George Sand

Gesammelte Werke


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dass eine Ve­rei­ni­gung der In­ter­es­sen ih­nen vor­teil­haft sein wür­de, um sich mit der Zeit ein glän­zen­des Aus­kom­men zu schaf­fen. Con­sue­lo da­ge­gen hat­te sich nicht ge­wöhnt, an die Zu­kunft zu den­ken. Voraus­sicht ge­hör­te nicht in den Kreis des­sen, was ihre Ge­dan­ken be­schäf­tig­te. Sie hät­te Mu­sik ge­trie­ben ohne einen an­de­ren Zweck als den, ih­rem Be­ru­fe zu fol­gen, und die Ge­mein­sam­keit der In­ter­es­sen, wel­che die Aus­übung die­ser Kunst zwi­schen ihr und ih­rem Freun­de not­wen­dig schuf, hat­te für sie kei­nen an­de­ren Sinn als den – ver­bun­de­nen Glückes und ge­mein­schaft­li­cher Nei­gung.

      So hat­te er denn, ohne ihr da­von ein Wort zu sa­gen, auf ein­mal Hoff­nung ge­fasst, dass die Ver­wirk­li­chung sei­ner Träu­me sich be­schleu­ni­gen lie­ße, und in der­sel­ben Zeit als Zus­ti­nia­ni da­mit um­ging, sich eine Stell­ver­tre­te­rin für die Co­ril­la zu ver­schaf­fen, war An­zo­le­to, wel­cher mit sel­te­nem Scharf­blick die Stim­mung sei­nes Gön­ners er­riet, auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, ihm Con­sue­lo vor­zu­schla­gen.

      Aber dass Con­sue­lo häss­lich sein soll­te, die­ses un­ge­ahn­te, selt­sa­me, und, wo­fern der Graf sich nicht irr­te, un­über­steig­li­che Hin­der­nis hat­te Schre­cken und Be­stür­zung in sei­ne See­le ge­wor­fen. Er mach­te sich so­gleich auf den Weg nach der Cor­te Mi­nel­li, aber bei je­dem Schrit­te blieb er ste­hen, um sich das Bild sei­ner Freun­din in ei­nem neu­en Lich­te vor die See­le zu ru­fen, und um zu wie­der­ho­len, mit ei­nem Fra­ge­zei­chen hin­ter je­dem Wor­te: Nicht hübsch? Sehr häss­lich? Ab­scheu­lich?

      8.

      – Was siehst du mich so an? rief ihm Con­sue­lo zu, als er bei ihr ein­ge­tre­ten war und sie mit ei­ner selt­sa­men Mie­ne be­trach­te­te, ohne ein Wort zu spre­chen. Du tust ja, als ob du mich noch nie ge­se­hen hät­test.

      – Das ist auch der Fall, Con­sue­lo! er­wi­der­te er. Ich habe dich nie ge­se­hen.

      – Re­dest du irre? ver­setz­te sie, ich weiß nicht was du meinst.

      – Mein Gott, mein Gott! ich glau­be dir’s, rief An­zo­le­to. Ich habe einen großen schwar­zen Fleck im Ge­hir­ne und kann da­vor nicht se­hen.

      – Himm­li­sche Barm­her­zig­keit! Ist dir nicht wohl, mein Freund?

      – Nein, lie­bes Mäd­chen, be­ru­hi­ge dich, und ich will es ver­su­chen, deut­lich zu se­hen. Sage, Con­su­e­li­na, fin­dest du mich schön?

      – Ei frei­lich, ich habe dich ja lieb.

      – Und wenn du mich nicht lieb hät­test, wie wür­dest du mich dann fin­den?

      – Was weiß ich?

      – Wenn du an­de­re Män­ner siehst, weißt du dann, ob sie schön oder häss­lich sind?

      – Ja­wohl, aber ich fin­de dich schö­ner als die Schöns­ten.

      – Bloß weil du mich lieb hast?

      – Ich glau­be, ja und nein. Und zu­dem sa­gen alle Leu­te dass du schön bist, und das weißt du recht gut. Aber was küm­mert dich das?

      – Ich möch­te wis­sen ob du mich lieb hät­test, wenn ich auch ab­scheu­lich wäre.

      – Ich wür­de es viel­leicht gar nicht mer­ken.

      – Du glaubst also, dass man eine häss­li­che Per­son lie­ben kann?

      – Wa­rum nicht? Liebst du mich doch.

      – Du bist also häss­lich, Con­sue­lo? Im Erns­te, sage, gib Ant­wort, du bist also häss­lich?

      – Man hat es mir im­mer ge­sagt, siehst du denn das nicht selbst?

      – Nein, nein, wahr­haf­tig nicht, ich sehe es nicht!

      – Nun sieh, dann fin­de ich mich schön ge­nug, und ich bin sehr zu­frie­den.

      – Jetzt, jetzt eben, Con­sue­lo, wie du mich an­siehst, mit ei­ner so na­tür­li­chen, so lie­bens­wür­di­gen Mie­ne, da scheinst du mir schö­ner als die Co­ril­la. Aber ich möch­te nur wis­sen, ob das eine Ein­bil­dung von mir oder ob es wirk­lich so ist. Ich ken­ne dein Ge­sicht, es ist so ehr­lich und ge­fällt mir so, und wenn ich zor­nig bin, so macht es mich still; und wenn sich trau­rig bin, so macht es mich froh; und wenn ich nie­der­ge­schla­gen bin, so macht es mich mun­ter. Aber dei­ne Ge­stalt ken­ne ich nicht. Dei­ne Ge­stalt, Con­sue­lo, ob die häss­lich ist, das kann ich nicht wis­sen.

      – Noch ein­mal, was küm­mert dich das?

      – Ich muss es wis­sen; sage doch, ob wohl ein schö­ner Mann ein häss­li­ches Weib lieb ha­ben kann?

      – Du hast ja doch mei­ne arme Mut­ter lieb ge­habt, die nur ein Ge­s­penst war! Und ich, wie lieb habe ich sie ge­habt!

      – Kam sie dir denn häss­lich vor?

      – Nein, und dir?

      – Ich habe nicht dar­auf ge­ach­tet. Aber lie­ben aus Lieb­schaft, Con­sue­lo … denn im Grun­de lie­be ich dich doch aus Lieb­schaft, nicht wahr? Ich kann dich nicht ent­beh­ren, ich kann dich nicht las­sen. Das ist Lieb­schaft, meinst du nicht?

      – Was soll­te es an­de­res sein?

      – Es könn­te ja­wohl auch Freund­schaft sein.

      – Frei­lich, es könn­te ja­wohl auch Freund­schaft sein.

      Hier hielt Con­sue­lo über­rascht inne und sah An­zo­le­to auf­merk­sam an. Er aber, in ein schwer­mü­ti­ges Sin­nen ver­sun­ken, frag­te sich selbst zum ers­ten male mit Be­stimmt­heit, ob er Lie­be oder Freund­schaft für Con­sue­lo füh­le, ob die Ruhe sei­nes In­nern, ob die keu­sche Zu­rück­hal­tung, wel­che er ihr ge­gen­über ohne Mühe be­wahr­te, aus Ach­tung oder aus Gleich­gül­tig­keit ent­sprän­gen. Zum ers­ten male schau­te er die­ses jun­ge Mäd­chen mit den Au­gen ei­nes jun­gen Man­nes an, in prü­fen­der Ab­sicht, aber ziem­lich ver­wirrt, die­se Stirn, die­se Au­gen, die­sen Wuchs und jede Ein­zel­heit be­trach­tend, wo­von er bis­her im­mer nur einen ge­wis­sen idea­len Ge­samtein­druck, gleich­sam ver­schlei­ert in sei­ner Vor­stel­lung, emp­fun­den hat­te.

      Zum ers­ten male fühl­te sich auch die be­stürz­te Con­sue­lo durch den Blick ih­res Freun­des ver­wirrt: sie er­rö­te­te, ihr Herz schlug hef­tig und ihre Au­gen wen­de­ten sich ab, un­fä­hig de­nen An­zo­le­to’s zu be­geg­nen. Und als er noch im­mer das Schwei­gen nicht brach und auch sie nicht den Mut hat­te es zu bre­chen, be­mäch­tig­te sich ih­rer end­lich eine un­be­schreib­li­che Angst, große Trä­nen roll­ten über ihre Wan­gen und sie ver­barg das Ge­sicht in ih­ren Hän­den.

      – Ach, ich sehe es wohl, sprach sie, du willst mir sa­gen, dass du mich nicht mehr zu dei­ner Freun­din magst.

      – Nein, nein, das habe ich nicht ge­sagt! Das sage ich nicht! rief An­zo­le­to, er­schreckt von die­sen Trä­nen, die er zum ers­ten male flie­ßen mach­te, und in­dem sei­ne brü­der­li­che Zu­nei­gung leb­haft er­wach­te, um­schloss er Con­sue­lo mit sei­nen Ar­men. Da sie aber ihr Ge­sicht weg­wen­de­te, so küss­te er statt ih­rer fri­schen und stil­len Wan­ge eine glü­hen­de Schul­ter, die sich un­ter ei­nem schwar­zen gro­ben Kan­ten­tu­che nur schlecht ver­barg.

      Ent­zün­det sich plötz­lich der ers­te Blitz der Lei­den­schaft in ei­ner star­ken Na­tur, die un­ter der voll­komm­nen