George Sand

Gesammelte Werke


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Zei­chen. Las­sen Sie mich heim­ge­hen, lie­ber Meis­ter. Ich habe nö­tig, mich zu sam­meln und mich zu er­ken­nen.

      – Das ist das rech­te Wort, Con­sue­lo! du hast nö­tig, dich zu er­ken­nen. Bis hier­her hast du dich ganz ver­kannt, in­dem du dei­ne See­le und dei­ne Zu­kunft ei­nem in je­der Hin­sicht tief un­ter dir ste­hen­den We­sen da­hin gabst. Du hast dei­ne Be­stim­mung ver­kannt, in­dem du nicht sa­hest, dass du ohne dei­nes Glei­chen bist und dass dem­nach kein Bünd­nis für dich in die­ser Welt mög­lich ist. Du hast Ein­sam­keit, un­be­ding­te Frei­heit nö­tig. Ich wün­sche dir we­der Mann, we­der Ge­lieb­ten, we­der Fa­mi­lie, we­der Lei­den­schaf­ten, we­der Ban­de ir­gend ei­ner Art. So, in die­sem Sin­ne habe ich stets dein Da­sein, dei­ne Lauf­bahn mir ge­dacht. An dem Tage, wo du dich ei­nem Sterb­li­chen über­läs­sest, wirst du dei­ne Gött­lich­keit ver­lie­ren. Ach, hät­ten die Min­got­ti, die Mol­te­ni, mei­ne ruhm­vollen Schü­le­rin­nen, mei­ne mäch­ti­gen Schöp­fun­gen, mir glau­ben wol­len, sie hät­ten in un­be­strit­te­ner Glo­rie auf Er­den ge­wan­delt. Al­lein das Weib ist schwach und nach Neu­em lüs­tern; die Ei­tel­keit ver­blen­det es, nich­ti­ge Be­gier­den re­gen es auf, der Ei­gen­sinn reißt es fort. Was für Frucht ha­ben sie von der Be­frie­di­gung ih­rer Un­ru­he ge­ärn­tet? Stür­me, Er­mat­tung, Ver­lust oder doch Schmä­le­rung ih­res Ge­nies. Willst du nicht mehr sein als sie, Con­sue­lo? Hast du nicht einen Ehr­geiz nach Hö­he­rem als al­len den falschen Gü­tern die­ses Le­bens? Möch­test du nicht das eit­le Ver­lan­gen dei­nes Her­zens til­gen, um die schöns­te Kro­ne zu er­wer­ben, wel­che je­mals dem Ge­nie zur Au­reo­le diente?

      Der Por­po­ra sprach noch lan­ge fort, aber mit ei­ner Kraft und Be­red­sam­keit, wel­che ich nicht wie­der­zu­ge­ben ver­möch­te. Con­sue­lo hör­te ihn an, den Kopf ge­senkt, die Au­gen an den Bo­den ge­hef­tet. Als er ge­en­det hat­te, sag­te sie:

      – Meis­ter! Sie sind groß; ich aber bin es nicht ge­nug, um Sie zu fas­sen. Es scheint mir, dass Sie die Na­tur des Men­schen be­lei­di­gen, in­dem Sie sei­ne ed­len Lei­den­schaf­ten ver­dam­men. Es scheint mir, dass Sie die Trie­be er­sti­cken wol­len, wel­che uns Gott selbst ein­ge­pflanzt hat, um die wil­de, wi­der­mensch­li­che Selbst­sucht in eine gött­li­che Kraft um­zu­wan­deln. Vi­el­leicht wür­de ich Sie bes­ser fas­sen, wenn ich eine bes­se­re Chris­tin wäre: ich wer­de zu­se­hen es zu wer­den; das ist es, was ich Ih­nen ver­spre­chen kann.

      Sie schied, dem An­schei­ne nach ru­hig, aber im Grun­de ih­rer See­le zer­nich­tet. Der große, men­schen­scheue Künst­ler brach­te sie bis in ihre Woh­nung, ihr im­mer pre­di­gend, ohne sie zu über­zeu­gen. In­des­sen tat er ihr wohl, in­dem er ih­rem Nach­den­ken ein wei­tes Feld tiefer und erns­ter Be­trach­tun­gen er­öff­ne­te, un­ter wel­chen An­zo­le­to’s Ver­bre­chen sich ver­lor wie ein ver­ein­zel­tes Bei­spiel, das schmerz­lich aber fei­er­lich sie in ein La­by­rinth sinn­vol­ler An­schau­un­gen ein­führ­te.

      Lan­ge Stun­den brach­te sie mit Be­ten, Wei­nen, Sin­nen hin, dann schlief sie ein mit dem Be­wusst­sein ih­rer Tu­gend und voll Hoff­nung auf einen er­leuch­ten­den und ret­ten­den Gott.

      Am an­de­ren Mor­gen kam Por­po­ra und zeig­te ihr an, dass eine Pro­be der Iper­m­ne­stra für Ste­fa­ni­ni statt­fän­de, wel­cher An­zo­le­to’s Rol­le über­näh­me. An­zo­le­to war krank, hü­te­te das Bett und klag­te über Stimm­lo­sig­keit. Con­sue­lo’s ers­te Be­we­gung war, zu ihm zu lau­fen, um ihn zu pfle­gen.

      – Spa­re dir die­se Mühe, sag­te der Pro­fes­sor, er be­fin­det sich vor­treff­lich, der Arzt des Thea­ters hat sich da­von über­zeugt, und er wird heut Abend bei der Co­ril­la sein. Aber Graf Zus­ti­nia­ni, der recht gut ver­steht, was die Sa­che soll, und nichts da­wi­der hat, dass er mit sei­nen De­büts eine Pau­se ma­che, hat dem Arzt un­ter­sagt, die Täu­schung auf­zu­de­cken und den gu­ten Ste­fa­ni­ni ge­be­ten, noch ein paar Mal wie­der zu spie­len.

      – Aber mein Gott, was ge­denkt denn An­zo­le­to zu tun? Ist sei­ne Ent­mu­ti­gung so groß, dass er das Thea­ter ganz ver­las­sen will?

      – Ja, das Thea­ter San Sa­mu­el. Er reist in ei­nem Mo­na­te mit der Co­ril­la nach Frank­reich … Das nimmt dich Wun­der? Er ent­flieht dem Schlag­schat­ten, wel­chen du auf ihn wirfst. Er legt sein Schick­sal in die Hän­de ei­ner Frau, die er we­ni­ger zu fürch­ten braucht, und die er eben­falls ver­ra­ten wird, wenn er sie nicht mehr nö­tig hat.

      Con­sue­lo er­bleich­te und press­te bei­de Hän­de auf ihr Herz, das bre­chen woll­te. Vi­el­leicht hat­te sie sich noch ge­schmei­chelt, An­zo­le­to zu sich zu­rück­zu­füh­ren, in­dem sie ihm sanft sei­nen Fehl­tritt vor­hiel­te, in­dem sie ihm an­bö­te, ihre ei­ge­nen De­büts auf­zu­schie­ben. Die­se Nach­richt war ihr ein Stich ins Herz. Sie konn­te es nicht fas­sen, dass sie den nicht wie­der­se­hen soll­te, den sie so ge­liebt hat­te.

      – Ah, das ist ein bö­ser Traum, schrie sie; ich muss zu ihm, er muss mir dies Ge­sicht er­klä­ren. Er kann die­ser Frau nicht fol­gen, es wäre sein Un­ter­gang. Und ich, ich kann ihn nicht hin­ein­ren­nen las­sen, ich wer­de ihn hal­ten, ich wer­de ihn sei­ne wah­ren In­ter­es­sen er­ken­nen las­sen, wenn es wahr ist, dass er für nichts an­de­res mehr Sinn hat … Kom­men Sie mit mir, lie­ber Meis­ter, wir dür­fen nicht so von ihm las­sen …

      – Ich wür­de von dir las­sen, ich, und auf im­mer, rief Por­po­ra voll Un­wil­len, wenn du dich so er­nied­rig­test. Dich die­sem Elen­den an­bet­teln, ihn ei­ner Co­ril­la strei­tig ma­chen? Ha, hei­li­ge Cä­ci­lia! er­weh­re dich dei­ner Zi­geu­nerab­kunft und rüh­re dich, die blin­den, zü­gel­lo­sen Trie­be, die du von da­her hast, zu er­sti­cken. Auf, mit mir! die Pro­be war­tet. Du wirst wi­der Wil­len heut Abend doch ein Ver­gnü­gen da­von ha­ben, mit ei­nem Meis­ter wie Ste­fa­ni­ni zu sin­gen. Da sollst du einen be­wuss­ten, be­schei­de­nen und ed­len Künst­ler se­hen.

      Er zog sie mit sich ins Thea­ter, und da zum ers­ten Male emp­fand sie die schau­er­li­che Sei­te die­ses Künst­ler­le­bens, ge­ket­tet an die An­for­de­run­gen des Pub­li­kums, ver­dammt, ihr Ge­fühl zu er­sti­cken und ih­rer Auf­re­gung Ge­walt an­zu­tun, um sich frem­de Ge­füh­le auf­zu­zwin­gen und der Auf­re­gung an­de­rer zu fröh­nen. Die­se Pro­be, dann die Toi­let­te und die Auf­füh­rung am Abend wa­ren eine grau­sa­me Mar­ter. An­zo­le­to er­schi­en nicht.

      Zwei Tage dar­auf muss­te sie in ei­ner Buf­fao­per von Ga­lup­pi auf­tre­ten: Ar­ci­f­an­fa­no re de’ mat­ti. Man hat­te die­se Far­ce Ste­fa­ni­ni zu Lie­be ge­wählt, der dar­in von be­wun­derns­wür­di­ger Ko­mik war. Con­sue­lo muss­te sich zwin­gen, die la­chen zu ma­chen, wel­che sie wei­nen ge­macht hat­te. Sie war glän­zend, rei­zend, über­aus spaß­haft – mit dem Tod im Her­zen. Zwei, drei­mal muss­te sie tief in der Brust schluch­zen und das ver­hal­te­ne Wei­nen brach in ei­ner ge­walt­sa­men Lus­tig­keit aus, grau­en­voll an­zu­se­hen für den, der dar­um ge­wusst hät­te.

      Als sie in ihre Loge zu­rück­kam, fiel sie in Krämp­fe. Das Pub­li­kum woll­te sie noch vor sich se­hen, um ihr sei­nen Bei­fall zu be­zei­gen, sie zö­ger­te, es ent­stand ein un­ge­heu­rer Lärm, man woll­te die Bän­ke zer­schla­gen, über die Lam­pen sprin­gen. Ste­fa­ni­ni kam sie zu ho­len und fand sie halb ge­klei­det, das Haar in Un­ord­nung, bleich wie ein Ge­s­penst; sie ließ sich auf die Büh­ne zie­hen und über­schüt­tet von ei­nem Blu­men­re­gen, ward sie ge­nö­ti­get,