überwand sich so weit, dass sie sagte, sie wäre weder groß genug als Sängerin noch schön genug, um das Publikum zur Leidenschaft zu entflammen.
Und da das alles wirklich mehr als sie im Sagen dachte, die Wahrheit war, da Anzoleto es übrigens auch von selbst wahrgenommen und über Consuelo’s gewaltige Überlegenheit sich nie getäuscht hatte, so fand es Corilla nicht sehr schwer, ihn davon zu überzeugen. Sie wurden daher bei dieser Zusammenkunft fast schon einig über ihre Verbindung und Flucht; Anzoleto ging ernstlich darauf ein, obgleich er sich immer eine Hintertür offen hielt, durch welche er bei Gelegenheit wieder entwischen konnte.
Da es der Corilla nicht entging, dass noch einige Unschlüssigkeit in ihm zurückgeblieben war, so drang sie in ihn, seine Debüts fortzusetzen, und schmeichelte ihm mit der Hoffnung auf einen besseren Ausgang der folgenden Vorstellungen, während sie in ihrem Innern überzeugt war, dass diese unglücklichen Versuche ihm Venedig und Consuelo völlig verleiden würden.
Von seiner Maitresse begab sich Anzoleto zu seiner Freundin. Ein unbezwingbarer Drang sie wieder zu sehen, trieb ihn zu ihr. Es war das erstemal, dass er einen Tag begonnen und beschlossen hatte, ohne ihren keuschen Kuss auf die Stirne zu empfangen. Da er sich aber nach dem was mit Corilla vorgegangen war, seiner Veränderlichkeit zu schämen hatte, so suchte er sich selbst zu überreden, dass er bei seiner Braut sich nur die Gewissheit ihrer Untreue und den gänzlichen Verzicht auf seine Liebe holen wollte. Ohne allen Zweifel, sagte er zu sich, wird der Graf sich die Gelegenheit und ihren Verdruss über mein Ausbleiben zu Nutze gemacht haben; wie, solch ein lockerer Passagier hätte die Nacht mit ihr unter vier Augen zugebracht, und das arme Ding wäre nicht unterlegen? Unmöglich! –
Indessen trieb ihm dieser Gedanke doch den kalten Schweiß auf die Stirne, er dachte weiter, er stellte sich Consuelo’s Reue und Verzweiflung vor: das brach sein Herz, er beflügelte seinen Schritt, und glaubte nicht anders als sie in Tränen gebadet zu finden. Dann wieder sagte ihm eine innere Stimme, stärker als alle übrigen, ein Wesen von dieser Reinheit, diesem Seelenadel könne nicht so schnell, so schmählich fallen; und er hemmte seinen Fuß und dachte an sich, an das Gehässige seiner Aufführung, an die Selbstsucht seines Ehrgeizes, an die Lügen, denen er sein Leben, an die Vorwürfe, denen er sein Gewissen zur Beute gegeben hatte.
Er fand Consuelo in ihrem schwarzen Kleide, vor ihrem Tischchen, so heiter und so fromm in Blick und Haltung wie nur je. Sie lief auf ihn zu mit ihrer gewohnten Herzlichkeit und fragte voll Besorgnis, aber ohne Vorwurf, ohne Misstrauen, wie er die Zeit, seitdem sie einander nicht gesehen, zugebracht hätte.
– Ich war leidend, antwortete er ihr in der tiefen Niedergeschlagenheit, die sein Schuldbewusstsein ihm verursachte. Der Stoß am Kopfe gegen eine Coulisse, wovon ich dir die Strieme zeigte und dir sagte, es sei nichts, hat mir dennoch eine solche Erschütterung im Gehirn zu Wege gebracht, dass ich den Pallast Zustiniani verlassen musste, aus Furcht in Ohnmacht zu fallen und dass ich den ganzen Morgen das Bett gehütet habe.
– O mein Gott! rief Consuelo, und küsste die Wunde, die ihre Nebenbuhlerin ihm geschlagen hatte; du warst leidend, und bist es wohl noch?
– Nein! die Ruhe hat mir gut getan. Denke nicht weiter daran, und sage mir, wie du es gemacht hast, umso allein in der Nacht nach Hause zu kommen?
– Allein? O nicht doch, der Graf hat mich in seiner Gondel nach Hause gebracht.
– Ach! dacht’ ich’s doch! rief Anzoleto mit befremdendem Tone. Und hat er dir wohl so unter vier Augen gar viel Schönes gesagt?
– Was hätte er mir sagen können, das er mir nicht schon hundertmal vor aller Welt gesagt hätte? Er verzieht mich und würde mich eitel machen, wenn ich nicht vor diesem Übel auf meiner Hut wäre. Übrigens waren wir nicht unter vier Augen; mein lieber Meister war so gut, auch mitzufahren. O, der einzige Freund!
– Meister? Einziger Freund? Wer? fragte Anzoleto schon beruhigt und wieder in Gedanken.
– Nun, der Porpora! Woran denkst du denn?
– Ich denke, liebe Consuelo, an deinen Triumph von gestern Abend. Und du nicht?
– Weniger als an den deinigen, das schwöre ich dir.
– Den meinigen. O, spotte nicht, meine schöne Freundin! Der meinige war so fahl, dass er aufs Haar einer Niederlage glich.
Consuelo erschrak und wurde bleich. Sie hatte, ungeachtet ihrer merkwürdigen Festigkeit, doch nicht kaltes Blut genug gehabt, um zu unterscheiden was von dem Beifall des Abends ihr, was ihrem Geliebten galt. Es haben Huldigungen dieser Art etwas Betäubendes, dem sich der besonnenste Künstler nicht entziehen kann, und mancher so wenig, dass er vielleicht die Unterstützung einer Kabale für ein Beifallsjauchzen nimmt. Consuelo hatte im Gegenteile die Gewogenheit ihres Publikums sich minder groß vorgestellt als sie wirklich war; sich fast fürchtend vor dem entsetzlichen Lärm, hatte sie kaum dessen Meinung begriffen und den Vorzug, den man ihr vor Anzoleto gab, nicht bemerkt. Nun schalt sie ihn in ihrer Unbefangenheit, dass er gleich Anfangs zu viel Glück verlange, und da sie sah, dass sie ihn weder überzeugen noch seine Traurigkeit verscheuchen konnte, machte sie ihm sanfte Vorwürfe, dass er zu ruhmbegierig sei und zu großen Wert auf den Beifall der Welt lege.
– Ich habe es dir schon immer gesagt, fuhr sie fort, du ziehst den Ertrag der Kunst der Kunst selber vor. Hat man sein Bestes getan, fühlt man, dass man es gut gemacht hat, dann, dünkt mich, kann ein wenig Beifall mehr oder minder der inneren Zufriedenheit nichts hinzutun und nichts nehmen. Denke an das, was mir der Porpora sagte, als ich zum ersten Male im Pallaste Zustiniani sang: wer sich von wahrer Liebe zu seiner Kunst durchdrungen fühlt, kann sich nicht fürchten …
– Dein Porpora und du, fiel Anzoleto ihr verdrießlich in die Rede, ihr könnt freilich von eueren schönen Maximen leben. Nichts ist leichter als über das Unglück philosophieren, wenn man selbst im Glücke sitzt. Der Porpora ist zwar arm und angefeindet, aber er hat einen berühmten Namen; er hat Lorbeeren genug gepflückt, dass sein altes Haupt in Ruhe unter ihrem Schatten bleichen kann. Du, die du dich unbesiegbar fühlst, hast für die Furcht keinen Raum im Herzen. Du schwingst dich mit dem ersten Sprunge auf die höchste Staffel und wirfst denen, die nur kriechen können, vor, sie wären schwindlig. Das ist nicht sehr menschenfreundlich, Consuelo, und in hohem Grade unbillig. Auch passt dein Satz gar nicht auf mich. Du sagst, man müsse die Beistimmung des Publikums verachten, wenn man seine eigene hat; wenn mir nun aber dieses innere Zeugnis fehlt? Siehst du denn nicht, dass ich grausam unzufrieden mit mir selbst bin? Hast du denn nicht gesehen, wie abscheulich ich war; nicht gehört,