George Sand

Gesammelte Werke


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al­len No­ta­bi­li­tä­ten aus der Stadt und vom Lan­de vor. Con­sue­lo in ih­rer Ein­fach­heit und jet­zi­gen Ver­stim­mung un­ter­stütz­te sei­ne Ab­sicht schlecht; er ließ sie aber sin­gen, und der Sieg war glän­zend, ent­schie­den, un­be­streit­bar.

      An­zo­le­to teil­te die Ab­nei­gung sei­ner Freun­din ge­gen die se­kun­dären Mit­tel kei­nes­we­ges. Sein Er­folg war ihm nicht völ­lig eben so si­cher. Erst­lich setz­te der Graf nicht glei­chen Ei­fer dar­an; so­dann war der Te­nor, des­sen Nach­fol­ger er wer­den soll­te, ein Ta­lent ers­ten Ran­ges, und er durf­te sich nicht schmei­cheln, ihn leicht in Ver­ges­sen­heit zu brin­gen. Zwar sang auch er je­den Abend beim Gra­fen; in den Duet­ten ließ Con­sue­lo mit großem Ge­schick ihn her­vor­tre­ten, und er, ge­trie­ben und ge­tra­gen von der An­zie­hungs­kraft die­ses dem sei­ni­gen über­le­ge­nen Geis­tes, er­hob sich oft zu ei­ner be­deu­ten­den Höhe. Er fand da­her viel Bei­fall und und Auf­mun­te­rung. Je­doch wenn der ers­te an­ge­neh­me Ein­druck, wel­chen sei­ne schö­ne Stim­me auf den Hö­rer mach­te, vor­über war, be­son­ders wenn Con­sue­lo sich of­fen­bart hat­te, fühl­te man gar wohl die Män­gel des De­bü­tan­ten und er selbst fühl­te sie mit Schre­cken. Nun wäre es der Zeit­punkt ge­we­sen, mit er­neu­ter An­stren­gung zu ar­bei­ten, aber um­sonst er­mahn­te ihn Con­sue­lo dazu und ließ ihn alle Mor­gen nach Cor­te-Mi­nel­li kom­men, wo sie un­ge­ach­tet der in­stän­di­gen Bit­ten des Gra­fen, sich an­stän­di­ger ein­zu­rich­ten, hart­nä­ckig woh­nen blieb: An­zo­le­to stürz­te sich in so vie­le De­mar­chen, Vi­si­ten, Sol­li­ci­ta­tio­nen und Int­ri­guen, hat­te den Kopf so voll von Sor­gen und elen­den Vor­sichts­maß­re­geln, dass ihm für das Stu­di­um we­der Zeit noch Lust üb­rig blieb.

      Mit­ten in dem Ge­wir­re sei­ner Ver­le­gen­hei­ten sah er auch vor­aus, dass der mäch­tigs­te Wi­der­stand ge­gen sei­nen Suc­ceß von der Co­ril­la aus­ge­hen wür­de; er wuss­te, dass der Graf die­se Sän­ge­rin nicht mehr sah und sich in kei­ner Art um sie küm­mer­te, und be­schloss sie zu be­su­chen, um sie zu sei­nen Guns­ten zu stim­men. Er hat­te sa­gen hö­ren, dass sie die Ver­nach­läs­si­gung und die Ra­che­ver­su­che des Gra­fen mit Lus­tig­keit und mit ei­ner phi­lo­so­phi­schen Iro­nie auf­näh­me, dass sie von Sei­ten der ita­lie­ni­schen Oper in Pa­ris glän­zen­de Aner­bie­tun­gen er­hal­ten hät­te, und dass sie über die Il­lu­sio­nen des Gra­fen und sei­ner Um­ge­bung in Be­treff ih­rer Ne­ben­buh­le­rin, auf de­ren Echec sie zu rech­nen schi­en, einst­wei­len aus vol­lem Hal­se lach­te. Er mach­te sich Hoff­nung, mit Fein­heit und Falsch­heit die­se furcht­ba­re Fein­din zu ent­waff­nen; und nach­dem er sich aufs bes­te ge­putzt und par­fü­miert hat­te, drang er ei­nes Nach­mit­tags um die Stun­de, wo die Sies­ta die Be­su­che sel­ten und die Pal­läs­te öde macht, in ihre Ge­mä­cher ein.

      16.

      Er fand die Co­ril­la al­lein, in ei­nem kost­ba­ren Bou­doir, auf ihre Chai­se longue hin­ge­lehnt und in ei­nem Dés­ha­billé von den ga­lan­tes­ten, wie man sich da­mals aus­drück­te. Die Al­te­ra­ti­on ih­rer Züge beim hel­len Ta­ges­lich­te ver­riet ihm, dass ihre Zu­ver­sicht in Be­treff Con­sue­lo’s doch nicht so groß sein moch­te, als es ihre ge­treu­en An­hän­ger aus­ge­sprengt hat­ten. Nichts­de­sto­we­ni­ger emp­fing sie ihn mit ei­ner sehr hei­te­ren Mie­ne und in­dem sie ih­rem Mäd­chen wink­te hin­aus­zu­ge­hen und die Türe zu schlie­ßen, sag­te sie, ihm schal­kisch auf die Ba­cke klop­fend:

      – Aha, bist du es, klei­ner Schelm? Willst du mir wie­der Fleu­ret­ten sa­gen, und meinst, ich wüss­te nicht, dass du der ab­ge­feim­tes­te von al­len Cour­ma­chern und der in­tri­gan­tes­te von al­len Ehr­süch­ti­gen bist? Sie sind ein Erz-Narr, mein schö­ner Freund, wenn Sie sich ein­ge­bil­det ha­ben, mich durch Ihre schnel­le Ab­trün­nig­keit, nach so zärt­li­chen Er­klä­run­gen, in Verzweif­lung zu brin­gen; und es war ein Erz­nar­ren­streich, auf mei­ne Sehn­sucht zu spe­ku­lie­ren: denn ich habe Sie voll­stän­dig ver­ges­sen, nach­dem ich Sie vier­und­zwan­zig Stun­den lang er­war­tet hat­te.

      Vier­und­zwan­zig Stun­den! aber das ist un­ge­heu­er, sag­te An­zo­le­to, und küss­te den schwe­ren und mas­sen­haf­ten Arm der Co­ril­la. Ach, wenn ich es glau­ben dürf­te, wie stolz wür­de es mich ma­chen! Aber ich weiß wohl, wenn ich so vie­ler Selbst­täu­schung fä­hig ge­we­sen wäre, Ih­nen Glau­ben zu schen­ken, als Sie mir sag­ten …

      – Was ich dir sag­te, rate ich dir, eben­falls zu ver­ges­sen; und wenn du ge­kom­men wä­rest, so wür­dest du mei­ne Tür ver­schlos­sen ge­fun­den ha­ben. Was gibt dir aber die Dreis­tig­keit, mich jetzt zu be­su­chen?

      – Zeugt es nicht von gu­tem Ge­schmack, wenn man sei­ne Hul­di­gun­gen de­nen ver­sagt, die in Gunst sind, sein Herz da­ge­gen und sei­ne Er­ge­ben­heit de­nen zu Fü­ßen legt, die …

      – Sprich es nur aus: de­nen die ab­ge­dankt sind. Das ist eine au­ßer­or­dent­li­che Groß­mut und Men­schen­freund­lich­keit von dei­ner Sei­te, mein hoch­ge­schätz­ter Freund!

      Un­ter schal­len­dem, und et­was ge­zwun­ge­nem Ge­läch­ter warf sich Co­ril­la zu­rück auf ihr Oreil­ler von schwar­zem At­las.

      Die ab­ge­dank­te Pri­ma Don­na war zwar nicht mehr in ih­rer ers­ten Fri­sche, das Ta­ges­licht war ihr nicht sehr güns­tig, und der tief­ge­hen­de Ver­druss der letz­ten Zeit hat­te die Züge ih­res schö­nen und üp­pig vol­len Ge­sich­tes ein we­nig er­schlafft; aber An­zo­le­to, der noch nie­mals eine so ge­schmück­te und so be­rühm­te Frau un­ter vier Au­gen sich so nahe ge­se­hen hat­te, fühl­te sich in je­nen Re­gio­nen sei­ner See­le auf­ge­regt, zu de­nen Con­sue­lo sich nie her­ab­ge­las­sen und aus de­nen er frei­wil­lig ihr rei­nes Bild ver­bannt hat­te. Men­schen, die vor der Zeit ver­dor­ben sind, kön­nen für eine sitt­sa­me und kunst­lo­se Frau wohl noch Freund­schaft füh­len; aber um ihre Lei­den­schaf­ten zu ent­flam­men, sind die Avan­cen ei­ner Co­quet­te nö­tig.

      An­zo­le­to be­schwor die Ne­cke­rei­en der Co­ril­la mit Er­güs­sen ei­ner Lie­be, wel­che er nur hat­te heu­cheln wol­len und nun wirk­lich zu füh­len an­fing. Lie­be sag’ ich, weil ein pas­sen­de­res Wort fehlt; aber es ist Ent­wei­hung die­ses schö­nen Na­mens, wenn man ihn auf den Kit­zel an­wen­det, wel­chen kalt ver­lo­cken­de Wei­ber, wie Co­ril­la, er­re­gen.

      Als sie den jun­gen Te­nor wirk­lich in Wal­lung sah, mil­der­te sie ih­ren Ton und ließ ihre Ne­cke­rei­en zu­trau­li­cher wer­den.

      – Du ge­fielst mir einen gan­zen Abend, ich will es ge­ste­hen, sag­te, sie; aber im Grun­de schät­ze ich dich nicht. Ich weiß, dass du ehr­gei­zig, dass du also falsch und je­der Treu­lo­sig­keit fä­hig bist: ich möch­te dir kein Ver­trau­en schen­ken. In ei­ner ge­wis­sen Nacht, in mei­ner Gon­del stell­test du dich ja­loux, spiel­test den De­spo­ten. Das ließ mich end­lich ein­mal Un­ter­hal­tung hof­fen, denn mich lang­wei­len die fa­den Galan­te­ri­en un­se­rer Pa­tri­zi­er; aber du be­trogst mich, Nichts­wür­di­ger! Du warst in eine an­de­re ver­liebt, du hast nicht auf­ge­hört jene zu lie­ben; ja, hei­ra­ten willst du … wen? … O, ich weiß es ge­nau, mei­ne Ne­ben­buh­le­rin, mei­ne Fein­din, die De­bü­tan­tin, Zus­ti­nia­ni’s neue Maitres­se. Schan­de euch bei­den, uns drei­en, uns al­len Vie­ren! so stei­ger­te sie sich, un­will­kür­lich sich er­ei­fernd und ihre Hand aus An­zo­le­to’s Hän­den rei­ßend.