geborgten Luxus vielleicht absichtlich besudelt, welche sie unter ihren Füßen fanden. Was hätten sie von einem Menschen denken sollen, der in seidenen Strümpfen, in feiner Wäsche, in Manchetten und Spitzenhalstuch unter freiem Himmel schlief?
Anzoleto vermisste in diesem Augenblicke recht empfindlich seine gute rotbraune Wollenkappe, die sehr schäbig und abgetragen, aber doch noch immer zwei Finger dick und äußerst dienlich war, um dem ungesunden Morgennebel, der aus der Wassermasse Venedigs aufsteigt, Trotz zu bieten. Es war in den letzten Tagen des Februar, und obwohl die Sonne um diese Jahreszeit unter dem dortigen Himmel schon recht stark leuchtet und wärmt, so sind die Nächte doch noch sehr kalt.
Es fiel ihm ein, sich in eine der Gondeln zu ducken, welche am Ufer lagen: er fand sie aber alle fest verschlossen. Endlich kam er an eine, deren Türe seinem Drucke wich; doch als er eindrang, stieß er an die Füße des Barcarolen, der sich dort zu seiner Nachtruhe zurückgezogen hatte und fiel über ihn hin.
– Beim Leib des Teufels! schrie ihn eine raue Stimme aus dem Innern dieser Höhle an, wer seid ihr? was wollt ihr?
– Bist du’s, Zanetto? erwiderte Anzoleto, da er die Stimme des Gondoliers erkannte, der ihm immer viel Freundlichkeit bewiesen hatte. Lass mich neben dir niederliegen und einen Schlaf unter Dach tun in deinem Hüttchen.
– Wer bist du denn? fragte Zanetto.
– Anzoleto; kennst du mich denn nicht?
– Nein, beim Satan! Hast du doch Kleider an, die Anzoleto nicht haben könnte, wenn er sie nicht gestohlen hätte. Pack dich fort! Wenn du der Doge in Person wärest, so litt’ ich einen Menschen nicht in meiner Barke, der einen schönen Rock hat zum Spazierengehen und kein Loch zum Schlafen.
Bis jetzt, dachte Anzoleto, hat mir noch die Protection und Gunst des Grafen Zustiniani mehr Gefahren und Unannehmlichkeiten als Nutzen eingetragen. Es wäre Zeit, dass mein Beutel sich nach meinem Succeß schickte, und ich sehne mich danach, ein Paar Zechinen in der Tasche zu haben, damit ich die Rolle durchführen könnte, die man mich spielen lässt.
Voll Verdruss irrte er in den öden Straßen umher, und getraute sich nicht still zu stehen, aus Furcht den Schweiß zurückzutreiben, welchen Zorn und Anstrengung ihm ausgepresst hatten.
Dass ich mir nur nicht bei dem Allen noch eine Heiserkeit hole! sagte er vor sich hin. Morgen des Tages wird der Graf sein junges Wundertier dem ersten, besten Hansnarren von Kunstrichter vorführen wollen, und der wird dann, wenn ich den kleinsten Kitzel in der Kehle von einer solchen Nacht ohne Ruhe, ohne Schlaf, ohne Obdach davon getragen hätte, den Ausspruch tun, ich hätte keine Stimme; und der Herr Graf, der es besser weiß, wird sagen: ach, wenn Sie ihn doch gestern gehört hätten! – Er ist also nicht immer gleich! wird der andere bemerken. Er hat wohl seine feste Gesundheit! – Oder vielleicht, wirft dann ein dritter ein, hat er sich gestern zu sehr angestrengt. Er ist wahrhaftig noch zu jung, um mehre Tage hinter einander zu singen. Ihr würdet gut tun, noch zu warten, bis er reifer und kräftiger geworden ist, ehe Ihr ihn auf die Bühne bringt. Und der Graf wird sagen: Alle Teufel, wenn er von zwei Arien heiser wird, so ist das kein Handel für mich. Und was wird geschehen? Sie werden mich alle Tage Etüden singen lassen, bis mir der Atem ausgeht, bloß um zu probieren, ob ich stark und gesund genug sei, und sie werden mir die Stimme entzweibrechen, um sich zu überzeugen, ob meine Lunge gut ist. Hol’ der Teufel die Protection der großen Herren! Ha! wann werde ich so weit sein, dass ich sie nicht mehr brauche, – dass sie, wenn ich in ihren Salons singe, sich das für eine Gnade schätzen müssen, weil ich renommiert, weil ich der Günstling des Publikums bin, weil sich die Theaterdirektionen um mich reißen, – dass ich mit ihnen auf gleichem Fuße, Macht gegen Macht, verhandeln könne?
Unter diesem Selbstgespräche geriet Anzoleto auf einen jener kleinen Plätze, welche in Venedig corti heißen, obschon es keine Höfe sind, sondern etwas dem ähnliches was man in Paris cité nennt, eine Gruppe von Häusern, deren Türen alle auf einen gemeinschaftlichen offenen Raum gehen. Man muss sich aber diese sogenannten Höfe nicht im mindesten regelmäßig, geschmackvoll und saubergehalten denken, nach Art unserer modernen squares. Es sind vielmehr ganz kleine, finstere Plätze, die manchmal einen Sack bilden, manchmal einen Durchgang von einem Quartiere zu dem anderen; sie sind wenig besucht und rings umgeben von den Wohnungen armer und geringer Leute, meistens aus der untersten Volksklasse, Handarbeitern und Wäscherinnen, deren Zeug zum Trocknen auf Leinen, die sich quer über den Weg ziehen, aufgehängt ist: ein Übelstand, welchen der Durchgehende umso williger duldet, als sein Durchgangsrecht oft aus mehr als hinlänglichen Gründen ebenfalls nur auf Duldung beruht.
Wehe dem armen Künstler, der ein Kämmerchen nach einem dieser abgelegenen Winkel hinaus bewohnt, wo, nur zwei Schritte entfernt von breiten Kanälen und prächtigen Gebäuden, sich plötzlich mitten im Schoße Venedigs das Proletarierleben findet mit seiner Rohheit, seinem Lärm und seinem Schmutze. Wehe ihm, wenn er Stille braucht zu seinen Arbeiten. Denn vom Morgen bis in die Nacht wird das Gelärme der Kinder, Hühner und Hunde, die in dem engen Gehöfte durch einander spielen, schreien und heulen, das endlose Geplapper der Weiber, die auf ihren Türschwellen zusammenstehen und das Gesinge der Arbeiter in ihren Werkstätten ihm nicht einen Augenblick der Ruhe lassen.
Ein Glück noch, wenn nicht gar der Improvisatore kommt und seine Sonette und Dithyramben abplärrt, bis aus jedem Fenster ihm eine Kupfermünze zugefallen, oder wenn nicht Brighella seine Bude in der Mitte des Hofes aufstellt und unermüdlich seinen Dialog mit dem Avocato, dem Tedesco und dem Diavolo immer wieder von vorne beginnt, bis er sich überzeugt hält, dass seine Beredsamkeit umsonst vergeudet ist; vor zerlumpten Kindern, glücklichen Zuschauern, die sich kein Gewissen daraus machen, zu hören und zu sehen, ohne einen Liard in der Tasche.
Nachts aber, wann alles in Schweigen gesunken ist, und wann die Steine hell im Lichte des stillen Mondes schimmern, dann gibt diese gedrängte Masse unregelmäßig und absichtslos in den verschiedensten Epochen an einander gebauter Häuser, durch starke Schatten abgesetzt, mit mannigfaltigen geheimnisvollen Tiefen, und mit dem grillenhaften Formenspiele, das der Zufall schuf, ein Bild unendlich malerischer Unordnung. Alles verschönt sich im Mondesblicke; jede kleine architectonische Wirkung tritt hervor und wird bedeutend, der unscheinbarste weinbelaubte Balkon nimmt eine spanisch romanzenhafte Miene an, und erfüllt die Seele mit den Bildern jener schönen ritterlichen Abenteuer. Der leuchtende Himmel, in welchen sich jenseits dieser finsteren und winkeligen Masse, die blassen Kuppeln ferner