Schauspiel einer Todesstunde ohne Mut und ohne Tugend gab. Die Kindesliebe und ruhige Ergebenheit wichen von Consuelo nicht einen Augenblick. Ihre Jugendfreuden, ihre Freiheit, ihr ungebundenes Leben, selbst ihre Liebe, alles opferte sie ohne Klage und ohne Bedenken.
Anzoleto beschwerte sich lebhaft darüber, und entschloss sich, als er seine Vorwürfe erfolglos sah, zu vergessen und sich zu zerstreuen; aber es war ihm unmöglich. Anzoleto war nicht ausdauernd bei der Arbeit wie Consuelo: flüchtig und schlecht nahm er den verkehrten Unterricht an, den sein Lehrer um das Honorar, das Zustiniani zahlte, zu verdienen, eben so schlecht und flüchtig gab. Das war übrigens ein großes Glück für Anzoleto, denn seine reichen natürlichen Anlagen glichen, so gut es geschehen konnte, die verlorene Zeit und die Wirkungen eines schlechten Unterrichtes aus, aber es blieben ihm viele müßige Stunden, in welchen die treue und heitere Gesellschaft Consuelo’s ihm entsetzlich fehlte. Er versuchte, sich den Vergnügungen seines Alters und Standes hinzugeben: er ging in die Schenken und verspielte mit Herumtreibern das wenige Taschengeld, das ihm Graf Zustiniani von Zeit zu Zeit schenkte. Zwei bis drei Wochen lang gefiel ihm diese Lebensart, dann aber merkte er, dass dabei sein Wohlbehagen, seine Gesundheit und seine Stimme merklich litten: denn es ist ein Unterschied zwischen dem Far-niente und einem lüderlichen Leben, das lüderliche Leben aber sagte ihm nicht zu. Eine heilsame Selbstliebe hütete ihn vor schlechten Leidenschaften, er zog sich in die Einsamkeit zurück und strengte sich an, fleißig zu sein, aber die traurige Einsamkeit und die Schwierigkeiten machten ihm bange. Er sah nun ein, dass ihm Consuelo eben so unentbehrlich zu seinem Talente als zu seinem Glücke war.
Consuelo war ämsig und ausdauernd, sie lebte in der Musik wie der Vogel in der Luft, wie der Fisch im Wasser; Schwierigkeiten zu besiegen machte ihr Freude, ohne dass sie sich, mehr als ein Kind pflegt, über die Wichtigkeit des Sieges Rechenschaft gegeben hätte, denn die Hindernisse zu überwinden und in die Tiefen der Kunst einzudringen, zwang sie von innen heraus der unwiderstehliche Trieb, welcher auch das Saamenkorn zwingt den Schoß der Erde zu durchbrechen und an die Luft zu dringen; Consuelo war eine jener seltenen und glücklichen Naturen, für welche die Arbeit ein Genuss ist, eine wahre Ruhe, ein unentbehrlicher Normalzustand, und für welche die Untätigkeit eine Anstrengung, eine Abspannung, ein krankhafter Zustand sein würde, wenn ihnen Untätigkeit überhaupt möglich wäre. Aber sie kennen diese nicht: scheinbar müßig arbeiten sie; ihr Träumen ist kein inhaltloses, sondern ein Nachdenken. Wenn man sie wirken sieht, so meint man ihr Schaffen wahrzunehmen, während sie nur das schon Geschaffene offenbaren. Du wirst mir einwenden, lieber Leser, dass dir solche ungewöhnliche Naturen nie begegnet seien. Ich werde dir antworten, teuerer Leser, dass ich auch nur eine kennen gelernt habe, nur eine, und bin ich auch älter als du. Warum kann ich dir nicht sagen, dass ich an meinem armen Kopfe das göttliche Geheimnis dieser geistigen Regsamkeit ausgeforscht habe. Aber leider werden wir beide, Freund Leser, es nicht an uns studieren.
Consuelo arbeitete stets, und fand in der Arbeit ihre Erholung; Stundenlang war sie hartnäckig bemüht, frei a capriccio singend oder Musik lesend, Schwierigkeiten zu bekämpfen, vor welchen Anzoleto, sich selbst überlassen, zurückgebebt wäre; und ohne Bedacht und Absicht, ohne im geringsten an Wetteifer zu denken, zwang sie ihn, ihr zu folgen, ihr zu helfen, ihren Sinn zu fassen, ihr zu antworten, bald mitten unter kindischem Gelächter, bald mit ihm hingerissen von jener dichterischen und schöpferischen Fantasie, die den Volksnaturen in Italien und in Spanien eigen ist.
So hatte sich Anzoleto seit mehreren Jahren mit Consuelo’s Genius befruchtet, indem er ihn aus der Quelle schöpfte, ohne ihn zu erkennen, und ihn in sich aufnahm, ohne es zu wissen, und war in der Musik ein seltsames Gemisch von Kenntnis und Unwissenheit, von Eingebung und Leichtsinn, von Herrschaft und Unbehilflichkeit, von Kühnheit und Schwäche geworden, was eben damals bei der Probe den Professor Porpora in ein Labyrinth von Betrachtungen und Vermutungen verwickelte. Dieser Meister kannte das Geheimnis aller der Reichtümer nicht, welche der Consuelo abgeborgt waren; denn seitdem er eines Tages die Kleine über ihre Vertraulichkeit mit diesem großen Taugenichts hart gescholten, hatte er die beiden nie wieder beisammen gesehn. Consuelo, welcher viel daran lag, sich ihres Lehrers Gunst zu erhalten, hatte Sorge getragen, sich ihm nie in Anzoleto’s Gesellschaft zu zeigen, und so oft sie ihn, wenn Anzoleto bei ihr war, von weitem die Straße herabkommen sah, sprang sie flink wie ein Kätzchen hinter eine Säule oder duckte sich in eine Gondel.
Diese Vorsicht dauerte fort als Consuelo Krankenhüterin geworden war und als Anzoleto, der, fern von ihr, nicht mehr aushalten konnte, weil ihm Leben, Hoffnung, Geist und fast der Atem zu fehlen schien, sich einfand, um ihr eingeengtes Leben zu teilen und jeden Abend ihr die Verdrießlichkeiten und Aufwallungen der Totkranken tragen zu helfen.
Einige Monate vor ihrem Ende fühlte diese Unglückliche sich in ihren Leiden erleichtert, und besiegt von der frommen Liebe ihrer Tochter öffnete sich ihre Seele sanfteren Regungen. Sie gewöhnte sich daran, Hilfleistungen von Anzoleto anzunehmen, der, wiewohl zu einer solchen hingebenden Rolle wenig geschaffen, doch zu einer Art heiteren Eifers und zuvorkommender Freundlichkeit gegen die Schwäche und das Leiden sich auch seinerseits gewöhnte. Anzoleto hatte einen stätigen Charakter und ein freundliches Wesen. Seine Ausdauer bei ihr und Consuelo gewann zuletzt das Herz der Alten, und in ihrer letzten Stunde ließ sie die Kinder schwören, einander nicht zu verlassen. Anzoleto versprach es, ja er empfand sogar in diesem Augenblicke eine Art ernster Rührung, welche er noch nicht gekannt hatte. Die Sterbende erleichterte ihm seine Zusage, indem sie sprach: Lass sie deine Freundin, deine Schwester, deine Liebste oder dein Weib sein; da sie Keinen kennt als dich und von einem anderen nie hat hören wollen, so verlasse sie nicht. Im Geheimen wollte sie dann ihrer Tochter noch einen recht klugen und heilsamen Rat geben, ohne viel zu überlegen, ob er auch ausführbar sein werde, und sie nahm ihr, wie wir schon wissen, das Gelübde ab, sich ihrem Geliebten vor der kirchlichen Einsegnung ihrer Ehe nie zu überlassen. Consuelo gelobte es, ohne die Hindernisse zu ahnen, welche der unabhängige und unfromme Charakter Anzoleto’s dieser Absicht entgegenstellen könnte.
Als sie Waise war, setzte Consuelo ihre Nadelarbeit fort, um zu erwerben, was der Augenblick erforderte, und ihre Musikstudien, um an Anzoleto’s Zukunft die ihrige knüpfen zu können. Während der zwei Jahre, dass sie ihren Schuppen allein bewohnte, hatte er sie unverändert