George Sand

Gesammelte Werke


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ge­fürch­tet hat­te.

      Aber An­zo­le­to kann­te sie zu gut, um sie trös­ten zu wol­len. Er wuss­te, bei dem ers­ten Zei­chen von Mit­leid oder Reue wür­de er ihre Wut wie­der aus­bre­chen und sich in Rach­sucht ver­ir­ren se­hen. Er er­griff da­her die Wahl, sei­ne Rol­le ei­nes har­ten Un­beug­sa­men fort­zu­spie­len, und ob­gleich ihn ihre Verzweif­lung rühr­te, über­häuf­te er sie mit den grau­sams­ten Vor­wür­fen und er­klär­te ihr dass er käme, um auf ewig von ihr Ab­schied zu neh­men. Er brach­te sie da­hin, dass sie ihm zu Fü­ßen stürz­te, sich ihm bis zur Tür auf den Kni­en nach­schlepp­te und in töd­li­cher Pein ge­mar­tert ihn um Ver­zei­hung an­fleh­te.

      Nach­dem er sie so ge­bro­chen und ver­nich­tet hat­te, stell­te er sich er­weicht; ganz au­ßer sich vor Hoch­mut und ich weiß nicht wel­cher ja­chen Wal­lung, als er sah wie die­ses schö­ne und stol­ze Weib sich vor ihm im Stau­be wand gleich ei­ner bü­ßen­den Mag­da­le­ne, gab er sich end­lich sei­nem Tau­mel hin und tauch­te sie in neue Trun­ken­heit. Doch wäh­rend er um­ging mit der ge­bän­dig­ten Lö­win, ver­gaß er kei­nen Au­gen­blick, dass sie ein wil­des Tier sei, und bis ans Ende be­harr­te er fest in der Hal­tung des be­lei­dig­ten Ge­bie­ters, der ver­zeiht.

      Der Tag fing eben an zu grau­en, als die­ses be­rausch­te und er­nied­rig­te Weib, – sie stüz­te ih­ren Mar­mo­r­arm auf den vom Mor­gen­reif be­netz­ten Bal­kon, ihr lan­ges schwar­zes Haar be­grub ihr blei­ches Ge­sicht – an­hob, mit wei­chen, schmei­cheln­den Lau­ten die Qua­len zu be­kla­gen, die ihre Lie­be ihr zu dul­den auf­er­leg­te.

      – Nun ja, so sprach sie, ich bin ei­fer­süch­tig; und wenn du es durch­aus willst, ich bin schlim­me­res als das, ich bin nei­disch. Ich kann es nicht er­tra­gen, mei­nen zehn­jäh­ri­gen Ruhm in ei­nem Au­gen­blick ver­dun­kelt zu se­hen von ei­nem neu­en Gestirn, das sich er­hebt, und dem mich eine ver­ges­se­ne, un­dank­ba­re Men­ge scho­nungs­los und mit­leid­los hin­op­fert. Wenn du erst das Ent­zücken des Tri­um­phs und das er­drücken­de Ge­fühl des Ver­fal­les ken­nen ge­lernt hast, dann wirst du ge­gen dich selbst nicht mehr so streng und un­nach­sich­tig sein, wie du es ge­gen mich heut bist. Ich bin noch bei Ver­mö­gen, sagst du; be­la­den mit Ei­tel­kei­ten, glück­li­chen Er­fol­gen, Schät­zen, stol­zen Hoff­nun­gen wer­de ich neu­en Ge­gen­den zu­ei­len, neue Lieb­ha­ber un­ter­jo­chen, ein neu­es Volk ent­zücken. Wenn al­les das auch wahr wäre, glaubst du denn, es könn­te ir­gend et­was aus der Welt mich trös­ten, wenn mich alle mei­ne Freun­de treu­los ver­las­sen, wenn ich von mei­nem Thro­ne ge­sto­ßen bin, wenn ich mit mei­nen Au­gen muss ein an­de­res Idol hin­auf­stei­gen se­hen? Und die­se Schan­de, die ers­te mei­nes Le­bens, die ein­zi­ge auf mei­ner gan­zen Lauf­bahn, sie ist mir un­ter dei­nen Au­gen, – ›was sag’ ich? nein, durch dich mir an­ge­tan, sie ist das Werk mei­nes Ge­lieb­ten, des ers­ten Man­nes, den ich feig­her­zig, den ich selbst­ver­ges­sen ge­liebt habe! Du sagst noch, dass ich falsch und schlecht sei, dass ich einen er­heu­chel­ten See­le­na­del, eine er­lo­ge­ne Hoch­her­zig­keit dir vor­ge­spie­gelt habe: du hast es ja so ge­wollt, du, du, An­zo­le­to. Ich war be­lei­digt, du schriebst mir vor, ru­hig zu schei­nen, und ich zwang mich zur Ruhe; ich war miss­trau­isch, du be­fahlst mir, dei­ner Auf­rich­tig­keit zu ver­trau­en, und ich ver­trau­te; ich hat­te Wut und Tod im Her­zen, du ver­lang­test, ich soll­te lä­cheln und ich lä­chel­te; ich war voll Grimm und Verzweif­lung, du hießest mich schwei­gen, und ich schwieg. Was konn­te ich denn mehr tun, als mir einen Cha­rak­ter auf­zwän­gen, der nicht der mei­ne ist, und mich mit ei­nem Mute put­zen, den ich nicht habe? Und wenn dann die­ser Mut mich im Sti­che lässt, wenn die­se Mar­ter un­er­träg­lich wird, wenn ich ra­send bin, und mei­ne Qua­len dir das Herz bre­chen soll­ten, so trittst du mich mit Fü­ßen und willst mich ster­bend in dem Kot lie­gen las­sen, ins den du mich ge­stürzt hast! O An­zo­le­to, euer Herz ist stei­nern, und ich, ich bin so nichts wie der Sand am Stran­de, der sich quä­len und hin­weg­spüh­len lässt von der zün­geln­den Wel­le. Ah! schilt mich, schla­ge mich, miss­hand­le mich, da es das Recht des Stär­ke­ren ist, aber be­kla­ge mich we­nigs­tens im Grun­de dei­ner See­le, und bei der schlech­ten Mei­nung, die du von mir hast, er­ken­ne mei­ne un­er­mess­li­che Lie­be dar­an, dass ich das al­les lei­de und nur fer­ner zu lei­den ver­lan­ge.

      Aber höre mein Freund, füg­te sie sanf­ter hin­zu und um­schlang ihn mit ih­ren Ar­men: was du mich lei­den ließest, ist nichts ge­gen mei­ne Angst, wenn ich an dei­ne Zu­kunft und an dein ei­ge­nes Glück den­ke. Du bist ver­lo­ren, An­zo­le­to, teu­rer An­zo­le­to, ohne Ret­tung ver­lo­ren! Du weißt es nicht, du ahnst es nicht; ich aber, ich sehe es und ich sage mir: wäre ich nur we­nigs­tens sei­nem Ehr­geiz ge­op­fert, diente mein Fall sei­nen Tri­umph zu er­hö­hen! Aber nein! zu nichts als zu sei­nem Ver­der­ben, und ich bin nur das Werk­zeug ei­ner Ne­ben­buh­le­rin die den Fuß uns bei­den auf den Na­cken setzt.

      – Was willst du mit die­sem Un­sinn sa­gen? frag­te An­zo­le­to, ich ver­ste­he dich nicht.

      – Und doch soll­test du mich ver­ste­hen! ver­ste­hen we­nigs­tens was die­sen Abend vor­ge­gan­gen ist. Du hast also nicht be­merkt, wie nach dem En­thu­si­as­mus, den dei­ne ers­te Arie her­vor­rief, eine Käl­te des Pub­li­cums für dich ein­trat, so­gleich nach­dem sie ge­sun­gen hat­te, ach! ge­sun­gen, wie sie stets sin­gen wird, bes­ser als ich, bes­ser als alle Welt, und muss ich es dir erst sa­gen? bes­ser, tau­send­mal bes­ser als du, ge­lieb­ter An­zo­le­to! Ach, du siehst nicht, dass dies Weib dich zer­tre­ten wird, sich schon in der Ge­burt zer­tre­ten hat! Du siehst nicht, dass dei­ne Schön­heit von ih­rer Häss­lich­keit ver­dun­kelt ist? Denn häss­lich ist sie, da­bei blei­be ich; aber ich weiß auch, dass wenn Häss­li­che ge­fal­len, der Män­ner Lei­den­schaft weit hei­ßer und ihre Ein­ge­nom­men­heit weit hart­nä­cki­ger ist als für die voll­kom­mens­ten Schön­hei­ten, wel­che die Welt be­sitzt. Du siehst nicht, dass man sie ver­göt­tert und dass du ne­ben ihr über­all ver­schwin­den wirst? Du weißt nicht, dass um sich ent­wi­ckeln und sich auf­zu­sch­win­gen das Ta­lent auf dem Thea­ter die Aner­ken­nung und den Er­folg so nö­tig hat wie das neu­ge­bo­re­ne Kind, um zu at­men und zu ge­dei­hen, die Luft? dass die ge­rings­te Ri­va­li­tät einen Teil des Le­bens, das der Künst­ler at­met, auf­zehrt, und dass eine ge­fähr­li­che Ri­va­li­tät die Lee­re ist, die sich um uns aus­brei­tet, der Tod der uns ins Herz bohrt? Du er­fährst es jetzt an mei­nem trau­ri­gen Bei­spiel: die blo­ße Furcht vor die­ser Ne­ben­buh­le­rin, die ich nicht ein­mal kann­te und vor der du die Furcht mir aus­zu­re­den such­test, war ge­nug, um mich seit ei­nem Mo­nat zu läh­men, und je nä­her der Tag ih­res Tri­um­phes her­an­rück­te, de­sto mehr ver­sieg­te mei­ne Stim­me, de­sto mehr fühl­te ich mich ver­ge­hen. Und doch glaub­te ich kaum an die Mög­lich­keit die­ses Tri­um­phes! Wie wird das nun erst sein, seit­dem ich ihn ver­wirk­licht, glän­zend, un­be­streit­bar sehe! Weißt du wohl, dass ich nicht wie­der in Ve­ne­dig auf­tre­ten kann, viel­leicht über­haupt auf kei­ner ita­lie­ni­schen Büh­ne, weil ich mich de­mo­ra­li­siert füh­len wür­de, zit­ternd und mit Ohn­macht ge­schla­gen. Und wer weiß, wo mich nicht die­se Erin­ne­rung er­rei­chen, wie weit nicht der Name, nicht so­gar die Ge­gen­wart die­ser sieg­rei­chen Ne­ben­buh­le­rin mich ver­fol­gen und wie­der in die Flucht schla­gen wird? Ach, mit mir, mit mir ist’s aus, aber auch mit dir, An­zo­le­to. Du bist tot, ehe du ge­lebt hast, und wenn ich so schlecht wäre, wie du sagst, so wür­de ich mich dar­über freu­en, so wür­de ich dich in dein Ver­der­ben trei­ben, so wür­de ich ge­rächt sein, an­statt dass ich dir jetzt in Verzweif­lung sage: wenn du in Ve­ne­dig noch ein ein­zi­ges