George Sand

Gesammelte Werke


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hat­te er ein Bein hin­aus­ge­streckt, als der zwei­te Ru­de­rer der Pri­ma Don­na, der wel­cher am Hin­ter­tei­le ar­bei­te­te, sich an der Sei­te des Gon­del­zel­tes her­über­beu­gend, ihm zu­flüs­ter­te: Wenn man singt, so be­deu­tet das, ihr sollt euch still ver­hal­ten und ohne Furcht war­ten.

      – Ich kann­te den Brauch nicht, dach­te An­zo­le­to und war­te­te, aber nicht ohne einen Rest von schmerz­li­cher Angst. Co­ril­la mach­te sich das Ver­gnü­gen, den Gra­fen bis an den Schna­bel ih­rer Gon­del mit sich zu zie­hen, und dort noch in­dem sie ihm fe­li­cis­si­ma not­te wünsch­te, ste­hen zu blei­ben, bis man ab­ge­sto­ßen war; hier­auf setz­te sie sich mit ei­ner sol­chen Un­be­fan­gen­heit und Ruhe an die Sei­te ih­res neu­en Lieb­ha­bers, als ob sie nicht des­sen Le­ben und ihr ei­ge­nes Glück bei die­sem fre­chen Spie­le ge­wagt hät­te.

      – Seht ihr die Co­ril­la? sag­te wäh­rend­des­sen Zus­ti­nia­ni zu dem Gra­fen Bar­be­ri­go; nun, ich woll­te mei­nen Kopf ver­wer­ten, dass sie nicht al­lein in ih­rer Gon­del ist.

      – Und wie kommt ihr auf einen sol­chen Ge­dan­ken? er­wi­der­te Bar­be­ri­go.

      – Weil sie mir tau­send Vor­stel­lun­gen ge­macht hat, dass ich sie nach Hau­se be­glei­ten möch­te.

      – Und ihr seid nicht ei­fer­süch­ti­ger?

      – Von die­ser Schwach­heit bin ich schon lan­ge ge­heilt. Ich wür­de vie­les dar­um ge­ben, wenn un­se­re ers­te Sän­ge­rin sich ernst­lich in ir­gend­je­man­den ver­lieb­te, da­mit ihr der Auf­ent­halt in Ve­ne­dig an­ge­neh­mer wür­de als die Rei­se­träu­me, mit de­nen sie mich ängs­ti­get. Über ihre Un­treue kann ich mich leicht trös­ten, aber ihre Stim­me und ihr Ta­lent und die Wut des Pub­li­cums, wel­ches sie mir an San Sa­mu­el fes­selt, er­setzt mir kei­ne.

      – Ich ver­ste­he; aber wer könn­te denn der glück­li­che Lieb­ha­ber die­ser tol­len Prin­zes­sin sein?

      Der Graf und sein Freund gin­gen alle die Per­so­nen der Rei­he nach durch, wel­che Co­ril­la wäh­rend die­ses Abends aus­ge­zeich­net und auf­ge­mun­tert ha­ben moch­te. An­zo­le­to war der ein­zi­ge, an den sie durch­aus nicht dach­ten.

      5.

      In­zwi­schen brach ein hef­ti­ger Kampf aus in der See­le die­ses glück­li­chen Liebs­ten, wel­chen Woge und Nacht in ih­rem dun­keln Scho­ße hin­weg­tru­gen. Bang und zit­ternd saß er ne­ben der be­rühm­tes­ten Schön­heit Ve­ne­digs. Wohl fühl­te An­zo­le­to wie das Feu­er ei­nes Ver­lan­gens in ihm braus­te, das von der Freu­de be­frie­dig­ten Stol­zes noch hef­ti­ger an­ge­facht wur­de; aber die Furcht, bald zu miss­fal­len, ver­spot­tet, weg­ge­wor­fen, ver­rä­te­risch bei dem Gra­fen an­ge­klagt zu wer­den, er­käl­te­te sein Ent­zücken. Klug und schlau, ein ech­ter Ve­ne­tia­ner, hat­te er nicht sechs Jah­re lang nach dem Thea­ter ge­strebt, ohne Er­kun­di­gung ein­zu­zie­hen über die schwär­me­ri­sche und ge­bie­te­ri­sche Frau, wel­che dort an der Spit­ze al­ler Int­ri­guen stand. Er hat­te Ur­sa­che zu ver­mu­ten, dass sein Reich bei ihr nur von kur­z­er Dau­er sein wür­de; und wenn er die­ser ge­fähr­li­chen Ehre nicht zu ent­ge­hen ge­sucht, so kam dies da­her, dass er die­sel­be nicht so nahe er­war­tet hat­te: er war durch Über­ra­schung un­ter­jocht und fort­ge­ris­sen. Er hat­te nur ge­meint, durch sei­ne Galan­te­rie sich gern ge­lit­ten zu ma­chen, und sie­he da, so­gleich ge­liebt ward er, um sei­ner Ju­gend, sei­ner Schön­heit, sei­nes auf­blü­hen­den Ruh­mes wil­len.

      Jetzt, sag­te sich An­zo­le­to mit je­ner Rasch­heit des Durch­schau­ens und Schlie­ßens, wel­che ei­ni­gen wun­der­sam or­ga­ni­sier­ten Köp­fen von Na­tur bei­wohnt, jetzt bleibt nichts mehr üb­rig als mich ge­fürch­tet zu ma­chen, wenn ich mir nicht ein bit­te­res und lä­cher­li­ches Er­wa­chen von mei­nem Tri­um­phe be­rei­ten will. Aber was kann ich, solch ein ar­mer Teu­fel, tun, dass sie, die Fürs­tin der Höl­le in Per­son, mich fürch­ten müs­se?

      Sei­ne Par­tie war bald er­grif­fen. Er ent­wi­ckel­te ein Sys­tem von Be­denk­lich­kei­ten, Ei­fer­süch­te­lei­en, Bit­ter­kei­ten, de­ren lei­den­schaft­li­ches, co­quet­tes Spiel die Pri­ma Don­na in Er­stau­nen setz­te. Kurz zu­sam­men­ge­fasst lau­te­te ihr brüns­ti­ges und lo­ses Lie­bes­ge­schwätz etwa so:

      An­zo­le­to. – Ich weiß wohl, dass Sie mich nicht lie­ben, dass Sie mich nie lie­ben wer­den: das ist es was mich an Ih­rer Sei­te trau­rig und be­fan­gen macht.

      Co­ril­la. – Und wenn ich dich lieb­te?

      An­zo­le­to. – Dann wür­de ich völ­lig in Verzweif­lung sein. Das hie­ße, mich aus dem Him­mel nie­der stür­zen in einen Ab­grund: ich müss­te Sie ver­lie­ren viel­leicht in der nächs­ten Stun­de, nach­dem ich Sie auf Kos­ten mei­nes gan­zen künf­ti­gen Glückes mir ge­won­nen hät­te.

      Co­ril­la. – Und warum fürch­test du von mir eine sol­che Un­be­stän­dig­keit?

      An­zo­le­to. – Zu­erst, weil mein Ver­dienst ge­ring ist, und so­dann, weil man Ih­nen so viel Schlech­tes nach­sagt.

      Co­ril­la. – Wer sagt mir denn Schlech­tes nach?

      An­zo­le­to. – Ach, alle Leu­te; denn alle Leu­te be­ten Sie an.

      Co­ril­la. – So wür­dest du, wenn ich Tö­rin ge­nug wäre, dich lieb­zu­ge­win­nen und es dir zu sa­gen, mich dann zu­rück­sto­ßen?

      An­zo­le­to. – Ich weiß nicht, ob ich Kraft ge­nug ha­ben wür­de, zu ent­flie­hen: wenn ich sie aber hät­te, wahr­haf­tig, nie im Le­ben wür­de ich Sie wie­der­se­hen.

      – Wohl­an! rief die Co­ril­la, mich reizt die Neu­gier eine Pro­be zu ma­chen … An­zo­le­to, ich glau­be in der Tat, dass ich dich lie­be.

      – Und ich, ich glau­be es nicht, er­wi­der­te er. Ich blei­be; denn ich sehe nur zu gut, dass Sie mich höh­nen. Mit die­sem Spie­le kön­nen Sie mich nicht kir­ren, und noch viel we­ni­ger emp­find­lich ma­chen.

      – Du willst dich auf Fi­nes­sen le­gen, scheint mir?

      – Wa­rum nicht? Ich bin nicht sehr zu fürch­ten, da ich Ih­nen das Mit­tel bie­te, mich zu be­sie­gen.

      – Wel­ches?

      – Mich starr zu ma­chen vor Schre­cken und mich in die Flucht zu ja­gen durch das­sel­be Wort im Erns­te, das Sie mir jetzt im Spot­te zu­ge­wor­fen.

      – Du bist ein ab­ge­feim­ter Schelm! Ich sehe wohl dass man sich mit dir in Acht neh­men muss. Du bist ei­ner von de­nen, wel­che sich nicht be­gnü­gen, den Duft der Rose zu at­men, son­dern sie pflücken und un­ter Glas brin­gen wol­len. Ich hät­te dich in dei­nem Al­ter we­der für so keck noch für so ei­gen­wil­lig ge­hal­ten!

      – Sind Sie mir des­halb gram?

      – Im Ge­gen­tei­le, du ge­fällst mir de­sto mehr. Gute Nacht, An­zo­le­to, wir se­hen uns wie­der.

      Sie reich­te ihm ihre schö­ne Hand, wel­che er mit In­brunst küss­te. Ich habe mich nicht übel her­aus­ge­zo­gen, sag­te er zu sich, wäh­rend er un­ter den Ga­le­ri­en am Bor­de des Cana­let­to ent­schlüpf­te.

      Er glaub­te nicht, dass man ihm noch zu die­ser Stun­de den Ver­schlag, wo er zu über­nach­ten ge­wohnt