George Sand

Gesammelte Werke


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Schau­spiel ei­ner To­des­stun­de ohne Mut und ohne Tu­gend gab. Die Kin­des­lie­be und ru­hi­ge Er­ge­ben­heit wi­chen von Con­sue­lo nicht einen Au­gen­blick. Ihre Ju­gend­freu­den, ihre Frei­heit, ihr un­ge­bun­de­nes Le­ben, selbst ihre Lie­be, al­les op­fer­te sie ohne Kla­ge und ohne Be­den­ken.

      An­zo­le­to be­schwer­te sich leb­haft dar­über, und ent­schloss sich, als er sei­ne Vor­wür­fe er­folg­los sah, zu ver­ges­sen und sich zu zer­streu­en; aber es war ihm un­mög­lich. An­zo­le­to war nicht aus­dau­ernd bei der Ar­beit wie Con­sue­lo: flüch­tig und schlecht nahm er den ver­kehr­ten Un­ter­richt an, den sein Leh­rer um das Ho­no­rar, das Zus­ti­nia­ni zahl­te, zu ver­die­nen, eben so schlecht und flüch­tig gab. Das war üb­ri­gens ein großes Glück für An­zo­le­to, denn sei­ne rei­chen na­tür­li­chen An­la­gen gli­chen, so gut es ge­sche­hen konn­te, die ver­lo­re­ne Zeit und die Wir­kun­gen ei­nes schlech­ten Un­ter­rich­tes aus, aber es blie­ben ihm vie­le mü­ßi­ge Stun­den, in wel­chen die treue und hei­te­re Ge­sell­schaft Con­sue­lo’s ihm ent­setz­lich fehl­te. Er ver­such­te, sich den Ver­gnü­gun­gen sei­nes Al­ters und Stan­des hin­zu­ge­ben: er ging in die Schen­ken und ver­spiel­te mit He­rum­trei­bern das we­ni­ge Ta­schen­geld, das ihm Graf Zus­ti­nia­ni von Zeit zu Zeit schenk­te. Zwei bis drei Wo­chen lang ge­fiel ihm die­se Le­bens­art, dann aber merk­te er, dass da­bei sein Wohl­be­ha­gen, sei­ne Ge­sund­heit und sei­ne Stim­me merk­lich lit­ten: denn es ist ein Un­ter­schied zwi­schen dem Far-ni­en­te und ei­nem lü­der­li­chen Le­ben, das lü­der­li­che Le­ben aber sag­te ihm nicht zu. Eine heil­sa­me Selbst­lie­be hü­te­te ihn vor schlech­ten Lei­den­schaf­ten, er zog sich in die Ein­sam­keit zu­rück und streng­te sich an, flei­ßig zu sein, aber die trau­ri­ge Ein­sam­keit und die Schwie­rig­kei­ten mach­ten ihm ban­ge. Er sah nun ein, dass ihm Con­sue­lo eben so un­ent­behr­lich zu sei­nem Ta­len­te als zu sei­nem Glücke war.

      Con­sue­lo war ämsig und aus­dau­ernd, sie leb­te in der Mu­sik wie der Vo­gel in der Luft, wie der Fisch im Was­ser; Schwie­rig­kei­ten zu be­sie­gen mach­te ihr Freu­de, ohne dass sie sich, mehr als ein Kind pflegt, über die Wich­tig­keit des Sie­ges Re­chen­schaft ge­ge­ben hät­te, denn die Hin­der­nis­se zu über­win­den und in die Tie­fen der Kunst ein­zu­drin­gen, zwang sie von in­nen her­aus der un­wi­der­steh­li­che Trieb, wel­cher auch das Saa­men­korn zwingt den Schoß der Erde zu durch­bre­chen und an die Luft zu drin­gen; Con­sue­lo war eine je­ner sel­te­nen und glück­li­chen Na­tu­ren, für wel­che die Ar­beit ein Ge­nuss ist, eine wah­re Ruhe, ein un­ent­behr­li­cher Nor­mal­zu­stand, und für wel­che die Un­tä­tig­keit eine An­stren­gung, eine Ab­span­nung, ein krank­haf­ter Zu­stand sein wür­de, wenn ih­nen Un­tä­tig­keit über­haupt mög­lich wäre. Aber sie ken­nen die­se nicht: schein­bar mü­ßig ar­bei­ten sie; ihr Träu­men ist kein in­halt­lo­ses, son­dern ein Nach­den­ken. Wenn man sie wir­ken sieht, so meint man ihr Schaf­fen wahr­zu­neh­men, wäh­rend sie nur das schon Ge­schaf­fe­ne of­fen­ba­ren. Du wirst mir ein­wen­den, lie­ber Le­ser, dass dir sol­che un­ge­wöhn­li­che Na­tu­ren nie be­geg­net sei­en. Ich wer­de dir ant­wor­ten, teue­rer Le­ser, dass ich auch nur eine ken­nen ge­lernt habe, nur eine, und bin ich auch äl­ter als du. Wa­rum kann ich dir nicht sa­gen, dass ich an mei­nem ar­men Kop­fe das gött­li­che Ge­heim­nis die­ser geis­ti­gen Reg­sam­keit aus­ge­forscht habe. Aber lei­der wer­den wir bei­de, Freund Le­ser, es nicht an uns stu­die­ren.

      Con­sue­lo ar­bei­te­te stets, und fand in der Ar­beit ihre Er­ho­lung; Stun­den­lang war sie hart­nä­ckig be­müht, frei a ca­pric­cio sin­gend oder Mu­sik le­send, Schwie­rig­kei­ten zu be­kämp­fen, vor wel­chen An­zo­le­to, sich selbst über­las­sen, zu­rück­ge­bebt wäre; und ohne Be­dacht und Ab­sicht, ohne im ge­rings­ten an Wett­ei­fer zu den­ken, zwang sie ihn, ihr zu fol­gen, ihr zu hel­fen, ih­ren Sinn zu fas­sen, ihr zu ant­wor­ten, bald mit­ten un­ter kin­di­schem Ge­läch­ter, bald mit ihm hin­ge­ris­sen von je­ner dich­te­ri­schen und schöp­fe­ri­schen Fan­ta­sie, die den Volks­na­tu­ren in Ita­li­en und in Spa­ni­en ei­gen ist.

      So hat­te sich An­zo­le­to seit meh­re­ren Jah­ren mit Con­sue­lo’s Ge­ni­us be­fruch­tet, in­dem er ihn aus der Quel­le schöpf­te, ohne ihn zu er­ken­nen, und ihn in sich auf­nahm, ohne es zu wis­sen, und war in der Mu­sik ein selt­sa­mes Ge­misch von Kennt­nis und Un­wis­sen­heit, von Ein­ge­bung und Leicht­sinn, von Herr­schaft und Un­be­hilf­lich­keit, von Kühn­heit und Schwä­che ge­wor­den, was eben da­mals bei der Pro­be den Pro­fes­sor Por­po­ra in ein La­by­rinth von Be­trach­tun­gen und Ver­mu­tun­gen ver­wi­ckel­te. Die­ser Meis­ter kann­te das Ge­heim­nis al­ler der Reich­tü­mer nicht, wel­che der Con­sue­lo ab­ge­borgt wa­ren; denn seit­dem er ei­nes Ta­ges die Klei­ne über ihre Ver­trau­lich­keit mit die­sem großen Tau­ge­nichts hart ge­schol­ten, hat­te er die bei­den nie wie­der bei­sam­men ge­sehn. Con­sue­lo, wel­cher viel dar­an lag, sich ih­res Leh­rers Gunst zu er­hal­ten, hat­te Sor­ge ge­tra­gen, sich ihm nie in An­zo­le­to’s Ge­sell­schaft zu zei­gen, und so oft sie ihn, wenn An­zo­le­to bei ihr war, von wei­tem die Stra­ße her­ab­kom­men sah, sprang sie flink wie ein Kätz­chen hin­ter eine Säu­le oder duck­te sich in eine Gon­del.

      Die­se Vor­sicht dau­er­te fort als Con­sue­lo Kran­ken­hü­te­rin ge­wor­den war und als An­zo­le­to, der, fern von ihr, nicht mehr aus­hal­ten konn­te, weil ihm Le­ben, Hoff­nung, Geist und fast der Atem zu feh­len schi­en, sich ein­fand, um ihr ein­ge­eng­tes Le­ben zu tei­len und je­den Abend ihr die Ver­drieß­lich­kei­ten und Auf­wal­lun­gen der Tot­kran­ken tra­gen zu hel­fen.

      Ei­ni­ge Mo­na­te vor ih­rem Ende fühl­te die­se Un­glück­li­che sich in ih­ren Lei­den er­leich­tert, und be­siegt von der from­men Lie­be ih­rer Toch­ter öff­ne­te sich ihre See­le sanf­te­ren Re­gun­gen. Sie ge­wöhn­te sich dar­an, Hilf­leis­tun­gen von An­zo­le­to an­zu­neh­men, der, wie­wohl zu ei­ner sol­chen hin­ge­ben­den Rol­le we­nig ge­schaf­fen, doch zu ei­ner Art hei­te­ren Ei­fers und zu­vor­kom­men­der Freund­lich­keit ge­gen die Schwä­che und das Lei­den sich auch sei­ner­seits ge­wöhn­te. An­zo­le­to hat­te einen stä­ti­gen Cha­rak­ter und ein freund­li­ches We­sen. Sei­ne Aus­dau­er bei ihr und Con­sue­lo ge­wann zu­letzt das Herz der Al­ten, und in ih­rer letz­ten Stun­de ließ sie die Kin­der schwö­ren, ein­an­der nicht zu ver­las­sen. An­zo­le­to ver­sprach es, ja er emp­fand so­gar in die­sem Au­gen­bli­cke eine Art erns­ter Rüh­rung, wel­che er noch nicht ge­kannt hat­te. Die Ster­ben­de er­leich­ter­te ihm sei­ne Zu­sa­ge, in­dem sie sprach: Lass sie dei­ne Freun­din, dei­ne Schwes­ter, dei­ne Liebs­te oder dein Weib sein; da sie Kei­nen kennt als dich und von ei­nem an­de­ren nie hat hö­ren wol­len, so ver­las­se sie nicht. Im Ge­hei­men woll­te sie dann ih­rer Toch­ter noch einen recht klu­gen und heil­sa­men Rat ge­ben, ohne viel zu über­le­gen, ob er auch aus­führ­bar sein wer­de, und sie nahm ihr, wie wir schon wis­sen, das Ge­lüb­de ab, sich ih­rem Ge­lieb­ten vor der kirch­li­chen Ein­seg­nung ih­rer Ehe nie zu über­las­sen. Con­sue­lo ge­lob­te es, ohne die Hin­der­nis­se zu ah­nen, wel­che der un­ab­hän­gi­ge und un­from­me Cha­rak­ter An­zo­le­to’s die­ser Ab­sicht ent­ge­gen­stel­len könn­te.

      Als sie Wai­se war, setz­te Con­sue­lo ihre Na­del­ar­beit fort, um zu er­wer­ben, was der Au­gen­blick er­for­der­te, und ihre Mu­sik­stu­di­en, um an An­zo­le­to’s Zu­kunft die ih­ri­ge knüp­fen zu kön­nen. Wäh­rend der zwei Jah­re, dass sie ih­ren Schup­pen al­lein be­wohn­te, hat­te er sie un­ver­än­dert