Wenn ich nicht fürchten müsste, dass sie ermüdet wäre … sagte der Graf mit Augen, die schon vor Ungeduld und Begierde funkelten.
Consuelo richtete die ihrigen voll Kindlichkeit auf Porpora, wie um seine Weisung einzuholen.
In der Tat, sagte dieser, da sie nicht von solch einem bischen Singen müde wird, und da wir nun einmal in kleiner und erlesener Gesellschaft hier beisammen sind, so könnte man wohl füglich ihr Talent nach allen Seiten auf die Probe stellen. Wohlan, Herr Graf, wählet eine Arie und begleitet sie auch gleich am Klaviere.
– Consuelo’s Stimme und Gegenwart, versetzte Zustiniani, würden mich so bewegen, dass ich nicht für falsche Noten einstehe. Warum wollt ihr selbst, lieber Meister, nicht spielen?
– Ich möchte sie gern singen sehen, erwiderte Porpora; denn, unter uns gesagt, ich habe sie immer gehört und nie daran gedacht, sie zu sehen. Ich muss doch auch wissen, wie sie sich hält und was sie mit Mund und Augen macht. Nun, steh auf, Kind, du sollst auch vor mir deine Probe ablegen.
– Da werde ich also begleiten, rief Anzoleto und setzte sich an das Klavier.
– Ihr werdet mich zu ängstlich machen, lieber Meister, sagte Consuelo zu Porpora.
– Ängstlichkeit, antwortete der Lehrer, gehört nur für die Narren. Wer von wahrer Liebe für seine Kunst durchglüht ist, braucht sich nicht zu fürchten. Wenn du zittern kannst, so bist du bloß von Eitelkeit besessen; wenn dir deine Mittel ausgehen können, so steht dir nur Blendwerk zu Gebotes und wenn das wäre, so bin ich der erste, der ohne Umschweife sagen wird: die Consuelo ist nichts nutze.
Ohne sich im mindesten darum zu kümmern, ob die zarte Manier, mit welcher er seiner Schülerin Mut einsprach, sie nicht noch mehr um ihre Fassung bringen möchte, setzte der Professor seine Brille auf, stellte seinen Stuhl ihr gerade gegenüber und schickte sich an, auf der Ecke des Flügels den Takt zu schlagen; um das Ritornell in richtigen Gang zu bringen.
Der Graf hatte eine brillante, krause und schwere Arie von Galuppi aus der Buffa-Oper la Diavolessa gewählt, um Consuelo plötzlich in eine Gattung zu führen, welche derjenigen, worin sie am Morgen geglänzt hatte, schnurgerade entgegenstand. Das junge Mädchen besaß eine so wunderbare Leichtigkeit, dass sie es fast ohne Studium dahin gebracht hatte, mit ihrer biegsamen und mächtigen Stimme alle damals üblichen Kraftgänge spielend auszuführen. Porpora hatte ihr solche Übungen empfohlen und von Zeit zu Zeit sich vormachen lassen, um sich zu überzeugen, ob sie dieselben auch nicht vernachlässigte. Jedoch hatte er niemals Zeit und Aufmerksamkeit genug darauf verwendet, um das, was seine wunderbare Schülerin in dieser Art zu leisten vermochte, seinem ganzen Umfange nach zu kennen.
Consuelo war ein Schelm: sie wollte sich an ihrem Lehrer für die Derbheiten rächen, die er ihr so eben gesagt hatte, und überlud die ohnehin ausschweifende Arie der Diavolessa mit einer Menge damals noch unmöglich geglaubter Läufer und Manieren, welche sie mit einer solchen Ruhe improvisierte, als hätte sie sie zuvor sorgfältig in Noten gesetzt und studiert gehabt. Ihre Verzierungen waren so kunstreich moduliert, so voll Kraft und Schwung, so satanisch, so erschütternd im Übergang aus wilder Lustigkeit in wimmernde Angst, dass plötzlich ein Schauer des Entsetzens die Begeisterung der Zuhörer durchbrach, und dass Porpora, jählings aufspringend, mit starker Stimme rief: Du, du bist der leibhafte Teufel! Consuelo schloss die Arie mit einem Bravour Crescendo, welches einen allgemeinen Schrei der Bewunderung hervorrief, während sie sich laut lachend auf ihren Stuhl setzte.
– Böses Mädchen, sagte Porpora, du hast mir einen hängenswerten Streich gespielt. Du hast mich zum Besten gehabt. Du hast vor mir die Hälfte deiner Studien und deiner Hilfsmittel versteckt gehalten. Ich hatte dir schon lange nichts mehr zu lehren, und aus Heuchelei hast du bei mir Stunde genommen, was weiß ich? vielleicht um mir noch alle Geheimnisse der Komposition und des Unterrichtens abzulocken, damit du mich in allen Dingen ausstechen könntest, damit ich hinterher als ein alter abgenutzter Schulmeister dastünde.
– Lieber Meister, entgegnete Consuelo, ich habe Ihnen bloß den Streich nachgetan, den Sie dem Kaiser Carl gespielt haben. Erzählten Sie mir nicht die Geschichte? Wie Se. Kaiserliche Majestät die Triller nicht leiden mochte, und Ihnen verboten hatte, einen einzigen in Ihrem Oratorium anzubringen, und wie Sie dem Verbote bis an das Finale gewissenhaft nachgekommen und dann in der Schlussfuge ihm ein Divertissement im neuesten Geschmack lieferten, vier aufsteigende Triller im Thema, die sich hieraus durch alle Stimmen bis ins stretto endlos wiederholten. Sie haben heute Abend gegen den Missbrauch der Verzierungen geeifert, und hinterher mich welche machen lassen. Nun machte ich ihrer zu viele, um Ihnen zu zeigen, dass auch ich wohl eine Verkehrtheit übertreiben kann, wofür ich mich willig schelten lasse.
– Ich sage dir, du bist der Teufel, erwiderte Porpora. Jetzt sing’ uns etwas Menschliches, und singe wie du willst; denn ich sehe schon, mit meiner Lehrerschaft bin ich bei dir zu Ende.
– Sie werden stets mein Lehrer sein, den ich ehre und liebe, rief sie und warf sich um seinen Hals und drückte ihn zum Ersticken; Ihnen verdank’ ich seit zehn Jahren mein Brot und meinen Unterricht. O, lieber Lehrer! Sie haben, wie man mir gesagt hat, viele Undankbare gemacht; mir aber möge Gott seine Liebe und meine Stimme im Augenblick entziehen, wenn ich das Gift des Hochmuts und der Undankbarkeit in meinem Herzen berge!
Porpora wurde bleich, stammelte ein Paar Worte und drückte einen väterlichen Kuss auf die Stirn seiner Schülerin: eine Träne ließ er dort zurück, und Consuelo, welche sie nicht abzuwischen wagte, fühlte die kalte, schmerzliche Träne des verlassenen Alters, des unglücklichen Genies auf ihrer Stirne langsam trocknen. Sie wurde tief davon bewegt, und es war als empfände sie einen frommen Schauder, welcher alle ihre Fröhlichkeit erstickte und ihre Begeisterung für den Rest des Abends auslöschte.
Eine Stunde lang erschöpfte sich alles umher in Ausdrücken der Bewunderung, des Staunens und Entzückens, ohne dass es gelang, ihre Schwermut zu zerstreuen und zuletzt bat man sie um eine Probe ihres dramatischen Talents. Sie sang eine große Arie aus Jomelli’s »Verlassener Dido«. Nie hatte sie das Bedürfnis stärker empfunden, ihrer Traurigkeit Luft zu machen; ihr Vortrag war erhaben, voll Pathos, einfach und groß, und ihr Anblick war noch schöner als in der Kirche. Ihre Wangen hatten einen Anflug von fieberhaftem Rot, ihre Augen schossen düstere Blitze: jetzt war sie nicht mehr eine Heilige: sie war Besseres – ein von Liebe verzehrtes Weib. Der Graf, sein Freund Barberigo,