George Sand

Gesammelte Werke


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ge­borg­ten Lu­xus viel­leicht ab­sicht­lich be­su­delt, wel­che sie un­ter ih­ren Fü­ßen fan­den. Was hät­ten sie von ei­nem Men­schen den­ken sol­len, der in sei­de­nen St­rümp­fen, in fei­ner Wä­sche, in Man­chet­ten und Spit­zen­hals­tuch un­ter frei­em Him­mel schlief?

      An­zo­le­to ver­miss­te in die­sem Au­gen­bli­cke recht emp­find­lich sei­ne gute rot­brau­ne Wol­len­kap­pe, die sehr schä­big und ab­ge­tra­gen, aber doch noch im­mer zwei Fin­ger dick und äu­ßerst dien­lich war, um dem un­ge­sun­den Mor­gen­ne­bel, der aus der Was­ser­mas­se Ve­ne­digs auf­steigt, Trotz zu bie­ten. Es war in den letz­ten Ta­gen des Fe­bru­ar, und ob­wohl die Son­ne um die­se Jah­res­zeit un­ter dem dor­ti­gen Him­mel schon recht stark leuch­tet und wärmt, so sind die Näch­te doch noch sehr kalt.

      Es fiel ihm ein, sich in eine der Gon­deln zu du­cken, wel­che am Ufer la­gen: er fand sie aber alle fest ver­schlos­sen. End­lich kam er an eine, de­ren Türe sei­nem Dru­cke wich; doch als er ein­drang, stieß er an die Füße des Bar­ca­ro­len, der sich dort zu sei­ner Nachtru­he zu­rück­ge­zo­gen hat­te und fiel über ihn hin.

      – Beim Leib des Teu­fels! schrie ihn eine raue Stim­me aus dem In­nern die­ser Höh­le an, wer seid ihr? was wollt ihr?

      – Bist du’s, Za­net­to? er­wi­der­te An­zo­le­to, da er die Stim­me des Gon­do­liers er­kann­te, der ihm im­mer viel Freund­lich­keit be­wie­sen hat­te. Lass mich ne­ben dir nie­der­lie­gen und einen Schlaf un­ter Dach tun in dei­nem Hütt­chen.

      – Wer bist du denn? frag­te Za­net­to.

      – An­zo­le­to; kennst du mich denn nicht?

      – Nein, beim Sa­tan! Hast du doch Klei­der an, die An­zo­le­to nicht ha­ben könn­te, wenn er sie nicht ge­stoh­len hät­te. Pack dich fort! Wenn du der Doge in Per­son wä­rest, so lit­t’ ich einen Men­schen nicht in mei­ner Bar­ke, der einen schö­nen Rock hat zum Spa­zie­ren­ge­hen und kein Loch zum Schla­fen.

      Bis jetzt, dach­te An­zo­le­to, hat mir noch die Pro­tec­ti­on und Gunst des Gra­fen Zus­ti­nia­ni mehr Ge­fah­ren und Unan­nehm­lich­kei­ten als Nut­zen ein­ge­tra­gen. Es wäre Zeit, dass mein Beu­tel sich nach mei­nem Suc­ceß schick­te, und ich seh­ne mich da­nach, ein Paar Ze­chi­nen in der Ta­sche zu ha­ben, da­mit ich die Rol­le durch­füh­ren könn­te, die man mich spie­len lässt.

      Voll Ver­druss irr­te er in den öden Stra­ßen um­her, und ge­trau­te sich nicht still zu ste­hen, aus Furcht den Schweiß zu­rück­zu­trei­ben, wel­chen Zorn und An­stren­gung ihm aus­ge­presst hat­ten.

      Dass ich mir nur nicht bei dem Al­len noch eine Hei­ser­keit hole! sag­te er vor sich hin. Mor­gen des Ta­ges wird der Graf sein jun­ges Wun­der­tier dem ers­ten, bes­ten Hans­nar­ren von Kun­strich­ter vor­füh­ren wol­len, und der wird dann, wenn ich den kleins­ten Kit­zel in der Keh­le von ei­ner sol­chen Nacht ohne Ruhe, ohne Schlaf, ohne Ob­dach da­von ge­tra­gen hät­te, den Auss­pruch tun, ich hät­te kei­ne Stim­me; und der Herr Graf, der es bes­ser weiß, wird sa­gen: ach, wenn Sie ihn doch ges­tern ge­hört hät­ten! – Er ist also nicht im­mer gleich! wird der an­de­re be­mer­ken. Er hat wohl sei­ne fes­te Ge­sund­heit! – Oder viel­leicht, wirft dann ein drit­ter ein, hat er sich ges­tern zu sehr an­ge­strengt. Er ist wahr­haf­tig noch zu jung, um meh­re Tage hin­ter ein­an­der zu sin­gen. Ihr wür­det gut tun, noch zu war­ten, bis er rei­fer und kräf­ti­ger ge­wor­den ist, ehe Ihr ihn auf die Büh­ne bringt. Und der Graf wird sa­gen: Alle Teu­fel, wenn er von zwei Ari­en hei­ser wird, so ist das kein Han­del für mich. Und was wird ge­sche­hen? Sie wer­den mich alle Tage Etü­den sin­gen las­sen, bis mir der Atem aus­geht, bloß um zu pro­bie­ren, ob ich stark und ge­sund ge­nug sei, und sie wer­den mir die Stim­me ent­zwei­bre­chen, um sich zu über­zeu­gen, ob mei­ne Lun­ge gut ist. Hol’ der Teu­fel die Pro­tec­ti­on der großen Her­ren! Ha! wann wer­de ich so weit sein, dass ich sie nicht mehr brau­che, – dass sie, wenn ich in ih­ren Sa­lons sin­ge, sich das für eine Gna­de schät­zen müs­sen, weil ich re­nom­miert, weil ich der Günst­ling des Pub­li­kums bin, weil sich die Thea­terdi­rek­tio­nen um mich rei­ßen, – dass ich mit ih­nen auf glei­chem Fuße, Macht ge­gen Macht, ver­han­deln kön­ne?

      Un­ter die­sem Selbst­ge­sprä­che ge­riet An­zo­le­to auf einen je­ner klei­nen Plät­ze, wel­che in Ve­ne­dig cor­ti hei­ßen, ob­schon es kei­ne Höfe sind, son­dern et­was dem ähn­li­ches was man in Pa­ris cité nennt, eine Grup­pe von Häu­sern, de­ren Tü­ren alle auf einen ge­mein­schaft­li­chen of­fe­nen Raum ge­hen. Man muss sich aber die­se so­ge­nann­ten Höfe nicht im min­des­ten re­gel­mä­ßig, ge­schmack­voll und sau­ber­ge­hal­ten den­ken, nach Art un­se­rer mo­der­nen s­qua­res. Es sind viel­mehr ganz klei­ne, fins­te­re Plät­ze, die manch­mal einen Sack bil­den, manch­mal einen Durch­gang von ei­nem Quar­tie­re zu dem an­de­ren; sie sind we­nig be­sucht und rings um­ge­ben von den Woh­nun­gen ar­mer und ge­rin­ger Leu­te, meis­tens aus der un­ters­ten Volks­klas­se, Hand­ar­bei­tern und Wä­sche­rin­nen, de­ren Zeug zum Trock­nen auf Lei­nen, die sich quer über den Weg zie­hen, auf­ge­hängt ist: ein Übel­stand, wel­chen der Durch­ge­hen­de umso wil­li­ger dul­det, als sein Durch­gangs­recht oft aus mehr als hin­läng­li­chen Grün­den eben­falls nur auf Dul­dung be­ruht.

      Wehe dem ar­men Künst­ler, der ein Käm­mer­chen nach ei­nem die­ser ab­ge­le­ge­nen Win­kel hin­aus be­wohnt, wo, nur zwei Schrit­te ent­fernt von brei­ten Kanä­len und präch­ti­gen Ge­bäu­den, sich plötz­lich mit­ten im Scho­ße Ve­ne­digs das Pro­le­ta­ri­er­le­ben fin­det mit sei­ner Roh­heit, sei­nem Lärm und sei­nem Schmut­ze. Wehe ihm, wenn er Stil­le braucht zu sei­nen Ar­bei­ten. Denn vom Mor­gen bis in die Nacht wird das Ge­lär­me der Kin­der, Hüh­ner und Hun­de, die in dem en­gen Ge­höf­te durch ein­an­der spie­len, schrei­en und heu­len, das end­lo­se Ge­plap­per der Wei­ber, die auf ih­ren Tür­schwel­len zu­sam­men­ste­hen und das Ge­sin­ge der Ar­bei­ter in ih­ren Werk­stät­ten ihm nicht einen Au­gen­blick der Ruhe las­sen.

      Ein Glück noch, wenn nicht gar der Im­pro­vi­sa­to­re kommt und sei­ne So­net­te und Di­thy­ram­ben ab­plärrt, bis aus je­dem Fens­ter ihm eine Kup­fer­mün­ze zu­ge­fal­len, oder wenn nicht Brig­hel­la sei­ne Bude in der Mit­te des Ho­fes auf­stellt und un­er­müd­lich sei­nen Dia­log mit dem Avo­ca­to, dem Te­des­co und dem Dia­vo­lo im­mer wie­der von vor­ne be­ginnt, bis er sich über­zeugt hält, dass sei­ne Be­red­sam­keit um­sonst ver­geu­det ist; vor zer­lump­ten Kin­dern, glück­li­chen Zuschau­ern, die sich kein Ge­wis­sen dar­aus ma­chen, zu hö­ren und zu se­hen, ohne einen Liard in der Ta­sche.

      Nachts aber, wann al­les in Schwei­gen ge­sun­ken ist, und wann die Stei­ne hell im Lich­te des stil­len Mon­des schim­mern, dann gibt die­se ge­dräng­te Mas­se un­re­gel­mä­ßig und ab­sichts­los in den ver­schie­dens­ten Epo­chen an ein­an­der ge­bau­ter Häu­ser, durch star­ke Schat­ten ab­ge­setzt, mit man­nig­fal­ti­gen ge­heim­nis­vol­len Tie­fen, und mit dem gril­len­haf­ten For­men­spie­le, das der Zu­fall schuf, ein Bild un­end­lich ma­le­ri­scher Un­ord­nung. Al­les ver­schönt sich im Mon­des­bli­cke; jede klei­ne ar­chi­tec­to­ni­sche Wir­kung tritt her­vor und wird be­deu­tend, der un­schein­bars­te wein­be­laub­te Bal­kon nimmt eine spa­nisch ro­man­zen­haf­te Mie­ne an, und er­füllt die See­le mit den Bil­dern je­ner schö­nen rit­ter­li­chen Aben­teu­er. Der leuch­ten­de Him­mel, in wel­chen sich jen­seits die­ser fins­te­ren und win­ke­li­gen Mas­se, die blas­sen Kup­peln fer­ner