George Sand

Gesammelte Werke


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Graf, un­fä­hig sein Ent­zücken zu be­meis­tern, rief aus: Bei al­lem Blu­te Chris­ti, die­ses Weib ist schön! Es ist San­ta Cä­ci­lia, San­ta The­resa, San­ta Con­sue­lo! Es ist die Poe­sie, die Mu­sik, der Glau­be in Per­son. An­zo­le­to war aus­ge­stan­den, er konn­te sich auf sei­nen bre­chen­den Kni­en nur mit Hil­fe sei­ner Hän­de er­hal­ten, mit wel­chen er sich an das Git­ter der Tri­bü­ne klam­mer­te; er fiel atem­los, ei­ner Ohn­macht nah, wie be­rauscht von Freu­de und Stolz, auf sei­nen Sitz zu­rück.

      Alle Scheu vor der hei­li­gen Stät­te war nö­tig, dass nicht die zahl­rei­chen Di­let­tan­ti samt der Men­ge wel­che die Kir­che er­füll­te, in wahn­sin­ni­ge Bei­falls­be­zei­gun­gen wie im Thea­ter aus­bra­chen. Der Graf hat­te nicht Ge­duld ge­nug, das Ende des Got­tes­diens­tes ab­zu­war­ten, son­dern ging auf die Or­gel, um Por­po­ra und Con­sue­lo sei­ne Be­wun­de­rung aus­zu­drücken. Un­ter der Psalm­odie der Cho­ris­tin­nen muss­te Con­sue­lo auf der Tri­bü­ne des Gra­fen die Lob­sprü­che und den Dank Mar­cel­lo’s ent­ge­gen­neh­men. Sie fand Mar­cel­lo so be­wegt, dass er kaum re­den konn­te.

      – Mei­ne Toch­ter, sag­te er mit ab­ge­bro­che­ner Stim­me, emp­fan­ge den Dank und den Se­gen ei­nes Ster­ben­den. Du hast mir einen Au­gen­blick be­rei­tet, wel­cher mich Jah­re töd­li­cher Schmer­zen ver­ges­sen ließ. Mich dünkt, als wäre ein Wun­der an mir ge­sche­hen, als wäre die­ses un­abläs­si­ge, schreck­li­che Lei­den vor dem Klan­ge dei­ner Stim­me auf im­mer von mir ge­wi­chen. Wenn die En­gel dort oben sin­gen, wie du, so seh­ne ich mich, die­se Erde zu ver­las­sen, um die ewi­gen Freu­den zu schme­cken, de­ren Vorah­nung du mir ver­schafft hast. Sei denn ge­seg­net, mein Kind, und sei glück­lich auf die­ser Welt, wie du es ver­dienst. Ich habe die Faus­ti­na ge­hört, die Ro­ma­ni­na, die Cuz­zo­ni und alle die größ­ten Sän­ge­rin­nen der Erde: sie rei­chen dir nicht an die Knö­chel. Dir ist es auf­be­hal­ten, die Welt ver­neh­men zu las­sen was sie nie ver­nom­men hat­te, und sie füh­len zu las­sen, was noch kein Mensch ge­fühlt hat.

      Ver­nich­tet und wie zer­bro­chen un­ter die­sem präch­ti­gen Lob, senk­te Con­sue­lo das Haupt, beug­te ihr Knie fast zur Erde, und führ­te, un­fä­hig ein Wort zu spre­chen, die fal­be Hand des er­lauch­ten Ster­ben­den an ihre Lip­pen: als sie sich aber er­hob, ließ sie auf An­zo­le­to einen Blick fal­len, wel­cher ihm zu sa­gen schi­en: du hat­test mich nicht er­ra­ten, Un­dank­ba­rer!

      11.

      Wäh­rend der üb­ri­gen Ve­s­per ent­wi­ckel­te Con­sue­lo eine sol­che Kraft und Tüch­tig­keit, dass kei­ne Zwei­fel wei­ter in der See­le des Gra­fen Zus­ti­nia­ni auf­kom­men konn­ten. Sie führ­te, un­ter­stütz­te, und be­leb­te die Chö­re, griff in alle Stim­men ein, und be­wies da­durch den wun­der­ba­ren Um­fang und die man­nig­fal­ti­gen Ei­gen­schaf­ten ih­rer Stim­me, so­wie nicht min­der die un­er­schöpf­li­che Stär­ke ih­rer Lun­ge, oder bes­ser, die Grö­ße ih­rer Kunst­fer­tig­keit; denn wer zu sin­gen ver­steht, wird nicht müde, und Con­sue­lo sang mit nicht grö­ße­rer An­stren­gung und Mühe als and­re Men­schen at­men. Der kla­re und vol­le Klang ih­rer Stim­me war un­ter den hun­dert Stim­men ih­rer Ge­fähr­tin­nen deut­lich zu ver­neh­men, nicht dass sie ge­schri­en hät­te, wie seel- und atem­lo­se Sän­ger es ma­chen, son­dern weil ihr Ton rein und ta­del­los und ihr Vor­trag un­über­treff­lich sau­ber war. Über­dies fühl­te und ver­stand sie die Mei­nung je­der Stel­le bis ins Ein­zels­te und Feins­te.

      Mit ei­nem Wor­te, sie al­lein un­ter die­sem Schwar­me ge­wöhn­li­cher Geis­ter, fri­scher Stim­men und wil­len­lo­ser We­sen, sie al­lein hat­te Mu­sik und war Meis­te­rin. Un­be­wusst und prunk­los trat sie als eine Macht auf und übte, so lan­ge der Ge­sang währ­te, eine Herr­schaft aus, de­ren Not­wen­dig­keit je­der fühl­te. So­bald der Ge­sang be­en­det war, mach­ten ihr die Cho­ris­tin­nen in­ner­lich ein Un­recht und ein Ver­bre­chen dar­aus, und eine Jede, wel­che, wo sie sich un­si­cher fühl­te, stets mit den Au­gen Con­sue­lo be­fragt und fast an­ge­fleht hat­te, maß­te nun sich selbst die Lob­sprü­che an, wel­che der Schu­le Por­po­ra’s in Mas­se ge­zollt wur­den. Bei die­sen Lo­bes­er­he­bun­gen lä­chel­te der Meis­ter und sag­te kein Wort: er sah nur Con­sue­lo an, und An­zo­le­to ver­stand den Blick voll­kom­men.

      Nach dem Gruß und Se­gen nah­men die Cho­ris­tin­nen an ei­nem le­cke­ren Mah­le Teil, wel­ches ih­nen der Graf in ei­nem der Sprach­zim­mer des Klos­ters auf­tra­gen ließ. Das Git­ter trenn­te zwei große Ta­feln, wel­che in Halb­mond­form ein­an­der ge­gen­über auf­ge­stellt wa­ren. In der Mit­te des Git­ters war nach dem Maße ei­ner Rie­sen­pas­te­te eine Öff­nung an­ge­bracht, durch wel­che die Schüs­seln hin­durch gin­gen: die­se nahm der Graf selbst in Empfang und reich­te sie mit Gra­zie den vor­nehms­ten Non­nen und den Ele­ven. Die letz­tren, in Be­gui­nen­tracht, setz­ten sich zu Dut­zen­den wech­sel­wei­se auf die of­fe­nen Plät­ze im In­nern des Klos­ters. Die Su­pe­rio­rin hat­te ih­ren Platz dicht ne­ben dem Git­ter, und be­fand sich so an der rech­ten Sei­te des Gra­fen, wel­cher im äu­ßern Saa­le saß. Links von dem Gra­fen blieb ein Platz leer; Mar­cel­lo, Por­po­ra, der Pfar­rer des Kirch­spiels, die vor­nehms­ten Pries­ter wel­che der Mes­se bei­ge­wohnt hat­ten, ei­ni­ge Pa­tri­zi­er, die als Lai­en­vor­ste­her der Scuo­la oder als Di­let­tan­ti ein­ge­la­den wa­ren, und end­lich der schö­ne An­zo­le­to, in sei­nem schwar­zen Kleid und mit dem De­gen an der Sei­te nah­men die Plät­ze an der welt­li­chen Ta­fel ein.

      Die jun­gen Sän­ge­rin­nen pfleg­ten sonst bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten sehr le­ben­dig zu sein: die An­nehm­lich­keit le­cker zu spei­sen, das Ver­gnü­gen sich mit Män­nern zu un­ter­hal­ten und die Lust zu ge­fal­len oder we­nigs­tens be­merkt zu wer­den, mach­te sie in der Re­gel sehr ge­schwät­zig und mun­ter. Die­ses mal aber war die Stim­mung beim Mah­le trau­rig und ge­zwun­gen. Von dem Vor­ha­ben des Gra­fen hat­te Ei­ni­ges ver­lau­tet (wie könn­te auch ein Ge­heim­nis um ein Klos­ter her­um­kom­men, ohne sich durch ir­gend eine Spal­te hin­ein­zu­steh­len!) und je­des die­ser jun­gen Mäd­chen hat­te sich im Stil­len ge­schmei­chelt, von Por­po­ra zur Nach­fol­ge­rin der Co­ril­la vor­ge­stellt zu wer­den. Der Pro­fes­sor selbst war so bos­haft ge­we­sen, die Selbst­täu­schun­gen ei­ni­ger un­ter ih­nen zu be­güns­ti­gen, sei es um sie zu grö­ße­rem Ei­fer bei der Auf­füh­rung sei­ner Mu­sik vor Mar­cel­lo an­zu­spor­nen, oder um sich durch die Krän­kung die ih­nen be­vor­stand für al­les Leid zu rä­chen, das sie ihm in den Stun­den an­ge­tan hat­ten.

      Ge­wiss ist we­nigs­tens, dass die Clo­rin­da, wel­che bloß äu­ße­res Mit­glied des Kon­ser­va­to­ri­ums war, große Toi­let­te für die­sen Tag ge­macht hat­te, und dar­auf rech­ne­te, ih­ren Platz zur Rech­ten des Gra­fen ein­zu­neh­men. Als sie nun aber die­se »bet­tel­haf­te« Con­sue­lo in ih­rem schwar­zen Kleid­chen und mit ih­rer ru­hi­gen Mie­ne, die­ses »gars­ti­ge Ding«, wel­ches nun doch hin­fort für die ers­te Sän­ge­rin und für die aus­ge­mach­te Schön­heit der Schu­le galt, sich zwi­schen den Gra­fen und Mar­cel­lo set­zen sah, da wur­de sie häss­lich vor Är­ger, häss­lich, wie Con­sue­lo es nie­mals war, und wie un­ter dem Ein­fluss ei­ner schlech­ten und ge­mei­nen Re­gung, Ve­nus selbst es wer­den wür­de.

      An­zo­le­to be­trach­te­te sie auf­merk­sam, und im Über­mu­te sei­ner Sie­ges­freu­de setz­te er sich zu ihr und über­häuf­te sie mit Fad­hei­ten, de­ren spöt­ti­sche Mei­nung