sich abmalen. Einen Augenblick später wurde die Türe dieser Baracke geöffnet, und Consuelo im Kattunröckchen und in einen alten schwarzseidenen Mantel gewickelt, womit vor Zeiten ihre Mutter Staat gemacht hatte, kam, ihm die Hand zu reichen, während sie mit der anderen Hand einen Finger an ihre Lippen legte, um ihm Stille anzuempfehlen. Auf den Zehenspitzen und tastend stiegen beide die krumme und verfallene hölzerne Treppe hinan, welche bis auf das Dach führte; und oben auf der Terrasse angelangt begannen sie eines jener langen, von Küssen unterbrochenen Gelispel, deren man jede Nacht wie Windesflüstern auf den Dächern hört, oder wie ein Geschwätz von Luftgeistern, die im Nebel paarweis um die wunderlich geformten und mit ihren zahllosen roten Turbanen alle Häuser Venedigs schmückenden Schlote kreisen.
– Wie, meine arme Freundin, sagte Anzoleto, hast du mich bis jetzt erwartet?
– Hattest du mir nicht gesagt, du würdest kommen und mir von deinem Abend Nachricht bringen? Nun, sage doch, hast du gut gesungen und Freude gemacht? Haben sie geklatscht? Und haben sie dir dein Engagement zu wissen getan?
– Und du, o du gute Consuelo, sagte Anzoleto, plötzlich von Gewissensbissen angefallen, als er die Traulichkeit und Freundlichkeit dieses armen Mädchens sah, sage mir doch, ob du nicht recht ungeduldig wurdest, dass ich so lange blieb, ob du nicht recht müde bist von dem langen Warten, ob du nicht recht gefroren hast auf dieser Terrasse, ob du auch ans Abendbrot gedacht hast, ob du mir nicht böse bist, dass ich so spät komme, ob du dich beunruhigt hast, ob du mir Schuld gibst?
– Nein, nichts von dem allen, entgegnete sie, ihre Arme voll Unschuld um seinen Hals schlingend. Wenn ich ungeduldig wurde, so war’s doch nicht über dich; wenn ich müde war, wenn ich fror, ei, ich fühle nichts mehr davon, seitdem du da bist; ob ich gegessen habe; ich weiß es nicht mehr; ob ich dir Schuld gebe … was für Schuld sollte ich dir geben? ob ich mich beunruhigt habe … weswegen denn mich beunruhigen? ob ich dir böse bin? Nie, nie!
– Du, du bist ein Engel, sagte Anzoleto, indem er sie küsste. Ach, mein Trost! wie sind die anderen Herzen so ungetreu und so hart!
– O, was ist dir geschehen? was haben sie da unten dem »Sohn meiner Seele« getan? rief Consuelo, in den anmutigen venetianischen Dialekt die kühnen und leidenschaftlichen Bilder ihrer Muttersprache mischend.
Anzoleto erzählte nun alles was ihm begegnet war, auch seine Galanterien bei der Corilla und besonders die Lockungen die er von ihr erfahren hatte. Nur erzählte er die Dinge auf eine gewisse Art, indem er alles das sagte was Consuelo nicht betrüben konnte, da er, wirklich und mit Willen, ihr doch treu geblieben war, und es war »so ziemlich« die ganze Wahrheit. Es gibt aber ein Partikelchen Wahrheit, das noch keine gerichtliche Untersuchung jemals an den Tag gebracht, das noch kein Client seinem Advocaten je bekannt, das noch kein Urteil jemals, außer zufällig, getroffen hat, und gerade in dieser Kleinigkeit von Tatbestand oder Absicht, welche unenthüllt bleibt, liegt das Wesen der Sache, der Beweggrund, das Endziel, kurz das gesuchte Wort all dieser großen Rechtshandlungen, die stets so schlecht geführt und stets so schlecht entschieden werden, wie groß auch immer die Hitze der Redner und die Kälte der Richter sei.
Um auf Anzoleto zurückzukommen, so braucht nicht erst gesagt zu werden, welche kleinen Sünden er verschwieg, welche glühenden Regungen er auf seine Art übersetzte und welche in der Gondel erstickte Wallungen er zu erwähnen vergaß. Ich glaube sogar, dass er von der Gondel gar nicht sprach, und die der Sängerin erwiesenen Artigkeiten als Kunstgriffe darstellte, mit deren Hilfe er, ohne sie zu erzürnen, den gefährlichen Avanzen womit sie ihn überhäufte, geschickt entkommen wäre. Warum aber, wenn er doch einmal nicht alles verraten wollte noch konnte, nämlich nicht die Stärke der Versuchungen, welche er aus Klugheit und aus richtigem Takt überwunden hatte, warum – so fragst du, liebe Leserin – hat dieser junge Schelm sich in die Gefahr gebracht, Consuelo’s Eifersucht aufzuwecken? Das fragen Sie mich, Madame! Sagen Sie mir doch, ob Sie nicht Ihrem Liebsten, ich meine, dem Gatten Ihrer Wahl alle Huldigungen, die von anderen Ihnen dargebracht wurden, alle Verderber, die Sie abgewiesen haben, alle Nebenbuhler, die Sie ihm, nicht allein vor der Ehe, sondern jeden Balltag, gestern, heute noch, geopfert, aufzuzählen pflegen! Wohlan Madame, wenn Sie schön sind, und es macht mir Freude dies zu glauben, so wette ich meinen Kopf, Sie machen es nicht anders als Anzoleto, nicht um Ihren Wert zu zeigen, nicht um ein eifersüchtiges Gemüt zu quälen; nicht um ein Herz stolz zu machen, das schon zu stolz auf Ihre Vorzüge ist, sondern weil es süß ist, jemanden zur Seite zu haben, dem man solche Dinge mitteilen kann, ganz in dem Scheine als erfüllte man damit lediglich seine Pflicht, und zu beichten, indem man vor dem Beichtiger prahlt. Nur beschränkt sich auch Ihre Beichte, Madame, auf »so ziemlich alles.« Es ist nur ein ganz kleines Etwas dabei, von welchem Sie schweigen: der Blick etwa, das Lächeln, wodurch Sie die unverschämte Erklärung des Frechen, über den Sie sich beklagen, herausgefordert haben. Dieses Lächeln, dieser Blick, dieses Etwas ist eben die Gondel, von welcher Anzoleto, froh, den Rausch des Abends in der Erinnerung noch einmal laut durchzugehen, seiner Consuelo zu erzählen vergaß. Die kleine Spanierin wusste zu ihrem Glücke noch nicht, was Eifersucht sei: diese schwarze, bittere Regung steigt nur in den Seelen auf, die viel gelitten haben, und Consuelo war bis dahin eben so glücklich in ihrer Liebe, als ihr Herz gut war. Der einzige Umstand, der auf sie einen tiefen Eindruck machte, war die ebenso schmeichelhafte als strenge Weissagung, welche ihr verehrter Meister, der Professor Porpora über Anzoleto’s Haupt gesprochen hatte. Sie ließ sich von ihm die Worte des Meisters wiederholen, und nachdem er sie ihr genau vorgetragen, dachte sie lange nach und verharrte schweigend.
– Consuelina, sagte Anzoleto zu ihr, der nicht sehr auf ihr Träumen geachtet hatte, ich muss dir gestehen, dass die Luft außerordentlich frisch ist. Hast du nicht Furcht, dich zu erkälten? Bedenke nur, Liebe! dass unsere Zukunft noch mehr von deiner Stimme abhängt, – als von der meinigen …
– Ich erkälte mich nie, entgegnete sie. Aber du, mit deinen schönen Kleidern, die so leicht sind! Da, wickle dich in meine Mantille. – Was soll mir dies arme durchlöcherte Fähnchen Taft helfen? … Ich möchte viel lieber ein halbes Stündchen in deiner Stube unter Obdach sein.
– Gut, sagte Consuelo, aber da darfst du nicht sprechen; denn wenn uns die Nachbarn hörten, so würden sie uns Schande machen. Sie sind nicht schlecht: sie machen mir nicht viel Not um unsere Liebschaft, die sie sehen, denn sie wissen wohl, dass du, des nachts nie zu mir kommst. Du tätest auch besser, wenn du nach Hause schlafen gingest.
– Ich kann ja nicht; es wird erst aufgemacht,