George Sand

Gesammelte Werke


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Kind … ge­ra­de wie ich, Ex­cel­lenz, und mich ha­ben doch Sie durch ihre Güte bis zu sich hin­auf ge­ho­ben! Aber die­se bö­sen Har­pyen ha­ben dem Pro­fes­sor ge­droht, sie wür­den sich bei Ih­nen dar­über be­schwe­ren, dass er ge­gen die Vor­schrif­ten eine Schü­le­rin in der Klas­se zulie­ße, die nicht dazu ge­hör­te.

      – Wo könn­te ich wol die­ses Wun­der ein­mal hö­ren?

      – Ew. Herr­lich­keit darf ja nur dem Pro­fes­sor be­feh­len, dass er sie ein­mal in Ih­rer Ge­gen­wart sin­gen las­se; Sie wer­den dann über ihre Stim­me und die Grö­ße ih­res Ta­len­tes ur­tei­len kön­nen.

      – Dei­ne Zu­ver­sicht flö­ßt mir in der Tat Ver­trau­en ein. Du sagst also, ich hät­te sie schon vor lan­ger Zeit ein­mal ge­hört … Kann ich mich doch durch­aus nicht er­in­nern …!

      – In der Kir­che der Men­di­can­ti, bei ei­ner Ge­ne­ral­pro­be, das Sal­ve Re­gi­na von Per­go­le­se …

      – Halt! ich hab’s, rief der Graf. Stim­me, Ton, Auf­fas­sung be­wun­derns­wür­dig!

      – Und sie war da­mals erst vier­zehn Jah­re alt, Mon­si­gno­re, ein blo­ßes Kind.

      – Ja, aber … ich glau­be mich zu er­in­nern, dass sie nicht hübsch war.

      – Nicht hübsch, Ex­cel­lenz? sag­te An­zo­le­to be­stürzt.

      – Hieß sie nicht …? Hm, ja, es war eine Spa­nie­rin, ein när­ri­scher Name …

      – Con­sue­lo, Mon­si­gno­re!

      – Recht! Du woll­test sie da­mals hei­ra­ten, und wir lach­ten über eure Lieb­schaft, der Pro­fes­sor und ich. Con­sue­lo! Ja, die­se war’s: der Lieb­ling des Pro­fes­sors, ein sehr fä­hi­ges Mäd­chen, aber sehr häss­lich.

      – Sehr häss­lich? wie­der­hol­te An­zo­le­to ganz er­starrt.

      – Al­ler­dings, mein Kind! bist du denn noch im­mer in sie ver­liebt?

      – Sie ist mei­ne Freun­din, Ew. Gna­den.

      – Freun­din be­deu­tet bei uns so viel als Schwes­ter und so viel als Ge­lieb­te. Wel­ches nun von bei­dem?

      – Schwes­ter, Herr!

      – Wohl, so kann ich, ohne dich zu krän­ken, dir sa­gen was ich von der Sa­che den­ke. In dei­nem Ein­fall ist kein Men­schen­ver­stand. Um die Co­ril­la zu er­set­zen, muss man ein En­gel von Schön­heit sein, und dei­ne Con­sue­lo, ich er­in­ne­re mich ih­rer jetzt ganz gut, ist mehr als häss­lich, sie ist ab­scheu­lich.

      Der Graf wur­de in die­sem Au­gen­bli­cke von ei­nem sei­ner Freun­de an­ge­hal­ten, wel­cher ihn auf die an­de­re Sei­te nahm, und er ließ An­zo­le­to wie be­täubt zu­rück; der arme Jun­ge stieß einen Seuf­zer aus und wie­der­hol­te vor sich hin:

      – Sie ist ab­scheu­lich! …

      7.

      Es nimmt dich viel­leicht Wun­der, lie­ber Le­ser, und nichts de­sto min­der ist es durch­aus rich­tig, dass sich An­zo­le­to nie­mals eine Mei­nung dar­über ge­bil­det hat­te, ob Con­sue­lo häss­lich oder schön wäre. Ab­ge­son­dert von den Men­schen und in Ve­ne­dig un­be­ach­tet, wie Con­sue­lo leb­te, war sie noch von Kei­nem dar­auf an­ge­se­hen wor­den, ob im Schat­ten die­ser Ver­säum­nis und Ver­bor­gen­heit Geist und Ge­müt sich eine an­ge­neh­me oder eine un­schein­ba­re Form her­aus­ge­ar­bei­tet hat­ten. Por­po­ra, der für nichts Sinn hat­te, als für sei­ne Kunst, sah in ihr nur die Künst­le­rin. Den Nach­barn auf der Cor­te Mi­nel­li war ihr un­schul­di­ges Ver­hält­nis zu An­zo­le­to nie an­stö­ßig ge­we­sen. In Ve­ne­dig ist man über die­sen Punkt nicht sehr be­denk­lich. Sie sag­ten ihr wohl manch­mal, dass sie sich mit die­sem Men­schen ohne Halt und Habe un­glück­lich ma­chen wür­de und ga­ben ihr den Rat, sie soll­te sich lie­ber mit ei­nem bra­ven, fried­fer­ti­gen Hand­wer­ker zu ver­bin­den su­chen. Da sie ih­nen aber im­mer ant­wor­te­te, sie wäre ja selbst ohne Fa­mi­lie und Stüt­ze, und so wäre ihr An­zo­le­to eben recht, da seit sechs Jah­ren kein Tag ver­gan­gen war, wo man sie nicht bei ein­an­der ge­se­hen hät­te und zwar im­mer of­fen, ohne Heim­lich­tun und ohne Streit und Zank, so hat­te man sich zu­letzt an ihre freie und un­zer­trenn­li­che Ver­bin­dung ge­wöhnt. Kein Nach­bar hat­te es sich je ein­fal­len las­sen, der Ami­ca des An­zo­le­to den Hof zu ma­chen. Kam dies da­her, dass man sie nun ein­mal für ge­bun­den ach­te­te, oder war ihre große Dürf­tig­keit dar­an schuld? Oder end­lich, dünk­te ihr Äu­ße­res kei­nem von ih­nen ver­füh­re­risch? Das letz­te­re ist sehr wahr­schein­lich.

      Es ist in­des­sen eine be­kann­te Sa­che, dass die jun­gen Mäd­chen zwi­schen zwölf und vier­zehn Jah­ren ge­wöhn­lich ma­ger, ohne Hal­tung und ohne Har­mo­nie in Zü­gen, Ver­hält­nis­sen und Be­we­gun­gen sind. Um die fünf­zehn Jah­re »mus­tern sie sich her­aus« (wie der volks­tüm­li­che Aus­druck der äl­te­ren Frau­en lau­tet), und die wel­che zu­vor ab­scheu­lich aus­sah, zeigt sich, nach die­sem kur­z­en Bil­dungs­ak­te, wenn nicht schön, zum we­nigs­ten an­ge­nehm. Man hat so­gar die Be­mer­kung ge­macht, dass klei­ne Mäd­chen, wel­che zu früh hübsch sind, nichts für die Zu­kunft ver­spre­chen.

      Auch un­se­rer Con­sue­lo war die Wohl­tat des jung­fräu­li­chen Al­ters zu Gute ge­kom­men, man nann­te sie nicht mehr häss­lich und wirk­lich war sie es nicht mehr. Nur weil sie kei­ne Prin­zes­sin oder In­fan­tin war, hat­te sie auch kei­nen Höf­lings­kreis um sich, der der Welt die sicht­li­che Ver­schö­ne­rung des kö­nig­li­chen Spros­sen ver­kün­det hät­te; und da kein zärt­lich be­küm­mer­tes Herz da war, um für ihre Zu­kunft Sor­ge zu tra­gen, so nahm sich auch nie­mand die Mühe, dem An­zo­le­to zu sa­gen, dass er sich sei­ner Braut vor der Welt nicht zu schä­men brauch­te.

      Da nun An­zo­le­to sie nur in ei­nem Al­ter hat­te gars­tig nen­nen hö­ren, wo die­ser Ta­del nicht den min­des­ten Ein­druck auf ihn mach­te, wäh­rend in spä­te­rer Zeit we­der Gu­tes noch Bö­ses von Con­sue­lo’s Äu­ße­rem ge­sagt wur­de, so hat­te er in der Tat an die­sen Punkt noch nicht ge­dacht. Sei­ne Ei­tel­keit hat­te einen an­de­ren Flug ge­nom­men. Sein Traum war, auf­zu­tre­ten und be­rühmt zu wer­den, und er konn­te gar nicht dazu kom­men, viel Auf­he­bens von sei­nen Erobe­run­gen zu ma­chen. Den Ge­lüs­ten der ers­ten Ju­gend ist ein gu­tes Teil Neu­gier­de bei­ge­mischt: bei ihm war die­se be­frie­digt; ich habe schon ge­sagt, dass er in ei­nem Al­ter von acht­zehn Jah­ren nichts mehr zu ler­nen hat­te. In sei­nem zwei und zwan­zigs­ten Jah­re war er fast ab­ge­stumpft, wäh­rend sei­ne An­häng­lich­keit an Con­sue­lo in sei­nem zwei und zwan­zigs­ten Jah­re, wie im acht­zehn­ten, ei­ni­ger keu­schen Küs­se un­ge­ach­tet, wel­che ohne Un­ru­he ge­ge­ben und ohne Scham ge­nom­men wur­den, noch ganz so still und trau­lich wie zu­vor war.

      Die­se Ruhe und Rein­heit bei ei­nem Jüng­lin­ge, des­sen Ruhm nicht ge­ra­de Zu­rück­hal­tung war, möch­te leicht zu auf­fal­lend er­schei­nen, wenn hier nicht be­merkt wür­de, dass die große Frei­heit, in wel­cher wir un­se­re jun­gen Leu­te beim Be­gin­ne die­ser Ge­schich­te mit­ein­an­der um­ge­hen sa­hen, sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dert und all­mäh­lich ein­ge­schränkt hat­te. Con­sue­lo war fast sechs­zehn Jah­re alt und führ­te noch ein ziem­lich un­stä­tes Le­ben, in­dem sie al­lein aus dem Kon­ser­va­to­ri­um ging und sich auf den Stu­fen der Pi­az­zet­ta