George Sand

Gesammelte Werke


Скачать книгу

an­ver­trau­te. Nach zwei Ge­ne­ra­tio­nen, wäh­rend Böh­men stumm und un­ter­drückt, die ös­ter­rei­chi­sche Macht völ­lig be­fes­tigt und Ruhm und Un­glück der Re­for­ma­ti­on, we­nigs­tens dem An­schei­ne nach, ver­ges­sen war, üb­ten die Her­ren von Ru­dol­stadt fried­sam die christ­li­chen Tu­gen­den, be­kann­ten den rö­mi­schen Glau­ben und leb­ten auf ih­ren Gü­tern in Über­fluss, aber in pa­tri­ar­cha­li­scher Ein­falt als gute Ari­sto­kra­ten und treue Die­ner Ma­ria-The­re­si­ens.

      Sie hat­ten ehe­mals Be­wei­se ih­rer per­sön­li­chen Tap­fer­keit im Diens­te Kai­ser Karls VI. ab­ge­legt. Aber der letz­te Spross die­ses er­lauch­ten und tap­fern Ge­schlech­tes, der jun­ge Al­bert, des Gra­fen Chris­ti­an von Ru­dol­stadt ein­zi­ger Sohn, hat­te zu all­ge­mei­ner Ver­wun­de­rung in dem ös­ter­rei­chi­schen Erb­fol­ge­krie­ge, der so eben be­en­det war, kei­ne Diens­te ge­nom­men und hat­te sein drei­ßigs­tes Jahr er­reicht, ohne eine an­de­re Be­deu­tung er­wor­ben oder er­strebt zu ha­ben, als die ihm durch Ge­burt und Reich­tum zu­ge­fal­len war. We­gen die­ses son­der­ba­ren Be­neh­mens hat­te sei­ne Mon­ar­chin ihn schon in Ver­dacht ge­habt, mit ih­ren Fein­den in ge­hei­mem Ein­ver­ständ­nis zu ste­hen. Aber Graf Chris­ti­an hat­te, als ihm ein­mal die Ehre wi­der­fuhr, sei­ne Kai­se­rin in sei­nem Schlos­se auf­zu­neh­men, die Auf­füh­rung sei­nes Soh­nes durch Grün­de ge­recht­fer­tigt, wel­che sie, wie es schi­en, zu­frie­den ge­stellt hat­ten. Von der Un­ter­hal­tung Ma­ria-The­re­si­ens mit dem Gra­fen von Ru­dol­stadt war nichts be­kannt ge­wor­den.

      Ein selt­sa­mes Ge­heim­nis herrsch­te im Scho­ße die­ser from­men und mild­tä­ti­gen Fa­mi­lie, wel­che seit zehn Jah­ren mit kei­nem Nach­bar en­ge­ren Um­gang pflog, wel­che sich durch kein Ge­schäft, kei­ne Lust­bar­keit, kein po­li­ti­sches Er­eig­nis von ih­ren Gü­tern hin­weg­lo­cken ließ, wel­che reich­lich und ohne Mur­ren alle Kriegs­auf­la­gen be­zahl­te, ohne mit­ten un­ter den öf­fent­li­chen Stür­men und Lei­den sich aus ih­rer Ruhe schre­cken zu las­sen, wel­che end­lich ganz ab­wei­chend von der ge­wöhn­li­chen Le­bens­art der Fa­mi­li­en ih­res Stan­des zu le­ben schi­en und Al­len Miss­trau­en ein­flö­ßte, ob­gleich man von ih­rem äu­ßern Tun nie et­was an­de­res zu be­mer­ken Ge­le­gen­heit fand als gute Wer­ke und edle Hand­lun­gen.

      Weil man sich die­ses schrof­fe und ab­ge­schlos­se­ne Le­ben nicht zu er­klä­ren ver­moch­te, klag­te man die Ru­dol­stadt bald ei­ner men­schen­feind­li­chen Ge­sin­nung, bald des Gei­zes an; da aber ihr Ver­hal­ten fort und fort die­se Be­schul­di­gun­gen Lü­gen straf­te, so sah man sich dar­auf be­schränkt, ih­nen ein­fach eine zu große Träg­heit und Stumpf­heit vor­zu­wer­fen.

      Man er­zähl­te sich, Graf Chris­ti­an habe nur das Le­ben sei­nes ein­zi­gen Soh­nes und des letz­ten Er­ben sei­nes Na­mens nicht in die­sen un­glück­se­li­gen Kriegs­läu­fen aus­set­zen wol­len und die Kai­se­rin habe zur Ab­lö­sung der per­sön­li­chen Diens­te des­sel­ben eine hin­läng­lich star­ke Sum­me Gel­des, um ein Husa­ren­re­gi­ment zu equi­pie­ren, an­ge­nom­men.

      Die ed­len Da­men, wel­che mann­ba­re Töch­ter hat­ten, sag­ten, Graf Chris­ti­an habe wei­se ge­han­delt; als sie je­doch in Er­fah­rung brach­ten, dass der Graf ent­schlos­sen schei­ne, sei­nen Sohn in sei­ner ei­ge­nen Fa­mi­lie zu ver­mäh­len, in­dem er ihm die Toch­ter sei­nes Bru­ders, des Barons Frie­de­rich zur Gat­tin be­stimmt ha­ben soll­te, als sie ver­nah­men, dass die jun­ge Baro­nin Ama­lie das Klos­ter in Prag, in wel­chem sie er­zo­gen wor­den, ver­las­sen hät­te, um fort­an bei ih­rem Vet­ter auf Rie­sen­burg zu woh­nen, da er­klär­ten die­se ed­len Da­men ein­mü­tig, dass die Fa­mi­lie Ru­dol­stadt eine Rot­te Wöl­fe wäre, al­le­samt im­mer ei­ner un­ge­sel­li­ger und wil­der als der an­de­re. Nur ei­ni­ge un­be­stech­li­che Die­ner und ei­ni­ge er­ge­be­ne Freun­de wuss­ten um das Ge­heim­nis der Fa­mi­lie und hü­te­ten es treu­lich.

      Die­se edle Fa­mi­lie saß ei­nes Abends um einen Tisch, der mit Wild­pret und mit vie­len nahr­haf­ten Spei­sen be­la­den war, denn un­se­re Vor­fah­ren in den sla­vi­schen Län­dern wa­ren der vom Hofe Lud­wigs XIV. aus in die ari­sto­kra­ti­schen Sit­ten des größ­ten Teils Eu­ro­pas über­ge­gang­nen Ver­fei­ne­rung zum Trot­ze da­mals noch den Ge­wohn­hei­ten ih­rer Vä­ter treu­ge­blie­ben. Ein rie­sen­mä­ßi­ger Ka­min, in wel­chem gan­ze Ei­chen­klo­ben brann­ten, er­wärm­te den wei­ten und düs­te­ren Saal.

      Graf Chris­ti­an hat­te eben mit lau­ter Stim­me das Be­ne­di­ci­te be­en­det, wel­ches die üb­ri­gen Mit­glie­der der Fa­mi­lie ste­hend an­ge­hört hat­ten. Zahl­rei­che Be­dien­te, alle grei­se und ernst­haft, in Lan­des­tracht, in lan­gen Ma­me­lu­cken­ho­sen und mit großen Schnauz­bär­ten, be­eil­ten sich mit Wei­le um ihre ver­ehr­ten Ge­bie­ter.

      Der Schloss­kaplan saß zur Rech­ten des Gra­fen, und des letz­te­ren Nich­te, die jun­ge Baro­nin Ama­lie, an sei­ner Lin­ken, der »Her­zens­sei­te«, wie er sich ge­fiel mit vä­ter­li­cher ernst­ge­mes­se­ner Galan­te­rie zu sa­gen. Baron Frie­de­rich, sein jün­ge­rer Bru­der, den er im­mer sei­nen klei­nen Bru­der nann­te, weil der­sel­be erst sech­zig Jah­re alt war, saß ihm ge­gen­über. Sei­ne äl­tes­te Schwes­ter, das Stifts­fräu­lein Wences­la­wa von Ru­dol­stadt, eine ehr­wür­di­ge Sech­zi­ge­rin mit ei­nem ge­wal­ti­gen Hö­cker be­la­den und zum Er­schre­cken ma­ger, saß am obe­ren Ende des Ti­sches, und Graf Al­bert, Chris­tians Sohn, Ama­li­ens Ver­lob­ter, der letz­te Ru­dol­stadt, kam bleich und trau­rig und setz­te sich mit zer­streu­ter Mie­ne an das an­de­re Ende, ge­gen­über sei­ner ed­len Tan­te.

      Von al­len die­sen schweig­sa­men Per­so­nen war Al­bert ohne Fra­ge am we­nigs­ten ge­neigt und am we­nigs­ten ge­wohnt, die an­de­ren auf­zu­mun­tern. Der Ka­plan hat­te eine so tie­fe Er­ge­ben­heit für sei­ne Herr­schaft und so viel Ehr­furcht vor dem Haup­te der Fa­mi­lie, dass er den Mund nicht auf­tat, ohne durch einen Blick des Gra­fen Chris­ti­an dazu an­ge­regt zu sein, und die­ser war von so ru­hi­ger und ge­sam­mel­ter Na­tur, dass er fast nie­mals das Be­dürf­nis fühl­te, in den an­de­ren eine Ablen­kung von sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken zu su­chen.

      Baron Frie­de­rich war ein we­ni­ger tiefer Cha­rak­ter und hat­te mehr Be­weg­lich­keit, aber kei­nen reg­sa­me­ren Geist. Eben so sanft und wohl­wol­lend wie sein äl­tes­ter Bru­der, stand er die­sem an Ver­stand und in­ne­rem Feu­er nach. Sei­ne Fröm­mig­keit war ganz Sa­che des Her­kom­mens und der An­ge­wöh­nung. Sei­ne ein­zi­ge Lei­den­schaft war die Jagd. Da­mit brach­te er sei­nen gan­zen Tag hin, kam je­den Abend heim, er­mü­det nicht – er war eine ei­ser­ne Na­tur – aber er­hitzt, au­ßer Atem und hung­rig. Er aß für Zeh­ne, trank für Drei­ßig, ver­lus­tig­te sich beim De­sert ein we­nig mit Ge­schicht­chen, wie sein Hund Sa­phir den Ha­sen ge­grif­fen, oder wie sei­ne Pet­ze Dia­na den Wolf auf­ge­spürt, oder wie sein Fal­ke At­ti­la ge­stie­gen; und wenn man ihm mit un­er­schöpf­li­cher Ge­duld zu­ge­hört hat­te, so nick­te er am Ka­mi­ne auf ei­nem schwarz­le­der­nen Groß­va­ter­stuhl sanft ein, bis sei­ne Toch­ter ihn mit der Nach­richt weck­te, dass es Zeit sei, zu Bet­te zu ge­hen, denn es habe eben ge­schla­gen.

      Das Stifts­fräu­lein war von der gan­zen Fa­mi­lie die ge­schäf­tigs­te. Sie konn­te so­gar für eine Schwät­ze­rin gel­ten, denn es be­geg­ne­te ihr min­des­tens zwei­mal