Zeichen. Lassen Sie mich heimgehen, lieber Meister. Ich habe nötig, mich zu sammeln und mich zu erkennen.
– Das ist das rechte Wort, Consuelo! du hast nötig, dich zu erkennen. Bis hierher hast du dich ganz verkannt, indem du deine Seele und deine Zukunft einem in jeder Hinsicht tief unter dir stehenden Wesen dahin gabst. Du hast deine Bestimmung verkannt, indem du nicht sahest, dass du ohne deines Gleichen bist und dass demnach kein Bündnis für dich in dieser Welt möglich ist. Du hast Einsamkeit, unbedingte Freiheit nötig. Ich wünsche dir weder Mann, weder Geliebten, weder Familie, weder Leidenschaften, weder Bande irgend einer Art. So, in diesem Sinne habe ich stets dein Dasein, deine Laufbahn mir gedacht. An dem Tage, wo du dich einem Sterblichen überlässest, wirst du deine Göttlichkeit verlieren. Ach, hätten die Mingotti, die Molteni, meine ruhmvollen Schülerinnen, meine mächtigen Schöpfungen, mir glauben wollen, sie hätten in unbestrittener Glorie auf Erden gewandelt. Allein das Weib ist schwach und nach Neuem lüstern; die Eitelkeit verblendet es, nichtige Begierden regen es auf, der Eigensinn reißt es fort. Was für Frucht haben sie von der Befriedigung ihrer Unruhe geärntet? Stürme, Ermattung, Verlust oder doch Schmälerung ihres Genies. Willst du nicht mehr sein als sie, Consuelo? Hast du nicht einen Ehrgeiz nach Höherem als allen den falschen Gütern dieses Lebens? Möchtest du nicht das eitle Verlangen deines Herzens tilgen, um die schönste Krone zu erwerben, welche jemals dem Genie zur Aureole diente?
Der Porpora sprach noch lange fort, aber mit einer Kraft und Beredsamkeit, welche ich nicht wiederzugeben vermöchte. Consuelo hörte ihn an, den Kopf gesenkt, die Augen an den Boden geheftet. Als er geendet hatte, sagte sie:
– Meister! Sie sind groß; ich aber bin es nicht genug, um Sie zu fassen. Es scheint mir, dass Sie die Natur des Menschen beleidigen, indem Sie seine edlen Leidenschaften verdammen. Es scheint mir, dass Sie die Triebe ersticken wollen, welche uns Gott selbst eingepflanzt hat, um die wilde, widermenschliche Selbstsucht in eine göttliche Kraft umzuwandeln. Vielleicht würde ich Sie besser fassen, wenn ich eine bessere Christin wäre: ich werde zusehen es zu werden; das ist es, was ich Ihnen versprechen kann.
Sie schied, dem Anscheine nach ruhig, aber im Grunde ihrer Seele zernichtet. Der große, menschenscheue Künstler brachte sie bis in ihre Wohnung, ihr immer predigend, ohne sie zu überzeugen. Indessen tat er ihr wohl, indem er ihrem Nachdenken ein weites Feld tiefer und ernster Betrachtungen eröffnete, unter welchen Anzoleto’s Verbrechen sich verlor wie ein vereinzeltes Beispiel, das schmerzlich aber feierlich sie in ein Labyrinth sinnvoller Anschauungen einführte.
Lange Stunden brachte sie mit Beten, Weinen, Sinnen hin, dann schlief sie ein mit dem Bewusstsein ihrer Tugend und voll Hoffnung auf einen erleuchtenden und rettenden Gott.
Am anderen Morgen kam Porpora und zeigte ihr an, dass eine Probe der Ipermnestra für Stefanini stattfände, welcher Anzoleto’s Rolle übernähme. Anzoleto war krank, hütete das Bett und klagte über Stimmlosigkeit. Consuelo’s erste Bewegung war, zu ihm zu laufen, um ihn zu pflegen.
– Spare dir diese Mühe, sagte der Professor, er befindet sich vortrefflich, der Arzt des Theaters hat sich davon überzeugt, und er wird heut Abend bei der Corilla sein. Aber Graf Zustiniani, der recht gut versteht, was die Sache soll, und nichts dawider hat, dass er mit seinen Debüts eine Pause mache, hat dem Arzt untersagt, die Täuschung aufzudecken und den guten Stefanini gebeten, noch ein paar Mal wieder zu spielen.
– Aber mein Gott, was gedenkt denn Anzoleto zu tun? Ist seine Entmutigung so groß, dass er das Theater ganz verlassen will?
– Ja, das Theater San Samuel. Er reist in einem Monate mit der Corilla nach Frankreich … Das nimmt dich Wunder? Er entflieht dem Schlagschatten, welchen du auf ihn wirfst. Er legt sein Schicksal in die Hände einer Frau, die er weniger zu fürchten braucht, und die er ebenfalls verraten wird, wenn er sie nicht mehr nötig hat.
Consuelo erbleichte und presste beide Hände auf ihr Herz, das brechen wollte. Vielleicht hatte sie sich noch geschmeichelt, Anzoleto zu sich zurückzuführen, indem sie ihm sanft seinen Fehltritt vorhielte, indem sie ihm anböte, ihre eigenen Debüts aufzuschieben. Diese Nachricht war ihr ein Stich ins Herz. Sie konnte es nicht fassen, dass sie den nicht wiedersehen sollte, den sie so geliebt hatte.
– Ah, das ist ein böser Traum, schrie sie; ich muss zu ihm, er muss mir dies Gesicht erklären. Er kann dieser Frau nicht folgen, es wäre sein Untergang. Und ich, ich kann ihn nicht hineinrennen lassen, ich werde ihn halten, ich werde ihn seine wahren Interessen erkennen lassen, wenn es wahr ist, dass er für nichts anderes mehr Sinn hat … Kommen Sie mit mir, lieber Meister, wir dürfen nicht so von ihm lassen …
– Ich würde von dir lassen, ich, und auf immer, rief Porpora voll Unwillen, wenn du dich so erniedrigtest. Dich diesem Elenden anbetteln, ihn einer Corilla streitig machen? Ha, heilige Cäcilia! erwehre dich deiner Zigeunerabkunft und rühre dich, die blinden, zügellosen Triebe, die du von daher hast, zu ersticken. Auf, mit mir! die Probe wartet. Du wirst wider Willen heut Abend doch ein Vergnügen davon haben, mit einem Meister wie Stefanini zu singen. Da sollst du einen bewussten, bescheidenen und edlen Künstler sehen.
Er zog sie mit sich ins Theater, und da zum ersten Male empfand sie die schauerliche Seite dieses Künstlerlebens, gekettet an die Anforderungen des Publikums, verdammt, ihr Gefühl zu ersticken und ihrer Aufregung Gewalt anzutun, um sich fremde Gefühle aufzuzwingen und der Aufregung anderer zu fröhnen. Diese Probe, dann die Toilette und die Aufführung am Abend waren eine grausame Marter. Anzoleto erschien nicht.
Zwei Tage darauf musste sie in einer Buffaoper von Galuppi auftreten: Arcifanfano re de’ matti. Man hatte diese Farce Stefanini zu Liebe gewählt, der darin von bewundernswürdiger Komik war. Consuelo musste sich zwingen, die lachen zu machen, welche sie weinen gemacht hatte. Sie war glänzend, reizend, überaus spaßhaft – mit dem Tod im Herzen. Zwei, dreimal musste sie tief in der Brust schluchzen und das verhaltene Weinen brach in einer gewaltsamen Lustigkeit aus, grauenvoll anzusehen für den, der darum gewusst hätte.
Als sie in ihre Loge zurückkam, fiel sie in Krämpfe. Das Publikum wollte sie noch vor sich sehen, um ihr seinen Beifall zu bezeigen, sie zögerte, es entstand ein ungeheurer Lärm, man wollte die Bänke zerschlagen, über die Lampen springen. Stefanini kam sie zu holen und fand sie halb gekleidet, das Haar in Unordnung, bleich wie ein Gespenst; sie ließ sich auf die Bühne ziehen und überschüttet von einem Blumenregen, ward sie genötiget,