Graf, unfähig sein Entzücken zu bemeistern, rief aus: Bei allem Blute Christi, dieses Weib ist schön! Es ist Santa Cäcilia, Santa Theresa, Santa Consuelo! Es ist die Poesie, die Musik, der Glaube in Person. Anzoleto war ausgestanden, er konnte sich auf seinen brechenden Knien nur mit Hilfe seiner Hände erhalten, mit welchen er sich an das Gitter der Tribüne klammerte; er fiel atemlos, einer Ohnmacht nah, wie berauscht von Freude und Stolz, auf seinen Sitz zurück.
Alle Scheu vor der heiligen Stätte war nötig, dass nicht die zahlreichen Dilettanti samt der Menge welche die Kirche erfüllte, in wahnsinnige Beifallsbezeigungen wie im Theater ausbrachen. Der Graf hatte nicht Geduld genug, das Ende des Gottesdienstes abzuwarten, sondern ging auf die Orgel, um Porpora und Consuelo seine Bewunderung auszudrücken. Unter der Psalmodie der Choristinnen musste Consuelo auf der Tribüne des Grafen die Lobsprüche und den Dank Marcello’s entgegennehmen. Sie fand Marcello so bewegt, dass er kaum reden konnte.
– Meine Tochter, sagte er mit abgebrochener Stimme, empfange den Dank und den Segen eines Sterbenden. Du hast mir einen Augenblick bereitet, welcher mich Jahre tödlicher Schmerzen vergessen ließ. Mich dünkt, als wäre ein Wunder an mir geschehen, als wäre dieses unablässige, schreckliche Leiden vor dem Klange deiner Stimme auf immer von mir gewichen. Wenn die Engel dort oben singen, wie du, so sehne ich mich, diese Erde zu verlassen, um die ewigen Freuden zu schmecken, deren Vorahnung du mir verschafft hast. Sei denn gesegnet, mein Kind, und sei glücklich auf dieser Welt, wie du es verdienst. Ich habe die Faustina gehört, die Romanina, die Cuzzoni und alle die größten Sängerinnen der Erde: sie reichen dir nicht an die Knöchel. Dir ist es aufbehalten, die Welt vernehmen zu lassen was sie nie vernommen hatte, und sie fühlen zu lassen, was noch kein Mensch gefühlt hat.
Vernichtet und wie zerbrochen unter diesem prächtigen Lob, senkte Consuelo das Haupt, beugte ihr Knie fast zur Erde, und führte, unfähig ein Wort zu sprechen, die falbe Hand des erlauchten Sterbenden an ihre Lippen: als sie sich aber erhob, ließ sie auf Anzoleto einen Blick fallen, welcher ihm zu sagen schien: du hattest mich nicht erraten, Undankbarer!
11.
Während der übrigen Vesper entwickelte Consuelo eine solche Kraft und Tüchtigkeit, dass keine Zweifel weiter in der Seele des Grafen Zustiniani aufkommen konnten. Sie führte, unterstützte, und belebte die Chöre, griff in alle Stimmen ein, und bewies dadurch den wunderbaren Umfang und die mannigfaltigen Eigenschaften ihrer Stimme, sowie nicht minder die unerschöpfliche Stärke ihrer Lunge, oder besser, die Größe ihrer Kunstfertigkeit; denn wer zu singen versteht, wird nicht müde, und Consuelo sang mit nicht größerer Anstrengung und Mühe als andre Menschen atmen. Der klare und volle Klang ihrer Stimme war unter den hundert Stimmen ihrer Gefährtinnen deutlich zu vernehmen, nicht dass sie geschrien hätte, wie seel- und atemlose Sänger es machen, sondern weil ihr Ton rein und tadellos und ihr Vortrag unübertrefflich sauber war. Überdies fühlte und verstand sie die Meinung jeder Stelle bis ins Einzelste und Feinste.
Mit einem Worte, sie allein unter diesem Schwarme gewöhnlicher Geister, frischer Stimmen und willenloser Wesen, sie allein hatte Musik und war Meisterin. Unbewusst und prunklos trat sie als eine Macht auf und übte, so lange der Gesang währte, eine Herrschaft aus, deren Notwendigkeit jeder fühlte. Sobald der Gesang beendet war, machten ihr die Choristinnen innerlich ein Unrecht und ein Verbrechen daraus, und eine Jede, welche, wo sie sich unsicher fühlte, stets mit den Augen Consuelo befragt und fast angefleht hatte, maßte nun sich selbst die Lobsprüche an, welche der Schule Porpora’s in Masse gezollt wurden. Bei diesen Lobeserhebungen lächelte der Meister und sagte kein Wort: er sah nur Consuelo an, und Anzoleto verstand den Blick vollkommen.
Nach dem Gruß und Segen nahmen die Choristinnen an einem leckeren Mahle Teil, welches ihnen der Graf in einem der Sprachzimmer des Klosters auftragen ließ. Das Gitter trennte zwei große Tafeln, welche in Halbmondform einander gegenüber aufgestellt waren. In der Mitte des Gitters war nach dem Maße einer Riesenpastete eine Öffnung angebracht, durch welche die Schüsseln hindurch gingen: diese nahm der Graf selbst in Empfang und reichte sie mit Grazie den vornehmsten Nonnen und den Eleven. Die letztren, in Beguinentracht, setzten sich zu Dutzenden wechselweise auf die offenen Plätze im Innern des Klosters. Die Superiorin hatte ihren Platz dicht neben dem Gitter, und befand sich so an der rechten Seite des Grafen, welcher im äußern Saale saß. Links von dem Grafen blieb ein Platz leer; Marcello, Porpora, der Pfarrer des Kirchspiels, die vornehmsten Priester welche der Messe beigewohnt hatten, einige Patrizier, die als Laienvorsteher der Scuola oder als Dilettanti eingeladen waren, und endlich der schöne Anzoleto, in seinem schwarzen Kleid und mit dem Degen an der Seite nahmen die Plätze an der weltlichen Tafel ein.
Die jungen Sängerinnen pflegten sonst bei solchen Gelegenheiten sehr lebendig zu sein: die Annehmlichkeit lecker zu speisen, das Vergnügen sich mit Männern zu unterhalten und die Lust zu gefallen oder wenigstens bemerkt zu werden, machte sie in der Regel sehr geschwätzig und munter. Dieses mal aber war die Stimmung beim Mahle traurig und gezwungen. Von dem Vorhaben des Grafen hatte Einiges verlautet (wie könnte auch ein Geheimnis um ein Kloster herumkommen, ohne sich durch irgend eine Spalte hineinzustehlen!) und jedes dieser jungen Mädchen hatte sich im Stillen geschmeichelt, von Porpora zur Nachfolgerin der Corilla vorgestellt zu werden. Der Professor selbst war so boshaft gewesen, die Selbsttäuschungen einiger unter ihnen zu begünstigen, sei es um sie zu größerem Eifer bei der Aufführung seiner Musik vor Marcello anzuspornen, oder um sich durch die Kränkung die ihnen bevorstand für alles Leid zu rächen, das sie ihm in den Stunden angetan hatten.
Gewiss ist wenigstens, dass die Clorinda, welche bloß äußeres Mitglied des Konservatoriums war, große Toilette für diesen Tag gemacht hatte, und darauf rechnete, ihren Platz zur Rechten des Grafen einzunehmen. Als sie nun aber diese »bettelhafte« Consuelo in ihrem schwarzen Kleidchen und mit ihrer ruhigen Miene, dieses »garstige Ding«, welches nun doch hinfort für die erste Sängerin und für die ausgemachte Schönheit der Schule galt, sich zwischen den Grafen und Marcello setzen sah, da wurde sie hässlich vor Ärger, hässlich, wie Consuelo es niemals war, und wie unter dem Einfluss einer schlechten und gemeinen Regung, Venus selbst es werden würde.
Anzoleto betrachtete sie aufmerksam, und im Übermute seiner Siegesfreude setzte er sich zu ihr und überhäufte sie mit Fadheiten, deren spöttische Meinung