi­ge al­ler­dings nicht samt und son­ders. Auch sen­de ich sie nur in­te­ri­mis­tisch und um Dero lie­bens­wür­di­gem und gnä­di­gem Fräu­lein Nich­te die Muße zu ge­ben, ein voll­stän­di­ge­res Re­sul­tat mei­ner Nach­su­chun­gen und Schrit­te ohne zu viel Un­ge­duld ab­zu­war­ten.

      Die Per­son, wel­che die Ehre ha­ben wird, Ih­nen die­sen Brief zu über­rei­chen, ist mei­ne Schü­le­rin und ge­wis­ser­ma­ßen mei­ne Ad­op­tiv­toch­ter; sie wird, dem Wun­sche der lie­bens­wür­di­gen Baro­nin Ama­lie ge­mäß, gleich­zei­tig eine dienst­wil­li­ge und an­ge­neh­me Ge­sell­schaf­te­rin und eine kun­di­ge Leh­re­rin in der Mu­sik vor­stel­len kön­nen. Sie be­sitzt im Üb­ri­gen nicht die­je­ni­gen Kennt­nis­se, wel­che Sie von ei­ner ei­gent­li­chen Gou­ver­nan­te ver­lan­gen wür­den. Sie spricht mit Leich­tig­keit ver­schie­de­ne Spra­chen, aber sie ver­steht die­sel­ben nicht hin­läng­lich cor­rect, um dar­in zu un­ter­rich­ten. Die Mu­sik ver­steht sie aus dem Grun­de und singt vor­züg­lich gut. Sie wer­den mit ih­rem Ta­lent, mit ih­rer Stim­me und mit ih­rer Ma­nier zu­frie­den sein. Nicht min­der mit ih­rer Sanft­mut und ih­rem eh­ren­wer­ten Cha­rak­ter. Ew. Ex­cel­lenz kön­nen sie in den en­ge­ren Kreis Ih­rer Fa­mi­lie auf­neh­men, ohne Be­sorg­nis, dass sie sich ir­gend eine Un­an­ge­mes­sen­heit zu Schul­den kom­men oder einen Be­weis von schlech­ter Den­kungs­art ge­ben wer­de. Sie wünscht un­be­schränkt zu sein in dem Maße des­sen, was sie Ih­rer ed­len Fa­mi­lie leis­ten wird und macht auf Ho­no­rar nicht An­spruch. Mit ei­nem Wort, es ist we­der eine Bon­ne, noch eine Zofe, die ich der lie­bens­wür­di­gen Baro­nes­se zu­sen­de, son­dern eine Ge­sell­schaf­te­rin, eine Freun­din, ge­ra­de wie die­sel­be mir die Ehre er­zeigt hat, es mir an­zu­emp­feh­len in dem an­ge­neh­men Post­scrip­tum, wel­ches sie mit ih­rer schö­nen Hand Ew. Gna­den Schrei­ben an­ge­hängt hat.

      Si­gnor Cor­ner, der zum Ge­sand­ten in Wien hier­seits er­nannt ist, er­war­tet die Ord­re zu sei­ner Abrei­se. Aber es ist bei­na­he ge­wiss, dass die­se Ord­re nicht un­ter zwei Mo­na­ten aus­ge­fer­tigt sein wird. Si­gno­ra Cor­ner, sei­ne wür­di­ge Gat­tin und mei­ne groß­mü­ti­ge Schü­le­rin will mich mit nach Wien neh­men, wo, ih­rer Mei­nung nach, mei­ne Lauf­bahn eine glück­li­che­re Wen­dung er­hal­ten soll. Ohne dass ich an eine bes­se­re Zu­kunft Glau­ben hät­te, füge ich mich doch ih­rem wohl­wol­len­den Aner­bie­ten, be­gie­rig wie ich bin, dies un­dank­ba­re Ve­ne­dig zu ver­las­sen, wo ich nichts als Täu­schun­gen, Be­lei­di­gun­gen und Un­fäl­le al­ler Art er­lit­ten habe. Ich seh­ne mich, das ede­le Deutsch­land, wo ich glück­li­che­re und schö­ne­re Tage ge­kannt habe, und die ver­eh­rungs­wür­di­gen Freun­de, die ich dort zu­rück­ließ, wie­der­zu­se­hen. Ew. Herr­lich­keit weiß wohl, dass Die­sel­be eine der vor­nehms­ten Stel­len in dem An­den­ken die­ses al­ten zer­fetz­ten, aber wahr­lich nicht er­käl­te­ten Her­zens ein­nimmt, wel­ches Sie mit un­ver­än­der­li­cher Lie­be und tief­ge­fühl­ter Dank­bar­keit er­füllt ha­ben. Ih­nen dem­nach, er­lauch­ter Herr! emp­feh­le ich und ver­traue ich mein Ad­op­tiv­kind, in­dem ich für das­sel­be Ihre Gast­lich­keit, Ihren Schutz und Ihren Se­gen er­bit­te. Durch ih­ren Ei­fer, der jun­gen Baro­nin sich nütz­lich und an­ge­nehm zu ma­chen, wird sie Ihre Güte an­zu­er­ken­nen wis­sen. In drei Mo­na­ten höchs­tens wer­de ich sie wie­der ab­ho­len und Ih­nen an ih­rer Statt eine Leh­re­rin vor­stel­len, wel­che im­stan­de sein wird, ein dau­ern­de­res Ver­hält­nis mit Ih­rer er­lauch­ten Fa­mi­lie ein­zu­ge­hen.

      In Er­war­tung des glück­li­chen Ta­ges, wo ich mit mei­nen Hän­den die Hand des bes­ten der Men­schen drücken wer­de, bin ich so kühn mich zu nen­nen mit Hochach­tung und Stolz Ew. Si­gno­ria Chia­ris­si­ma, Sti­ma­tis­si­ma, Il­lust­ris­si­ma etc. un­ter­tä­nigs­ten Die­ner und er­ge­bens­ten Freund

      Ve­ne­dig den …ten … 17..

      Ni­co­las Por­po­ra,

      Ca­pell­meis­ter, Kom­po­nist und Ge­sang­leh­rer.«

      Ama­lie sprang vor Freu­den, als sie die­sen Brief be­en­det hat­te, wäh­rend der alte Graf zu ver­schie­de­nen Ma­len ge­rührt aus­rief: Wür­di­ger Por­po­ra, treff­li­cher Freund, herr­li­cher Mensch!

      – Al­ler­dings, al­ler­dings! sag­te das Stifts­fräu­lein Wences­la­wa, ge­teilt zwi­schen der Furcht, die Ge­wohn­hei­ten der Fa­mi­lie durch die An­kunft ei­ner Frem­den ge­stört zu se­hen, und dem Wun­sche, die Pf­lich­ten der Gast­freund­schaft edel­mü­tig aus­zuü­ben; man wird sie gut auf­neh­men, gut be­wir­ten müs­sen … wenn sie sich nur hier nicht lang­weilt!

      – Aber, On­kel! wo ist nur mei­ne künf­ti­ge Freun­din, mei­ne kost­ba­re Leh­re­rin! rief die jun­ge Baro­nin ohne auf die Be­den­ken ih­rer Tan­te zu hö­ren. Ohne Zwei­fel wird sie doch bald selbst kom­men? … Ich er­war­te sie mit ei­ner Un­ge­duld …

      Graf Chris­ti­an schell­te.

      – Hans! sag­te er zu dem al­ten Die­ner, wer hat die­sen Brief ab­ge­ge­ben?

      – Eine Dame, gnä­digs­ter Herr!

      – Sie ist schon hier! rief Ama­lie, wo? wo?

      – In ih­rer Post­chai­se am Ein­gan­ge der Zug­brücke.

      – Und ihr habt sie am Tore des Schlos­ses frie­ren las­sen, an­statt sie so­gleich in den Sa­lon zu füh­ren?

      – Al­ler­dings, gnä­di­ges Fräu­leins ich habe den Brief in Empfang ge­nom­men, ich habe dem Po­stil­li­on an­ge­sagt, den Fuß nicht aus dem Bü­gel zu set­zen und die Zü­gel nicht aus der Hand zu las­sen. Ich habe die Brücke hin­ter mir auf­zie­hen las­sen und habe den Brief mei­nem gnä­digs­ten Herrn über­ge­ben.

      – Aber das ist ab­ge­schmackt, un­ver­zeih­lich ist es, so im schlech­ten Wet­ter die Gäs­te, die wir be­kom­men, war­ten zu las­sen! Soll­te man nicht den­ken, dass wir in ei­ner Fes­tung le­ben und dass alle Leu­te, die sich nä­hern, Fein­de sind! Lauf’ er, mach’ er fort, Hans! –

      Hans stand un­be­weg­lich wie eine Bild­säu­le. Nur sei­ne Au­gen drück­ten sein Be­dau­ern aus, den Wün­schen sei­ner jun­gen Her­rin nicht nach­kom­men zu kön­nen, aber wenn ihm eine Ka­no­nen­ku­gel über den Kopf hin­ge­gan­gen wäre, so wür­de sie um kei­ne Li­nie breit die un­er­schüt­ter­li­che Stel­lung ver­rückt ha­ben, in wel­cher er die Be­feh­le sei­nes al­ten Herrn er­war­te­te.

      – Der treue Hans kennt nichts als sei­ne Pf­licht und sein Pfört­ne­r­amt, mein lie­bes Kind! sag­te end­lich Graf Chris­ti­an mit ei­ner Lang­sam­keit, dass der jun­gen Baro­nin das Blut koch­te. Nun, Hans! lass das Git­ter auf­zie­hen und die Brücke nie­der­las­sen. Alle mei­ne Leu­te sol­len mit Fa­ckeln die Rei­sen­de emp­fan­gen, sie sei uns will­kom­men.

      Hans zeig­te nicht das min­des­te Er­stau­nen, dass er eine Un­be­kann­te mir nichts dir nichts in die­ses Haus füh­ren soll­te, in wel­ches die nächs­ten An­ver­wand­ten und die zu­ver­läs­sigs­ten Freun­de nie an­ders als mit vie­ler­lei Um­stän­den und Vor­sichts­nah­men ein­ge­las­sen wur­den. Das Stifts­fräu­lein ging