George Sand

Gesammelte Werke


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Als sie in ihre Loge ein­ge­tre­ten war, sank sie in Ohn­macht, buch­stäb­lich auf ei­nem Blu­men­bett, denn man hat­te al­les auf der Büh­ne auf­ge­rafft und durch ein­an­der auf ihr So­pha ge­wor­fen. Die Aus­klei­de­rin lief hin­auf, um den Arzt zu ru­fen. Graf Zus­ti­nia­ni blieb ei­ni­ge Au­gen­bli­cke al­lein an der Sei­te sei­ner schö­nen Sän­ge­rin, die bleich und ge­knickt lag wie die Jas­min­blät­ter un­ter ih­rem Haup­te.

      In die­sem Au­gen­blick der Ver­wir­rung und Trun­ken­heit, ver­lor Zus­ti­nia­ni den Kopf und gab dem tol­len Ein­fal­le nach, sie durch sei­ne Lieb­ko­sun­gen wie­der zu be­le­ben. Aber sein ers­ter Kuss war un­leid­lich auf den keu­schen Lip­pen Con­sue­lo’s. Sie raff­te sich auf, um den Gra­fen zu­rück­zu­sto­ßen, als wäre sein Kuss ein Schlan­gen­biss ge­we­sen.

      – Ah! fort von mir, rief sie, sich wie in Irre ge­bär­dend, fort von mir Lie­be und Lieb­ko­sun­gen und süße Wor­te! Nie Lie­be! Nie einen Gat­ten! Nie einen Ge­lieb­ten! Nie Kin­der! Mein Meis­ter hat es mir ge­sagt. Frei­heit! Ide­al! Ein­sam­keit! Ruhm! –

      Und sie zer­floss in Trä­nen so herz­zer­rei­ßend, dass der Graf voll Be­stür­zung sich ne­ben ihr auf die Knie warf und das Äu­ßers­te tat, sie zu be­ru­hi­gen. Aber er hat­te nichts Lin­dern­des die­ser ver­wun­de­ten See­le zu bie­ten, und sei­ne Lei­den­schaft, die in die­sem Au­gen­blick ihre höchs­te Fie­ber­hit­ze er­reich­te, gab sich wi­der sei­nen Wil­len kund. Er be­griff nur zu wohl die Verzweif­lung der ver­ra­te­nen Lie­ben­den. Er gab der Schwär­me­rei des hoff­nungs­vol­len Lie­ben­den Wor­te. Con­sue­lo schi­en ihn zu hö­ren und zog me­cha­nisch ihre Hand aus den sei­ni­gen, mit ei­nem wir­ren Lä­cheln, wel­ches der Graf für eine schwa­che Auf­mun­te­rung nahm. Es gibt Män­ner, die sonst in der Welt voll Takt und Scharf­blick, bei sol­chen Un­ter­neh­mun­gen ganz al­bern sind.

      Der Arzt er­schi­en und gab ihr das be­ru­hi­gen­de Mit­tel, das un­ter dem Na­men »Trop­fen« in Mode war. Con­sue­lo wur­de so­dann in ih­ren Man­tel gehüllt und in die Gon­del ge­bracht. Der Graf trat mit ihr ein, sie mit sei­nen Ar­men un­ter­stüt­zend, und im­mer­fort von sei­ner Lie­be re­dend, zwei­felsoh­ne mit ei­ner ge­wis­sen Be­red­sam­keit, die ihm un­wi­der­steh­lich däuch­te. Nach­dem er eine Vier­tel­stun­de lang ge­spro­chen hat­te und kei­ne Ant­wort er­hielt, fleh­te er um ein Wort, um einen Blick.

      – Auf was soll ich denn ant­wor­ten? sag­te Con­sue­lo, wie aus ei­nem Trau­me er­wa­chend; ich habe nichts ver­nom­men.

      Zus­ti­nia­ni war im ers­ten Au­gen­bli­cke mut­los, dach­te aber dann, eine güns­ti­ge­re Ge­le­gen­heit wer­de nicht wie­der­kom­men und die ge­bro­che­ne See­le wer­de in die­sem Au­gen­bli­cke zu­gäng­li­cher sein, als nach ru­hi­ger Über­le­gung und ver­nünf­ti­gem Ent­schluss. Er fing also wie­der an zu re­den und traf auf das­sel­be Schwei­gen, die­sel­be Zer­streut­heit, und nur noch einen ge­wis­sen un­be­wuss­ten Trieb, sei­ne Arme und sei­ne Lip­pen zu­rück­zu­wei­sen, der nicht nachließ, ob­gleich auch nicht Kraft ge­nug zum Zor­ne dar­in war. Als die Gon­del an­leg­te, ver­such­te er Con­sue­lo einen Au­gen­blick zu­rück­zu­hal­ten, um ein er­mu­ti­gen­de­res Wort ihr ab­zu­ge­win­nen.

      – Ach! Herr Graf, ant­wor­te­te sie sanft und kalt, ent­schul­di­gen Sie den Zu­stand von Schwä­che, worin ich mich be­fin­de; ich habe nicht recht hin­ge­hört, al­lein ich ver­ste­he Sie. Oh! ja, ich habe sehr gut ver­stan­den. Ich bit­te Sie, mir die Nacht zu gön­nen, um nach­zu­den­ken, um aus der Ver­wir­rung, in der ich mich be­fin­de, zu mir selbst zu kom­men. Mor­gen, ja … mor­gen wer­de ich Ih­nen ohne Um­schweif ant­wor­ten.

      – Mor­gen, teu­re Con­sue­lo! o, das ist ein Jahr­hun­dert; al­lein ich will mich un­ter­wer­fen, wenn Sie mir zu hof­fen er­lau­ben, dass we­nigs­tens Ihre Freund­schaft …

      – Ja, ja, ja! Wa­rum nicht hof­fen? ant­wor­te­te Con­sue­lo mit un­ge­wöhn­li­cher Stim­me, in­dem sie den Fuß an das Ufer setz­te. Aber fol­gen Sie mir nicht, setz­te sie hin­zu mit ei­ner ge­bie­te­ri­schen Be­we­gung, wel­che ihn in die Gon­del zu­rück­wies. Sonst wür­den Sie nichts zu hof­fen ha­ben.

      Scham und Un­wil­le hat­ten ihr wie­der Kraft ge­ge­ben, aber eine ner­vö­se, fie­be­ri­sche Kraft, die sich, wäh­rend sie ihre Trep­pe hin­auf­stieg, in ei­nem krampf­haf­ten, er­schre­cken­den La­chen Luft mach­te.

      – Sie sind sehr lus­tig, Con­sue­lo! rief ihr in der Dun­kel­heit eine Stim­me zu, wel­che sie fast zu Bo­den ge­schla­gen hät­te. Ich wün­sche Ih­nen Glück zu Ih­rer gu­ten Lau­ne!

      – Ha, ja! ant­wor­te­te sie, ge­walt­sam An­zo­le­to’s Arm er­grei­fend und has­tig mit ihm nach ih­rem Zim­mer hin­auf­stei­gend; ich dan­ke dir, An­zo­le­to! Du hast recht, mir Glück zu wün­schen, ich bin in Wahr­heit ver­gnügt, o herr­lich ver­gnügt.

      An­zo­le­to, der sie er­war­te­te, hat­te die Lam­pe schon an­ge­zün­det. Als das bläu­li­che Licht bei­den auf die ent­stell­ten Züge fiel, grau­te ih­nen vor ein­an­der.

      – Wir sind sehr glück­lich, nicht wahr, An­zo­le­to? sag­te sie mit gras­ser Stim­me, und ver­zog ihre Züge zu ei­nem Lä­cheln, wo­von ein Trä­nen­strom über ihre Ba­cken stürz­te. Was meinst du zu un­se­rem Glück?

      – Ich mei­ne, Con­sue­lo! ver­setz­te er mit bit­te­rem Lä­cheln und mit tro­ckenen Au­gen, es hat uns et­was Mühe ge­kos­tet, uns dar­ein zu fin­den, aber es wird mit der Zeit schon ge­hen.

      – Du schienst mir in der Tat recht ein­ge­wöhnt im Bou­doir der Co­ril­la.

      – Und du, ich fin­de dich schon recht ver­traut mit der Gon­del des Herrn Gra­fen.

      – Des Herrn Gra­fen? … Also das wuss­test du, An­zo­le­to, dass der Herr Graf mich zu sei­ner Maitres­se hat ma­chen wol­len?

      – Ei, und um dich nicht zu ge­nie­ren, mei­ne Theu­re! habe ich be­schei­dent­lich mei­nen Rück­zug ge­nom­men.

      – Ach, du wuss­test das? und das war der Au­gen­blick, den du ge­wählt hast, um mich zu ver­las­sen?

      – Habe ich nicht recht dar­an ge­tan? Und bist du nicht mit dei­nem Loo­se zu­frie­den? Der Graf ist ein rei­cher, präch­ti­ger Lieb­ha­ber und der arme durch­ge­fal­le­ne De­bü­tant hät­te ihm nicht die Wage hal­ten kön­nen, denk ich.

      – Por­po­ra, mein Meis­ter, wie recht hat­test du: ein schänd­li­cher Mensch! Hin­aus, ge­hen Sie hin­aus, Sie sind nicht wert, dass ich mich recht­fer­ti­ge, und ich wür­de mich für be­schimpft hal­ten, wenn Sie un­se­re Tren­nung be­dau­er­ten. Hin­aus! sage ich. Aber erst sol­len Sie wis­sen, dass Sie in Ve­ne­dig frei de­bü­tie­ren und mit der Co­ril­la in San Sa­mu­el auf­tre­ten kön­nen: nie wie­der wird die Toch­ter mei­ner Mut­ter ihre Füße auf die­se un­edeln Bret­ter set­zen, die sie das Thea­ter hei­ßen.

      – Die Toch­ter Ih­rer Mut­ter, der Zin­ga­ra, wird dem­nach wohl die große Dame spie­len in der Vil­la Zus­ti­nia­ni’s an den Ufern der Bren­ta? Das wird ein herr­li­ches Le­ben sein, und ich bin ent­zückt dar­über.

      – O mei­ne Mut­ter! rief Con­sue­lo, und ge­gen ihr Bett ge­kehrt auf ihre Knie stür­zend ver­grub sie das Ge­sicht in der De­cke, wel­che der Zin­ga­ra zum Ster­be­la­ken ge­dient hat­te.

      An­zo­le­to wur­de er­schreckt und er­schüt­tert von die­ser