Demnach müsste ich gerade das wünschen was ich erschrecklich fürchte, was mich, wenn ich nur daran denke, toll vor Wut macht. Was hältst du für wahrscheinlich?
– Ich glaube, dass sie keine Amour haben.
– Undenkbar! Der Bursche ist liederlich, dreist, hitzig; und dann die Sitten dieses Volkes!
– Consuelo ist ein Wunder in allen Stücken. Du hast noch nicht Erfahrung genug, ungeachtet all deines Glückes bei den Frauen, lieber Zustiniani, wenn du es nicht diesem Mädchen an jeder Bewegung, an jedem Wort, an jeder Miene abmerkst, dass sie rein wie der Cristall im Schoße des Berges ist.
– Du entzückst mich.
– Sachte! das ist Narrheit, Vorurteil. Wenn du Consuelo liebst, verheirate sie morgen, und in acht Tagen hat ihr Herr ihr die Last einer Kette, die Qualen der Eifersucht, die Unerträglichkeit eines mürrischen, ungerechten und treulosen Wächters zu fühlen gegeben; denn der schöne Anzoleto wird das alles sein. Ich habe ihn gestern zwischen der Consuelo und der Clorinda beobachtet, um mich in den Stand zu setzen, ihm seine Sünden und seine bösen Schicksale vorauszusagen. Folge meinem Rate, Freund, und du wirst bald Ursach haben, mir zu danken. Das Eheband ist unter Leuten dieses Schlages leicht zu lockern, und du weißt wohl, bei dieser Art Frauen ist die Liebe eine entflammte Einbildung, die sich nur an den Hindernissen nährt und steigert.
– Du setzest mich in Verzweiflung, antwortete der Graf, und dennoch sehe ich ein, dass du recht hast.
Zum Unglück für die Pläne des Grafen Zustiniani, hatte dieses Gespräch einen Zuhörer, auf welchen man nicht rechnete, und dem keine Silbe davon entging. Nach seiner Trennung von Consuelo, war Anzoleto, aufs neue von Eifersucht gespornt, nach dem Pallaste seines Beschützers zurückgekehrt und umschlich diesen, um sich zu überzeugen, ob nicht etwa eine Entführung im Werke wäre, wie sie damals häufig statt fand und den Patriziern fast ohne Ausnahme straflos hinging. Er vernahm nichts weiter als das Erzählte. Denn der Mond, welcher inzwischen über den Giebeln des Pallastes emporgestiegen war, zeichnete Anzoleto’s Schatten auf dem Steinpflaster allmählich immer deutlicher ab, und da nunmehr die beiden jungen Herrn die Anwesenheit eines Menschen unter dem Balkon bemerkten, zogen sie sich zurück und schlossen das Fenster.
Anzoleto eilte hinweg, um in Freiheit über das was er gehört hatte, nachzudenken. Er hatte auch gerade genug gehört, um zu wissen, woran er sich zu halten hätte und um von den tugendhaften Ratschlägen, die Barberigo seinem Freunde gab, Vorteil für sich zu ziehen. Er schlief kaum zwei Stunden gegen. Morgen, und lief dann sogleich nach der Corte-Minelli. Consuelo’s Tür war noch verriegelt, aber durch die Spalten dieser schlecht verwahrten Schutzwehr sah er, dass sie noch ganz angekleidet, schlafend, bleich und regungslos wie eine Tote, auf ihrem Bette lag. Die Morgenkühle hatte sie aus ihrer Ohnmacht geweckt, und zu schwach, um sich auszukleiden, hatte sie sich, wie sie war, auf das Lager geworfen. Er stand eine Weile und betrachtete sie voll Unruhe und Gewissensangst. Bald ward er ungeduldig und geängstet von diesem tiefen Schlafe, welcher der wachsamen Gewohnheit seiner Freundin so ganz widersprach, erweiterte er sacht eine Spalte vermittelst seines Messers, steckte die Klinge dann hindurch und schob damit den Riegel zurück. Es ging dies nicht ohne einiges Geräusch ab, jedoch Consuelo war so von Müdigkeit zerschlagen, dass sie nicht davon erwachte. Er trat ein, verschloss die Türe wieder, kniete neben ihrem Kopfkissen nieder und wartete, bis sie die Augen öffnete. Als Consuelo ihn erblickte, war ihre erste Regung ein Freudenschrei, aber schnell ließ sie die Arme, welche sie um seinen Hals geschlungen hatte, wieder sinken und wich vor ihm mit einer Gebärde des Entsetzens zurück.
– Du hast jetzt Furcht vor mir, und statt mich zu umarmen, willst du vor mir fliehen! sagte er mit schmerzlichem Tone. Ach! wie hart bin ich für mein Vergehen gestraft. Vergib mir, Consuelo, und siehe, ob du deinem Freunde nicht vertrauen darfst. Eine gute Stunde bin ich nun schon da, und sah dich an, wie du schliefst. O, vergib mir, meine Schwester! es ist das erste und das letzte mal in deinem Leben, dass du Ursach haben sollst, deinen Bruder zu tadeln und zurückzustoßen. Nie will ich wieder die Heiligkeit unserer Liebe durch sträfliche Aufwallungen entweihen. Verlass mich, jage mich von dir, wenn ich mein Gelübde jemals breche. Sieh, hier bei deinem jungfräulichen Lager, bei dem Totenbette deiner armen Mutter schwöre ich dir, dir Achtung zu beweisen wie bisher, und auch nicht einen einzigen Kuss von dir zu fordern, wenn du es verlangst, bis uns der Priester eingesegnet haben wird. Bist du so mit mir zufrieden, liebe, fromme Consuelo?
Consuelo drückte statt der Antwort den blonden Kopf des Venetianers an ihr Herz und benetzte ihn mit Tränen. Dieser Erguss schaffte ihr Erleichterung; und bald nachher sagte sie, auf ihr kleines hartes Kissen zurücksinkend:
– Ich gestehe dir, dass ich ganz hin bin; denn diese ganze Nacht hab’ ich kein Auge zutun können. Wir hatten uns so schlimm verlassen!
– Schlaf, Consuelo, schlaf, mein lieber Engel, antwortete Anzoleto; erinnere dich der Nacht, wo du mir erlaubtest auf deinem Bette zu ruhen, während du betetest und an diesem Tischchen arbeitetest. Jetzt ist es an mir, deine Ruhe zu behüten und zu bewachen. Schlafe noch, mein Kind. Ich will in deinen Notenblättern und nur leise lesen, während du noch eine Stunde oder zweie schläfst. Niemand wird heute, wenn es anders heute noch geschieht, vor Abend nach uns fragen. Schlaf also und zeige mir durch dieses Vertrauen, dass du mir vergibst und den Glauben an mich nicht verloren hast.
Consuelo antwortete ihm mit einem seligen Lächeln. Er küsste sie auf die Stirn, und setzte sich an das Tischchen. Indessen befing sie ein wohltätiger Schlaf, in den sich die holdesten Träume mischten.
Anzoleto hatte zu lange in Ruhe und Unschuld an der Seite dieses Mädchens gelebt, als dass es ihm schwer werden konnte, nach einem einzigen Tage der Aufregung, sein gewohntes Wesen wieder anzunehmen. Diese brüderliche Zuneigung war, so zu sagen, der normale Zustand seiner Seele. Auch war das, was er in der Nacht unter Zustiniani’s Balkon gehört hatte, ganz dazu geeignet, ihn in seinen Entschlüssen zu bestärken. Schönen Dank, ihr werten Herren! sagte er für sich, ihr habt mir einen Unterricht in der Moral nach euerer Façon gegeben, und der kleine Schlingel wird davon profitieren, ganz so gut wie ein Roué eueres Schlages. Kühlt der Besitz die Liebe ab, bringen die ehelichen Rechte Sättigung und Ekel mit sich, nun, so wollen wir diese Flamme rein erhalten, die euch so leicht auszulöschen scheint. Wir werden uns zu mäßigen wissen, wir werden uns der Eifersucht, wie der Untreue und selbst der Freuden der Liebe enthalten. Erlauchter und weiser Barberigo, Dero Prophezeihungen beraten uns trefflich und es frommt, in Dero Schule zu gehen!