Sie klatschte mit gleichgültiger Miene, sprach ein abgemessenes Lob aus und verschmähete es, den Schein eines uneigennützigen Enthusiasmus für eine Nebenbuhlerin zur Schau zu tragen, die sie in der Tat weder fürchten noch bewundern konnte. Einen Augenblick lang glaubte der Graf, sie sei von geheimer Eifersucht gequält, wenn auch nicht wegen des Talentes, doch wegen des Erfolges der Prima Donna.
– Dieser Erfolg ist nichts, sagte er, gegen den gehalten, welchen Sie erlangen werden. Möge er Ihnen nur einen Vorschmack von den Triumphen geben, welche Ihrer warten, wofern Sie vor dem Publicum das sind was Sie vor uns waren. Ich hoffe, was Sie da sehen, macht Ihnen nicht bange?
– Nein, Herr Graf! antwortete Consuelo lächelnd. Dieses Publikum macht mir nicht bange, denn ich denke gar nicht an die Leute; nur daran denke ich, wie man die Rolle, welche die Corilla da gespielt hat, nehmen müsste, um etwas Brillantes daraus zu machen; man müsste es aber dabei auf Wirkungen absehen, welche sie nicht herausgefunden hat.
– Wie? An das Publicum denken Sie nicht?
– Nein! ich denke an die Partitur, an die Absichten des Komponisten, an den Geist der Rolle, an das Orchester, welches seine Vorzüge und seine Mängel hat, und wie man die einen benutzen und die anderen, indem man bei gewissen Stellen sich selbst überbietet, verdecken müsste. Ich achte auf die Chöre, die nicht immer befriedigend sind und einer strengeren Leitung bedürfen; ich merke mir die Stellen, wo man alle seine Mittel aufzuwenden, und wieder diejenigen, wo man sich zu schonen hat. Sie sehen, Herr Graf, dass ich an vieles denken muss, ehe ich dazu kommen kann, an das Publicum zu denken, das von allen diesen Sachen nichts versteht und von dem ich nichts lernen kann.
Die Sicherheit ihres Urteils und der Ernst, mit welchem sie alles und jedes prüfte, setzten Zustiniani in so großes Erstaunen, dass er keine Frage weiter an sie zu richten wagte, und dass er sich bestürzt fragte, wie wohl ein Galanthomme seines Gleichen mit einem Geiste dieser Art fertig werden sollte.
Dem Auftritte der beiden Debütanten ging all das Treiben voran, welches bei solchen Anlässen gewöhnlich ist. Die Meinungsverschiedenheiten und die Wortwechsel zwischen dem Grafen und Porpora, zwischen Consuelo und ihrem Geliebten nahmen kein Ende. Der alte Lehrer und seine starke Schülerin erklärten sich gegen die Charlatanerie der pomphaften Annoncen und der tausend unsauberen Hilfsmittelchen, in denen wir es an Unverschämtheit und Betrügerei jetzt so weit gebracht haben. In Venedig spielten dazumal die Journale in solchen Angelegenheiten keine große Rolle. Man arbeitete nicht so weislich wie jetzt an der Zusammensetzung des Publicums; man kannte noch nicht die tiefen Wirkungen der Reklame,6 die Aufschneidereien des biografischen Bülletins, nicht einmal die allmächtige Maschinerie des Claqueurwesens. Es gab starke Parteiwerbungen, hitzige Kabalen; aber alles das ging in den Coterien vor und wurde von dem Publikum selbst mit seinen eigenen Kräften durchgesetzt, indem das Publikum wirklich für den einen und gegen den anderen eingenommen war, und aufrichtig Partei nahm. Den Antrieb dazu gab nicht immer die Kunst. Kleine und große Leidenschaften, die mit der Kunst und dem Talente nichts zu schaffen hatten, lieferten sich so gut wie heut zu Tage Schlachten in dem Tempel. Aber man hatte es noch nicht so weit wie jetzt in der Fertigkeit gebracht, die schlechten Beweggründe zu verstecken und sich den Anschein lauterer Kunstliebe zu geben. Genug, es war dieselbe gemeinmenschliche Grundlage, nur mit einer, noch nicht so sehr von der Zivilisation verfilzten Oberfläche.
Zustiniani betrieb Geschäfte dieser Art mehr wie ein großer Herr als wie ein Schauspieldirektor. Er ließ sich mehr von seiner prahlerischen Sucht als von den Wünschen seiner Zuschauer leiten. In den Salons bereitete er sein Publikum vor und »chauffierte« den Erfolg seiner Aufführungen. Seine Mittel waren daher niemals gemein Und nichtswürdig; aber seinen kindischen Dünkel, die Einwirkung seiner galanten Passionen und die gewandte Klätscherei der guten Gesellschaft zog er mit ins Spiel. Er trug jetzt Stück für Stück, in der Tat mit vieler Geschicklichkeit, das Gebäude des Ruhmes, welches er mit eigenen Händen der Corilla aufgebaut hatte, wieder ab. Jedermann sah, dass er einen anderen Ruhm aufzubauen vorhatte, sogleich glaubte man ihn im vollkommensten Besitz des vorgeblichen Wunders, das er demnächst produzieren wollte, und während die arme Consuelo noch keine Ahnung hatte von der Leidenschaft des Grafen für sie, hieß es schon in ganz Venedig, das der Corilla überdrüssig war, »der Graf würde an deren statt, eine neue Maitresse debütieren lassen.« Einige fügten hinzu: »er mystifiziert sein Publicum total, er setzt sein Theater total herunter! Die neue Favorite ist eine von der Straße aufgelesene Sängerin, eine Person, die nichts kann, die bloß eine schöne Stimme und ein passables Gesicht hat.«
Sogleich nun Cabalen zu Gunsten der Corilla, die ihrerseits die Rolle der aufgeopferten Rivale spielte und ihren zahlreichen Schwarm von Anbetern aufbot, um durch diese und deren Freunde die insolenten Prätentionen der »Zingarella« (des Zigeunermädchens) zu bestrafen. Sogleich auch nun Cabalen zu Consuelo’s Gunsten, von Seiten der Frauen denen die Corilla ihre Liebhaber und ihre Ehemänner abwendig oder streitig gemacht hatte, oder auch von Seiten der Ehemänner die eine gewisse Gruppe venetianischer Don Juans lieber eine Debütantin als ihre Frauen umringen sahen, oder endlich von Seiten der verschmäheten oder verratenen Liebhaber der Corilla, welche sich an ihr durch den Triumph einer anderen zu rächen wünschten.
Die wirklichen dilettanti di musica trennten sich ebenfalls in Parteien und fielen teils den ernstem Meistern, wie Porpora, Marcello, Jomelli u. A. zu, welche die Rückkehr der guten Schule und der guten Sachen mit dem Auftreten einer wahrhaft trefflichen Künstlerin verkündigten; teils den Komponisten zweiten Ranges, deren leichte Ware die Corilla immer vorgezogen hatte, und die durch den Fall dieser Sängerin sich selbst bedroht glaubten. Die Musiker des Orchesters sahen sich in Gefahr, längst vergessene Partituren wieder vorgelegt zu erhalten und ernstlich arbeiten zu müssen; das ganze Theaterpersonal fürchtete sich vor Reformen, dergleichen bei einem bedeutenden Wechsel in der Zusammensetzung der Truppe einzutreten pflegen; sogar bis hinunter zu den Maschinisten, Ankleiderinnen und dem Friseur der Statisten war alles am Theater San Samuel in Aufruhr für oder wider das Debüt; und es ist mit Wahrheit zu berichten, dass wegen desselben die gesamte Republik in viel lebhafterer Bewegung war als wegen der Regierungshandlungen des neuen Dogen Pietro Grimaldi, welcher soeben in allem Frieden an die Stelle seines Vorgängers,