anvertraute. Nach zwei Generationen, während Böhmen stumm und unterdrückt, die österreichische Macht völlig befestigt und Ruhm und Unglück der Reformation, wenigstens dem Anscheine nach, vergessen war, übten die Herren von Rudolstadt friedsam die christlichen Tugenden, bekannten den römischen Glauben und lebten auf ihren Gütern in Überfluss, aber in patriarchalischer Einfalt als gute Aristokraten und treue Diener Maria-Theresiens.
Sie hatten ehemals Beweise ihrer persönlichen Tapferkeit im Dienste Kaiser Karls VI. abgelegt. Aber der letzte Spross dieses erlauchten und tapfern Geschlechtes, der junge Albert, des Grafen Christian von Rudolstadt einziger Sohn, hatte zu allgemeiner Verwunderung in dem österreichischen Erbfolgekriege, der so eben beendet war, keine Dienste genommen und hatte sein dreißigstes Jahr erreicht, ohne eine andere Bedeutung erworben oder erstrebt zu haben, als die ihm durch Geburt und Reichtum zugefallen war. Wegen dieses sonderbaren Benehmens hatte seine Monarchin ihn schon in Verdacht gehabt, mit ihren Feinden in geheimem Einverständnis zu stehen. Aber Graf Christian hatte, als ihm einmal die Ehre widerfuhr, seine Kaiserin in seinem Schlosse aufzunehmen, die Aufführung seines Sohnes durch Gründe gerechtfertigt, welche sie, wie es schien, zufrieden gestellt hatten. Von der Unterhaltung Maria-Theresiens mit dem Grafen von Rudolstadt war nichts bekannt geworden.
Ein seltsames Geheimnis herrschte im Schoße dieser frommen und mildtätigen Familie, welche seit zehn Jahren mit keinem Nachbar engeren Umgang pflog, welche sich durch kein Geschäft, keine Lustbarkeit, kein politisches Ereignis von ihren Gütern hinweglocken ließ, welche reichlich und ohne Murren alle Kriegsauflagen bezahlte, ohne mitten unter den öffentlichen Stürmen und Leiden sich aus ihrer Ruhe schrecken zu lassen, welche endlich ganz abweichend von der gewöhnlichen Lebensart der Familien ihres Standes zu leben schien und Allen Misstrauen einflößte, obgleich man von ihrem äußern Tun nie etwas anderes zu bemerken Gelegenheit fand als gute Werke und edle Handlungen.
Weil man sich dieses schroffe und abgeschlossene Leben nicht zu erklären vermochte, klagte man die Rudolstadt bald einer menschenfeindlichen Gesinnung, bald des Geizes an; da aber ihr Verhalten fort und fort diese Beschuldigungen Lügen strafte, so sah man sich darauf beschränkt, ihnen einfach eine zu große Trägheit und Stumpfheit vorzuwerfen.
Man erzählte sich, Graf Christian habe nur das Leben seines einzigen Sohnes und des letzten Erben seines Namens nicht in diesen unglückseligen Kriegsläufen aussetzen wollen und die Kaiserin habe zur Ablösung der persönlichen Dienste desselben eine hinlänglich starke Summe Geldes, um ein Husarenregiment zu equipieren, angenommen.
Die edlen Damen, welche mannbare Töchter hatten, sagten, Graf Christian habe weise gehandelt; als sie jedoch in Erfahrung brachten, dass der Graf entschlossen scheine, seinen Sohn in seiner eigenen Familie zu vermählen, indem er ihm die Tochter seines Bruders, des Barons Friederich zur Gattin bestimmt haben sollte, als sie vernahmen, dass die junge Baronin Amalie das Kloster in Prag, in welchem sie erzogen worden, verlassen hätte, um fortan bei ihrem Vetter auf Riesenburg zu wohnen, da erklärten diese edlen Damen einmütig, dass die Familie Rudolstadt eine Rotte Wölfe wäre, allesamt immer einer ungeselliger und wilder als der andere. Nur einige unbestechliche Diener und einige ergebene Freunde wussten um das Geheimnis der Familie und hüteten es treulich.
Diese edle Familie saß eines Abends um einen Tisch, der mit Wildpret und mit vielen nahrhaften Speisen beladen war, denn unsere Vorfahren in den slavischen Ländern waren der vom Hofe Ludwigs XIV. aus in die aristokratischen Sitten des größten Teils Europas übergegangnen Verfeinerung zum Trotze damals noch den Gewohnheiten ihrer Väter treugeblieben. Ein riesenmäßiger Kamin, in welchem ganze Eichenkloben brannten, erwärmte den weiten und düsteren Saal.
Graf Christian hatte eben mit lauter Stimme das Benedicite beendet, welches die übrigen Mitglieder der Familie stehend angehört hatten. Zahlreiche Bediente, alle greise und ernsthaft, in Landestracht, in langen Mameluckenhosen und mit großen Schnauzbärten, beeilten sich mit Weile um ihre verehrten Gebieter.
Der Schlosskaplan saß zur Rechten des Grafen, und des letzteren Nichte, die junge Baronin Amalie, an seiner Linken, der »Herzensseite«, wie er sich gefiel mit väterlicher ernstgemessener Galanterie zu sagen. Baron Friederich, sein jüngerer Bruder, den er immer seinen kleinen Bruder nannte, weil derselbe erst sechzig Jahre alt war, saß ihm gegenüber. Seine älteste Schwester, das Stiftsfräulein Wenceslawa von Rudolstadt, eine ehrwürdige Sechzigerin mit einem gewaltigen Höcker beladen und zum Erschrecken mager, saß am oberen Ende des Tisches, und Graf Albert, Christians Sohn, Amaliens Verlobter, der letzte Rudolstadt, kam bleich und traurig und setzte sich mit zerstreuter Miene an das andere Ende, gegenüber seiner edlen Tante.
Von allen diesen schweigsamen Personen war Albert ohne Frage am wenigsten geneigt und am wenigsten gewohnt, die anderen aufzumuntern. Der Kaplan hatte eine so tiefe Ergebenheit für seine Herrschaft und so viel Ehrfurcht vor dem Haupte der Familie, dass er den Mund nicht auftat, ohne durch einen Blick des Grafen Christian dazu angeregt zu sein, und dieser war von so ruhiger und gesammelter Natur, dass er fast niemals das Bedürfnis fühlte, in den anderen eine Ablenkung von seinen eigenen Gedanken zu suchen.
Baron Friederich war ein weniger tiefer Charakter und hatte mehr Beweglichkeit, aber keinen regsameren Geist. Eben so sanft und wohlwollend wie sein ältester Bruder, stand er diesem an Verstand und innerem Feuer nach. Seine Frömmigkeit war ganz Sache des Herkommens und der Angewöhnung. Seine einzige Leidenschaft war die Jagd. Damit brachte er seinen ganzen Tag hin, kam jeden Abend heim, ermüdet nicht – er war eine eiserne Natur – aber erhitzt, außer Atem und hungrig. Er aß für Zehne, trank für Dreißig, verlustigte sich beim Desert ein wenig mit Geschichtchen, wie sein Hund Saphir den Hasen gegriffen, oder wie seine Petze Diana den Wolf aufgespürt, oder wie sein Falke Attila gestiegen; und wenn man ihm mit unerschöpflicher Geduld zugehört hatte, so nickte er am Kamine auf einem schwarzledernen Großvaterstuhl sanft ein, bis seine Tochter ihn mit der Nachricht weckte, dass es Zeit sei, zu Bette zu gehen, denn es habe eben geschlagen.
Das Stiftsfräulein war von der ganzen Familie die geschäftigste. Sie konnte sogar für eine Schwätzerin gelten, denn es begegnete ihr mindestens zweimal