George Sand

Gesammelte Werke


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sich ab­ma­len. Ei­nen Au­gen­blick spä­ter wur­de die Türe die­ser Ba­ra­cke ge­öff­net, und Con­sue­lo im Kat­tun­röck­chen und in einen al­ten schwarz­sei­de­nen Man­tel ge­wi­ckelt, wo­mit vor Zei­ten ihre Mut­ter Staat ge­macht hat­te, kam, ihm die Hand zu rei­chen, wäh­rend sie mit der an­de­ren Hand einen Fin­ger an ihre Lip­pen leg­te, um ihm Stil­le an­zu­emp­feh­len. Auf den Ze­hen­spit­zen und tas­tend stie­gen bei­de die krum­me und ver­fal­le­ne höl­zer­ne Trep­pe hin­an, wel­che bis auf das Dach führ­te; und oben auf der Ter­ras­se an­ge­langt be­gan­nen sie ei­nes je­ner lan­gen, von Küs­sen un­ter­bro­che­nen Ge­lis­pel, de­ren man jede Nacht wie Win­des­flüs­tern auf den Dä­chern hört, oder wie ein Ge­schwätz von Luft­geis­tern, die im Ne­bel paar­weis um die wun­der­lich ge­form­ten und mit ih­ren zahl­lo­sen ro­ten Tur­ba­nen alle Häu­ser Ve­ne­digs schmücken­den Schlo­te krei­sen.

      – Wie, mei­ne arme Freun­din, sag­te An­zo­le­to, hast du mich bis jetzt er­war­tet?

      – Hat­test du mir nicht ge­sagt, du wür­dest kom­men und mir von dei­nem Abend Nach­richt brin­gen? Nun, sage doch, hast du gut ge­sun­gen und Freu­de ge­macht? Ha­ben sie ge­klatscht? Und ha­ben sie dir dein En­ga­ge­ment zu wis­sen ge­tan?

      – Und du, o du gute Con­sue­lo, sag­te An­zo­le­to, plötz­lich von Ge­wis­sens­bis­sen an­ge­fal­len, als er die Trau­lich­keit und Freund­lich­keit die­ses ar­men Mäd­chens sah, sage mir doch, ob du nicht recht un­ge­dul­dig wur­dest, dass ich so lan­ge blieb, ob du nicht recht müde bist von dem lan­gen War­ten, ob du nicht recht ge­fro­ren hast auf die­ser Ter­ras­se, ob du auch ans Abend­brot ge­dacht hast, ob du mir nicht böse bist, dass ich so spät kom­me, ob du dich be­un­ru­higt hast, ob du mir Schuld gibst?

      – Nein, nichts von dem al­len, ent­geg­ne­te sie, ihre Arme voll Un­schuld um sei­nen Hals schlin­gend. Wenn ich un­ge­dul­dig wur­de, so war’s doch nicht über dich; wenn ich müde war, wenn ich fror, ei, ich füh­le nichts mehr da­von, seit­dem du da bist; ob ich ge­ges­sen habe; ich weiß es nicht mehr; ob ich dir Schuld gebe … was für Schuld soll­te ich dir ge­ben? ob ich mich be­un­ru­higt habe … wes­we­gen denn mich be­un­ru­hi­gen? ob ich dir böse bin? Nie, nie!

      – Du, du bist ein En­gel, sag­te An­zo­le­to, in­dem er sie küss­te. Ach, mein Trost! wie sind die an­de­ren Her­zen so un­ge­treu und so hart!

      – O, was ist dir ge­sche­hen? was ha­ben sie da un­ten dem »Sohn mei­ner See­le« ge­tan? rief Con­sue­lo, in den an­mu­ti­gen ve­ne­tia­ni­schen Dia­lekt die küh­nen und lei­den­schaft­li­chen Bil­der ih­rer Mut­ter­spra­che mi­schend.

      An­zo­le­to er­zähl­te nun al­les was ihm be­geg­net war, auch sei­ne Galan­te­ri­en bei der Co­ril­la und be­son­ders die Lo­ckun­gen die er von ihr er­fah­ren hat­te. Nur er­zähl­te er die Din­ge auf eine ge­wis­se Art, in­dem er al­les das sag­te was Con­sue­lo nicht be­trü­ben konn­te, da er, wirk­lich und mit Wil­len, ihr doch treu ge­blie­ben war, und es war »so ziem­lich« die gan­ze Wahr­heit. Es gibt aber ein Par­ti­kel­chen Wahr­heit, das noch kei­ne ge­richt­li­che Un­ter­su­chung je­mals an den Tag ge­bracht, das noch kein Cli­ent sei­nem Ad­vo­ca­ten je be­kannt, das noch kein Ur­teil je­mals, au­ßer zu­fäl­lig, ge­trof­fen hat, und ge­ra­de in die­ser Klei­nig­keit von Tat­be­stand oder Ab­sicht, wel­che un­en­t­hüllt bleibt, liegt das We­sen der Sa­che, der Be­weg­grund, das End­ziel, kurz das ge­such­te Wort all die­ser großen Rechts­hand­lun­gen, die stets so schlecht ge­führt und stets so schlecht ent­schie­den wer­den, wie groß auch im­mer die Hit­ze der Red­ner und die Käl­te der Rich­ter sei.

      Um auf An­zo­le­to zu­rück­zu­kom­men, so braucht nicht erst ge­sagt zu wer­den, wel­che klei­nen Sün­den er ver­schwieg, wel­che glü­hen­den Re­gun­gen er auf sei­ne Art über­setz­te und wel­che in der Gon­del er­stick­te Wal­lun­gen er zu er­wäh­nen ver­gaß. Ich glau­be so­gar, dass er von der Gon­del gar nicht sprach, und die der Sän­ge­rin er­wie­se­nen Ar­tig­kei­ten als Kunst­grif­fe dar­stell­te, mit de­ren Hil­fe er, ohne sie zu er­zür­nen, den ge­fähr­li­chen Avan­zen wo­mit sie ihn über­häuf­te, ge­schickt ent­kom­men wäre. Wa­rum aber, wenn er doch ein­mal nicht al­les ver­ra­ten woll­te noch konn­te, näm­lich nicht die Stär­ke der Ver­su­chun­gen, wel­che er aus Klug­heit und aus rich­ti­gem Takt über­wun­den hat­te, warum – so fragst du, lie­be Le­se­rin – hat die­ser jun­ge Schelm sich in die Ge­fahr ge­bracht, Con­sue­lo’s Ei­fer­sucht auf­zu­we­cken? Das fra­gen Sie mich, Ma­da­me! Sa­gen Sie mir doch, ob Sie nicht Ihrem Liebs­ten, ich mei­ne, dem Gat­ten Ih­rer Wahl alle Hul­di­gun­gen, die von an­de­ren Ih­nen dar­ge­bracht wur­den, alle Ver­der­ber, die Sie ab­ge­wie­sen ha­ben, alle Ne­ben­buh­ler, die Sie ihm, nicht al­lein vor der Ehe, son­dern je­den Ball­tag, ges­tern, heu­te noch, ge­op­fert, auf­zu­zäh­len pfle­gen! Wohl­an Ma­da­me, wenn Sie schön sind, und es macht mir Freu­de dies zu glau­ben, so wet­te ich mei­nen Kopf, Sie ma­chen es nicht an­ders als An­zo­le­to, nicht um Ihren Wert zu zei­gen, nicht um ein ei­fer­süch­ti­ges Ge­müt zu quä­len; nicht um ein Herz stolz zu ma­chen, das schon zu stolz auf Ihre Vor­zü­ge ist, son­dern weil es süß ist, je­man­den zur Sei­te zu ha­ben, dem man sol­che Din­ge mit­tei­len kann, ganz in dem Schei­ne als er­füll­te man da­mit le­dig­lich sei­ne Pf­licht, und zu beich­ten, in­dem man vor dem Beich­ti­ger prahlt. Nur be­schränkt sich auch Ihre Beich­te, Ma­da­me, auf »so ziem­lich al­les.« Es ist nur ein ganz klei­nes Et­was da­bei, von wel­chem Sie schwei­gen: der Blick etwa, das Lä­cheln, wo­durch Sie die un­ver­schäm­te Er­klä­rung des Fre­chen, über den Sie sich be­kla­gen, her­aus­ge­for­dert ha­ben. Die­ses Lä­cheln, die­ser Blick, die­ses Et­was ist eben die Gon­del, von wel­cher An­zo­le­to, froh, den Rausch des Abends in der Erin­ne­rung noch ein­mal laut durch­zu­ge­hen, sei­ner Con­sue­lo zu er­zäh­len ver­gaß. Die klei­ne Spa­nie­rin wuss­te zu ih­rem Glücke noch nicht, was Ei­fer­sucht sei: die­se schwar­ze, bit­te­re Re­gung steigt nur in den See­len auf, die viel ge­lit­ten ha­ben, und Con­sue­lo war bis da­hin eben so glück­lich in ih­rer Lie­be, als ihr Herz gut war. Der ein­zi­ge Um­stand, der auf sie einen tie­fen Ein­druck mach­te, war die eben­so schmei­chel­haf­te als stren­ge Weis­sa­gung, wel­che ihr ver­ehr­ter Meis­ter, der Pro­fes­sor Por­po­ra über An­zo­le­to’s Haupt ge­spro­chen hat­te. Sie ließ sich von ihm die Wor­te des Meis­ters wie­der­ho­len, und nach­dem er sie ihr ge­nau vor­ge­tra­gen, dach­te sie lan­ge nach und ver­harr­te schwei­gend.

      – Con­su­e­li­na, sag­te An­zo­le­to zu ihr, der nicht sehr auf ihr Träu­men ge­ach­tet hat­te, ich muss dir ge­ste­hen, dass die Luft au­ßer­or­dent­lich frisch ist. Hast du nicht Furcht, dich zu er­käl­ten? Be­den­ke nur, Lie­be! dass un­se­re Zu­kunft noch mehr von dei­ner Stim­me ab­hängt, – als von der mei­ni­gen …

      – Ich er­käl­te mich nie, ent­geg­ne­te sie. Aber du, mit dei­nen schö­nen Klei­dern, die so leicht sind! Da, wick­le dich in mei­ne Man­til­le. – Was soll mir dies arme durch­lö­cher­te Fähn­chen Taft hel­fen? … Ich möch­te viel lie­ber ein hal­b­es Stünd­chen in dei­ner Stu­be un­ter Ob­dach sein.

      – Gut, sag­te Con­sue­lo, aber da darfst du nicht spre­chen; denn wenn uns die Nach­barn hör­ten, so wür­den sie uns Schan­de ma­chen. Sie sind nicht schlecht: sie ma­chen mir nicht viel Not um un­se­re Lieb­schaft, die sie se­hen, denn sie wis­sen wohl, dass du, des nachts nie zu mir kommst. Du tä­test auch bes­ser, wenn du nach Hau­se schla­fen gin­gest.

      – Ich kann ja nicht; es wird erst auf­ge­macht,